Kein Anspruch des verurteilten Straftäters auf Berichterstattung im Internet
Gericht
OLG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Beschluss über sofortige Beschwerde
Datum
20. 09. 2006
Aktenzeichen
16 W 56/06
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt von den Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Verfügung die strafbewehrte Unterlassung, Bildnisse von ihm ohne seine Zustimmung im Zusammenhang mit dem Mord an A öffentlich zugänglich zu machen sowie über ihn im Zusammenhang mit dem Mord an A in identifizierender Weise, insbesondere bei voller Namensnennung, zu berichten.
Er nimmt dabei Bezug auf einen über die angeblich von beiden Antragsgegnerinnen verantwortete Internetseite „www….“ aufgerufenen Artikel vom 1. Dezember 2005, in dem über ein Buch berichtet wird, das sich mit dem Antragsteller beschäftigt.
Das Landgericht hat den Antrag u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, bei dem angegriffenen Artikel handele es sich um eine ursprünglich zulässige Berichterstattung. Das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers werde nicht dadurch verletzt, dass der Artikel noch im Juli 2006 im Internet abrufbar war. Die Antragsgegnerin sei zu einer Entfernung des Artikels nicht verpflichtet. Zum einen liege die rechtskräftige Verurteilung des Antragstellers erst 6 Jahre zurück; zum anderen müsse die Antragsgegnerin nicht ständig ihre Archive kontrollieren. Im Übrigen greife auch der vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Schutzgedanke der Resozialisierung bei dem zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilten Antragsteller nicht.
Gegen diesen ihm am 2. August 2006 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung weiter verfolgt. Er steht weiterhin auf dem Standpunkt, eine identifizierende Berichterstattung sei nicht mehr zulässig; es bestünde die konkrete Gefahr, dass über ihn zeitlich unbegrenzt berichtet werde. Auch gelte keine „Archivausnahme“.
Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Antragstellers auf Unterlassung der beanstandeten Berichterstattung verneint.
In dem von dem Antragsteller beispielhaft herangezogenen, in der Serie „…“ veröffentlichten Artikel „…“ vom 1. Dezember 2005 wird über eine Darstellung der Verbrecherlaufbahn des Antragstellers berichtet, die der Journalist B in einer ... Sammlung berühmter Kriminalfälle herausgegeben hat. Er zeigt zudem ein Bild des Antragstellers, das während des Gerichtsverfahrens entstanden ist. Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass sowohl die Veröffentlichung des Bildes als auch die Namensnennung im Zeitpunkt der Entstehung des Berichts zulässig war.
Zwar gewinnt nach der Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 5. Juni 1973, BVerfGE 35, 202 ff.) das Recht des Straftäters darauf , „allein gelassen zu werden“, nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses grundsätzlich zunehmend an Gewicht und setzt dem Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des Publikums, seinen individuellen Lebensbereich zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen. Diese zeitliche Grenze ist jedoch nicht einheitlich fixiert, sondern muss in jedem Einzelfall gesondert ermittelt werden.
Das von dem Antragsteller begangene Verbrechen gehört aufgrund der Persönlichkeit des Täters und des Opfers, der vorangegangenen kriminellen Karriere des Antragstellers, die bereits einmal die Familie des Opfers getroffen hatte, der besonderen Brutalität der Tat, der Verstrickung seines Sohnes und nicht zuletzt aufgrund des Verhaltens des Antragstellers vor Gericht zu den spektakulären Kriminalfällen der jüngeren Geschichte. Vor diesem Hintergrund war es nicht zu beanstanden, dass der Artikel 5 Jahre nach Rechtskraft des Urteils über den Antragsteller noch mit voller Namensnennung berichtet hat.
Gleiches gilt für die Veröffentlichung des Fotos, das während des Strafverfahrens gemacht wurde und das für die Öffentlichkeit untrennbar mit der Tat verbunden ist (vgl. insoweit OLG Hamburg, AfP 1987, 518). Im Übrigen erfolgte der Bericht auch nicht ohne Anlass, sondern beruhte - entsprechend seinem Inhalt - auf einer Buchpräsentation, die sich mit der Verbrecherlaufbahn des Antragstellers beschäftigte.
Dass auf den Artikel vom 1. Dezember 2005 auch noch im Juli 2006 über die Internetseite der Antragsgegnerinnen zugegriffen werden konnte, führt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht dazu, dass den Antragsgegnerinnen untersagt werden könnte, über ihn wie aus dem Artikel ersichtlich zu berichten bzw. sein Bildnis zu zeigen. In seinem Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE a.a.O.) entschieden, dass eine spätere Berichterstattung jedenfalls dann unzulässig ist, wenn sie geeignet ist, gegenüber der aktuellen Information eine erheblich neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken, insbesondere seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu gefährden. Von einer solchen späteren Berichterstattung, die zu einer neuen oder zusätzlichen Beeinträchtigung des Antragstellers führen würde, kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden.
Die Antragsgegnerinnen haben weder erneut einen Artikel über den Antragsteller in das Internet eingestellt noch sonst aktuell auf den alten Artikel Bezug genommen. Vielmehr wurde lediglich der ursprünglich in der gedruckten Ausgabe des … enthaltene Artikel in das Onlinearchiv eingestellt und damit der interessierten Öffentlichkeit, die eine entsprechende Recherche betreibt, zur Verfügung gestellt. Dementsprechend fehlt es an einer aktuellen Berichterstattung.
Letztlich begehrt der Antragsteller die Löschung eines ursprünglich zulässigen Artikels in einem Archiv. Darauf hat er aber keinen Anspruch. Allein durch die Bereithaltung eines zu einem früheren Zeitpunkt erschienen, zulässigen Artikels in einem Archiv wird der Betroffene nicht erneut „an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt“, da sich der Äußerungsgehalt lediglich in einem Hinweis auf eine in der Vergangenheit zulässige Berichterstattung erschöpft (vgl. KG, Beschluss vom 19. Oktober 2001, 9 W 132/01). Dies gilt um so mehr, als der Artikel nicht ohne weiteres zugänglich ist; der interessierte Nutzer muss vielmehr konkret danach suchen - sei es über die Suchfunktion auf der homepage der Antragsgegnerinnen oder über eine Suchmaschine wie google. Dabei spielt es keine Rolle, dass das Archiv nicht in Papierform, sondern elektronisch geführt wird. Zwar mag letzteres für den Nutzer schneller greifbar sein; dies ist aber allein die Folge der technischen Weiterentwicklung und kann nicht dazu führen, elektronische Archive zu untersagen.
Im Übrigen wird der Antragsteller auch nicht dadurch erneut beeinträchtigt, dass der aufgerufene Artikel unter dem Datum der Abfrage erscheint. Nach seiner Überschrift ist nämlich das Veröffentlichungsdatum angegeben, so dass eindeutig erkennbar ist, dass es sich um einen nicht mehr aktuellen Bericht handelt. Von daher besteht auch keine Gefahr des „ewigen Prangers des Internet“.
Im Übrigen streitet für die Unangreifbarkeit des Archivs das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 GG Abs. 1 Satz 1 GG. Danach hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Diese Quellen dürfen jedoch nicht dadurch verändert werden, dass eine ursprünglich zulässige Berichterstattung nachträglich gelöscht wird. Dies würde zudem zu einer Verfälschung der historischen Abbildung führen und der besonderen Bedeutung von Archiven (vgl. BVerfG NJW 1982, 633) nicht gerecht werden. Im Übrigen kann auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Tragweite und den personellen und zeitlichen Aufwand für die Archivverwaltung von der Presse nicht ernsthaft verlangt werden, dass sie turnusmäßig ihre Archive daraufhin durchforstet, ob ursprünglich zulässige Berichterstattungen nunmehr quasi durch Zeitablauf wegen des Anonymitätsinteresses eines ehemaligen Straftäters zu sperren seien (vgl. LG Berlin, AfP 2001, 337). Dies würde zu einer Überspannung von Überwachungspflichten führen.
Soweit sich der Antragsteller auf die Entscheidung des LG Hamburg vom 22. Dezember 2005 (MMR 2006, 491 ff.) bezieht, findet diese keine Anwendung, da sie sich mit der Frage der Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums beschäftigt, nicht aber mit der Archivierung ehemals zulässiger Berichterstattungen.
Da es letztlich an einem Verfügungsanspruch fehlt, kann offen bleiben, welche der beiden Antragsgegnerinnen die Internetseite zu verantworten hat.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 3 und 97 Abs. 1 ZPO. Ein höherer Streitwert als 10.000,- € ist nicht gerechtfertigt, da es sich um das Unterlassen einer Beeinträchtigung durch eine archivierte Berichterstattung im Internet handelt.
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