Stasi-Zugehörigkeit des Begleiters einer berühmten Schauspielerin

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

14. 08. 2008


Aktenzeichen

27 O 695/08


Tenor

  1. Die einstweilige Verfügung vom 1. Juli 2008 wird bestätigt.

  2. Die Antragsgegnerin hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Antragsteller ist Inhaber der Firma ... und tritt auch selbst als Stuntman ... auf. Seit kurzem ist er der Lebensgefährte der Schauspielerin ..., mit der er sich auch in der Öffentlichkeit zeigte. Zu DDR-Zeiten war der Antragsteller als informeller Mitarbeit ("IMS ...") für die Staatssicherheit tätig. Darüber berichtete die Antragsgegnerin in den von ihr verlegten Zeitschriften ... vom 7. Juni 2008 und ... vom 11. Juni 2008 mit den nachfolgend in Fotokopie wiedergegebenen Beiträgen: ...

Gegenüber der ...-Zeitung äußerte sich ... wegen einer Berichterstattung über die Stasi-Vergangenheit des Antragstellers wie folgt:

"Ich kenne die Akte. Ich bin darüber informiert. Ich werde es aushalten."

Der Antragsteller selbst äußerte:

"Ich habe keine Lust, mich dafür zu rechtfertigen. Das liegt weit zurück."

Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin auf Unterlassung der Berichterstattung über seine Tätigkeit als "IMS ..." in Anspruch. Er meint, diese Berichterstattung verletze sein Persönlichkeitsrecht. Er müsse sich eine identifizierende Berichterstattung über seine mehr als 20 Jahre zurückliegende Vergangenheit als "IM" nicht gefallen lassen, da er keine Person der Zeitgeschichte sei.

Der Antragsteller hat die einstweilige Verfügung vom 1. Juli 2008 erwirkt, durch die der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel untersagt worden ist, bezüglich des Antragstellers über eine Tätigkeit als "IMS ..." bzw. als "IM ..." zu berichten, wie in den Artikeln in der Zeitschrift ... vom 11. Juni 2008 und der Zeitschrift ... vom 7. Juni 2008 geschehen.

Gegen die ihr am 7. Juli 2008 zwecks Vollziehung zugestellte einstweilige Verfügung richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.

Sie meint, der Antragsteller müsse sich die angegriffene Berichterstattung gefallen lassen. ... gehöre zu dem Kreis derjenigen Personen, die herkömmlicherweise als Personen der Zeitgeschichte behandelt würden und an deren sozialem Umfeld ein gesteigertes öffentliches Interesse bestehe. Auch der Antragsteller selbst ziehe als Geschäftsführer einer im Filmgeschäft tätigen Gesellschaft und für Hollywood-Größen tätiger Stuntman gesteigertes öffentliches Interesse auf sich und müsse sich kritischer Berichterstattung über seine Vergangenheit stellen. Durch ihre Stellungnahme gegenüber der ...-Zeitung hätten der Antragsteller und Frau ... das öffentliche Interesse noch perpetuiert.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung vom 1. Juli 2008 ist zu bestätigen, weil sie zu Recht ergangen ist (§§ 936, 925 ZPO). Denn dem Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen der Berichterstattung in den Zeitschriften ... vom 7. Juni 2008 und ... vom 11. Juni 2008 gegen die Antragsgegnerin als deren Verlegerin aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, weil die Antragsgegnerin mit den beanstandeten Artikeln das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers verletzt hat; über die gegen ihn erhobenen Stasi-Vorwürfe durfte nicht wie geschehen identifizierbar berichtet werden.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht beinhaltet zwar auch das Recht, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen. Dieses Grundrecht wird jedoch auch in dieser Ausprägung nicht grenzenlos gewährt. Vielmehr können im Einzelfall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Pressefreiheit Vorrang haben.

Das Kammergericht hat in seinem Urteil vom 16. März 2007 - 9 U 88/06 - hierzu zusammenfassend ausgeführt:

"Ob ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen vorliegt, ist anhand des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen; denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Güterabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der anderen Seite bestimmt werden (BGH NJW 2004, 596).

Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht einer Person, insbesondere einer nicht in der Öffentlichkeit stehenden Person, gehört das Recht auf Anonymität. Dieses Recht folgt aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gibt einen Anspruch dagegen, persönliche Lebenssachverhalte zu offenbaren und seine Person so der Öffentlichkeit insbesondere durch Identifizierung und Namensnennung verfügbar zu machen. Danach kann der Einzelne grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten in die Öffentlichkeit gebracht werden. Auch das Recht auf Anonymität ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten. Er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr ist über die Spannungslage zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person zu entscheiden. Deshalb muss der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von berechtigten Gründen getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (BGH NJW 1991, 1532).

Die namentliche Herausstellung einer Person im Rahmen einer berechtigten Berichterstattung setzt, weil der Betroffene für die Öffentlichkeit identifizierbar wird und er dadurch betonter und nachhaltiger der Kritik ausgesetzt wird, voraus, dass auch unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt (BGH NJW 2000, 1036; BGH NJW 1991, 1532; KG NJW-RR 2005, 350). Die Nennung des Namens einer Person (ohne deren Einwilligung) ist dann zulässig, wenn für die Mitteilung über die Person ein berechtigtes, in der Sache begründetes Interesse besteht (BGH NJW 2006, 599; BGH Urteil vom 21. November 2006 - VI ZR 259/05; KG NJW-RR 2005, 350; OLG Brandenburg NJW 1999,3342; Löffler, PresseR, 4. Aufl., § 6 LPG Rn. 194ff.).

Maßgeblich kann in diesem Zusammenhang nicht sein, ob die Berichterstattung über das die Öffentlichkeit interessierende Geschehen auch ohne Namensnennung erfolgen kann. Richtig ist lediglich, dass in Fällen der identifizierenden Berichterstattung die Rücksicht auf die Persönlichkeit des Betroffenen es der Presse gebietet, mit besonderer Sorgfalt abzuwägen, ob dem Informationsinteresse nicht auch ohne Namensnennung genügt werden kann (BGH NJW 1980, 1790). Dies bedeutet aber nicht, dass eine identifizierende Berichterstattung stets bereits dann unzulässig ist, wenn die Berichterstattung auch ohne Namensnennung erfolgen kann. In diesem Sinne wäre - mit Ausnahme der Berichterstattung über ohnehin bereits im Lichte der Öffentlichkeit stehende Personen, wie etwa Prominente - nahezu jede identifizierende Berichterstattung unzulässig, wenn nur bei Verzicht auf die Nennung des Namens der handelnden Person ein berichtenswerter Inhalt verbleibt. Dies würde die Pressefreiheit als auch das Recht zur freien Meinungsäußerung von vornherein in unzulässiger Weise einschränken. Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall zu fragen, ob über das berechtigte Interesse an dem den Gegenstand der Berichterstattung bildenden Geschehen hinaus unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen auch und wenn ja in welchem Umfang ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an der konkreten, handelnden Person besteht (KG NJW-RR 2005, 350).

Die Öffentlichkeit hat in solchen Fällen ein legitimes Interesse daran zu erfahren, um wen es geht, und die Presse könnte durch eine anonymisierte Berichterstattung ihre meinungsbildenden Aufgaben nicht erfüllen. Insoweit drückt sich die Sozialbindung des Individuums in Beschränkungen seines Persönlichkeitsschutzes aus. Denn dieser darf nicht dazu führen, Bereiche des Gemeinschaftslebens von öffentlicher Kritik und Kommunikation allein deshalb auszusperren, weil damit beteiligte Personen gegen ihren Willen ins Licht der Öffentlichkeit geraten (BGH Urteil vom 21. November 2006 - VI ZR 259/05)."

Nach diesen Grundsätzen führt die Interessenabwägung zwischen dem Recht auf Anonymität als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers (Art. 1 und 2 Absatz 1 GG) einerseits sowie dem Recht der Antragsgegnerin auf Pressefreiheit (Art. 5 Absatz 1 Satz 2 GG) andererseits im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller die identifizierende Berichterstattung der Antragsgegnerin nicht hinnehmen muss. Da die Interessen der Antragsgegnerin an ihrer Pressefreiheit die Interessen des Antragstellers an seiner Anonymität nicht überwiegen, liegt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor.

Bereits im Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht Persönlichkeitsbelangen, insbesondere dem Resozialisierungsanliegen des Betroffenen den Vorrang eingeräumt, obwohl eine wahre Berichterstattung zur Debatte stand (BVerfG NJW 1973, 1226). Wahre Berichte können das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen insbesondere dann verletzen, wenn die Folgen der Darstellung für die Persönlichkeitsentfaltung schwerwiegend sind und die Schutzbedürfnisse das Interesse an der Äußerung überwiegen (BVerfG NJW 1998, 2889). Das kann etwa dann der Fall sein, wenn die wahre Berichterstattung wegen ihres Gegenstandes zu einer Stigmatisierung des Betroffenen und damit zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung führen kann. Der Schutz, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht insoweit vermittelt, greift auch dann, wenn die Aussage wahr ist und deshalb zum Anknüpfungspunkt sozialer Ausgrenzung und Isolierung wird (BVerfG a. a. O.). Schließlich können auch bei wahren Aussagen ausnahmsweise Persönlichkeitsbelange überwiegen, wenn die Aussagen die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre betreffen und sich nicht durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen (BVerfG NJW 1999, 1322).

Zwar gehören die über den Antragsteller bekannt gemachten Informationen nicht zu seiner Privatsphäre, sondern zu der auch seine beruflichen und gesellschaftlichen Beziehungen umfassenden Sozialsphäre, für die er umfangreichere Beschränkungen seines Persönlichkeitsrechts hinzunehmen hat. Dennoch lässt sich hier ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht feststellen.

Anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur "Stasi-Liste" (BVerfG NJW 2000, 2413) zugrunde liegenden Fall führen die streitgegenständlichen Beiträge, die den Antragsteller aus der Masse der Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS individuell herausheben und in den Vordergrund stellen, zu einer sozialen Ausgrenzung und Stigmatisierung des Antragstellers. Mag es auch nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte sein, so das BVerfG a. a. O., einen Schluss¬ strich unter eine Diskussion um die Aufarbeitung historischer Vorgänge zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären, tragen die beanstandeten Berichte zu einer solchen jedenfalls nichts bei. Den schlagzeilenartig aufbereiteten Berichten ist eine differenzierte Bewertung der Rolle der IM im Unterdrückungs- und Repressionssystem des MfS nicht zu entnehmen; zum Verständnis der Tätigkeit des MfS dürften sie allenfalls in geringem Maße, zur politischen Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit kaum Sachdienliches beitragen. Dass dem Antragsteller eine exponierte Stellung im Gefüge des IM-Systems des MfS zukam, lässt sich den Artikeln gerade nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Kammer vermag entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch eine herausgehobene Position des Antragstellers im heutigen politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben nicht zu erkennen, die es rechtfertigen könnte, den Antragsteller heute an den Pranger zu stellen.

Auch die jetzige berufliche Tätigkeit des Antragstellers und seine damit etwaig einhergehende Prominenz im Filmgeschäft rechtfertigen nicht die identifizierbare Berichterstattung über seine Stasiverstrickung. Der Umstand, dass der Antragsteller vor über zwanzig Jahre für das MfS tätig war, besagt nichts über die Ausübung seiner jetzigen Tätigkeit als Stuntman und Geschäftsführer einer im Filmgeschäft tätigen Gesellschaft. Welche Aussagekraft die seit langem beendete Tätigkeit für einen Geheimdienst für die im Berichterstattungszeitpunkt ausgeübte Tätigkeit haben soll, verschließt sich der Kammer gänzlich. Die identifizierende Berichterstattung über die gegen ihn erhobenen Stasi-Vorwürfe stellt eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers dar, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums negativ qualifiziert wird.

Der Umstand, dass der Antragsteller der neue Lebensgefährte der bekannten Schauspielerin ... ist und sich mit ihr in der Öffentlichkeit gezeigt hat, rechtfertigt es ebenfalls nicht dass aus Anlass seiner Beziehung über seine IM-Vergangenheit berichtet wird. Durch die Begleitung von ... in der Öffentlichkeit hat der Antragsteller sich nicht der Öffentlichkeit als ehemaliger Stasi-IM präsentiert.

Zwar ist dem öffentlichen Informationsinteresse regelmäßig der Vorrang einzuräumen, wenn der von einer Berichterstattung Betroffene durch sein Verhalten zu einer entsprechenden Darstellung Veranlassung gegeben hat (BGH NJW 1994, 124; NJW 2000, 1036, 1038). Ein solches Verhalten, das zu Gunsten der Antragsgegnerin ins Gewicht fallen würde, ist vorliegend jedoch nicht erkennbar. Der Antragsteller hat gegenüber der ...-Zeitung keine inhaltliche Erklärung abgegeben, sondern deutlich gemacht, dass er von der Angelegenheit nichts mehr wissen will. Damit war zugleich klar, dass er eine Berichterstattung über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht wünscht. Die Äußerung von ... muss der Antragsteller sich nicht zurechnen lassen; auch darin lag im Übrigen keine inhaltliche Erklärung.

Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der bereits erfolgten Rechtsverletzung zu vermuten und hätte nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können (BGH NJW 1994, 1281), an der es fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.


Mauck
Retzlaff
Dr. Hinke

Rechtsgebiete

Presserecht