Während der Woche konzentrieren wir uns für unsere Zielgruppe auf das Recht in Wirtschaft und Gesellschaft; am Wochenende auf Unwirtschaftliches bis hin zum Humor. Material finden Sie demnach inbesondere für das Presse-, Äußerungs-, Marken-, Wettbewerbs-, Urheber-, Verkehrsauffassungs-, Forschungs-, Datenschutz-, Nachbarrecht sowie zur Kanzleiorganisation. Humor und Witze würden zwar schon heute Stoff für ein Buch "15 Jahre Humor" bieten, sind jedoch nur zu einem geringen Teil suchfunktionsfähig verfasst.

Entschieden hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 27.4.2017 -Az. 73607/13. Die deutschen Gerichte hatten allesamt gegen den Strafverteidiger geurteilt. Die Entscheidung des EGMR ist in englischer Sprache vollständig auf der Homepage des Gerichts veröffentlicht.
Der Fall
Die Staatsanwaltschaft hatte gegen einen der Mandanten des Anwalts wegen organisierten Betrugs ermittelt. Dabei kam der Verdacht auf, dass der Mandant über seine Freundin seinen Verteidiger mit illegalen Geldern bezahlt hatte. Deshalb hat die StA bei der Bank die Daten abgefragt.
Die Begründung
Verstoßen wurde gegen Art. 8 der Menschenrechtskonvention (Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten). Die Staatsanwaltschaft hat unverhältnismäßig und nicht notwendig in einer demokratischen Gesellschaft das Berufsgeheimnis sowie das Recht auf Privatsphäre des Anwalts verletzt. Die Maßnahme sei zwar lediglich zeitlich begrenzt gewesen; die Kontodaten hätten den Ermittlern aber ein komplettes Bild über die beruflichen Aktivitäten des Anwalts sowie Informationen über dessen Mandanten gegeben ("a complete picture of his professional activity for the time in question, and moreover with information about his Clients"). Außerdem sei der Verdacht gegen den Verteidiger "eher vage" gewesen.
Anmerkung - Art. 8 der EMRK bestimmt, mit dem deutschen Recht übereinstimmend:
„(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. (2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

Der BGH hat in einem Urteil vom 27.04.2017 - I ZR 55/16 klargestellt:
Werden bei einem Preisvergleich im Internet nur Provision zahlende Anbieter der gesuchten Ware oder Leistung berücksichtigt, muss der Portalbetreiber die Nutzer des Portals auf diese unsachliche Auswahl hinweisen.
Begründung:
Die Information darüber, dass in einem Preisvergleichsportal nur Anbieter berücksichtigt werden, die sich für den Fall des Vertragsschlusses mit dem Nutzer zur Zahlung einer Provision an den Portalbetreiber verpflichtet haben, ist eine wesentliche Information im Sinne des § 5a Abs. 2 UWG.
Anmerkung - §5a Abs.2 legt fest:
(2) Unlauter handelt, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält,
1.
die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und
2.
deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte

Textilarbeiter auf der ganzen Welt, unter ihnen viele junge Frauen und Kinder, leiden unter langen Arbeitszeiten, niedrigen Löhnen, Ungewissheit, Gewalt und gefährlichen Arbeitsbedingungen. Diese Praktiken schaden auch der EU-Industrie, da sie zu Sozialdumping führen, bemerken die Abgeordneten in einer nicht bindenden Entschließung.

In einem Beschluss vom 21. Februar 2017 - VI ZR 314/15 - hat der VI. Senat des Bundesgerichtshofs - seine bisherigen Entscheidungen bestätigend - dargelegt:
Jeder Prozesspartei steht nach §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zu, einen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen. Der Tatrichter muss dementsprechend dem von einer Partei recht- zeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Verhandlung zu laden, selbst dann stattgeben, wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend ist. Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist.

Dieses Urteil in der Rechtssache C-527/15 Stichting/Brein ./. Wullems vom 26.4.2017 war - anders als im Vorfeld öfters angenommen wurde - vorhersehbar.
Die knackige Werbung besagt eigentlich schon von vornherein, dass dieses „Geschäftsmodell” scheitern musste. Geworben wurde:
„Mit dem multimedialen Medienabspieler kann kostenlos und einfach auf einem Fernsehbildschirm insbesondere Bild- und Tonmaterial angesehen werden, das ohne Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber im Internet zugänglich ist.”

Anmerkungen
1. Außerdem hat der EuGH entschieden, dass die vorübergehende Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf einem solchen Medienabspieler durch Streaming nicht vom Vervielfältigungsrecht ausgenommen ist.
2.
Zur Technik, wie sie der EuGH beschreibt: Es handelt sich um ein Gerät, das als Verbindung zwischen einem Bild- oder Tonsignal und einem Fernsehbildschirm fungiert. Auf diesem Medienabspieler hat der Beklagte Wullems, Betreiber des Online-Shops mit dem Namen: filmspeler.nl eine Open-Source-Software installiert, mit der mittels einer einfach zu bedienenden grafischen Oberfläche über bestimmte Menüstrukturen Dateien gelesen werden können. Daneben hat er in diese Software im Internet zugängliche Add-ons eingefügt, die dazu bestimmt sind, die gewünschten Inhalte aus den Streamingseiten zu schöpfen und sie allein durch einen Klick auf dem multimedialen Medienabspieler, der mit einem Fernsehbildschirm verbunden ist, anlaufen zu lassen. Einige dieser Seiten machen digitale Inhalte mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zugänglich, während andere ohne deren Erlaubnis zu solchen Inhalten leiten.

Es soll reichen, wenn auf Englisch und auf Deutsch darauf hingewiesen werde: „Berlin.com wird von Berlin Experten betrieben und ist keine Webseite des Landes Berlin”. So entschieden hat das Landgericht Berlin in einem nun bekannt gegebenen Urteil vom 27.2.2017, Urteil. Az.: 3 O 19/15. Verloren hat das Land Berlin, das die Webseite "www.berlin.de" betreibt.
www.berlin.com bietet seit 2011 insbesondere touristische Informationen über Berlin. Das Land Berlin tritt seit 1996 im Internet unter der Domain www.berlin.de auf und veröffentlicht dort zahlreiche Informationen unter anderem aus Politik, Wirtschaft, Tourismus und Kultur Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
Begründung unter anderem:
Nutzer könnten heute nicht mehr davon ausgehen, dass die Second Level Domain ("Berlin") auf einen Namen verweise. Die Nutzer würden vielmehr nur darauf schließen, dass über Berlin informiert werden würde.
Anmerkung:
Aus dem Urteil geht nicht klar hervor, ob das Gericht annimmt, es werde kein erheblicher Teil der Adressaten irregeführt und kein Ruf ausgebeutet; oder ob das Gericht normativ die Meinung vertritt, der Schutz für Städte und Gemeinden solle nicht so weit reichen.

Suchen Sie als Jurist eine Stelle? Die Facebook-Rechtsabteilung muss anscheinend mit Mitarbeitern aufstocken, die deutsch sprechen.
Das Amtsgericht Berlin-Mitte in einem Versäumnisurteil vom 8. März 2017 - Az. 15 C 364/16 - zugunsten Davids gegen Goliath entschieden.
Begründung:
Zwar ist Facebook Ireland Ltd. in Irland ansässig. Dennoch muss eine Klage nicht in die dortige Amtssprache Englisch übersetzt werden. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass Facebook über Mitarbeiter verfügt, die hinreichend Deutsch verstehen.

Der Fall nach einer Pressemitteilung des Gerichts:
Ein Nutzer von Facebook hatte eine Klage gegen die Facebook Ireland Ltd. erhoben. Beantragt wurde, Facebook zu verpflichten, dem Kläger wieder uneingeschränkten Zugang zu seinem Account und insbesondere zu allen seinen Kommunikationsinhalten und zu den Funktionen der Internetplattform "facebook.com" einzuräumen. Zugleich forderte der Kläger die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 382,59 Euro. Der Kläger hatte im Jahr 2008 einen Account eingerichtet, dessen Zugang ihm Facebook entzogen haben soll. Vergeblich versuchte der Kläger per E-Mail zu erreichen, dass die Sperrung rückgängig gemacht werde. Dies lehnte Facebook ab, da sie zu dem Schluss gekommen sei, dass der Kläger zur Nutzung von Facebook nicht berechtigt sei. Facebook verwies auf ihre im Internet veröffentlichte "Erklärung der Rechte und Pflichten" und fügt hinzu, dass es leider aus Sicherheitsgründen keine zusätzlichen Informationen zur Sperrung geben könne. Da auch die Einschaltung eines Rechtsanwaltes erfolglos blieb, hat der Nutzer Klage erhoben und die Klageschrift nebst Anlagen in deutscher Sprache eingereicht. Die Zustellung dieser Dokumente ist am Sitz der Beklagten in Irland erfolgt, ohne dass die Klageschrift nebst Anlagen zuvor in die englische Sprache übersetzt worden waren. Nach der europäischen Zustellungs-Verordnung darf der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern, wenn es nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaates oder in einer Sprache, die der Empfänger versteht, verfasst bzw. keine entsprechende Übersetzung beigefügt ist. Facebook hat sich darauf berufen, dass die zuständige Rechtsabteilung die Sprache nicht verstehe, und sich bisher nicht gegen die Klage verteidigt, da die Klage nicht wirksam zugestellt worden sei.
Das AG Berlin-Mitte hat auf entsprechenden Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen und die Beklagte nach dem Klageantrag verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hat so in einem soeben bekannt gegebenen Urteil vom 20. März 2017 - AnwZ (Brfg) 33/16 entschieden.
Begründung
Seine Rechtsprechung fortführend, nimmt der BGH an, dass zu den nach § 59e Abs. 1 Satz 1 BRAO in Betracht kommenden Gesellschaftern einer Rechtsanwaltsgesellschaft die dort genannten - natürlichen - Personen und zudem eine aus diesen bestehende, auf das Halten von deren GmbH-Anteilen beschränkte Gesellschaft bürgerlichen Rechts, nicht hingegen eine Partnerschaftsgesellschaft gehört. Etwas anderes lässt sich, so der BGH, auch nicht daraus herleiten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter bestimmten (engen) Voraussetzungen als Gesellschafterin einer Patentanwaltsgesellschaft und dementsprechend auch einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Betracht kommt.

Anmerkung
Der Bundesgerichtshof nutzt in diesem Beschluss die Gelegenheit, die rechtsmethodischen Auslegungsgrundsätze zusammen zu fassen, also mit das wichtigste Handwerkszeug des Juristen:
Für die Auslegung von Gesetzen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen, wobei Ausgangspunkt der Auslegung der Wortlaut der Vorschrift ist. Die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption ist durch das Gericht bezogen auf den konkreten Fall möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. nur BVerfGE 133, 168 Rn. 66 mwN; BVerfG, NJW 2014, 3504 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - II ZB 7/11, NJW 2013, 2674 Rn. 27).

Der Bundesgerichtshof hat in einem gestern bekannt gegebenen Urteil seine Rechtsprechung aus dem Jahre 2003 fort gebildet, nämlich:
Aus einem Berufungsurteil, gegen das die Revision stattfindet, muss zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen. Fehlen solche Darstellungen, hat das Revisionsgericht das Urteil von Amts wegen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 - VI ZR 22/16.

Wir berichten an dieser Stelle möglichst häufig über Entscheidungen betreffend die Kanzleiorganisation und Probleme in diesem Bereich bei Gerichten. Das letzte Mal ging es am 10. März 2017 um den Faxempfang beim Gericht. Heute berichten wir über einen gestern bekannt gegebenen Beschluss des BGH vom 30.3.2017, Az.: III ZB 43/16:
Wenn ein Gericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, muss es die Partei zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Im entschiedenen Fall fehlte der erforderliche Hinweis.
Der BGH wies ergänzend auf einen zusätzlichen Fehler des Gerichts hin:
„Unabhängig davon hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der Mitarbeiterin als Zeugin liegt. Dann liefe die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus.”