Zueigenmachen von Interview-Aussagen
Gericht
OLG Hamburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
05. 08. 2008
Aktenzeichen
7 U 37/08
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29. Februar 2008, Az. 324 O 998/07, wird zurückgewiesen
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich des Verbotsausspruches gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 25.000,00 und hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Landgericht sie dazu verurteilt hat, es zu unterlassen, die folgende Äußerung zu verbreiten:
"Heute wird offen gelogen ... Das ...-Interview, das ... mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der ... erschienen."
Der Kläger ist der Chefredakteur der Zeitschrift ... . Im Verlag der Beklagten erscheint die Zeitschrift ... . In deren Ausgabe vom 14. September 2007 erschien unter der in Anführungszeichen gesetzten - Überschrift "Heute wird offen gelogen" und der Unterüberschrift "... über sein gemeinsames Lügen-Programm mit ..." ein Interview, das ein Mitarbeiter der Beklagten mit dem Publizisten ... geführt hatte (Anlage K 1 = Anlage B 1). Anlass des Interviews war das Gastspiel eines Bühnenprogramms, in dem ... mit dem Kabarettisten ... auftrat und das dem Thema "Weltgeschichte der Lüge" gewidmet war; auf den Termin des Gastspiels wurde im Anschluss an den Abdruck des Interviews von der Beklagten hingewiesen. Die vorletzte und die letzte Frage in dem Interview und die Antworten ... darauf lauteten in dem Abdruck u.a.:
"Lügt man heute differenzierter?
... : ... Heute wird offen gelogen.
Bringen Sie in Ihrem Programm auch neue Lügen ans Tageslicht?
... : Wir haben den Ehrgeiz, ein paar Lügen aufzudecken. ... Als Chefaufklärer '" gerierte sich damals ... . Bei meinen Recherchen erwies sich der Bock allerdings als Gärtner: ... Das ... Interview, das ... mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der Bunten erschienen."
Das erwähnte Interview mit dem Schriftsteller Ernst Jünger war im Jahr 1993 als Teil eines Beitrags über den Schriftsteller in der Zeitschrift ... erschienen (Anlage K 2). Der Kläger war bereits damals Chefredakteur der Zeitschrift, hatte den Beitrag aber nicht verfasst. Einzelne Äußerungen Jüngers in diesem Interview waren wortgleich mit Äußerungen aus einem Interview mit Jünger, das im Jahr 1991 in der Zeitschrift ... erschienen war (Anlage K 3). Im Hinblick auf die Veröffentlichung der Beklagten abgemahnt, bestritt ..., die zitierte Äußerung getätigt zu haben, weil er sehr wohl wisse, dass der Kläger das Interview mit Jünger nicht geführt, sondern als Chefredakteur nur verantwortet habe (Anlage K 9). Ob ... sich in dem von der Beklagten mit ihm geführten Interview so geäußert hat, wie von der Beklagten veröffentlicht, ist zwischen den Parteien streitig. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Die angegriffene Äußerung sei schon deswegen unzutreffend, weil der Kläger unstreitig nie behauptet hat, das im ... veröffentlichte Interview geführt zu haben und sich im Übrigen nicht hinreichend feststellen lasse, dass es sich bei dem im ... veröffentlichten Interview um dasselbe Interview gehandelt habe, dass zuvor in der ... erschienen sei. Die Beklagte schulde Unterlassung auch dann, wenn ... sich so, wie von ihr wiedergegeben habe, geäußert haben sollte, denn Unterlassung schulde auch der Verbreiter einer unzutreffenden Äußerung, und als Verleger der die angegriffene Äußerung veröffentlichenden Zeitschrift sei sie deren Verbreiter.
Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen die Parteien ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 29. Februar 2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Hamburg (Geschäftsnummer: 324 O 998/07) die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, in der Sache aber nicht begründet. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, zur Unterlassung verurteilt, weil dem Kläger der geltend gemachte Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 186 StGB sowie aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zusteht. Das Berufungsvorbringen gibt lediglich Anlass, die folgenden Punkte zu ergänzen bzw. hervorzuheben:
Die angegriffene Äußerung ist eine Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, den Kläger im öffentlichen Ansehen herabzusetzen, denn sie besagt, er habe gelogen, indem er behauptet habe, er habe ein im Magazin ... veröffentlichtes Interview mit Ernst Jünger geführt, obwohl er das Interview gar nicht geführt, sondern aus der Zeitschrift ... übernommen habe. Diese Behauptung ist, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, schon deshalb unzutreffend, weil der Kläger zu keiner Zeit behauptet hatte, er habe ein Interview mit Ernst Jünger geführt.
Soweit die Beklagte darzulegen versucht, dass sie hinsichtlich dieser Tatsachenbehauptung über den Kläger nicht der Verbreiterhaftung unterliege, ist vorab darauf hinzuweisen, dass es darauf schon deshalb nicht ankommt, weil die Beklagte diese Behauptung nicht nur verbreitet hat, sondern sie sich in einer Weise zueigen gemacht hat, dass sie ihr als eigene Behauptung zuzurechnen ist. Denn der Verbreiter, der die kritische Äußerung eines Dritten in der Weise veröffentlicht, dass er sie als Bestandteil in einen von ihm selbst gestalteten Beitrag einbettet, der dem Rezipienten als eine eigene Kritik des Verbreiters erscheint, macht sich diese Äußerung zu eigen (BGH, Urt. v. 6. 4. 1976, BGHZ 66, S. 182 ff., 190 f.). So liegen die Dinge hier, denn die Beklagte hat die Äußerung ... – von der zu ihren Gunsten unterstellt werden kann, dass ... sie tatsächlich so getätigt hat -, wonach der Kläger ein "... Interview ... mit Ernst Jünger geführt haben will", das "schon zwei Jahre zuvor in der ... erschienen" sei, unter die Überschrift "Heute wird offen gelogen" gesetzt und damit ausdrücklich in den Kontext der Angabe von Beispielen für erlogene Behauptungen gestellt. Dass diese Überschrift ebenfalls ein Zitat von ... ist und als Zitat durch das Setzen von Anführungszeichen gekennzeichnet wird, steht dem Zueigenmachen durch die Beklagte nicht entgegen; denn die Beklagte war es selbst, die eben dieses Zitat als Überschrift ihres Beitrages ausgewählt hat. Die Beklagte bringt durch diese Auswahl und Montage des Materials dem Leser gegenüber zum Ausdruck, dass in dem Beitrag nunmehr tatsächliche Beispiele für Lügen offenbart werden sollen, und nicht etwa ein Beitrag, in dem den Lesern mitgeteilt werden soll, welche Vorgänge nur nach der subjektiven Sicht des Interviewten als "Lügen" anzusehen seien.
Aber auch dann, wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, dass nur die Grundsätze der Verbreiterhaftung zur Anwendung kämen, wäre ihre Berufung unbegründet. Selbst die Vertreter der Ansicht, dass die Verbreiterhaftung hinsichtlich von Äußerungen in Interviews besonderen Einschränkungen unterliege, sehen eine Verantwortlichkeit auch des bloßen Verbreiters eines Interviews dann gegeben, wenn dieser ungeprüft Behauptungen des Interviewten wiedergibt, die eine besonders schwere Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten enthalten (so z.B. das OLG München in dem von der Beklagten herangezogenen Urt. v. 12. 12.2006, Az. 18 U 4341/06, unter Punkt 3 der Gründe, abgedruckt in AfP 2007, S. 229 f., 230). Ein solcher Fall liegt hier vor. In der Behauptung, der Kläger habe behauptet, er habe ein Interview mit Ernst Jünger geführt, obwohl er in Wahrheit ein von einem anderen geführtes Interview übernommen habe; liegt eine besonders schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers. Denn ihm wird nicht nur nachgesagt, wissentlich etwas Unwahres behauptet zu haben, sondern ihm wird unterstellt, dass er dies in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter einer Zeitung seinen Lesern gegenüber getan und einen als eigenen Beitrag veröffentlichten Artikel gleichsam erfunden habe. Ein solcher Vorwurf trifft den Kläger, der als Chefredakteur eines auflagenstarken Magazins tätig war und ist, im Kern seiner Berufstätigkeit und ist daher in so hohem Maße geeignet, seinem Ansehen in der Öffentlichkeit zu schaden, dass er keinesfalls ungeprüft veröffentlicht werden durfte.
Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der erfolgten Rechtsverletzung indiziert. Dass die Beklagte unverbindlich zugesagt hat, sie wolle die Äußerung nicht wiederholen und habe sie auch aus ihrem Archiv entfernt, ist nach den allgemeinen Grundsätzen nicht geeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Anlass für die Veröffentlichung des Interviews ein bevorstehender Auftritt von ... gewesen ist. An der Wiederholungsgefahr kann es zwar im Einzelfall fehlen, wenn ein Eingriff in ein Recht durch eine einmalige Sondersituation veranlasst ist (BGH, Urt. v. 8. 2. 1994, NJW 1994, S. 1281 ff., 1283); diese muss aber so beschaffen sein, dass mit einer Wiederholung des Eingriffs vernünftigerweise nicht gerechnet werden kann. Eine solche Sondersituation stellte der bevorstehende Auftritt ... im Hinblick auf die Verbreitung der angegriffenen Äußerung indessen schon deswegen nicht dar, weil die angegriffene Äußerung ihrem Inhalt nach nicht an dieses Ereignis geknüpft war. Aus der - insoweit maßgeblichen - Sicht des Klägers erscheint es demnach nicht als ausgeschlossen, dass die angegriffene Äußerung in einem anderen Zusammenhang wiederholt wird.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Insbesondere liegen dieser Entscheidungen und den Gründen des von der Beklagten angeführten Urteils des OLG München vom 12. 12.2006 (AfP 2007, S. 229 f.) entscheidungstragend keine abweichenden Erwägungen zugrunde.
Raben
für Meyer, der urlaubsbedingt an der Unterzeichnung gehindert ist
Raben
Weyhe
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