Haftung für Diskussionsforen

Gericht

OLG Celle


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

19. 06. 2007


Aktenzeichen

16 U 2/07


Leitsatz des Gerichts

Zur Unzulässigkeit der Einrichtung eines Diskussionsforums im Internet durch die Strafverfolgungsbehörden zur Aufklärung eines Tötungsdelikts.

Tenor

Auf die Berufungen der Parteien wird das am 8. Dezember 2006 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 7.500 EUR und weitere 644,50 EUR zu zahlen, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 20. Mai 2006.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 1/3 dem beklagten Land und zu 2/3 dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 22.500 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Am Pfingstsonntag, den 3. Juni 2001, wurde die 81 Jahre alte E. K. von einem seinerzeit unbekannten Täter in ihrer Wohnung in A./F. durch brutale Schläge auf den Kopf und ein Durchschneiden der Kehle getötet. Mangels Aufbruchspuren gingen die Ermittlungsbehörden von der sich später als zutreffend erweisenden Tatsache aus, dass das Opfer den Täter kannte und ihn in ihr Haus gelassen hatte. Ferner deutete das Verbrechen auf einen psychisch abnormen Täter hin. Die ermittelnde Kriminalpolizei hatte den im Nachbarhaus bei seinen Adoptiveltern, sein Vater war der örtliche Gemeindepfarrer, aufgewachsenen und damals 17 Jahre alten Kläger in Verdacht. Das Opfer kannte den Kläger. Ferner hielten ihn die Ermittlungsbeamten für auffällig.

Im Juli 2001 eröffnete die Polizei ein Diskussionsforum zum Mordfall im Internet mit folgendem Hinweis:

„Diese Veröffentlichung soll einerseits ein Podium bieten, auf dem die Bürger ihre Meinung zu dem Verbrechen äußern können. Anderseits sollen auch auf diesem Wege mögliche Zeugen oder andere Personen angesprochen werden, die in dieser Sache Hinweise geben können.“

Dabei war die Plattform so gewählt, dass jedermann, der auf die Internetseite zugriff, die von anderen Teilnehmern eingestellten Beiträge lesen konnte, um den Besuchern der Seite auf diese Weise die erwünschte Möglichkeit zu eröffnen, miteinander über die eingestellten Beiträge zu diskutieren.

Auf das Internetforum wies die H. Allgemeine Zeitung am 27. Juli 2001 hin (Bl. 24). In der Folge stellten verschiedene Personen unter Phantasienamen (etwa Wuschel, Sherlock Holmes) Beiträge ein:

„Autor: Sherlock Holmes Datum: 31. Juli 2001
Guten Tag!
Man hört öfter so, dass ein geistesgestörter Jugendlicher aus F. unter Verdacht steht ... wie sieht es damit aus?
M.f.G.
Sherlock Holmes“

„Autor: A. H. Datum: 2. August 2001
(...) Aus der Zeitung ist ja bekannt, daß wir inzwischen nur noch eine Spur verfolgen. Wir sind auf weitere Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um den Täter zu überführen. Dabei sind alle Einzelheiten vom Pfingstwochenende im Bereich L. in F. von Bedeutung. Wir von der Mordkommission können auf Ihre Mithilfe nicht verzichten und versuchen weiterhin über die Medien an weitere Informationen zu gelangen. Die Nutzung des Internets zur Gewinnung von Informationen ist auch für uns bei der Mordkommission in A. neu. (...)“

„Autor: Wuschel Datum: 7. August 2001
Bei uns wird getuschelt, dass es der Sohn vom Pastor in F. gewesen sein soll - ob es stimmt weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls soll er einschlägig (auch polizeilich) bekannt sein (Drogen usw.), das mit dem LKH würde auch hinkommen und die Beerdigung der Frau K. hat komischerweise nicht der F.Pastor vorgenommen (wie es ja üblich wäre), sondern ein anderer. Also nochmal: Man erzählt es sich nur, es gibt natürlich keine Beweise (schließlich war ja keiner dabei) und der Sohn soll hier auch nicht voreilig beschuldigt werden, aber das mit der Verschwiegenheit wäre ja dann geklärt ... Auch wenn es ein „Promi“ wäre, müsste der Fall geklärt werden, bei Mord hört der Spass auf und da sollten Promis wie jeder andere Bürger auch behandelt werden ...“

„Autor: Sherlock Holmes Datum: 8. August 2001
Ja, ich denke auch, dass es ein Prominentensohn ist ...!“

„Autor: Sherlock Holmes Datum: 8. August 2001
Ja, das getuschel stimmt und denjenigen meinte ich auch die ganze Zeit ... wollte es nur nicht so direkt aussprechen ...! Der Pastor soll auch die Aussage verweigert haben ...!“

„Autor: eduard Datum: 8. August 2001
pastor meinst du? - trifft die sache schon näher, das habe ich auch gehört! aber hören ist wie gesagt nicht wissen. nur komisch das niemand sonst verdächtigt wird ... aber man sollte das leben eines jungen menschen nicht durch gerede zerstören wenn er vielleicht doch unschuldig ist ...“

„Autor: Johannes Datum: 10. August 2001
lies‘ mal mein Buch - da stehen tolle sachen drin ...
Im Ernst, es ist müßig hier die Bibel zu zitieren - der, dessen Sohn es gewesen sein soll, wenn man den „Gerüchten“ (wohl eher schon ein offenes Geheimnis) ausserhalb von A. Glauben (upps, Glauben, wie passend ...) schenken darf, kennt die glaub‘ ich besser als wir alle zusammen ...“

„Autor: kaef Datum: 10. August 2001
Ich habe gehört, oder weiß es sogar, auch die Mutter des Verdächtigen kennt sich gut mit der Lektüre des Buches aus.“

„Autor: peggy Datum: 10. August 2001
alos, erstmal möchte ich sagen, daß ich es nicht gutheißen kann, so etwas zu diskutieren, ohne den genauen vorfall zu kennen. ich weiß auch, daß der verdächtige nicht „ganz ohne“ ist, aber ist das ein grund, so etwas zu behaupten?! wenn es nämlich so einfach ist, kann ich noch jede mkenge andere jugendliche nennen, die mir nicht passen oder unangenehm aufgefallen sind. doch ich finde, so einfach sollte man es sich nicht machen. eins möchte ich noch zu den ermittlungsarbeiten sagen: gilt nicht: unschuldig, bis das gegenteil bewiesen?
gilt nicht: ich frage leute zu dem fall, die etwas zu sagen haben, und nicht ich gehe auf eine party, warte bis alle genug getrunken haben und frage dann so, daß fast jeder zu dem ungusten aussagt?
ich hatte eigentlich immer ein gutes polizeiliches bild bvon der stadt, auch wenn die namen der dealer bekannt sind und nichts dagegen gemacht wirs, ioder wenn jemand stdtverbot hat und sich trotzdem öffentlich in der fussgängerzone zeigen kann, aber ixch dachte, wenn es wirklich hart aud hart kommr, maczhen sie schon das richtige. doch wie es im moment aussieht, versuchen sich bestimmte personen zu profilieren - und das kann ich nicht gutheissen.
ich hoffe mein beitrag wird oft gelesen und die leute, die ich meine fühlen sich angesprochen und denken nach, bevor sie sich nochmals äussern und noch mehr schaden verbreiten.“

„Autor: gwynna Datum: 13. August 2001
also du hast ja wohl voll das ei am wandern. ich denke wir sind alle der meinung, daß endlich ruhe einkehren muß, aber durch leute wie dich, wird es doch nur noch schlimmer. so einen großen sandhaufen, wo du dich verstecken kannst ist wahrscheinlich nur die sandkuhle von f. auf welchem mond lebt ihr denn alle? es ist gar nix bewiesen und somit soll der arme bengel auch in ruhe gelassen werden. es ist schon so schwer genug, denn gerade in so einem kaff - das von gerüchten lebt - verliert er das nie wieder. selbst wenn der eigentliche täter gefaßt werden sollte, heißt es doch immer, er hätte es auch sein können, und auch durch leute, wie dich, die keinen in ruhe lassen können, findet frau k. besgtfimmt keine ruhe. auch wenn es sich makaber anhört, ihr würdet doch noch auf dem grabstein schreiben: das war der pastorsohn. wenn jermand seine letzt ruhe finden soll, dann muß auch mal ruhe sein!!“

„Autor: Meinungsfreiheit Datum: 14. August 2001
warum sollte das nur vor Gericht diskutiert werden??? Das kann man doch ganz öffentlich tun, jeden Tag in der Fußgängerzone, wenn man will, oder? Da könnte ich mich direkt auf die Straße stellen und jedem sagen: „Es war der Sohn vom Pastor“!!! Und wenn dieses Forum geschlossen wird, dann werde ich das vielleicht auch bald tun!!!

Am 14. August 2001 schloss der Leiter der Mordkommission das Internetforum mit einem Schlussbeitrag und stellte darin u. a. fest:

...
Die Inanspruchnahme des Internets in diesem Fall war unter anderem darauf zurückzuführen, daß ein erheblicher Teil der Bevölkerung, insbesondere junge Menschen, die Tagespresse nicht verfolgen und somit auch für die Aufrufe der Polizei nicht erreichbar sind. Darüberhinaus war der Eindruck entstanden, daß die Bevölkerung trotz dieser schweren Straftat sehr schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen war. Deshalb sollte durch das Einstellen der Sache ins Internet auch die Erinnerung an die Straftat wachgehalten werden. Neu war, daß in diesem Zuständigkeitsbereich auf das Internet als Forum zurückgegriffen wurde, auf dem offen über eine Straftat diskutiert werden sollte. Dabei hat sich die Mordkommission erhofft, offene oder versteckte Hinweise zu erlangen, die kriminalistisch umgesetzt werden konnten. Es ist bedauerlicherweise dazu gekommen, daß Meinungen in das Forum eingebracht wurden, die als „Denuntiation“, „Hexenjagd“ und dergleichen aufgefaßt wurden. Es ist jedoch auch festzustellen, daß als Reaktion auf solche Äußerungen harsche Kritik erfolgte, mit der die Autoren vermeintlich denunzierender Inhalte zurechtgewiesen wurden. Insofern zeigt das Forum meiner Meinung nach eine gesunde Ausgewogenheit.

Weil das kriminalistische Ziel, verwertbare Hinweise zu erlangen auf diesem Wege nicht erreicht wurde, muß die Verwendung dieser Fahndungshilfe überdacht werden. In zukünftigen Fällen wird die Polizei H. auf das Internet sicher nicht verzichten, es wird jedoch wahrscheinlich von einer öffentlichen Diskussion abgesehen werden. Die Bevölkerung wird dann die Möglichkeit haben, Hinweise und Anregungen an einen Polizeibriefkasten abzusenden.
...
J. M.
Leiter der Moko K.“

Am 2. Juli 2003 stellte die Staatsanwaltschaft Hildesheim das Verfahren gegen den Kläger nach § 170 Abs. 2 ZPO ein (Bd. VII, Bl. 65 - 17 Js 15873/01). Aufgrund seiner Psyche und der Bekanntheit mit dem Opfer hielt man seine Täterschaft zwar für möglich, Beweise dafür hatte man aber nicht.

Am 10. Januar 2006 suchten zwei Polizeibeamte den Kläger während des Schulbesuchs in G. auf und befragten ihn nach einem Tötungsdelikt in I. Im Februar 2006 gestand der wahre Täter (S. S.) die seinerzeit 81 Jahre alte E. K. getötet sowie ein weiteres Tötungsdelikt begangen zu haben. Dieses Geständnis erwies sich als richtig. Der Täter wurde rechtskräftig verurteilt.

Am 8. Februar 2006 berichteten die Ermittlungsbehörden in einer Pressekonferenz im Fall K. von dem abgelegten Geständnis des wahren Täters und teilten unter Nennung seines Namens mit, der Kläger sei nicht der Täter gewesen. Zugleich teilte der KripoChef sinngemäß mit, die leider sehr belastenden Eingriffe gegen den zu Unrecht beschuldigten Kläger und dessen Familie täten natürlich leid. Allerdings sei der Verdacht damals konkret und nicht konstruiert gewesen, viel habe nicht gefehlt, und man hätte einen Haftbefehl beantragt. Der Verdacht sei erst im Januar 2006 entfallen.

Im Einverständnis des Klägers sendete der NDR einen Bericht über den Mordfall K., in der der namentlich benannte Kläger mehrfach im Bild gezeigt wurde und Stellungnahmen zum Mordfall K. abgab.

Mit seiner am 19. Juli 2006 eingereichten Klage verlangt der Kläger die Zahlung eines Schmerzengeldes von mindestens 20.000 EUR sowie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten, die er nach einem Wert von 20.000 EUR wie folgt berechnet:

2,0 Geschäftsgebühren ./. 0,75 Anrechnung = 1,25 807,50 EUR
Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Umsatzsteuer 132,40 EUR
Summe 959,90 EUR

Er hat gemeint, durch die Ermittlungen sei er schuldhaft und rechtswidrig in hohem Maße in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt worden. Die Eröffnung der Internetplattform sei rechtswidrig gewesen und kein zulässiges prozessuales Mittel zur Strafverfolgung. Der Polizei sei es auch nur darum gegangen, Material gegen ihn als einzig Verdächtigen zu sammeln. Man habe die Ermittlungen nur auf ihn konzentriert und sei anderen Hinweisen nicht nachgegangen. Schon am 5. Juni 2001 habe der Leiter der Mordkommission M. seiner Mutter mitgeteilt, wenn er geständig sei, sei nach 7 Jahren mit einer Haftentlassung zu rechnen (Bl. 92).

Ferner hat er die Auffassung vertreten, in der Pressekonferenz aus Februar 2006 sei er nicht rehabilitiert worden. Mit der Nennung seines Namens sei er nicht einverstanden gewesen.

Er hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn eine angemessene Geldentschädigung von wenigstens 20.000 EUR zu zahlen zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Mai 2006 zzgl. außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 959,90 EUR zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Mai 2006.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat die Einrede der Verjährung erhoben und gemeint, die Ermittlungsmaßnahmen - im Besonderen die Einrichtung des Internetforums - sei eine rechtmäßige Strafverfolgungsmaßnahme.

Das Landgericht hat in der Namensnennung des Klägers eine Persönlichkeitsrechtsverletzung gesehen und dem Kläger dafür 2.000 EUR zugesprochen. Im Übrigen hat es die Ermittlungen einschließlich der Einrichtung und Unterhaltung des Internetforums für zulässig gehalten.

Gegen das Urteil des Landgerichts wenden sich beide Parteien mit der Berufung.

Der Kläger meint, die Einrichtung der Internetplattform als anonymes Meinungsforum sei generell unzulässig gewesen. Es handele sich dabei um einen „virtuellen Pranger“. Es habe seine Verächtlichmachung befördert. Nicht ein öffentliches Meinungs und Diskussionsforum hätte eingerichtet werden dürfen, sondern allenfalls ein Aufruf zur Erteilung sachdienlicher Hinweise. Dabei hätten die Ermittlungsbehörden dafür Sorge tragen müssen, dass etwaige Hinweise nicht öffentlich in das Internet eingestellt werden, sondern diese etwa per EMail an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet werden.

Das Diskussionsforum sei auch eine ungeeignete Ermittlungsmaßnahme, weil sie verwertbare Ermittlungsergebnisse schon deshalb nicht erwarten lasse, weil der Täter darauf zugreifen und etwa Verdunkelungshandlungen vornehmen könne.

Ferner sei das Forum auch zu früh eingerichtet worden. Anderweitigen Spuren sei nicht nachgegangen worden, man habe sich nur auf ihn als Täter festgelegt.

Für die Namensnennung in der Pressekonferenz hätte das Landgericht mindestens 15.000 EUR zusprechen müssen.

Er beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils das beklagte Land zu verurteilen, an ihn eine angemessene Geldentschädigung von mindestens weiteren 18.000 EUR zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Mai 2006 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 959,60 EUR zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Mai 2006 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung des Klägers gegen die Teilabweisung der Klage zurückzuweisen.

Insoweit verteidigt sie das angefochtene Urteil.

Ferner macht sie geltend, ihre Verurteilung zur Zahlung von 2.000 EUR sei zu Unrecht erfolgt. In der Pressekonferenz 2006 habe sie den Kläger rehabilitiert. Die Nennung seines Namens sei rechtmäßig gewesen und stelle auch keine schwerwiegende Verletzung seines Persönlichkeitsrechts dar. Dass der Kläger dies ebenso sehe, folge auch daraus, dass der NDR die Geschichte des Klägers mit dessen Hilfe zum Gegenstand einer Fernsehsendung gemacht habe.

Das beklagte Land beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils, die Klage vollständig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen.

Er hält die Verurteilung des Landes für gerechtfertigt.


II.

Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet, die des beklagten Landes ebenfalls. Insgesamt führt dies zu der aus dem Tenor ersichtlichen Verurteilung des beklagten Landes zu einer weiteren Zahlung von 7.500 EUR.

Das beklagte Land haftet dem Kläger wegen der rechtswidrigen Verletzung seiner Amtspflichten im Ermittlungsverfahren auf Zahlung einer angemessenen Geldentschädigung zum Ausgleich des immateriellen Schadens nach §§ 839, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 34 GG.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass strafrechtliche Ermittlungen - hier wegen eines Kapitalverbrechens - überwiegend mit Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht des Verdächtigten verbunden sind, solche Ermittlungen wegen des strafrechtlichen Verfolgungszwangs (Legalitätsprinzip) aber rechtmäßig sind und auch nicht dadurch unrechtmäßig werden, dass sie sich am Ende als ungerechtfertigt erweisen (vgl. nur Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl., § 823 Rn. 37. zum Zivilprozess: BGH NJW 2004, 446). Allerdings obliegt den Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren die Amtspflicht, das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten verletzende Ermittlungsmaßnahmen zu unterlassen, wenn diese erkennbar überzogen sind. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit, demzufolge eine Ermittlungsmaßnahme unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein muss. Unverhältnismäßig ist eine Maßnahme, wenn ein milderes Mittel ausreicht. Der mit der Ermittlungsmaßnahme verbundene Eingriff darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (MeyerGoßner, StPO, 49. Aufl., Einl. 20 mit Nachweisen).

1. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Ermittlungen gegen den Kläger grundsätzlich als rechtmäßig dar, mag sein Ansehen dadurch auch Schaden genommen haben. Dies gilt auch für die Befragung des Klägers im Januar 2006 wegen eines Mordfalls in I.

Soweit der Kläger behauptet, die Polizei habe im Fall K. einseitig gegen ihn ermittelt, was sich u. a. daran zeige, dass anderen Hinweisen nicht nachgegangen worden sei, kann dem nicht gefolgt werden.

Der Anfangsverdacht war begründet. Er beruhte darauf, dass der Kläger und das Opfer sich kannten und die Tat auf ein Persönlichkeitsprofil des Täters hindeutete, das nach Ansicht der Ermittler mit dem des Klägers Übereinstimmungen aufwies.

Die Behauptung des Klägers, der Kriminalbeamte M. habe gegenüber seiner Mutter bereits am 5. Juni 2001 geäußert, sei er geständig, könne er mit einer Haftentlassung nach 7 Jahren rechnen, ist unerheblich. Dieser bestrittenen Äußerung lässt sich nur entnehmen, dass der Polizeibeamte bereits relativ frühzeitig annahm, der Kläger könne der Täter sein. Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, ab diesem Zeitpunkt habe die Täterschaft zur Überzeugung der Kriminalbeamten mit der Folge festgestanden, dass weiteren Spuren zur Aufklärung der Tat überhaupt nicht mehr nachgegangen werden sollte, sondern sich die Bemühungen nur noch auf seine Überführung konzentriert hätten.

Die unter Zeugenbeweis gestellte Behauptung des Klägers, Frau K. (Bl. 184, 77, 78) habe bereits zu Anfang der Ermittlungen telefonisch darauf hingewiesen, die Polizei habe sich verrannt, Täter sei ein gewisser S., der in derselben Straße wohne, ist unerheblich. Es kann unterstellt werden, dass der umstrittene Anruf zu einem nicht näher benannten Zeitpunkt bei einem nicht näher benannten Bediensteten der Mordkommission eingegangen ist und auf diesen Hinweis der wirkliche Täter, S. S., leicht zu ermitteln gewesen wäre. Die Polizei muss aber nicht jedem sehr vage gehaltenen Hinweis nachgehen. Nach der Beschreibung des Inhalts des Telefonats hat die Anruferin sich bedeckt gehalten. Obwohl sie vorgab, den Täter zu kennen, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass sie auch mitgeteilt hat, woher sie dieses Wissen bezieht und ob sie sich unter Nennung ihres Namens am Telefon zu erkennen gegeben hat. Ferner hat sie den Täter nicht mit seinem vollständigen Namen bezeichnet, obwohl sie gewusst haben will, um wen es sich handelt.

2. Durch die Einrichtung und Aufrechterhaltung des Internetforums haben die Strafverfolgungsbehörden allerdings eine schwerwiegende und nicht zu rechtfertigende Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers begangen.

Bei dieser Einrichtung handelt es sich - wegen der konkreten Ausgestaltung - nicht um eine zulässige Strafverfolgungsmaßnahme, weil sie erkennbar zur Erreichung des verfolgten und erlaubten Zwecks - Aufklärung der Tat - nicht erforderlich war, sie zu einer weiteren Verächtlichmachung des Klägers führte, die ohne Einbußen bei der Aufklärbarkeit der Tat vermeidbar gewesen wäre. Sie verstößt daher gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns.

Zulässig ist es allerdings, dass Strafverfolgungsbehörden als Mittel zur Aufklärung von schweren Straftaten öffentliche Medien - wie etwa Fernsehen, Hörfunk, Printmedien und Internet - nutzen. Ein Aufruf zur Mithilfe durch Erteilung sachdienlicher Hinweise zur Aufklärung eines Verbrechens über diese Medien ist im Grundsatz nicht zu beanstanden.

Es ist aber in der Regel geboten, dass Mitteilungen von Hinweisgebern nur die Strafverfolgungsbehörden erreichen und nicht in der Weise öffentlich gemacht werden, dass sie von jedermann weltweit über das Internet abgerufen werden können. Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass auch unzutreffende und unsachliche Hinweise gegeben werden und diese Hinweise unabhängig von ihrer Richtigkeit zu einer öffentlichen Verdächtigung von Personen führen können. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Kern zutreffend bemerkt hat, kommt dies einer Auslage der Ermittlungsakte im Gasthof gleich. Ein Recht zur uneingeschränkten Preisgabe von Ermittlungsergebnissen besteht nicht. Dies schließt das Recht der Ermittlungsbehörden nicht aus, einzelne Ermittlungsergebnisse nach Prüfung auf Plausibilität und Wahrheitsgehalt zur Aufklärung eines Verbrechens bekannt zu machen.

Vor diesem Hintergrund verstößt der Aufruf schon gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Hinweise als Diskussionsbeitrag für andere Internetnutzer zur Verfügung zu stellen. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass es ausgereicht hätte, wenn neben der genannten Postanschrift und dem Telefonanschluss etwa noch die EMailAdresse der zuständigen Behörden mitgeteilt worden wäre.

Darüber hinaus war es zur Aufklärung der Tat auch nicht geboten, ein öffentliches Diskussionsforum zum Meinungsaustausch über die Straftat zu eröffnen. Die strafrechtliche Bewertung eines ermittelten Sachverhaltes ist ausschließlich Sache der Strafverfolgungsorgane und der Gerichte. Die öffentliche Meinung - noch dazu über eine unaufgeklärte Straftat - ist in diesem Zusammenhang nicht hilfreich und trägt zur Aufklärung nichts bei.

Durch die amtspflichtwidrige Eröffnung des Forums wurde der Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Forums gab es nur eine verdächtige Person, worauf die Polizei in ihrem Internetaufruf öffentlich sowie der Kriminalbeamte A. H. in seinem Beitrag vom 2. August 2001 hingewiesen hat. Dies war der Kläger, der am 20. Juni 2001 erstmals als Beschuldigter vernommen worden ist. Aufgrund von Presseberichten und Gerüchten im Ort war bekannt, dass der Sohn des Pastors der Tat verdächtigt wurde.

Die in das Internet eingestellten und jedem Nutzer zugänglichen Diskussionsbeiträge verletzten den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht. Die in der Öffentlichkeit bestehenden Gerüchte um seine Täterschaft wurden durch das öffentliche Diskussionsforum weiter genährt und verbreitet, obwohl der Kläger lediglich als Täter in Betracht kam, weil das Opfer ihn kannte und man ihm die Tat aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur zutraute. Genau dieser Vermutung, der Kläger sei im Stande, ein derart grausames Verbrechen zu begehen, wurde durch die Aufforderung zum öffentlichen Meinungsaustausch weiterer Nährboden gegeben.

Durch die amtspflichtwidrige Eröffnung des Diskussionsforums haben die Strafverfolgungsbehörden das angeschlagene Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit über das Internet einer unbeschränkten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und die Diskussion um seine mögliche Täterschaft mindestens aufrechterhalten, ohne dass dies für eine sachgerechte Ermittlungsarbeit erforderlich gewesen wäre. Der Senat stimmt dem Kläger darin zu, man habe ihn an einen „virtuellen Pranger“ gestellt.

3. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat berücksichtigt, dass das Ansehen des Klägers als Folge der hinzunehmenden strafrechtlichen Ermittlungen der Polizei in der Ortschaft F. und der Presseberichterstattung schon vor Eröffnung des Internetforums angeschlagen war (Beitrag H. vom 2. August 2001: Aus der Zeitung ist ja bekannt, dass wir nur noch eine Spur verfolgen). Ferner hat der Senat den auf Nachfrage gehaltenen Vortrag des Klägers berücksichtigt, dass er zur Tatzeit nicht mehr bei seinen Eltern in F. wohnte, sondern bereits im Jahr 2000 in eine Wohngruppe nach G. gezogen war, er aber dennoch Kontakte nach F. aufrechterhielt. Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass die Polizei, nachdem Bedenken an der Rechtmäßigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme aufgekommen waren, das Diskussionsforum nach etwa 14 Tagen eingestellt hatte, die Abschaltung der Seite aber nicht die weitere Verbreitung der dadurch hervorgerufenen Rufschädigung verhindern konnte, die Folgen der erstmaligen Einrichtung einer solchen Fahndungshilfe offensichtlich nicht überblickt worden sind. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen, hält der Senat zum Ausgleich des Schadens ein Schmerzensgeld von 7.500 EUR für angemessen.

Nicht berücksichtigt werden kann der Schaden der Angehörigen, die den Ort 2002 verlassen mussten, weil der Vater des Klägers als örtlicher Pastor seinen Beruf in der kleinen Gemeinde nicht mehr ausüben konnte.

4. Der Klageanspruch war bei Eintritt der Rechtshängigkeit noch nicht verjährt, seitdem ist der Fristlauf gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).

Entgegen der Auffassung des beklagten Landes lief die Verjährungsfrist nicht bereits mit der Eröffnung oder gar der Einstellung der Internetplattform am 14. August 2001 nach § 852 BGB a. F. an. Denn die Frage, ob dem Kläger durch das Internetforum ein immaterieller Schaden entstanden ist, hängt nach Auffassung des Senats vor allem vom Ausgang des Strafverfahrens ab. Wäre der Kläger für die Tat verurteilt worden, hätte dies zwar nichts an der Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung - Einrichtung und Unterhaltung eines Diskussionsforums im Internet - geändert, allerdings hätte er dann als Täter zu Recht Ansehen in der Öffentlichkeit verloren, so dass dem Kläger eine Geldentschädigung als Folge der an sich rechtswidrigen Ermittlungsmaßnahme kaum zugestanden hätte (§ 253 Abs. 2 BGB). Es machte deshalb Sinn, zumindest den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten, vor dessen Abschluss nicht feststeht, ob dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden ist. Das Ermittlungsverfahren wurde aber erst im Juli 2003 durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO beendet. Frühestens ab diesem Zeitpunkt war es dem Kläger möglich und zumutbar, einen immateriellen Schaden geltend zu machen, womöglich sogar erst, als aufgrund des Geständnisses des wahren Täters im Februar 2006 seine Unschuld feststand. Danach ist der Schadensersatzanspruch in keinem Fall verjährt (Art. 229 § 6 EGBGB, § 199 Abs. 1 i. V. m. § 195 BGB.

5. Wegen der Namensnennung des Klägers in der Pressekonferenz aus Februar 2006 steht dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000 EUR (BB 8 oben) nicht zu.

Der Senat folgt dem unausgesprochenen rechtlichen Ansatz des Klägers, wonach zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einer - insbesondere nicht in der Öffentlichkeit stehenden - Person auch das Recht auf Anonymität gehört, das aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung folgt und jedermann einen Anspruch darauf gibt, dass persönliche Sachverhalte nicht offenbart werden.

Es kann dahinstehen, ob die Strafverfolgungsbehörden durch die Namensnennung schuldhaft eine Amtspflicht gegenüber dem Kläger verletzt haben. Immaterieller Schaden ist ihm dadurch nicht entstanden.

Durch die Pressekonferenz ist der Kläger öffentlich rehabilitiert worden. Der ehemalige Leiter der Mordkommission K., KHK M., hat nicht nur mitgeteilt, der wahre Täter habe ein glaubhaftes Geständnis abgelegt, sondern darüber hinaus, dass den ermittelnden Beamten die sehr belastenden Eingriffe in das Leben des Klägers und das seiner Angehörigen leid täten (K 14 = Bl. 42). Damit ist der Kläger von den Strafverfolgungsorganen öffentlich rehabilitiert worden. Im Kern handelt es sich um eine für den Kläger positive Berichterstattung.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Polizei außerdem noch versucht hat, den über Jahre gehegten Verdacht dadurch zu rechtfertigen, dass sie darauf hinwies, dieser sei nicht konstruiert, sondern konkret gewesen und man habe beinahe einen Haftbefehl gegen den Kläger beantragt.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass der Kläger mit der nunmehr aufgeklärten und beinahe fünf Jahre zurückliegenden Tat durch die Nennung seines Namens nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollte. Dem steht entgegen, dass er bei der Filmdokumentation des NDR, die 2006 ausgestrahlt wurde, mitgewirkt hat. Immaterieller Schaden ist dem Kläger durch die Nennung seines Namens nicht entstanden. Die Pressekonferenz diente vielmehr dazu, einen fortwirkenden Rufschaden vom Kläger abzuwenden.

6. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten folgt gleichfalls aus § 839 i. V. m. § 249 BGB. Der Höhe nach richtet sich der Anspruch der berechtigten Forderung in Höhe von bis zu 8.000 EUR und einer Mittelgebühr von 1,3. Zuzüglich der Auslagenpauschale (20 EUR) und 16 % Umsatzsteuer ergibt sich ein Betrag von 644,50 EUR. Die Geschäftsgebühr ist nicht um ½ zu kürzen. Nach Bemerkung 3 Abs. 4 vor Nr. 3100 VV RVG wird die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr angerechnet. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr besteht. Es ermäßigt sich darum die später entstehende Verfahrensgebühr und nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr (BGH, Urteil vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 unter II. 2 a).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

7. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).


...
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht

...
Richter am Oberlandesgericht

...
Richter am Oberlandesgericht

Rechtsgebiete

Informations- und Telekommunikationsrecht

Normen

BGB § 839 iVm GG Art 34