Keine Entschuldigung mit fehlender Erinnerung wegen Zeitablaufs
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
03. 07. 2008
Aktenzeichen
IX ZB 169/07
Die Partei muss im Rahmen ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist die tatsächlichen Abläufe verständlich und geschlossen schildern, aus denen sich ergibt, auf welchen Umständen die Fristversäumnis beruht. Kann eine Partei einen derartigen Sachverhalt nicht darlegen, geht dies auch dann zur ihren Lasten, wenn ihr Unvermögen durch Zeitablauf mitbedingt ist.
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 7. August 2007 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat die Klage auf Zahlung von Rechtsanwaltshonorar durch Urteil vom 21. Dezember 2006 abgewiesen und die Klägerin auf Widerklage verurteilt, an die Beklagte zu 1 Unterlagen herauszugeben. Gegen das am 22. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. Januar 2007 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung vom 22. Februar 2007 ist bei Gericht am 23. Februar 2007 eingegangen.
Mit Verfügung vom 23. April 2007 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. Hierzu nahm die Klägerin Stellung; die Beklagten beantragten die Zurückweisung der Berufung. Nach einer weiteren Stellungnahme der Klägerin wurde Termin zur Berufungsverhandlung bestimmt, aber mit Verfügung vom 25. Juni 2007 wieder abgesetzt, nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Juni 2007 die Unzulässigkeit der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gerügt hatte. Die Klägerin wurde am 25. Juni 2007 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung zu verwerfen.
Am 9. Juli 2007 hat die Klägerin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren. Die Versäumung der Frist sei unverschuldet. Der Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung am 22. Februar 2007 sei sowohl auf dem Urteil wie im Fristenkalender notiert worden. Aufgrund der Büroorganisation sei gewährleistet, dass Fristsachen termingerecht bei Gericht eingingen. Für den detaillierten Ablauf am 22. Februar 2007 fehle es aufgrund der zwischenzeitlich vergangenen Zeit an einer detailgetreuen Erinnerung.
Einmal habe die Klägerin Tagespost in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen. Dabei sei die Post fast beim Einwurfsschlitz hängen geblieben; sie sei erst beim Nachstochern mit einem Stock durchgefallen. Sie vermute daher, dass hin und wieder bei Einwurf in den Nachtbriefkasten dieser hake und sich daraus der Anschein ergebe, es sei erst am folgenden Tag der Einwurf erfolgt.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung der Klägerin verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung weicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gegenbeweis gemäß § 418 Abs. 2 ZPO ab.
1. Das Berufungsgericht hat in der Vermutung der Klägerin, dass der Schriftsatz fristgerecht in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden sei und dieser nicht ordnungsgemäß funktioniert habe, zutreffend die Behauptung gesehen, das fristgebundene Schriftstück sei rechtzeitig in den Gerichtseinlauf gebracht worden. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin ausdrücklich ausgeführt hat, dies sei (im Grunde) die einzig mögliche Erklärung für den auf dem Schriftsatz angebrachten Eingangsstempel des 23. Februar 2007.
Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht die Feststellung der fristgerechten Einreichung des Schriftsatzes bereits an einem fehlenden Beweisangebot der Klägerin scheitern lassen.
a) Das Berufungsgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob glaubhaft gemacht ist, dass die Berufungsbegründungsschrift von der Klägerin am 22. Februar 2007 geschrieben und unterschrieben worden sei. Hiervon ist jedenfalls in der Rechtsbeschwerdeinstanz zugunsten der Klägerin auszugehen. Es liegt im Übrigen nahe, dass sich die Glaubhaftmachung der Klägerin durch eidesstattliche Versicherung auch hierauf bezog, was von ihr gegebenenfalls noch klargestellt werden kann (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Alt. 2 ZPO).
b) Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung - hier der Einreichung der Berufungsbegründung - wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts auf dem entsprechenden Schriftstück nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO). Der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis ist aber zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Er erfordert mehr als bloße Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO). Notwendig ist vielmehr die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang (BGH, Beschl. v. 27. November 1996 - XII ZB 177/96, NJW 1997, 1312; Urt. v. 30. März 2000 - IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872, 1873; v. 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04, NJW-RR 2005, 75; Beschl. v. 15. September 2005 - III ZB 81/04, NJW 2005, 3501; v. 8. Mai 2007 - VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069 Rn. 12).
c) Auf der anderen Seite dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden. Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie des Verfahrens bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Das Berufungsgericht war deshalb verpflichtet, dienstliche Äußerungen der für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständigen Beamten über seine Funktionstüchtigkeit im fraglichen Zeitraum einzuholen (BGH, Urt. v. 30. März 2000 aaO; v. 14. Oktober 2004 aaO; v. 8. Mai 2007 aaO; vgl. auch BGH, Beschl. v. 16. März 2000 - VII ZB 36/99, NJW 2000, 2280). Diese Feststellungen werden nachzuholen sein.
Erst nach Ausschöpfung der nahe liegenden innerdienstlichen Erkenntnisquellen bezüglich der gerichtsinternen Vorgänge kann sodann entscheidend darauf abgestellt werden, dass die Klägerin für den rechtzeitigen Einwurf in den Nachtbriefkasten keinen Beweis angetreten hat.
2. Die Rechtsbeschwerde rügt dagegen zu Unrecht, dass das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist als unzulässig angesehen hat.
a) Das Berufungsgericht hat, ohne die Frage allerdings zu vertiefen, richtig gesehen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag auch hilfsweise zu der behaupteten Zulässigkeit des Rechtsmittels geltend gemacht werden kann. Es steht der Partei frei, die rechtzeitige Einlegung zu behaupten und zugleich für den Fall, dass das Gericht den Gegenbeweis des § 418 Abs. 2 ZPO nicht als geführt ansieht, Wiedereinsetzung gegen die dann anzunehmende Fristversäumnis zu beantragen (BGH, Beschl. v. 27. November 1996 aaO S. 1313; v. 16. März 2000 aaO; Urt. v. 2. November 2006 - III ZR 10/06, NJW 2007, 603 Rn. 6).
b) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrages auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht (BGH, Beschl. v. 14. Juni 1978 - VIII ZB 6/78, VersR 1978, 942; Urt. v. 7. März 2002 - IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107, 2108; Beschl. v. 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW 2004, 2525; 2526; v. 14. März 2005 - II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793, 794). Der Antragsteller muss sich auf einen Sachverhalt festlegen. Er kann nicht alternativ vortragen oder den tatsächlichen Geschehensablauf offen lassen, wenn dabei die Möglichkeit der verschuldeten Fristversäumung offen bleibt (BGH, Beschl. v. 22. Oktober 1981 - VII ZB 17/81, VersR 1982, 144; Musielak/Grandel, ZPO 6. Aufl. § 236 Rn. 4; Hk-ZPO/ Saenger, 2. Aufl. § 236 Rn. 4).
Es kann zwar nicht verlangt werden, dass Details vorgetragen werden, die nicht mehr aufklärbar sind, etwa wie es zu einer versehentlich falschen Handhabung durch eine sonst zuverlässige und regelmäßig überwachte Anwaltsgehilfin gekommen ist. Insoweit wird die Ursache häufig ohnehin nur vermutet werden können, weil die Feststellung des Fehlers bei der falschen Handhabung selbst den Fehler häufig vermieden hätte (BGH, Beschl. v. 8. Oktober 1998 - X ZB 33/97, NJW-RR 1999, 428, 429). Zur Darlegung eines Versehens gehören demgemäß nicht die Gründe, die das Versehen erklären können (BGH, Beschl. v. 16. November 2004 - VIII ZB 32/04, NJW-RR 2005, 1006, 1007).
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wurde die erforderliche Darstellung aber nicht dadurch entbehrlich, dass der Klägerin nach ihrer Behauptung vier Monate nach Einreichung der Berufungsbegründung und dem erstmaligen Hinweis auf die Verfristung eine genaue Erinnerung an die Vorgänge im Zusammenhang mit der Einreichung der Berufungsbegründung fehlte. Mag auch im Regelfall auf eine derartige Fristversäumnis vom Gericht früher hingewiesen werden, ist es doch Aufgabe der Partei selbst, fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig einzureichen. Wiedereinsetzung kann nur gewährt werden, wenn das fehlende Verschulden der Partei an der Fristversäumnis dargelegt und glaubhaft gemacht ist, § 236 Abs. 2 ZPO. Kann eine Partei einen derartigen Sachverhalt nicht darlegen, geht dies auch dann zu ihren Lasten, wenn ihr Unvermögen durch den Zeitablauf mitbedingt ist. Dies ist ihr auch zumutbar, weil sie sich zeitnah über den rechtzeitigen Eingang des fristwahrenden Schriftsatzes unterrichten oder in anderer Weise Vorsorge treffen kann.
c) Aus dem Sachvortrag der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, worauf die Fristversäumnis konkret beruht haben soll, aber auch nicht, warum insoweit ein Verschulden der Klägerin für die Fristversäumnis nicht vorgelegen haben soll. Die Schilderung der allgemein in der Kanzlei der Klägerin getroffenen Vorkehrungen genügt dem Erfordernis des Sachvortrages nicht. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass insbesondere offen geblieben ist, ob die Fristversäumnis auf einem eigenen Verschulden der Klägerin beruhte.
3. Da nicht in der erforderlichen Weise festgestellt ist, ob die Berufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, kann die Verwerfung der Berufung keinen Bestand haben. Ist sie rechtzeitig eingegangen, war über den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu entscheiden. Der angefochtene Beschluss ist deshalb insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO.
Ganter Raebel Vill
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