Duldung des Einbaus eines Treppenlifts

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

22. 02. 2008


Aktenzeichen

34 Wx 66/07


Entscheidungsgründe


Gründe:


I.

Die Antragsteller, ein Ehepaar, und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Die Wohnanlage besteht aus zwei Gebäuden. Den Antragstellern gehört eine im ersten Obergeschoss befindliche Einheit, die sie selbst bewohnen. Sie sind beide gesundheitlich beeinträchtigt. Insbesondere ist der 1950 geborene Antragsteller zu 1 gehbehindert. Ausweislich eines Bescheides des Amts für Versorgung und Familienförderung wurde bei ihm ein Grad der Behinderung im Sinne von § 2 SGB IX von 80 festgestellt. In dem Bescheid ist weiter vermerkt, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für das Merkzeichen G (= Gehbehinderung) erfüllt. Ihm ist das Treppensteigen nur unter Mühe und erheblich verlangsamt möglich, er kann das Treppensteigen trotz bestehender Sturzgefahr aber noch einigermaßen sicher bewältigen. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers zu 1 dahingehend, dass er zwingend auf einen Treppenlift angewiesen wäre, lässt sich für einen Zeithorizont von bis zu einem Jahr nicht sicher prognostizieren.

Die weitere Beteiligte lud mit Schreiben vom 19.1.2005 zur Eigentümerversammlung am 17.2.2005 ein. Die Einladung enthielt die Mitteilung, dass Anträge bis zum 2.2.2005 schriftlich beim Verwalter eingereicht werden können. Die Antragsteller begehrten mit Schreiben vom 31.1.2005, dass sowohl durch alle Miteigentümer der Wohnanlage als auch durch die direkt Betroffenen über die Genehmigung zum Einbau eines Treppenliftes abgestimmt werden solle. Dieser Antrag wurde am 4.2.2005 an alle Wohnungseigentümer in Kopie versandt.

In der Wohnungseigentümerversammlung vom 17.2.2005 wurde der Antrag unter dem Tagesordnungspunkt (TOP) 5 „Behandlung eingegangener Anträge“ behandelt. Die Antragsgegner zu 1 hatten u. a. für diesen Tagesordnungspunkt der Antragsgegnerin zu 2 eine Vollmacht erteilt mit der Weisung, dass der Antrag abzulehnen sei. Der Versammlungsleiter gab den Inhalt der Vollmacht den anwesenden Miteigentümern bekannt und erklärte, dass sich aus seiner Sicht eine Beschlussfassung erübrige, da es sich bei dem Treppenlifteinbau um eine bauliche Veränderung handele, die einstimmig beschlossen werden müsse.

Aus dem Protokoll ergibt sich, dass der Antrag mit den Eigentümern besprochen wurde. Anschließend wurden zwei Abstimmungen durchgeführt, die erste mit sämtlichen Wohnungseigentümern und die zweite nur mit den Eigentümern, in deren Wohngebäude der Einbau stattfinden solle. In beiden Fällen stimmte ein Teil der Wohnungseigentümer mit „Nein“; der Antrag wurde mangels Allstimmigkeit als abgelehnt protokolliert.

Die Antragsteller haben beantragt, den Beschluss der Eigentümerversammlung zu TOP 5 aufzuheben und die Antragsgegner zu verpflichten, den Einbau eines Treppenlifts des Fabrikats H. vom Keller des Hauses bis zur Wohnung der Antragsteller im ersten Obergeschoss zu gestatten.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 1.12.2005 den Antrag abgewiesen. Das Landgericht hat einen Augenschein im betroffenen Treppenhaus durchgeführt und die Außendienstmitarbeiterin des Aufzugsherstellers vernommen. Ferner hat das Landgericht zum gesundheitlichen Zustand der Antragsteller ein schriftliches nervenfachärztliches Gutachten eingeholt und den Sachverständigen mündlich angehört. Es hat die sofortige Beschwerde der Antragsteller mit Beschluss vom 23.3.2007 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller. Die von den Antragsgegnern eingelegte und auf die Kostenentscheidung des Landgerichts beschränkte sofortige weitere Beschwerde wurde zurückgenommen.


II.

Das zulässige Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg. Für das Verfahren ist das bis 30.6.2007 geltende Recht anzuwenden (vgl. § 62 Abs. 1 WEG n. F.), ebenso für das materielle Recht, soweit die Entscheidung die Beschlussanfechtung betrifft. Soweit ein Verpflichtungsantrag vorliegt, ist das derzeit geltende Recht anzuwenden (dazu Bergerhoff NZM 2007, 553; OLG Düsseldorf ZWE 2008, 36/40 mit Anm. Briesemeister).

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Der Anfechtungsantrag sei unbegründet. Die Eigentümerbeschlüsse zum Einbau eines Treppenliftes seien weder formell noch materiell rechtsfehlerhaft. Die Antragsteller hätten auch keinen Anspruch auf Duldung des Lifteinbaus.

Bei Mehrhausanlagen seien nur diejenigen Wohnungseigentümer verfahrensbeteiligt, die von der Angelegenheit betroffen seien. Da der Einbau des Treppenliftes nur eines der beiden Gebäude betreffe und keine nach außen erkennbare optische Veränderung der Mehrhausanlage nach sich ziehe, zählten die Eigentümer des anderen Hauses nicht zu dem betroffenen Personenkreis im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG.

Die Beschlüsse seien nicht formell rechtswidrig. Durch die Bezeichnung von TOP 5 als „Behandlung eingegangener Anträge“ und der gleichzeitigen Fristsetzung zu deren Einreichung sei allen Eigentümern hinreichend deutlich gewesen, dass dieser Punkt noch eine Konkretisierung erfahren könne. Der Antrag sei in der Mindestfrist von einer Woche den anderen Wohnungseigentümern zugeleitet worden. Der Gegenstand der Beschlussfassung sei daher inhaltlich und zeitlich hinreichend konkretisiert worden. Auch die Bekanntgabe des Abstimmungsverhaltens eines Wohnungseigentümers durch den Verwalter vor der Abstimmung sowie dessen Äußerung, ein Beschluss erübrige sich daher, führten nicht zur formellen Rechtswidrigkeit. Die Äußerungen des Verwalters stellten sich als zulässiger Diskussionsbeitrag dar.

Da ein Anspruch auf Zustimmung zu einer baulichen Veränderung grundsätzlich nicht bestehe, sei der Beschluss auch nicht schon deshalb für unwirksam zu erklären, weil ihm nicht alle Wohnungseigentümer zugestimmt hätten.

Der Beschluss sei nicht wegen eines Duldungsanspruchs der Antragsteller materiell rechtswidrig; denn die Antragsgegner seien nicht verpflichtet, die vorgesehene bauliche Veränderung zu dulden. Eine solche Maßnahme könne ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer nur durchgeführt werden, wenn sie deren Rechte bei einem geordneten Zusammenleben nicht über das unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtige.

Die Frage, ob eine Beeinträchtigung vorliege, verlange eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Verfahrensbeteiligten. Dabei seien die beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen abzuwägen. Auf Seiten beider Antragsteller sei das Recht auf barrierefreien Zugang zur Wohnung gegenüber dem Recht der Antragsgegner auf ungestörte und uneingeschränkte Nutzung des Treppenhauses zu beachten. Bei dem Recht auf barrierefreien Zugang komme es maßgeblich auf den Grad der Gehbehinderung des Antragstellers zu 1 an. Je schwerwiegender die Gehbehinderung und die damit verbundene Beeinträchtigung seien, desto eher müssten die Interessen der Antragsgegner auf eine ungestörte und uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Treppenhauses zurückweichen.

Die Gehbehinderung des Antragstellers zu 1 habe aber noch nicht jenen Grad erreicht, der diesem nur unter Zuhilfenahme des geplanten Aufzugs das Erreichen und Verlassen seiner Wohnung ermögliche. Auch für die nächste Zeit sei dies nicht hinreichend prognostiziert.

Der zugezogene Sachverständige habe zur Frage der Erkrankung des Antragstellers zu 1 und zur Frage eines medizinischen Verbots, Treppen zu steigen, ausgeführt, dass er bei diesem eine sehr langsam verlaufende spinale Muskelatrophie festgestellt habe, bei welcher hochgradige distale Lähmungen des linken Beines sowie höhergradige distale Lähmungen des rechten Beines herrschten. Des Weiteren bestünde eine Instabilität des linken und zwischenzeitlich auch des rechten Kniegelenks mit Abnutzung der Kniegelenkstrukturen. Dem Antragsteller zu 1 sei das Treppensteigen zum jetzigen Zeitpunkt nur unter Mühe und erheblich verlangsamt möglich, wobei er sich an einer Seite am Geländer anhalten müsse, auf der anderen Seite die Unterstützung durch einen Gehstock benötige. Trotz dieser erschwerten Bedingungen und der damit einhergehenden Sturzgefahr könne der Antragsteller zu 1 das Treppensteigen noch einigermaßen sicher bewältigen. Aufgrund der medizinischen Befunde könne gesagt werden, dass sich der Zustand des Antragstellers zu 1 innerhalb der nächsten Zeit nicht so verschlechtern werde, dass er keine Treppen mehr steigen könne.

Demnach sei dem Antragsteller zu 1 derzeit das Verlassen und Wiederaufsuchen seiner Wohnung mit einem Gehstock noch möglich. Eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes lasse sich für einen Zeithorizont bis zu einem Jahr nicht sicher prognostizieren. Auch eine Stabilisierung seines jetzigen Zustandes innerhalb der nächsten zwei Jahre sei möglich. Die Treppen zu seiner Wohnung stellten daher derzeit keine nur mittels eines Treppenliftes überwindbare Barriere dar. Das Eigentumsrecht der Antragsteller werde daher - wenn überhaupt - nur unwesentlich von dem aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG entspringenden Recht auf barrierefreien Zugang zur Wohnung geprägt. Der Einbau des Liftes würde somit den Zugang zur Wohnung nur erleichtern. Dabei werde nicht verkannt, dass der Treppenlift dem Antragsteller zu 1 eine Sitzmöglichkeit böte und damit die Sturzgefahr ausschließen würde. Allerdings sei dieser noch so mobil, dass ihm das Autofahren und das damit verbundene Gehen zum Auto noch möglich seien.

Gegenüber dem Interesse der Antragsteller auf leichten und gefährdungsfreien Zugang zur Wohnung wiege das Interesse der übrigen Wohnungseigentümer an einer ungestörten und uneingeschränkten Nutzung des Treppenhauses aufgrund der baulichen Besonderheiten schwerer. Wie die Kammer im Rahmen ihres Augenscheins festgestellt habe, betrage die Gesamtbreite des Treppenhauses etwa 103 cm. Derzeit sei es möglich, sperrige Gegenstände, etwa Möbel mit einer Länge von zwei Metern, im Treppenhaus zu transportieren. Diese Möglichkeit entfiele nach Einbau des Treppenliftes. Weiterhin sei durch den Lift das Treppenhaus für andere Bewohner aufgrund der äußerst beengten räumlichen Verhältnisse zeitweise nicht benutzbar, wenn dieser in Betrieb gesetzt würde.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, §§ 546, 559 Abs. 2 ZPO) stand. Nach dem Protokollinhalt ist davon auszugehen, dass die Wohnungseigentümer den Beschlussgegenstand nicht nur einer sogenannten Probeabstimmung (siehe Müller ZWE 2000, 237/241) zuführen, sondern dazu (negative) Eigentümerbeschlüsse (siehe BGHZ 148, 335) als Ergebnis einer verbindlichen Willensbildung treffen wollten.

a) Mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig erweist sich indes die Anfechtung des zunächst von den Wohnungseigentümern beider Gebäude gefassten Beschlusses. Das Landgericht hat insoweit zu Recht erkannt, dass stimmberechtigt nur die Wohnungseigentümer des Gebäudes sind, die von der Angelegenheit betroffen werden (vgl. BayObLGZ 2003, 254/257). Das Ergebnis der zuerst durchgeführten Abstimmung der Eigentümer beider Gebäude kann sich mit Rücksicht auf die getrennt vorgenommene zweite Abstimmung durch die Eigentümer nur des betroffenen Gebäudes schlechthin auf die Rechtsstellung der Antragsteller nicht auswirken. Maßgeblich ist allein der zweite Beschluss, für dessen Anfechtung, jedenfalls in Verbindung mit dem gestellten Verpflichtungsantrag, auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht (vgl. OLG München NZM 2006, 703 f.).

b) Im Übrigen geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass der negative (zweite) Beschluss zu TOP 5 formell rechtmäßig zustande gekommen ist.

(1) Zwar genügt die Bezeichnung im Einladungsschreiben „Behandlung eingegangener Anträge“ grundsätzlich nicht den Anforderungen des § 23 Abs. 2 WEG, da sich Wohnungseigentümer allein mit dieser Ankündigung nicht sachgerecht auf eine Beschlussfassung vorbereiten können (vgl. KK-WEG/Drabek 2. Aufl. § 23 Rn. 31). Gültige Beschlüsse können in einer Eigentümerversammlung, zu der nicht alle Wohnungseigentümer erschienen sind, nach § 23 Abs. 2 WEG nur gefasst werden, wenn der Gegenstand der Beschlussfassung in der Einladung ausreichend bezeichnet worden ist (vgl. BayObLG WuM 2004, 366; OLG Hamm, NJW-RR 1993, 468; OLG München, NZM 2006, 934). Bereits im Einladungsschreiben wurde jedoch darauf hingewiesen, dass sich die Tagesordnung zu Punkt 5 noch erweitern könne. Mit der Weiterleitung des Antrags wurde der Gegenstand sodann hinreichend und zeitgerecht konkretisiert. Es handelt sich dabei um eine zulässige Klarstellung der Tagesordnung, die die Wohnungseigentümer vor Überraschungen in der Versammlung schützte und ihnen die Möglichkeit gab, sich vorzubereiten und darüber zu entscheiden, ob ihre Teilnahme an der Versammlung veranlasst war (vgl. Weitnauer/Lüke WEG 9. Aufl. § 23 Rn. 19).

(2) Darüber hinaus würde die Beschlussanfechtung unter Berufung auf einen Einberufungsmangel jedenfalls gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen mit der Folge, dass der Mangel für den anfechtenden Wohnungseigentümer unbeachtlich zu bleiben hat. Dafür reicht es zwar allein nicht aus, dass die Antragsteller an der Beschlussfassung mitgewirkt haben. Der Arglisteinwand wird hier jedoch dadurch begründet, dass die Antragsteller ihren Antrag mit der Aufforderung, ihn in der Eigentümerversammlung zu behandeln, an den Verwalter übersandt und sich damit mit der vom Verwalter gewählten Vorgehensweise einverstanden erklärt haben. Dies schuf für die übrigen Wohnungseigentümer einen Vertrauenstatbestand, der es den Antragstellern später verwehrte, sich auf den Einberufungsmangel zu berufen, um auf diese Weise das von ihnen nicht erwünschte Ergebnis einer Beschlussfassung zu Fall zu bringen (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1993, 468).

(3) Die Bekanntgabe der in der Vollmacht eines Wohnungseigentümers erteilten Weisung, gegen den Lift zu stimmen, führt nicht zur Ungültigerklärung der Beschlüsse. Der Versammlungsleiter ist dazu berufen, in die einzelnen Tagungspunkte umfassend einzuführen. Er kann Beschlussempfehlungen aussprechen und auch darauf hinweisen, dass nach seiner Beurteilung die begehrte Maßnahme der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedarf (Müller ZWE 2000, 237/238, 241/242). In diesem Zusammenhang ist die Bekanntgabe, welche Erkenntnisse zu dem Abstimmungspunkt bereits vorliegen, sachgerecht. Im Übrigen kann die Vorab-Bekanntgabe des Stimmverhaltens eines vertretenen Wohnungseigentümers hier schon deshalb keine Rolle spielen, weil auch dann, wenn sämtliche der anwesenden Wohnungseigentümer mit Ja gestimmt hätten, der Antrag mangels Allstimmigkeit abgelehnt gewesen wäre (siehe dazu unter c.).

c) Die vom Landgericht vorgenommene Interessenabwägung hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

(1) Ob die Wohnungseigentümer verpflichtet sind, den Einbau eines Treppenlifts zu dulden, beurteilt sich - wie bereits angeführt - nunmehr nach § 22 WEG in der ab 1.7.2007 gültigen Fassung. Allerdings besteht zum früheren Rechtszustand kein sachlicher Unterschied, weil nicht eine Maßnahme nach § 22 Abs. 2 WEG (n. F.), sondern eine solche nach § 22 Abs. 1 WEG beantragt wird. Der von der alten Fassung abweichende Wortlaut des § 22 Abs. 1 WEG hat vorliegend keine Auswirkungen. Somit kann die bisherige Rechtsprechung weiterhin herangezogen werden (dazu Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten WEG 8. Aufl. § 22 Rn. 122).

(2) Der Einbau eines Treppenlifts stellt eine bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG dar, da es sich dabei weder um Instandhaltung durch Erhaltung des ursprünglich ordnungsmäßigen Zustands noch um modernisierende Instandsetzung in Form des Ersatzes einer veralteten Anlage handelt. Die Maßnahme bedarf daher grundsätzlich der Zustimmung aller Wohnungseigentümer, die über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus in ihren Rechten beeinträchtigt werden (vgl. OLG München NJW-RR 2005, 1324). Ein Anspruch auf Zustimmung zu einer baulichen Veränderung besteht grundsätzlich nicht (vgl. OLG München NJW-RR 2005, 1324 m. w. N.; Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten § 22 Rn. 121). Soweit jedoch durch eine bauliche Veränderung die übrigen Wohnungseigentümer nicht über das unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden, besteht gegen diese ein Anspruch auf Duldung einer baulichen Maßnahme (BayObLG WuM 1995, 674/676). § 14 WEG gibt dabei Raum für eine die betroffenen Grundrechte zu berücksichtigende Auslegung. Bei sich gegenüberstehenden Grundrechten der Wohnungseigentümer ist eine fallbezogene Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen erforderlich (vgl. BVerfG NJW-RR 2005, 454).

(3) In erster Linie ist es eine Frage der tatrichterlichen Würdigung, ob eine nachteilige Veränderung im Sinne von § 14 WEG vorliegt. Das Ergebnis ist durch das Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt nachprüfbar (OLG München NJW-RR 2005, 1324/1325). Denn dem Rechtsbeschwerdegericht fehlt der - wie hier durch eine umfangreiche Beweisaufnahme gewonnene - Eindruck des Tatrichters von den tatsächlichen Verhältnissen, nämlich denjenigen innerhalb eines Gebäudes oder des Mobilitätszustands einer Person. Deshalb kann bei der Prüfung nur darauf abgestellt werden, ob der Tatrichter die entscheidungserheblichen Umstände ausreichend berücksichtigt und den maßgeblichen Rechtsbegriff zutreffend erfasst und ausgelegt, d. h. insbesondere die dem Begriff zugrundeliegenden Wertungsmaßstäbe erkannt hat (Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Auflage § 27 Rn. 28).

aa) Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG die Mitgebrauchsrechte der Wohnungseigentümer untereinander (§ 13 Abs. 2, § 14 WEG) im Bereich des Treppenhauses als Teil des Gemeinschaftseigentums abzuwägen sind. Das Interesse der Antragsteller auf leichten und gefährdungsfreien Zugang zu ihrer Wohnung wird in Inhalt und Umfang von Art. 3 Abs. 3 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 GG mitgeprägt, weil jedenfalls der Antragsteller zu 1 so stark gehbehindert ist, dass ihm ein Verlassen und Wiederaufsuchen seiner Wohnung im ersten Obergeschoss nur noch mit Mühe und erheblich erschwert möglich ist. Das Interesse, die Wohnung leicht und gefährdungsfrei erreichen zu können, hat nicht erst dann Gewicht, wenn der Antragsteller zu 1 überhaupt nicht mehr in der Lage wäre, seine Wohnung ohne mechanische Hilfe aufzusuchen oder zu verlassen (vgl. Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten § 22 Rn. 122; siehe auch BT-Drucks. 16/887 zu § 22, S. 32). Das Maß der gegenwärtigen Gehbehinderung und der in nächster Zeit zu erwartenden Verschlechterung hat der Tatrichter durch Erhebung geeigneter Beweise (§ 12 FGG) zu klären.

bb) Auf der Grundlage des von einem Sachverständigen für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Gegenwart des Antragstellers zu 1 in der mündlichen Verhandlung erläuterten Gutachtens hat das Landgericht den tatsächlichen Grad der Gehbehinderung und das Maß der für absehbare Zeit prognostizierten Verschlechterung des aktuellen Gesundheitszustands nicht als derart schwerwiegend eingestuft, dass die Treppe für den Antragsteller zu 1 eine nur mittels Lifts überwindbare Barriere zur Wohnung darstellt. Das Landgericht hat dabei insbesondere auch die durchaus vorhandene Sturzgefahr berücksichtigt, diese jedoch angesichts anderer Hilfsmittel wie vorhandener Handläufe und eines Gehstocks als „zu meistern“ bewertet. Es hat nicht feststellen können, dass sich das Krankheitsbild zukünftig weiter verschlimmert. Vielmehr geht das Gericht von einem sehr langsamen Krankheitsverlauf aus mit der grundsätzlich auch bestehenden Möglichkeit einer Stabilisierung innerhalb der nächsten zwei Jahre. Es hält die vorhandene Treppe für keine derzeit nur mittels des begehrten Lifts überwindbare Barriere. Um den gesundheitlichen Zustand des Antragstellers zu 1 zutreffend zu erfassen, brauchte das Landgericht keinen weiteren medizinischen Sachverständigen mit orthopädischer Ausrichtung heranzuziehen. Die Beschwerdekammer konnte vielmehr aufgrund der umfassenden und als nachvollziehbar und differenziert beurteilten Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den Vorbefunden wie mit der persönlichen Situation des Antragstellers zu 1 davon überzeugt sein, dass die Einholung eines weiteren Gutachtens keinen zusätzlichen Erkenntniswert mehr hat (vgl. § 412 Abs. 1 ZPO). Die protokollierten Ausführungen des angehörten Sachverständigen ergeben überdies keinen Anhaltspunkt dafür, dass er für die hier im Raum stehenden Fragen aus dem orthopädischen Bereich keine genügende Sachkunde besessen hätte.

cc) Auf der anderen Seite hat das Landgericht, gestützt auf den Augenschein im Gebäude, die Nachteile erwogen, die den Antragsgegnern durch den Einbau des Treppenlifts entstehen. Es hat massive bauliche Eingriffe festgestellt, die durch die Maßnahme, insbesondere durch den Einbau von vier vertikalen Stützen im Treppenhaus, entstehen und den Transport sperriger Gegenstände erheblich beeinträchtigen, weil diese nicht mehr über das Treppenauge gehoben werden könnten. Ferner bedingten die räumlich beengten Verhältnisse eine zeitweilige Unbenutzbarkeit der Treppe, wenn der Lift in Betrieb ist.

(4) Das aus der einzelfallbezogenen Abwägung gewonnene Ergebnis lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Der Senat hält dazu ausdrücklich fest, dass dieses auf dem im Frühjahr 2007 festgestellten gesundheitlichen Zustand des Antragstellers zu 1 beruht. Eine nach der Entscheidung des Landgerichts eingetretene oder zukünftig noch eintretende Verschlechterung wird es im Klagefall erforderlich machen, erneut eine gegenseitige Abwägung der jeweiligen Rechte vorzunehmen, wobei im Falle einer fortschreitenden Immobilität des Antragstellers zu 1 dem Verbot der Benachteiligung Behinderter (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) immer stärkeres Gewicht zukommt und die Eigentümerinteressen der übrigen Beteiligten immer mehr in den Hintergrund treten.

(5) Soweit das Landgericht weitere mögliche Beeinträchtigungen, wie zusätzliche Behinderungen anderer älterer Miteigentümer in den darüber liegenden Geschossen, die Beeinträchtigung von Flucht- und Rettungswegen (vgl. Art. 31 ff. BayBO) oder die Verbauung eines notwendigen Kontrollschachts im Keller nicht weiter erörtert hat, beruht dies darauf, dass schon die festgestellten Einschränkungen in der Benutzbarkeit des Treppenhauses allein ausreichen, auf der Grundlage der derzeit noch bestehenden Mobiliät beider Antragsteller einen Anspruch auf Vornahme der baulichen Veränderung auszuschließen.


III.

Dem Senat erscheint es nach § 47 WEG angemessen, den Antragstellern samtverbindlich die gerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Angesichts der schwierigen Sach- und Rechtslage ist es hingegen nicht angemessen, zugunsten der Antragsgegner eine Kostenerstattung anzuordnen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Bei baulichen Veränderungen sind im Allgemeinen die Umbaukosten maßgeblich, die die Maßnahme verursacht. Zu berücksichtigen sind aber auch die Interessen der übrigen Wohnungseigentümer am Aufrechterhalten des derzeitigen Zustands. Alles in Allem erscheint der festgesetzte Betrag angemessen. Der Senat hat für die ersten beiden Rechtszüge von der Abänderungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 1 Satz 2 KostO Gebrauch gemacht. BeckRS

Vorinstanzen

LG Hof 24 T 13/06
AG Hof 1 UR II 9/05

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht

Normen

WEG §§ 13 II, 14, 22; GG Art. 3, 6, 14