Flug mit sehr großer Verspätung kommt nicht zwangsläufig einer Annullierung gleich
Gericht
LG Darmstadt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
12. 07. 2006
Aktenzeichen
21 S 82/06
Auszüge aus dem Sachverhalt:
... Die Kläger sowie die Ehefrau des Klägers zu 1 buchten Flüge von Frankfurt nach Toronto und zurück bei der Beklagten. Der Rückflug von Toronto am 9.7.2005 erfolgte nicht zur vorgesehenen Zeit um 16.20 Uhr Ortszeit, sondern erst ca. 25 Stunden später am Folgetag unter derselben Flugnummer. Die Parteien streiten darüber, ob es sich hierbei um eine Annullierung oder eine Verspätung handelt.
Das AG (AG Rüsselsheim, Urt. v. 17.3.2006 - 3 C 109/06 (33), ...) hat der Klage bzgl. des Klägers zu 1 nur i.H.v. 285,85 und bzgl. der Kläger zu 2 und 3 nur i.H.v. jeweils 34,95 € unter Abweisung im Übrigen stattgegeben. Der Kläger zu 1 könne Ersatz des von ihm nachgewiesenen Verdienstausfalls, der Reservierungsgebühren und der verfallenen Bahnfahrkarten verlangen, alle Kläger hätten zudem einen Anspruch auf Minderung i.H.v. 30 % der Flugpreises, im Übrigen sei die Klage aber unbegründet. Ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 VO bestehe nicht. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine Verspätung des Fluges, nicht um eine Annullierung. Denn der Flug sei unter der gleichen Flugnummer am Folgetag durchgeführt worden. Annullierung sei aber die Nichtdurchführung des geplanten Fluges. Eine Annullierung hätte nur dann vorgelegen, wenn am 10.7.2005 ein weiterer planmäßiger Flug DE 6079 angesetzt gewesen wäre und die Kläger mit diesem Flug befördert worden wären. Die verspätete Beförderung eines Fluggastes stelle jedoch eine Schlechterfüllung der Hauptleistung des Luftfrachtführers dar, hieraus resultierende Schäden seien gemäß Art. 19, 22 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) erstattungsfähig. Diese Ansprüche würden durch die VO nicht ausgeschlossen. Die Beklagte habe den ihr obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht. Die Reservierungsgebühr sei von der Beklagten gemäß § 812 BGB zu erstatten.
Hiergegen richtet sich allein die Berufung der Kläger, die ihre Klageanträge aus der 1. Instanz in vollem Umfang weiterverfolgen.
Auszüge aus den Gründen:
... Das AG ist zu Recht von einer Verspätung des Fluges und nicht von einer Annullierung ausgegangen und hat infolgedessen einen weiteren Anspruch der Kläger gegen die Beklagte verneint.
Ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1c, 7 VO besteht nicht. Es handelt sich vorliegend um einen Fall der Verspätung der Luftbeförderung i.S.d. Art. 6 VO und nicht um eine Annullierung i.S.d. Art. 5 der Verordnung, wobei dahinstehen kann, ob auf den Anzeigetafeln im Flughafen der Hinweis "cancelled" erschienen war und der Flugkapitän diesen Begriff bei seiner Durchsage am 9.7.2005 verwendet hat. Auch den übrigen, von den Klägern angeführten Indizien kommt für die Abgrenzung der Verspätung von der Annullierung aus den vom Amtsgericht dargelegten Gründen, denen sich die Kammer anschließt, keine Bedeutung zu. Gemäß Art. 2 Ziffer 1) VO ist unter "Annullierung" die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den mindestens ein Platz reserviert war, zu verstehen. Hiermit kann nicht schon jede Nichtdurchführung zur vorgesehenen Abflugzeit gemeint sein, sondern die endgültige Nichtdurchführung oder eine so große Verzögerung, dass diese einer endgültigen Nichtdurchführung gleichkommt. Ansonsten gäbe es für den Fall der Verspätung keinen Anwendungsbereich mehr.
Die Verordnung enthält keine Definition des Begriffs "Flug". Sie stellt jedoch darauf ab, dass für den Flug mindestens ein Platz gebucht sein muss. Deshalb kann damit nicht die individuelle Beförderungsmöglichkeit des einzelnen Passagiers gemeint sein, sondern die kollektive Beförderung der Gruppe von Passagieren, die sich bei der Buchung für diesen Transport zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem Ort zum anderen entschieden haben. Der Begriff des Fluges kann sich daher weder nach der Flugnummer noch nach dem Fluggerät bestimmen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Gruppe von Passagieren, welche nach der ursprünglichen Buchung transportiert werden sollte, im Wesentlichen in gleicher Zusammensetzung befördert wird, mag dies auch zu einem anderen Zeitpunkt als ursprünglich vorgesehen erfolgen. Ob es eine maximale zeitliche Grenze für die Verspätung gibt, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden, weil eine Verzögerung des Starts um 25 Stunden jedenfalls eine Verspätung begrifflich noch nicht ausschließt. Dies ergibt sich aus dem Vorwort der VO Abs. 15, in welchem ausdrücklich von einer Verspätung bis zum nächsten Tag gesprochen wird. Aus dem Vorwort Abs. 12 und Art. 5 Abs. 1c) VO folgt weiterhin, dass mit "Annullierung" solche Fälle gemeint sind, bei denen die Fluggesellschaft sich aus eigenem Willen, z.B. aus wirtschaftlichen Gründen, entschließt, einen Flug nicht durchzuführen. Die Flugunternehmen sollen durch die Verordnung veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten. Dies setzt aber voraus, dass die Fluggesellschaft überhaupt in einem nennenswerten Zeitraum vor der geplanten Abflugzeit Kenntnis davon hat, dass sie den Flug nicht durchführen wird. Im vorliegenden Fall war Grund für die Streichung jedoch ein plötzlich und unvorhergesehen eingetretenes Ereignis, welches zu einer so großen Verzögerung geführt hat, dass der Flug letztlich am 9.7.2005 nicht mehr durchgeführt werden konnte, obwohl die Beklagte dies grundsätzlich wollte. ...
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