Bericht über moralische Schuld eines Prominenten

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

08. 08. 2008


Aktenzeichen

324 O 1171/07


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

und beschließt: Der Streitwert wird auf € 20.00,00 festgesetzt.

Tatbestand


Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Geldentschädigung wegen einer Presseberichterstattung der Beklagten.

Der Kläger ist von Beruf Schauspieler und Moderator. Er wurde im November 2004 wegen Betruges rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Geschädigte waren insbesondere die Eheleute ..., die durch den Kläger dazu bewegt wurden, Grundstücke als Sicherheit für eine Kreditaufnahme zur Verfügung zu stellen, angeblich um die Kredite für ein gemeinsames Bauprojekt zu verwenden. Tatsächlich verwendete der Kläger das durch die Kreditaufnahme beschaffte Geld zur Tilgung eigener Schulden aus früheren Immobiliengeschäften. Die weiteren Umstände und Einzelheiten des der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalts sind nicht vorgetragen. Nachdem der Kredit nicht vereinbarungsgemäß getilgt wurde, beantragte die kreditgebende Bank am 17.3.1998 die Zwangsversteigerung eines der Grundstücke der Familie ... . Am 24.4.1998 nahm sich der Herr ..., der bereits vor dem Immobilienengagement im Zusammenhang mit dem Kläger an Depressionen litt, das Leben. In dem gegen den Kläger ergangenen Urteil ist diesbezüglich ausgeführt:

"Es steht allerdings nicht mit hinreichender Sicherheit fest, ob die Ursache hierfür in den Vorgängen begründet lag, die Gegenstand der Tatvorwürfe sind".

In der von der Beklagten verlegten Zeitschrift ... wurde auf Seite 56 unter der Überschrift "Die schwere Schuld ... ist schon nach zwei Wochen im Gefängnis Freigänger. Und eine Witwe leidet" über den Kläger berichtet. In der Berichterstattung heißt es:

"Als die ...-Reporterin den Namen ... erwähnte, schießen ihr ... Tränen in die Augen. Sie sagt: "Ich möchte nicht darüber reden. Davon wird mein Mann auch nicht wieder lebendig." [...] Ihr Mann ... nahm sich das Leben, weil ihm die Bank mit einer Zwangsversteigerung seiner Seegrundstücke (Wert ca. 1 Mio. Euro) drohte, die er als Sicherheit in die Pleite gegangene Immobiliengeschäfte des ... eingebracht hatte. [...] Sie kann ... nicht verzeihen - [...].

Der Berichterstattung waren zwei Fotos beigefügt, die den Kläger bei Verlassen der Justizvollzugsanstalt ... zeigen. Die Fotos sind von Fotografen gefertigt worden, die auf den Kläger am Ausgang der Justizvollzugsanstalt gewartet hatten. Einer Veröffentlichung hatte der Kläger nicht zugestimmt. Für weitere Einzelheiten der Berichterstattung wird auf Anlage K2 Bezug genommen. Tatsächlich war der Kläger weder Geschäftsführer noch Gesellschafter der in der Berichterstattung erwähnten Immobiliengesellschaft.

Nach seiner Verurteilung gab der Kläger der Zeitschrift ... ein Interview, in dem er auf die Frage "Was denken Sie rückwirkend im Zusammenhang mit Ihren Taten bezüglich der Familie ...?" antwortete:

"Ich bin vor längerer Zeit auf die Familie ... zugegangen und habe ihr gesagt, dass mir die Sache sehr Leid tut. Ich habe auch versucht, das, was geschehen ist, aus meiner Sicht der Dinge zu schildern. Ich bin auf Verständnis gestoßen. Sobald ich über Einnahmen verfüge, werde ich versuchen, wenigstens etwas vom finanziellen Schaden, der hier entstanden ist, wieder gutzumachen. Die andere, die moralische Last, werde ich mein Leben lang tragen."

Auf Antrag des Klägers untersagte das Landgericht Berlin der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 3.Januar 2006, Az. 27 O 1152/05, bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel

a) Bildnisse des Klägers zu veröffentlichen und / oder zu verbreiten und / oder veröffentlichen und / oder verbreiten zu lassen, wie in ... vom 24.11.2005 auf der Seite 56 geschehen

b) Zu veröffentlichen und / oder verbreiten und / oder veröffentlichen und / oder verbreiten zu lassen:

aa) "(...) in die Pleite gegangene Immobiliengeschäfte des ..."

bb) "Als die ...-Reporterin den Namen Karsten Speck erwähnt, schießen ihr die Tränen in die Augen. Sie sagt: "Ich möchte nicht darüber reden. Davon wird mein Mann auch nicht wieder lebendig.".

c) durch die Formulierung "Ihr Mann ... nahm sich das Leben, weil ihm die Bank mit einer Zwangsversteigerung seiner Seegrundstücke (Wert ca. 1 Mio. Euro) drohte, die er als Sicherheit in die Pleite gegangene Immobiliengesellschaft des ... eingebracht hatte. Vor den Augen seiner Frau warf sich Winkel vor eine Auto (...) Sie kann ... nicht verzeihen (...)"
den Eindruck zu erwecken, der Antragsteller sei verantwortlich für den Tod des Herrn ... .

Ein vor dem Landgericht München I gestellter Antrag des Klägers auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung wurde mit Urteil vom 18.1.2006, Az. 9 O 23489/05, zurückgewiesen.

Der Kläger trägt vor, ... habe der Beklagten kein Interview gegeben. Es liege eine besonders schwere Verletzung seines Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. Die Beklagte unterstelle ihm insbesondere auch durch die Formulierung "Die schwere Schuld" mit dem streitgegenständlichen Artikel ein Kapitalverbrechen, die Verursachung des Todes des Herrn ... . Es entstehe der wahrheitswidrige Eindruck, er habe den Tod des Herrn ... in irgendeiner Weise verursacht. Der Artikel suggeriere wahrheitswidrig, Frau ... sei selbst der Meinung, er habe den Tod ihres Mannes zu verantworten und sie habe sich so gegenüber den Medien geäußert. Es entstehe der falsche Eindruck, Frau ... habe der Beklagten ein Interview gegeben. Die veröffentlichten Fotos seien durch eine "Belagerungssituation" entstanden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine immaterielle Geldentschädigung als Schadensersatz, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber nicht unter 20.000,00 EURO liegen sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, sie habe weder behauptet noch den Eindruck erweckt, der Kläger sei am Tod von Herrn ... in "rechtlichem" Sinne schuld. Aus dem Artikel erschließe sich, dass Herr ... Selbstmord begangen habe, weil die Bank ihm mit der Zwangsversteigerung seiner Grundstücke drohte. Sie stelle keine rechtliche, sondern eine moralische Schuld in den Raum. Frau ... habe sich wie in dem Artikel angegeben gegenüber der Reporterin der ... geäußert. Es sei dahin gestellt, ob es sich um ein Interview gehandelt habe. Im Übrigen erklärt die Beklagte gegenüber dem Klaganspruch hilfsweise die Aufrechnung in Höhe von € 5.526,87 mit Ansprüchen aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen des Landgerichts Berlin, Az. 27 O 71/06 und 27 O 65/06. Die ... und die ... hätten ihre Ansprüche an die Beklagte abgetreten.

Für den weiteren Sachvortrag wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.6.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Geldentschädigung nicht zu. Der Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1, 2 Abs.1 GG. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Geldentschädigung setzt einen schuldhaft begangenen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers, das Fehlen anderweitiger befriedigender Ausgleichsmöglichkeiten sowie in der Gesamtwürdigung ein unabwendbares Bedürfnis voraus (vgl. Soehring, Persserecht, 2. Auflage, Rz. 32.20 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers.

1. Die streitgegenständliche Berichterstattung stellt nicht die tatsächliche Behauptung auf, der Kläger habe ein Kapitalverbrechen begangen. Der Vorwurf einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers für den Tod des Herrn ... wird nicht erhoben. Die Berichterstattung teilt sowohl zutreffend mit, dass der Kläger wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten verurteilt worden ist, als auch die Hintergründe des Suizids von ... . So erfährt der Leser, dass dieser sich das Leben nahm, weil ihm die Bank mit einer Zwangsversteigerung seiner Seegrundstücke gedroht habe, die er als Sicherheit in die Pleite gegangene Immobiliengesellschaft des Klägers eingebracht habe. Darauf, dass der Kläger nicht Geschäftsführer oder Gesellschafter der in dem Artikel offenbar gemeinten Immobiliengesellschaft war, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg hinsichtlich eines Geldentschädigungsanspruchs berufen. Auch wenn diese Information unzutreffend sein sollte, so ist dennoch der Sachverhaltskern nicht falsch dargestellt. ... hat im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften des Klägers Grundstücke als Sicherheit zur Verfügung gestellt, die später wegen Scheiterns dieser Geschäfte zwangsversteigert werden sollten. Vor diesem Hintergrund begründet die gegebenenfalls unzutreffende Darstellung in der streitgegenständlichen Berichterstattung keine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung.

2. In der Berichterstattung ist aber der Vorwurf einer moralischen Verantwortung des Klägers für den Tod des ... enthalten. Diese moralische Verantwortung wird bereits in der Überschrift des Artikels "Die schwere Schuld" zum Ausdruck gebracht und durch die Formulierungen "Als die ...-Reporterin den Namen ... erwähnt, schießen ihr [der Witwe von ...] Tränen in die Augen." sowie "Sie [die Witwe] kann ... nicht verzeihen" konkretisiert und verstärkt.

Der Vorwurf einer moralischen Schuld ist jedoch geprägt von Wertungselementen. Bei der Frage, ob die Äußerung eines Werturteils gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verstößt, ist maßgeblich, ob es für das angegriffene Werturteil gemessen an seiner Eingriffsintensität hinreichende tatsächliche Anknüpfungstatsachen gibt (vgl. dazu Soehring, Presserecht, 3. Auflage, Rn. 20.09). Das ist hier der Fall.

Der Kläger hat zu Lasten des Ehepaars ... einen Betrug begangen, der dazu führte, dass sie ihm zunächst Grundstücke als Sicherheit für eine Kreditaufnahme zur Verfügung stellten, die sodann im Wege der Zwangsversteigerung verwertet wurden.

Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Beantragung der Zwangsversteigerung beging Herr ... Selbstmord. Selbst wenn hierfür auch andere Umstände mitursächlich gewesen sind, so ist der Schluss, dass zumindest auch die auf das Verhalten des Klägers zurückzuführende angedrohte Zwangsversteigerung der Grundstücke (mit-)ursächlich gewesen ist, nach diesen Umständen zulässig. Dem stehen auch nicht die Feststellungen des Landgerichts Dortmund im gegen den Kläger ergangenen Urteil entgegen. Dort heißt es lediglich, dass es nicht mit hinreichender Sicherheit feststehe, ob für den Suizid die Ursache in den Vorgängen begründet liege, die Gegenstand der Tatvorwürfe seien. Das heißt aber umgekehrt gerade nicht, dass feststehe, dass das Verhalten des Klägers nicht ursächlich gewesen ist.

Darüber hinaus hat auch der Kläger selbst in einem mit der Zeitschrift ... geführten Interview öffentlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich verantwortlich für das Leid der Familie ... fühle. Dass er selbst bei dieser Äußerung nicht den finanziellen Schaden der Familie meinte, wird daran deutlich, dass er zunächst vom diesem spricht, um sodann auf "die andere, die moralische Last" zu sprechen zu kommen.

3. Selbst wenn die angegriffene Berichterstattung möglicherweise auch den Eindruck erwecken sollte, den Kläger träfe für den Tod des Herrn ... eine über die oben dargestellte moralische Verantwortung hinausgehende Schuld, so wäre dies nicht geeignet, einen Anspruch des Klägers auf Geldentschädigung zu begründen. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG ist bei straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen wegen in der Vergangenheit erfolgter Äußerungen bei mehrdeutigen Äußerungen diejenige Deutungsvariante zugrunde zu legen, die nicht das Persönlichkeitsrecht verletzt. Danach wäre also nicht von dieser Deutungsvariante, sondern von der oben dargestellten auszugehen.

4. Vor diesem Hintergrund kann es auch dahin stehen, ob sich Frau ... tatsächlich wie in der angegriffenen Berichterstattung zitiert in Bezug auf den Kläger geäußert hat. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, so wäre in diesem Umstand keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung in Bezug auf den Kläger zu sehen. Zwar verstärkt die Aussage, die Witwe könne dem Kläger nicht verzeihen, den moralischen Vorwurf an den Kläger. Da dieser Umstand jedoch nicht isoliert als Anknüpfungstatsache zu betrachten ist und auch in dem Artikel nicht als alleiniger Beleg der "schweren Schuld" angeführt wird, liegt in einem möglicherweise Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers. Im Übrigen bestreitet der Kläger zwar, dass die Zeugin ... der Beklagten ein Interview gegeben hat, unstreitig ist jedoch, dass die Zeugin von einer Reporterin der Beklagten aufgesucht worden ist. In dem Zusammenhang nimmt der Kläger nicht in Abrede, dass der Zeugin bei Nennung seines Namens Tränen in die Augen geschossen sind. Dieser Umstand kann als zusätzliche Anknüpfungstatsache herangezogen werden.

5. Auch die der Textberichterstattung beigefügten Fotografien begründen weder für sich noch im Zusammenhang mit der Textberichterstattung einen Geldentschädigungsanspruch. Dabei kann dahin stehen, ob die Veröffentlichung das Recht des Klägers am eigenen Bild wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 2 KUG verletzt. Denn es handelt sich jedenfalls nicht um eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die Bilder berühren die Sozialsphäre des Klägers. Sie zeigen ihn in der Öffentlichkeit, ohne ihn bloß zu stellen oder zu stigmatisieren. Auch wenn die Fotos durch eine "Belagerungssituation" der Justizvollzugsanstalt entstanden sein mögen, so steht diesem Umstand ein Berichterstattungsinteresse an dem Umstand, dass die Haftstrafe des Klägers im offenen Vollzug vollstreckt wird, entgegen.


II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.


Korte
Ritz
Link

Rechtsgebiete

Presserecht