Sicherheitsstandard eines Hotelaufzugs

Gericht

LG Koblenz


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

22. 04. 2005


Aktenzeichen

10 O 181/03


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

... Das Hotel war zuvor von den Beklagten entsprechend beauftragt worden. Am 20.2.2002, gegen 6:30 Uhr Ortszeit, betraten die Klägerin und ihr Ehemann in der siebten Etage des Hotels den Personenaufzug, über dessen Eingang sich eine kleine Tafel mit der Aufschrift "Only 2 Persons" befand, um zum Frühstücksraum nach unten zu fahren. Der streitgegenständliche Aufzug maß 68 cm in der Breite, 216 cm in der Höhe sowie 113 cm in der Tiefe und war von der örtlichen Kammer für Maschinenbauingenieure letztmalig am 24.12.2001 auf Grund eines Pflege- und Instandhaltungsvertrages mit dem Hotel ... kontrolliert worden. Nachdem noch die Streithelfer zugestiegen waren, schloss die Lifttür und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Auf seiner Fahrt nach unten nahm er immer mehr an Geschwindigkeit zu und prallte dann ca. 60 cm unterhalb der letzten Türschwelle auf.

Die Klägerin erlitt dabei eine Trümmerfraktur des linken Fersenbeins und einen zweifachen Bruch kurz über dem rechten Fußgelenk, weshalb nach einer Notfallbehandlung in der Türkei am 25.2.2002 eine operative Versorgung in der ...-Klinik in ... erfolgte. In dem vorgenannten Krankenhaus hielt sich die Klägerin stationär vom 21.2.2002 bis zum 13.3.2002 auf. Anschließend wurde sie zur Rehabilitation in die Klinik ... in Bad Birnbach verlegt, wo sie bis zum 6.6.2002 behandelt wurde. ...

Die Klägerin trägt vor, durch den streitgegenständlichen Unfall sei ihr ein materieller Schaden in Höhe von insgesamt 16.560,51 EUR entstanden. Zum entsprechenden Ersatz sei die Beklagte verpflichtet, da diese gegen die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten verstoßen habe. Der streitgegenständliche Aufzug habe nämlich keinen ausreichenden Sicherheitsstandard aufgewiesen. So hätte der Lift entsprechend dem nach dem Reisevertrag geschuldeten Sicherheitsstandard ganz allgemein mit einer Überlastung von 50 % uneingeschränkt sicher fahren müssen. Des Weiteren habe die Größe der Aufzugskabine in keinem zulässigen Verhältnis zu ihrer Belastbarkeit gestanden, da offensichtlich vier Personen in dem Aufzug Platz gefunden hätten. Darüber hinaus hätten Sicherheitseinrichtungen vorhanden sein müssen, die einen Absturz des Fahrgastkorbes verhinderten. Bei der gebotenen Überprüfung des Sicherheitsstandards durch die Beklagte hätten diese Mängel auffallen müssen. Im Übrigen sei der Beklagten die Gefährlichkeit des streitgegenständlichen Aufzugs auch bekannt gewesen. So habe der Reiseleiter auf dem Weg von Troja nach Canakkale allen Businsassen die Gepflogenheiten im Hotel ... erklärt und dabei den Gästen geraten, die Lifte nicht zu überlasten, da diese gerne stecken blieben. ...

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin stehen die gegenüber der Beklagten geltend gemachten Schadensersatz-, Schmerzensgeld- und Feststellungsansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagten keine ihr vorwerfbare haftungsbegründende Verletzung von Obhuts-, Fürsorge- oder Verkehrssicherungspflichten zur Last gelegt werden kann. Den entsprechenden Nachweis hat die Klägerin nicht zu führen vermocht.

Da der streitgegenständliche Reisevertrag vor dem 1.1.2002 geschlossen wurde, war gemäß Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden. Soweit die Klägerin Ersatz des von ihr erlittenen materiellen Schadens verlangt, kamen daher neben deliktischen Anspruchsgrundlagen auch Ansprüche aus § 651 f Abs. l BGB a.F. in Betracht. Die Verletzung von Obhuts- und Fürsorgepflichten des Reiseveranstalters gegenüber dem Reiseteilnehmer, die teilweise auch mit den als Verkehrssicherungspflichten bezeichneten Pflichten zusammen fallen, können nämlich als ein Reisemangel qualifiziert werden. Insbesondere kann ein solcher Mangel darin liegen, dass von der Einrichtung des vom Reiseveranstalter ausgewählten Beherbergungs- und Restaurationsbetriebes eine Gefahr für die Sicherheit des Reisenden ausgeht, mit der er nicht zu rechnen braucht (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 59, 60; OLG Celle, OLGR Celle 2002, 232 f.). Eine Verletzung derartiger Pflichten, die einen Reisemangel darstellen könnten, ist der Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht vorzuwerfen.

Hinsichtlich des einzuhaltenden Sicherheitsstandards im Ausland ist nicht auf deutsche Maßstäbe abzustellen, sondern auf die Besonderheiten und Maßstäbe des Gastgeberlandes (vgl. Bamberger / Roth-Geib, BGB, [2004] § 651 f, Rn. 11). Danach aber war entscheidend, ob die im Februar 2002 im Hotel ... in der Türkei befindliche Aufzugsanlage den dort seinerzeit gültigen Sicherheitsstandards entsprach. Der Sachverständige Th. hat in seinem Gutachten vom 8.1.2004 in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass sich die aus der europäischen Norm EN81-1 ergebende Forderung, dass ein Aufzug nicht wegfahren dürfe und sich die Tür wieder öffnen lassen müsse, sofern die Kontrolle der Beladung ergebe, dass die Nennlast um 10 % bzw. um 75 kg überschritten sei, in der Türkei zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht galt. Vielmehr, so der Sachverständige, sei die Ausgabe der EN81-1 von 1985 anzuwenden gewesen, die diese Forderung noch nicht enthalten habe. Aus dem Umstand, dass sich trotz unstreitiger Überladung des Fahrgastkorbes die Tür des Fahrstuhls nicht mehr habe öffnen lassen und dass sodann eine unkontrollierte Fahrbewegung nach unten erfolgt sei, lasse sich daher die Nichteinhaltung des örtlichen Sicherheitsstandards gerade nicht folgern.

Darüber hinaus war die - zum maßgeblichen Zeitpunkt auch in der Türkei geltende - Forderung nach einer Mindesttragfähigkeit in Abhängigkeit von der Fahrkorbgrundfläche eingehalten. Nach den substantiierten Angaben des Beklagten, die die Klägerin nicht substantiiert bestritten hat, wies der streitgegenständliche Aufzug eine Grundfläche von 68 cm x 113 cm = 0,77 qm aus. Nach der dem Sachverständigengutachten beigefügten Tabelle im Anhang zur DIN EN81-1 musste der Fahrgastkorb daher eine Mindesttragfähigkeit von 225 kg aufweisen. Dass diese Mindesttragfähigkeit vorliegend nicht gewährleistet war, steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, da der Aufzug mit vier Personen besetzt war und deshalb davon auszugeben ist, dass die Mindesttragfähigkeit von 225 kg überschritten war. Dass in dem Aufzug unstreitig vier Personen Platz fanden, steht der Annahme der Einhaltung der Mindesttragfähigkeit nicht entgegen, da die einschlägige DIN gerade nicht fordert (und naturgemäß nicht fordern kann), dass ein derartiges Fahrgastverhalten auszuschließen ist.

In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige vielmehr ausgeführt, dass selbst bei Einhaltung sämtlicher heute geltender europäischer Aufzugsrichtlinien ein "Absturz eines Fahrstuhls" nicht ausgeschlossen werden könne, wenn bei Personengedränge die Nennlast wesentlich überschritten werde. Da aber die Nennlast des streitgegenständlichen Aufzuges im vorliegenden Fall durch die Benutzung durch vier Personen deutlich überschritten war, wäre also selbst bei Einhaltung dieser erhöhten Anforderung an die Sicherheit eines Fahrstuhles die unkontrollierte Fahrbewegung nach unten nicht sicher zu verhindern gewesen.

Nach alledem kann eine Verletzung von Obhuts- und Fürsorgepflichten der Beklagten als Reiseveranstalterin nicht festgestellt werden, da es bereits an dem Nachweis mangelt, dass der vorhandene Sicherheitsstandard nicht dem entsprach, der zur maßgeblichen Zeit vor Ort in der Türkei anzuwenden war.

Aus den gleichen Gründen scheidet im Ergebnis auch ein Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus. Gemäß § 8 des Art. 229 EGBGB kam ein entsprechender Anspruch aus §§ 651 f Abs. l, 253 Abs. 2 BGB n.F. nicht in Betracht, da das streitgegenständliche schädigende Ereignis vor dem 1.8.2002 erfolgte.

Ein Anspruch gemäß §§ 831, 847 BGB a.F. schied aus, da der Hotelier, dem die Beklagte die Unterbringung der Reiseteilnehmer als ihren ausländischen Leistungsträger übertragen hatte, nicht Verrichtungsgehilfe der Beklagten gewesen war. Auch eine Haftung der Beklagten wegen einer Verletzung der ihr selbst obliegenden Verkehrssicherungspflichten nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a.F. scheidet vorliegend aus, da eine entsprechende Pflichtverletzung nicht nachgewiesen ist.

Zwar hat sich der Reiseveranstalter bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen zu vergewissern, dass ein Hotel, das er als Leistungsträger unter Vertrag nimmt, nicht nur den gewünschten oder angebotenen Komfort hat, sondern darüber hinaus über einen ausreichenden Sicherheitsstandard verfügt. So muss sich der Reiseveranstalter insbesondere davon überzeugen, dass zum Beispiel von Aufzügen keine Gefahren für die von ihm unterzubringen Hotelgäste ausgehen (vgl. BGH, NJW 1988, 1380; Bamberger I Roth-Geib, BGB, [2004], § 651 f, Rn. 11). Nach dem – unbestritten gebliebenen - Vorbringen der Beklagten erfolgte jedoch noch am 24.12.2001 eine entsprechende Kontrolle durch die örtliche Kammer für Maschinenbauingenieure auf Grund eines Pflege- und Instandhaltungsvertrages mit dem Hotel ... Einer entsprechenden Bestätigung vergewisserte sich der bei der von der Beklagten beauftragten Agentur ... zuständige Mitarbeiter. Selbst wenn man jedoch unterstellte, dass die Beklagte der ihr obliegenden Pflicht, sich von einem ausreichenden Sicherheitsstandard zu vergewissern, nicht nachgekommen wäre, scheidet eine Haftung deshalb aus, weil nicht feststellbar ist, dass der vorhandene Sicherheitsstandard nicht ausreichend war und im Übrigen selbst die Einhaltung eines höheren Sicherheitsstandards den streitgegenständlichen Unfall nicht verhindert hätte, weil durch die Überladung des Fahrkorbes die Nennlast deutlich überschritten war. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

Im Übrigen ist es der Klägerin nach Überzeugung der Kammer auch nicht gelungen, den Nachweis für ihre Behauptung zu erbringen, der Reiseleitung der Beklagten sei die besondere Gefährlichkeit des streitgegenständlichen Aufzugs bekannt gewesen. Zwar hat der Zeuge D. im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Vernehmung bekundet, der Reiseleiter habe auf der Fahrt zum Hotel ... darauf hingewiesen, die Reiseteilnehmer sollten ihr Gepäck nicht selbst mit auf ihre Zimmer nehmen, da die Aufzüge, wenn sie überlastet seien, gerne stecken blieben. Die Aussage des Zeugen war auch glaubhaft und nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung der beklagtenseits vorgelegten schriftlichen Erklärung des Reiseleiters ... vom 26.7.2004 ..., die jedenfalls als – unbestritten gebliebener - Parteivortrag der Beklagten zu werten ist, kann jedoch jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der vom Zeugen D. geschilderte Hinweis nur deshalb erfolgte, um die örtlichen Servicekräfte des Hotels in den Genuss der ihnen für den Transport des Gepäcks gebührenden Trinkgelder zu bringen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen. ...

Rechtsgebiete

Reiserecht