Keine fristlose Kündigung wegen Zettelabwurf mit "Kampfansage" des Mieters gegen Wohnungsverkauf
Gericht
BerlVerfGH
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
22. 01. 2008
Aktenzeichen
VerfGH 70/06
Gründe:
I.
1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin von Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus W.str. 25. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sie sich gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin, mit dem – nach Klagestattgabe durch das Amtsgericht – ihre gegen den Beteiligten zu 2) erhobene Räumungsklage abgewiesen wurde.
Der Beteiligte zu 2) ist seit 1978 Mieter einer in dem genannten Haus gelegenen Wohnung. Die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin führte seit 2001 einen Räumungsrechtsstreit gegen den Beteiligten zu 2), weil dieser am 9. Juni 2000 Zettel mit der Aufschrift „Feindliche Übernahme durch M. & W.“ – beides Gesellschafter der Beschwerdeführerin – aus seiner Wohnung geworfen habe und die Rechtsvorgängerin das Mietverhältnis deshalb fristlos gekündigt hatte. Das Landgericht wies die Klage in zweiter Instanz ab, weil sich nicht erwiesen habe, dass die fraglichen Zettel aus der Wohnung des Beteiligten zu 2) geworfen worden seien.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin das Mietverhältnis abermals fristlos. Der Beteiligte zu 2) habe am 11. Januar 2004 während einer Besichtigung mit Wohnungskaufinteressenten aus dem Fenster seiner Wohnung Zettel mit der Aufschrift „Schaustelle W.straße 25, www.....de, Mieter wehren sich erfolgreich!“ in den Hof des Hauses geworfen. Am 14. Januar 2004 hätten die beschriebenen Zettel während einer weiteren Besichtigung in dem zur Wohnung des Beteiligten zu 2) führenden Treppenhaus ausgelegen; als sich die das Grundstück besichtigenden Personen im zweiten Hof befunden hätten, sei aus dem Fenster der Wohnung des Beteiligten zu 2) eine Handvoll dieser Zettel „hinabgerieselt“. Die Interessenten hätten vom Wohnungskauf Abstand genommen.
Am 1. April 2004 erhob die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Räumungsklage gegen den Beteiligten zu 2), die sie auf die in dem Kündigungsschreiben angeführten Vorfälle stützte. Die Beschwerdeführerin trat als Rechtsnachfolgerin in den Rechtsstreit ein und führte weitere fristlose Kündigungen vom 15. November 2004 und vom 26. November 2004 ein, in denen dem Beteiligten zu 2) vorgeworfen wurde, dass er am 12. bzw. am 19. November 2004 ähnliche Zettel wie die oben genannten im Treppenhaus ausgelegt habe. Die Beschwerdeführerin machte geltend, der Beteiligte zu 2) könne sich nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen, weil erdessen Grenzen überschritten habe.
Das Amtsgericht gab der Klage mit Urteil vom 1. März 2005 statt. Die Beschwerdeführerin habe Anspruch auf Räumung der Wohnung durch den Beteiligten zu 2) gemäß § 546 Abs. 1 BGB i.V.m. § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Beteiligte zu 2) am 11. und 14. Januar 2004 die beschriebenen Zettel entweder aus seiner Wohnung in den Hof geworfen oder dies geduldet habe. Das Werten der Zettel sei entgegen dem Urteil im Vorprozess nicht von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Bei dem Satz „Mieter wehren sich erfolgreich“ handele es sich um eine klare Kampfansage, mit der Kaufinteressenten hätten verprellt werden und der Beschwerdeführerin der Verkauf des Grundstücks habe unmöglich gemacht oder erschwert werden sollen. Ob Interessenten tatsächlich Abstand genommen hätten, könne dahingestellt bleiben.
Der Beteiligte zu 2) legte Berufung ein. Das Landgericht, das mit Versäumnisurteil vom 12. Juli 2005 die Räumungsklage unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils abgewiesen hatte, hielt das Versäumnisurteil auf den Einspruch der Beschwerdeführerin hin mit Urteil vom 2. Dezember 2005 aufrecht. Zum Räumungsantrag führte es aus: Ein Grund zur fristlosen Kündigung im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB sei aufgrund der dem Beteiligten zu 2) im Kündigungsschreiben vom 23. Januar 2004 vorgeworfenen Handlungen nicht gegeben. Allein das behauptete Herabwerfen von Zetteln mit dem Aufdruck. „www.....de“ und „Mieter wehren sich erfolgreich“ stelle keine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine fristlose Kündigung rechtfertige. Die dadurch eingetretene Verschmutzung des Innenhofes sei angesichts der Anzahl der Zettel nur geringfügig und stelle auch im Wiederholungsfall keine erhebliche, eine fristlose Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung dar. Auch der Umstand, dass die Zettel jeweils zu einer Zeit herunter geworfen worden seien, als sich Kaufinteressenten auf dem Hof befanden hätten, ändere daran nichts. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass durch die Menge der Zettel oder die Art des Herabwerfens eine Herabwürdigung der auf dem Hof befindlichen Personen erfolgt sei. Schließlich stelle der auf dem Wurfzettel enthaltene Hinweis auf die Internetseite www.....de mit dem Zusatz „Mieter wehren sich erfolgreich“ keine Pflichtverletzung dar, die eine fristlose Kündigung rechtfertige. Denn die damit beabsichtigte Inkenntnissetzung der Kaufinteressenten von dem schwelenden Konflikt zwischen den „alten“ Mietern und der Eigentümerseite stelle keine Pflichtverletzung des Mieters dar. Es bleibe dem Mieter auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Mietverhältnis ergebenden besonderen Verpflichtungen unbenommen, sich kritisch in der Öffentlichkeit mit dem Vorhaben des Vermieters in bezug auf die Mietsache zu äußern. Schließlich stelle auch der Verweis auf die Internetseite allein wegen ihres Inhalts keinen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Der Inhalt der Internetseite und damit auch ein bewusster und gezielter Hinweis auf sie könnte allenfalls dann eine fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn die Internetseite über das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG hinausgehend auch eine Schmähkritik der jeweiligen Eigentümer bzw. der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen enthalte. Das Recht zur freien Meinungsäußerung werde nicht von vornherein etwa für Mieter gegenüber dem Vermieter eingeschränkt. Wie sowohl Landgericht als auch Kammergericht in einem diesbezüglich von der Rechtsvorgängerin geführten Rechtsstreit gegen den die Internetseite Verantwortenden entschieden haben, müssten sich die Eigentümer eine kritische, auch öffentliche Auseinandersetzung mit ihrem Vorhaben gefallen lassen, solange – wie hier – keine Überschreitung der Grenze zur Schmähkritik vorliege. Auch sei nicht erkennbar, dass mit der Internetseite allein versucht werde, die geschäftlichen Interessen der Eigentümer zu schädigen.
Die von der Beschwerdeführerin unter dem 28. Dezember 2005 erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 321 a ZPO wies das Landgericht mit Beschluss vom 7. Februar 2006 zurück.
2. Mit ihrer gegen das Urteil des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 15 Abs. 1 und Art. 23 der Verfassung von Berlin – VvB –. Die Ansicht des Landgerichts, das Verhalten des Beteiligten zu 2) unterfalle dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG/Art. 14 Abs. 1 VvB, treffe nicht zu. Eine Meinungsäußerung des Beteiligten zu 2) liege nicht vor. Ihm gehe es nur darum, die Beschwerdeführerin zu schädigen, was auch das Zusammenwirken der Mieter zeige. Unabhängig davon habe das Landgericht den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG/Art. 14 VvB zu weit ausgedehnt, indem es das Verhalten des Beteiligten zu 2) als erlaubt angesehen habe, weil es keine Herabwürdigung der im Hof befindlichen Personen beinhalte. Das Landgericht habe offensichtlich die Zulässigkeit der Zettelwürfe davon abhängig gemacht, welchen Inhalt die dort angegebene Homepage habe. Dies sei nicht richtig. Das Gericht hätte sich auch mit der Art und Weise der Meinungsäußerung auseinandersetzen und beachten müssen, dass die Meinungsäußerung im Hinblick auf die Wahl der Mittel verhältnismäßig sein müsse. Art. 5 Abs. 1 GG/Art. 14 Abs. 1 VvB decke nur den Einsatz von Mitteln, die zur Durchsetzung des eigenen Standpunkts in der geistigen Auseinandersetzung verhältnismäßig seien. Das Werten der Zettel verlasse den Boden sachlicher Kritik und führe außerdem zur Verschmutzung des Hausgrundstücks. Die Mieter hätten mildere Mittel wählen können; so hätten sie ihr Anliegen – wie bereits geschehen – in den Medien darstellen können. Es bestehe keine „Waffengleichheit“; die Beschwerdeführerin müsse es hinnehmen, dass sämtliche „alten“ Mieter sorglos Zettel auslegen könnten. Sie selbst könne nicht in entsprechender Art und Weise hierauf reagieren. Außerdem habe das Landgericht die Interessen der Beteiligten nicht abgewogen und dem Vermarktungsinteresse der Beschwerdeführerin keinen schützenswerten Stellenwert beigemessen. Es sei auch nicht darauf eingegangen, dass das Herabwerfen der Zettel keinen Einzelfall dargestellt habe.
Die
Die Beteiligten haben gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist bei sachgerechter Würdigung ihrer Begründung trotz des weitergehenden – z.B. auch gegen das der Räumungsklage stattgebende Urteil des Amtsgerichts Schöneberg gerichteten – Antrags allein die Abweisung des Räumungsantrags der Beschwerdeführerin durch das Landgericht Berlin. Weiterhin greift sie die Entscheidung des Landgerichts, wie ebenfalls aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde hervorgeht, nur insoweit an, als die Räumungsklage darauf gestützt war, der Beteiligte zu 2) habe aus dem Fenster seiner Wohnung Zettel mit der Aufschrift „Schaustelle W.straße 25, www.....de, Mieter wehren sich erfolgreich!“ in den Hof des Hauses geworfen, während sich dort Interessenten für den Kauf einer Wohnung in dem genannten Haus aufhielten, oder das Hinabwerfen der Zettel geduldet (Kündigung vom 23. Januar 2004).
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Sie ist unzulässig, soweit mit ihr die Verletzung von Art. 15 Abs. 1 VvB (Anspruch auf rechtliches Gehör) gerügt wird. Die Beschwerdeführerin legt insoweit nicht in einer den Anforderungen der § 49 Abs. 1 und § 50 VerfGHG entsprechenden Weise dar, worin die Grundrechtsverletzung bestehen soll. Die sinngemäß erhobene Rüge, das Landgericht habe rechtliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen, auf die es für die Entscheidung des Rechtsstreits angekommen sei, zielt auf die Anwendung des materiellen Rechts, insbesondere der betroffenen Grundrechte, ab und beinhaltet keinen Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 VvB. Ein solcher kann zwar auch dann vorliegen, wenn das Gericht Vorbringen einer Partei nicht zur Kenntnis nimmt und in seine Erwägungen einbezieht (vgl. Beschluss vom 16. November 1995 – VerfGH 48/94 – LVerfGE 3, 113 <116>). Das Gericht muss sich in seinen Entscheidungsgründen aber nicht mit jedem Einzelvorbringen auseinandersetzen; vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat. Art. 15 Abs. 1 VvB ist nur dann verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht in Erwägung gezogen wurden (vgl. Beschluss vom 22. Mai 1997 – VerfGH 34/97 – LVerfGE 6, 80 <82>). Dass dies hier der Fall ist, legt die Beschwerdeführerin nicht dar. Sie gibt keine besonderen Umstände an, welche die Vermutung widerlegen, dass das Landgericht die von ihr vorgebrachte Argumente gesehen und gewürdigt hat. Solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 23 Abs. 1 VvB rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
a) Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 2) zulässig und entspricht insbesondere dem Begründungserfordernis in § 50 VerfGHG. Die Beschwerdeführerin rügt ausdrücklich, in ihrem Recht aus Art. 23 VvB verletzt zu sein. Sie stellt den entscheidungserheblichen Sachverhalt hinreichend dar und trägt rechtliche Gesichtspunkte vor, aus denen sie herleitet, dass die Entscheidung des Landgerichts sie in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt.
b) In der Sache hat die Rüge indes keinen Erfolg. Die Abweisung der auf das Kündigungsschreiben vom 23. Januar 2004 gestützten Räumungsklage gegen den Beteiligten zu 2) durch das Landgericht Berlin verletzt das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin nicht.
aa) Wie der Verfassungsgerichtshof bereits zur sog. Verwertungskündigung (§ 564b Abs. 2 Nr. 3 BGB a.F.) entschieden hat (Beschluss vom 18. Juli 2006 – VerfGH 17/04 – juris Rn. 43/44; für das Bundesrecht: BVerfGE 18, 85 <92>), müssen die Gerichte bei der Auslegung der mietrechtlichen Kündigungstatbestände die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen wahren und die im Gesetz aufgrund verfassungsmäßiger Grundlagen zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeidet. Die Belange von Vermieter und Mieter sind angemessen zu berücksichtigen, gegeneinander abzuwägen und in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen (VerfGH a.a.O., für das Bundesrecht: BVerfGE 68, 361 <372>; 89, 1 <9>). Die Auslegung des einfachen Rechts bleibt auch hier Sache der zuständigen Fachgerichte und ist der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nur insoweit zugänglich, als eine Verkennung oder grundsätzlich unrichtige Anwendung von Grundrechten in Rede steht. Demgemäß liegt ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 VvB erst vor, wenn die Auslegung des einfachen Rechts Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere ihres Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (VerfGH a.a.O.; für das Bundesrecht: BVerfGE 18, 85 <93>). Hiervon ist nicht bereits dann auszugehen, wenn ein Verfassungsartikel, in dem das betreffende Grundrecht niedergelegt ist, nicht genannt wird oder das grundrechtlich geschützte Interesse einer Seite nicht ausdrücklich erwähnt wird (vgl. VerfGH a.a.O., Rn. 46). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die anzuwendende Bestimmung (hier: der mietrechtliche Kündigungstatbestand) die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen selbst vorschreibt (vgl. VerfGH a.a.O., für das Bundesrecht: BVerfGE 79, 283 <290>; 79, 292 <303>). Auch liegt ein Verfassungsverstoß nicht bereits dann vor, wenn der Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung widerstreitender Grundrechtspositionen die Akzente anders setzen und daher anders entscheiden würde (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 42, 143 <148>) oder wenn die rechtliche Bewertung eines Sachverhaltes im Hinblick auf die grundrechtlich geschützten Positionen nicht zwingend erscheint (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 89, 1 <11>). Nur in Fällen, in denen die Interessen einer Seite vollständig vernachlässigt (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG a.a.O.) oder vernünftige, nachvollziehbare und gewichtige Argumente übergangen werden (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 79, 283 <291>, NJWRR 1999, 1097 <1098>) oder ein Grundrecht bei der Anwendung einfachen Rechts beiseite geschoben wird (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 61, 1 <10>), ist von einer Verkennung des Inhalts der Eigentumsgarantie durch das Fachgericht auszugehen.
Diese Grundsätze gelten auch für die verfassungsgerichtliche Überprüfung von Gerichtsurteilen, die eine Kündigung aus wichtigem Grund wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses (§ 543 Abs. 1 BGB) zum Gegenstand haben. Auch hier fordert das Gesetz eine Abwägung der widerstreitenden Vermieter- und Mieterinteressen. Soweit eine solche Kündigung auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruht, muss das Zivilgericht namentlich prüfen, ob das den Anlass der Kündigung bietende Verhalten des Mieters grundrechtlich geschützt ist und, wenn ja, ob dem höherrangige Rechte des Vermieters – insbesondere sein Eigentumsgrundrecht – entgegenstehen.
bb) Gemessen daran hat das Landgericht bei der Anwendung der im Ausgangsverfahren streitentscheidenden Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB und insbesondere bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale „wichtiger Grund“ (Satz 1) und „beiderseitige Interessen“ (Satz 2) den grundrechtlichen Wertmaßstäben Rechnung getragen. Das Urteil des Landgerichts lässt keine Fehler erkennen, die auf grundsätzlich unrichtiger Anschauung von Bedeutung und Umfang der Grundrechte der Parteien des Ausgangsrechtsstreits beruhen.
(1) Zutreffend geht das landgerichtliche Urteil davon aus, dass das den Kündigungsgrund bildende Verhalten des Beteiligten zu 2) als Meinungsäußerung den Schutz des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 14 Abs. 1 VvB) genießt.
Der Begriff der Meinungsäußerung ist weit zu verstehen und umfasst sowohl Werturteile als auch dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptungen (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 61, 1 <9>). Meinungsfreiheit besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist oder ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 61, 1 <7>). Das Grundrecht schützt auch Meinungsäußerungen, die auf das Verhalten von Privatpersonen abzielen (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 7, 198 <212>). Nicht nur der Inhalt, auch Form sowie Art und Weise einer Meinungsäußerung sind grundrechtlich geschützt (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 76, 171 <192>). Der Äußernde darf diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht, so dass auch polemische oder verletzende Äußerungen nicht von vornherein dem Schutzbereich des Grundrechts entzogen sind (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 93, 266 <289>). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin muss bei einer Meinungsäußerung auch nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Dieser betrifft allein staatliches Handeln, nicht aber die Wahrnehmung von Grundrechten durch den Einzelnen. Die Grenzen zulässiger freier Meinungsäußerung werden erst überschritten, wenn durch sie höherrangige Rechte Dritter verletzt würden (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 7, 198 <210>). Diese Grundsätze hat das Landgericht im angegriffenen Urteil nicht verkannt.
Die Auffassung des Landgerichts, dass das behauptete Verhalten des Beteiligten zu 2) eine durch Art. 14 Abs. 1 VvB geschützte Meinungsäußerung darstellt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Aussagen auf den inkriminierten Zetteln „Mieter wehren sich erfolgreich“ und „www.....de“ stellen – zum Teil mit einer Wertung verbundene – Tatsachenbehauptungen dar. Die erste zitierte Wendung besagt in knapper Form, dass es Auseinandersetzungen zwischen der Vermieterseite und Mietern des Hauses gab, welche die Mieter jedenfalls teilweise für sich entscheiden konnten. Die zweite Wendung informiert darüber, dass es eine Internetseite gibt, die sich mit dem Haus beschäftigt. Der Passus „Schaustelle Berlin“ lässt erkennen, dass der Verfasser der Zettel über die Auseinandersetzungen zwischen Vermieterin und Mietern hinaus ein politisches oder gesellschaftliches Anliegen verfolgt. Dass der Beteiligte zu 2) nach der Behauptung der Beschwerdeführerin die Zettel aus dem Fenster geworfen oder dies geduldet hat, so dass diese auf die im Hof befindlichen Personen herabfielen, ist Teil der Meinungsäußerung. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, es handele sich nicht um eine grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung, weil es dem Beteiligten zu 2) allein darum gehe, die Beschwerdeführerin zu schädigen, verfängt nicht. Eine Meinungsäußerung ist nicht Selbstzweck, sondern verfolgt stets einen Zweck. Dass dieser mit den wirtschaftlichen Interessen eines anderen in Konflikt steht, mag für die rechtliche Zulässigkeit einer Aussage wesentlich sein, nicht aber für deren Eigenschaft als Meinungsäußerung.
(2) Das Landgericht hat auch die Schranken des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin verkannt.
(a) Dies gilt zunächst im Hinblick auf die der Beschwerdeführerin zugute kommende Eigentumsgarantie gemäß Art. 23 Abs. 1 VvB.
Das Verhalten des Beteiligten zu 2) – unterstellt, er hat die Zettel mit dem beschriebenen Inhalt aus dem Fenster geworfen oder dies geduldet – berührte allerdings die durch das Eigentumsgrundrecht geschützten Interessen der Beschwerdeführerin. Denn die Zettel wurden zu einem Zeitpunkt aus dem Fenster geworfen, als sich Kaufinteressenten im Hof befanden. Damit wurde erkennbar das Ziel verfolgt, die Kaufinteressenten über die im Hause bestehenden Konflikte zu informieren, und zugleich beabsichtigt oder in Kauf genommen, dass sie dadurch vom Kauf einer Wohnung abgehalten werden. Dies tangiert das Eigentumsgrundrecht der Beschwerdeführerin, das auch deren Befugnis umfasst, über ihr (Wohnungs-)Eigentum frei zu verfügen, insbesondere es zu verkaufen. Grundrechtsschutz besteht nicht nur hinsichtlich der generellen Veräußerungsmöglichkeit, sondern auch gegen konkrete Beeinträchtigungen derselben (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 79, 283 <290>). Chancen und Verdienstmöglichkeiten sind nur dann nicht geschützt, wenn sie in der Zukunft liegen (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 95, 173 <187 f.> m.w.N.), wohl aber dann, wenn es um die beabsichtigte Verwertung bereits erworbenen Eigentums durch Veräußerung geht.
Ferner hat der Beteiligte zu 2) durch das Herabwerfen der Zettel nach der Behauptung der Beschwerdeführerin den Hof des Hauses verschmutzt. Auch dies berührt die Eigentumsposition des Grundstückseigentümers.
Ausgehend hiervon ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht die der Beschwerdeführerin zugute kommende Eigentumsgarantie verkannt hat. Das angegriffene Urteil legt dar (S. 5 des Entscheidungsabdrucks), dass die umstrittene Aktion des Beteiligten zu 2) dazu gedient habe, Kaufinteressenten von dem schwelenden Konflikt zwischen den „alten“ Mietern des Grundstücks und der Eigentümerseite in Kenntnis zu setzen, und kommt zu dem Schluss, dass dies keine Pflichtverletzung des Beteiligten zu 2) darstelle. Diese knappe Erwägung zeigt hinreichend, dass das Landgericht den Bezug der Meinungsäußerung des Beteiligten zu 2) zur beabsichtigten Veräußerung von Wohnungen erkannt und gewürdigt hat. Die Wertung der Beschwerdeführerin, dem Beteiligten zu 2) sei es ausschließlich um eine Schädigung der Beschwerdeführerin gegangen, hat sich das Landgericht auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht zu eigen gemacht. Auch dagegen, dass das Landgericht die Verschmutzung des Hofs durch die herabgeworfenen Zettel als geringfügig und eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigend bewertet, bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
(b) Die im Vordergrund der Würdigung des Verhaltens des Beteiligten zu 2) im angegriffenen Urteil liegende Einschätzung, dass das Herabwerfen von Zetteln die im Hof befindlichen Personen nicht herabsetze, verkennt auch nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen und die durch dieses gezogenen Grenzen der Meinungsfreiheit. Das Herabwerfen der Zettel diente aus objektiver Sicht nicht dazu, die im Hof des Hauses befindlichen Kaufinteressenten in ihrer Ehre zu treffen oder lächerlich zu machen. Vielmehr ging es darum, die mit den Zetteln verbundene Botschaft ihren Adressaten buchstäblich nahe zu bringen. Persönlichkeitsrechte der Adressaten, auf die sich die Beschwerdeführerin ohnehin nicht berufen könnte, werden durch die diesbezügliche Würdigung des Landgerichts nicht tangiert.
(c) Das Landgericht hat schließlich auch nicht verkannt, dass bei Anwendung des § 543 Abs. 1 BGB die grundrechtlich geschützten Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Das Gericht hat – wie dargelegt – die von der Beschwerdeführerin ins Feld geführten Gesichtspunkte wiedergegeben und als nicht durchgreifend verworfen. Es hat seine Abwägung innerhalb der Prüfung vorgenommen, ob der Beteiligte zu 2) seine mietvertraglichen Pflichten erheblich verletzt hat. Das in der Verneinung einer erheblichen Pflichtverletzung liegende Abwägungsergebnis ist gemessen an dem eingangs dargelegten Prüfungsrahmen nicht zu beanstanden, zumal der Beteiligte zu 2) den Verkauf von Wohnungen nicht verhindern, sondern allenfalls angebahnte Verhandlungen aus der Sicht der Beschwerdeführerin störend beeinflussen kann. Es liegt in ihrer Hand, Art und Dimension der bestehenden Konflikte gegenüber Kaufinteressenten aus ihrer Sicht klarzustellen und damit mögliche, aus Aktionen des Beteiligten zu 2) herrührende Bedenken zu zerstreuen. Es trifft auch nicht zu, dass das Landgericht die Zulässigkeit der Zettelwürfe vom Inhalt der auf ihnen erwähnten Homepage abhängig gemacht hat. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Passus „www.....de“ mit dem Zusatz „Mieter wehren sich erfolgreich“ aus verschiedenen Gründen eine Kündigung nicht rechtfertige, u.a. weil der Inhalt der Internetseite nach vorangegangenen Gerichtsentscheidungen nicht zu beanstanden sei. Dass dies nicht zutrifft, wird mit der Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert dargelegt. Schließlich kann auch aus dem von der Beschwerdeführerin herangezogenen Gesichtspunkt der „Waffengleichheit zwischen Vermieter und Mieter“ ein Grundrechtsverstoß nicht hergeleitet werden. Hierauf kommt es bei der gebotenen Interessenabwägung nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abgeschlossen.
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