Während der Woche konzentrieren wir uns für unsere Zielgruppe auf das Recht in Wirtschaft und Gesellschaft; am Wochenende auf Unwirtschaftliches bis hin zum Humor. Material finden Sie demnach inbesondere für das Presse-, Äußerungs-, Marken-, Wettbewerbs-, Urheber-, Verkehrsauffassungs-, Forschungs-, Datenschutz-, Nachbarrecht sowie zur Kanzleiorganisation. Humor und Witze würden zwar schon heute Stoff für ein Buch "15 Jahre Humor" bieten, sind jedoch nur zu einem geringen Teil suchfunktionsfähig verfasst.

So betitelt die Ausgabe 30/2016 der FREIZEIT REVUE das „Rechtsthema der Woche”. Weitere Informationen finden Sie im FREIZEIT REVUE Ratgeber Recht.

Eine Geldbuße, die gegenüber einem Anwalt verhängt wird, weil dieser das richterliche Verhalten als „absolut inakzeptabel“ und die bisherigen Gerichtsverhandlungen als „inhaltslos“ bezeichnet habe, stellt einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK dar. In seinem Urteil vom 28. Juni 2016 in einer Rechtssache Radobuljac/Kroatien (Beschwerdenr. 51000/11, nur in englischer Sprache verfügbar) meinte der EGMR entgegen der Ansicht des nationalen Gerichts, der Anwalt greife nicht offen und allgemeinen die Autorität der Justiz an. Vielmehr äußere er sich nur auf den Gerichtssaal beschränkt gegenüber dem Gericht in Bezug auf das Verhalten des Richters im konkreten Verfahren.

So entschieden hat der Bundesgerichtshof samt Vorinstanzen in einem gestern bekannt gegebenen Urteil vom 24. Mai 2016 - VI ZR 496/15.
Begründet hat der BGH seine Meinung wie folgt:
„Bei den beanstandeten Äußerungen handelt es sich um grobe Beleidigungen im persönlichen Umfeld ohne Breitenwirkung in der Öffentlichkeit. Die mit den Beleidigungen verbundenen Beeinträchtigungen können befriedigend durch den vom Kläger im einstweiligen Verfügungsverfahren erwirkten strafbewehrten Unterlas-sungstitel und das Ordnungsmittelverfahren aufgefangen werden. Des Weiteren hatte der Kläger die Gelegenheit, wegen der Beleidigungen den Privatklageweg zu beschreiten und sich auch dadurch Genugtuung zu verschaffen. Für die Zahlung einer Geldentschädigung ist aufgrund der Umstände des Streitfalls daneben kein Raum.”
Anmerkungen:
1.
Der Beleidigte erstattete auch eine Strafanzeige. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch eingestellt und der Beklagte auf den Privatklageweg verwiesen, wovon er jedoch keinen Gebrauch gemacht hat. Es ist gut vorstellbar, dass dem Beleidigten von einem Anwalt erklärt wurde, der Privatklageweg sei umständlich und könne ärgerlich sein.
2.
Was meint der BGH mit „im persönlichen Umfeld ohne Breitenwirkung in der Öffentlichkeit”? In den Gründen heißt es - hier bezieht sich der BGH auf die Ausführungen der ersten Instanzen: Der ehemalige Vermieter habe sich so „insbesondere in Kurzmitteilungen (SMS) in der Zeit vom 10. bis 11. Juni 2012” geäußert.
3.
Bleibt als Begründung nur, dass sich der erkennende BGH-Senat auf seine ständige Rechtsprechung beruft, nach welcher „eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung [lediglich] rechtfertigt, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann”.
4.
Wie so oft, handelt es sich um ein Problem des richterlichen Dezisionismus. Siehe hierzu links in der Suchfunktion Stichwort „Dezisionismus”. Der Verfasser dieser Zeilen, ein Anwalt, hätte - auch als Richter - sicherlich anders entschieden. Siehe zur Bedeutung der Ehre die Abhandlung von Frau Prof. Noelle-Neumann in der Festschrift für R. Schweizer: „Von der doppelten Natur des Menschen - Warum eine neue Güterabwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht erforderlich ist”.

Ein Motorradfahrer, war zwar vorfahrtberechtigt, hatte die zulässige Geschwindigkeit jedoch weit überschritten: 121 km/h statt zugelassener 50 km/h. Zusammen gestoßen ist er mit einem aus einer rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links abbiegenden Pkw. Der Pkw-Fahrer hatte die hohe Geschwindigkeit des Motorrads nicht erkannt. Wer haftet, eventuell mit welcher Quote?
Entschieden hat mit einem nun rechtskräftigen Urteil vom 23.2.2016, Az.: 9 U 43/15, das Oberlandesgericht Hamm.
In Fällen dieser Art stellt sich stets die Frage, ob wegen weit überwiegenden Verschuldens ein Verkehrsteilnehmer allein verantwortlich ist. Das Landgericht hatte erstinstanzlich geurteilt, der Motorradfahrer trage allein die Verantwortung, hafte somit zu 100 %. Das OLG Hamm bejahte dagegen als Berufungsgericht eine 30%-ige Haftung des Pkw-Fahrers.
Begründung:
Auch der Pkw-Fahrer habe schuldhaft gehandelt. Beim Beginn seines Abbiegevorgangs sei das mit eingeschaltetem Fahrlicht herannahende Motorrad für den Pkw-Fahrer zu sehen gewesen. Wenn er dieses erst nach Abbiegebeginn erstmals wahrgenommen habe, habe er den Verkehr auf der bevorrechtigten Straße nicht ausreichend beachtet. Hätte er sich ausreichend umgeschaut, hätte er die überhöhte Geschwindigkeit des Motorrads erkennen können und dann zuwarten müssen. Auch beim zügigen Abbiegen wäre der Zusammenstoß zu vermeiden gewesen. Die damit ebenfalls unfallursächliche Vorfahrtsverletzung des Pkw-Fahrers rechtfertige eine Haftungsquote von 70% zu 30% zulasten des Motorradfahrers.

So betitelt die Ausgabe 29/2016 der FREIZEIT REVUE das „Rechtsthema der Woche”. Weitere Informationen finden Sie im FREIZEIT REVUE Ratgeber Recht.

Oft wird in den Medien seit Freitag mit Schlagzeilen gefeiert, das Haus Axel Springer habe gegen einen Werbeblocker gewonnen. In Wirklichkeit hat das Oberlandesgericht Köln in seinem Urteil vom 24.6.2016, Az.: 6 U 149/15, die Blockade von Werbung für zulässig erklärt. Adblocking ist nach dem Urteil nur insoweit unzulässig, als die Software die Werbung nach vorgegebenen Kriterien und gegen Zahlung eines Entgelts nicht unterdrückt ("Whitelist").
Das OLG meint, die Pressefreiheit erlaube nicht, gegen den Willen des Nutzers zu werben. Wie das Gericht denkt, lässt sich daraus schließen, dass es erklärt, dem Nutzer dürfe unerwünschte Werbung nicht aufgedrängt werden.
Die "Whitelist"-Funktion akzeptiert das Gericht nicht, weil es zu ihr den § 4a Abs. 1 S. 1 UWG gefunden hat.
Anmerkungen
1.
Die Medien können nur hoffen, dass das Geschäftsmodell, Werbung zu blockieren, seinen Sinn verliert, wenn die Blocker sich kein Geld mehr durch Freischaltungen beschaffen können.
2.
Diese Entscheidung offenbart, dass teilweise Gerichte die Wirtschaft nicht verstehen. Ohne Werbung keine Wirtschaft. Werbung ist notwendigerweise Teil unserer Gesellschaft.
3.
In jeder Publikation zur Pressefreiheit wird dargelegt, dass die Pressefreiheit auch das Recht auf Werbung umfasst. Deshalb würde es sehr überraschen, wenn der Bundesgerichtshof dieses Urteil, soweit es sich gegen Werbung richtet, nicht aufheben würde.
4.
§ 4a Abs.1 Satz 1, den das OLG Köln anwendet, regelt:
(1) Unlauter handelt, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte.
5.
Es handelt sich bei dieser Urteilsbegründung gegen die Werbung um ein weiteres Beispiel für richterlichen Dezisionismus: der führende Richter hat offenbar mehr Vorurteile gegen die Werbung und die Presse als es für eine ausgewogene Rechtsprechung gut sein kann. Siehe zum Dezisionismus links nebenan auf dieser Startseite die Suchfunktion, Suchwort: Dezisionismus.

Am vergangenen Freitag hat der Bundesgerichtshof sein Urteil vom 8. April 2016 - V ZR 104/15 - zur Formulierung von Eigentümerbeschlüssen bekannt gegeben:
Der Inhalt eines Eigentümerbeschlusses muss, insbesondere weil ein Sonderrechtsnachfolger nach § 10 Abs. 4 WEG an Beschlüsse gebunden ist, inhaltlich bestimmt und klar sein. Es besteht ein Interesse des Rechtsverkehrs, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Eigentümerbeschlüsse müssen deshalb aus sich heraus auszulegen sein. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (Senat, Beschluss vom 10. Sep- tember 1998 - V ZB 11/98, BGHZ 139, 288, 292, 295). Dies ist auch dann der Fall, wenn sich der Text eines Eigentümerbeschlusses zur Konkretisierung der getroffenen Regelung auf Dokumente außerhalb des Protokolls bezieht. Deshalb ist allgemein anerkannt, dass sich der Wortlaut des Beschlusses zur näheren Erläuterung inhaltlich auf Urkunden oder Schriftstücke beziehen darf.

In den 70er- und vor allem 80er-Jahren war ein großes Thema in Wissenschaft und Wirtschaft die Chaos- oder Katastrophentheorie. Der Verf. dieser Zeilen zieht es vor, von Systemänderungstheorie zu sprechen.
Als ein „Vergnügen Avantgarde-Intellektueller” wurde diese Theorie apostrophiert. Wissenschaftlich steht an erster Stelle das 1972 veröffentlichte Werk von René Thom (1923-2002):
Stabilité structurelle et morphogénèse - essai d’une théorie générale des modèles.
Insbesondere auch in Medienhäusern war die Theorie damals in aller Munde. 1985 erschien das Buch von Müri: Chaos-Management.
Diese Theorie wurde in der digitalen Revolution, obwohl hoch aktuell, nicht wieder verwendet; wohl weil nie eine wichtige Publikation mit einem entsprechenden Titel erschien. Nicht einmal in der Presse, für welche die Systemänderung nun wirklich das Thema war, ist jemand auf diese Theorie zurück gekommem.
Diese mathematische und philosophische Katastrophentheorie beschäftigt sich mit unstetigen, sprunghaften Veränderungen kontinuierlicher dynamischer Systeme durch ein Ereignis. Diese Theorie besagt insbesondere, dass infolge der Systemänderung unter bestimmten Voraussetzungen ein neuer stabiler Zustand angestrebt wird, bei dem Änderungen der Parameter sprunghafte, nichtstetige, diskontinuierliche Änderungen der Lösung erfahren. Wie diese Rückkehr zu einem neuen stabilen Zustand gefunden werden kann, beschäftigt sich diese Systemänderungstheorie insbesondere.

Ein gestern bekannt gegebenes Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 2016 - Az.: XII ZR 62/15 - ist rechtsmethodisch noch wichtiger (und seltener) als die Entscheidung zur Unkündbarkeit des Vertrages mit einem Fitness-Studio. Es legt nämlich dar, unter welchen Voraussetzungen eine Lücke im Gesetz auszufüllen ist. Rechtsmethodisch geht es, was der BGH nicht ausdrücklich erklärt, um die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Gleichbewertung des Gleichsinnigen. Die Urteilsbegründung legt insoweit dar:
Für eine Vergleichbarkeit der zu regelnden Sachverhalte reicht es zudem nicht aus, dass bei einem Vertragspartner das gleiche Interesse vorliegt, das der Gesetzgeber in der einen anderen Fall betreffenden Gesetzesvorschrift schützen wollte. Denn bei einer solchen Betrachtungsweise würden die Interessen der anderen Vertragspartei in ungebührlicher Weise vernachlässigt. Vielmehr muss geprüft werden, ob der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der entsprechend anzuwendenden Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre (BGHZ 105, 140 = NJW 1988, 2734; Se-natsbeschluss vom 25. Mai 2011 - XII ZB 625/10 - FamRZ 2011, 1394 Rn. 27).
Der BGH nimmt an, dass der Gesetzgeber nicht zu dem gleichen Ergebnis gelangt wäre wie
Folglich schließt er gegen den Fitnessstudio-Besucher, dass der berufsbedingte Wohnortwechsel, auch wenn er durch die Abkommandierung fremdbestimmt ist, letztlich in die Sphäre des Beklagten fällt. Dementsprechend - so der BGH - darf der Studio-Kunde nach den allgemeinen Grundsätzen zur Kündigung von Studio-Verträgen nicht wegen des Wohnortwechsels außerordentlich kündigen.

So betitelt die Ausgabe 28/2016 der FREIZEIT REVUE das „Rechtsthema der Woche”. Weitere Informationen finden Sie im FREIZEIT REVUE Ratgeber Recht.