Zusatzkosten für Gepäckstück bei einer Flugreise mit "ab"-Preis
Gericht
OLG Hamburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
20. 09. 2007
Aktenzeichen
3 U 30/07
Werden Flugreisen mit einem „ab”-Preis unter Nennung des Zielflughafens und mit der Angabe „inkl. Steuern & Gebühren” beworben, so erwartet der Verkehr mangels aufklärenden Hinweises nicht, dass für ein aufzugebendes Gepäckstück – anders als beim Handgepäck – immer noch Zusatzkosten anfallen. Dass der Durchschnittsverbrauchers erwarten würde, bei Angeboten sog. „Billigflüge” sei durchweg kein Freigepäck im Preis enthalten, kann nicht angenommen werden.
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 20. Dezember 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,
dass die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 27. September 2006 mit der Maßgabe bestätigt wird,
dass im Verbotsausspruch der Beschlussverfügung das Wort „insbesondere“ gestrichen wird.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe
A.
Die Antragstellerin ist ein Verband von Gewerbetreibenden zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.
Die Antragsgegnerin bietet Flugreisen an. Hierfür hat sie u. a. eine Anzeige in der ...-Zeitung vom 28. August 2006 (Anlage ASt AS 1) geschaltet und im Internet geworben (Anlage ASt AS 2).
Die Antragstellerin beanstandet die Werbung als irreführend und nimmt die Antragsgegnerin deswegen vorliegend im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens auf Unterlassung in Anspruch.
In der Zeitungsanzeige der Antragsgegnerin lautet die Überschrift: „Zu sensationellen Preisen auf die Piste“. Darunter sind mehrere Flugziele tabellarisch mit Preisen aufgeführt. Über der Spalte mit den Preisen steht: „Einfacher Flug ab“ und in dieser Spalte ist unten noch vermerkt: „Incl. Steuern & Gebühren“ (Anlage ASt AS 1 = Verbotsanlage A).
Entsprechend wirbt die Antragsgegnerin im Internet; nach diesem Angebot soll ein einfacher Flug von Friedrichshafen nach Pisa und Dublin „ab 25,59 € incl. Steuern & Gebühren“ kosten (Anlage ASt AS 2 = Verbotsanlage B).
Nach ihren allgemeinen „Geschäftsbedingungen für die Beförderung“ verlangt die Antragsgegnerin für die Beförderung von aufgegebenem Gepäck pro Gepäckstück ein Entgelt, und zwar in Höhe von 4,50 € (für Buchungen ab dem 1. September 2006 per Internet) bzw. von 7,00 € (Entrichtung am Flughafen), und zwar jeweils separat für den Hin- und Rückflug. Diese Gebühren gelten bis zu einem Gesamtgepäckgewicht von 20 kg pro Person, bei einem Mehrgewicht wird ein Zuschlag von 8,00 € pro weiteren Kilo erhoben (Anlage ASt AS 7).
Das Landgericht hat mit seiner Beschlussverfügung vom 27. September 2006 der Antragsgegnerin unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verboten,
im Wettbewerb handelnd, insbesondere wie in Anlage A und/oder B geschehen, für Flugreisen unter Angabe von Preisen zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass für jedes aufgegebene Gepäckstück eine Gebühr berechnet wird (es folgen die Kopien der Anlagen ASt AS 1-2 als Verbotsanlagen A und B).
Durch Urteil vom 20. Dezember 2006 hat das Landgericht seine Beschlussverfügung bestätigt. Auf das Urteil wird Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragsgegnerin mit der Berufung, die sie formund fristgerecht eingelegt und begründet hat.
Die Antragsgegnerin beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beschlussverfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin bittet um Zurückweisung der Berufung,
und zwar mit der Maßgabe, dass das Wort „insbesondere“ im Verbotsausspruch der Beschlussverfügung gestrichen wird.
B.
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist demgemäß mit der aus dem Urteilsausspruch des Senats ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.
I.
Der Gegenstand des Verfügungsantrages in der in der Berufungsverhandlung verteidigten Fassung ist das Verbot, für Flugreisen unter Angabe von Preisen zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass für jedes aufgegebene Gepäckstück eine Gebühr berechnet wird, und zwar wie in Anlage A und/oder B zur Beschlussverfügung geschehen.
Die Antragstellerin hat klarstellen lassen, dass das Wort „insbesondere“ im Verbotsausspruch zu streichen ist. Mithin haben die Verfügungsanträge entgegen deren ursprünglichen Wortlaut nicht jeweils einen verallgemeinerten und einen „insbeson-dere“-Antrags-Teil, sondern sie beziehen sich - mit "und/oder" verknüpft - auf das Werben nur in den konkreten Beanstandungsformen der Printanzeige und im Internet gemäß den Verbotsanlagen A und/oder B, d. h. wie in der Print- und Internetwerbung gemäß den Anlagen ASt AS 1-2 geschehen.
Der Zusatz: „ohne darauf hinzuweisen, dass…“ im Verbotsausspruch legt nicht nur den Streitgegenstand fest, sondern ist zugleich die Begründung für das Unterlassungsgebots. Angegriffen ist die Werbung gemäß den Verbotsanlagen A und/oder B, weil sie so - ohne erläuternden Hinweis - über den Umfang des mit Preisen versehenen Angebots irreführt, und zwar deswegen, weil zu dem angegeben Preis für jedes aufgegebene Gepäckstück noch ein zusätzliches Entgelt verlangt wird.
II.
Die Dringlichkeit ist vom Landgericht zu Recht bejaht worden. Die insoweit für die Antragstellerin streitende Vermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist auch nach Auffassung des Senats nicht widerlegt.
Die von der Antragsgegnerin demgegenüber vorgebrachten Argumente greifen nicht durch:
1.) Dass die Antragstellerin die streitgegenständliche Werbung schon länger gekannt hätte, hat die Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht. Es besteht für die Antragstellerin - wie für alle nach § 8 Abs. 3 UWG Klagebefugten - keine Marktbeobachtungspflicht und es gibt insoweit auch nicht den Gesichtpunkt etwa einer "grob fahrlässigen Unkenntnis“ von Verletzungshandlungen.
Konkrete Tatumstände für eine - dringlichkeitsschädliche - Vorkenntnis der Antragstellerin von der streitgegenständlichen Werbung hat die Antragstellerin nicht vorgetragen, der allgemeine Hinweis der Antragsgegnerin auf den "Vereinszweck" der Antragstellerin bzw. auf deren "tatsächliches Verhalten" geht über bloße Mutmaßungen nicht hinaus.
2.) Die Vermutung der Dringlichkeit ist in der Regel als widerlegt anzusehen, wenn der Verletzte in positiver Kenntnis der maßgeblichen Umstände den in Rede stehenden Wettbewerbsverstoß "längere Zeit" hingenommen hat.
Maßgeblich ist daher auf eine Kenntnis von der streitgegenständlichen Werbung abzustellen und nicht auf den Zeitpunkt, seitdem die Antragsgegnerin für aufzugebende Gepäckstücke ein zusätzliches Entgelt verlangt. Die Antragstellerin "muss" nicht - so aber die Argumentation der Antragsgegnerin - "gegen die Gepäckgebühr vorgehen", vielmehr kann sie insoweit jeweils nur bestimmte Werbemaßnahmen angreifen.
Soweit die Antragsgegnerin dahingehend argumentieren möchte, weil sie seit März 2006 eine Gepäckgebühr erhebe, „könne“ eine aktuelle Werbung ohne Hinweis auf diesen Zuschlag nicht mehr im Verfügungswege angegriffen werden, so greift das jedenfalls nicht durch.
3.) Die Printwerbung (Verbotsanlage A) ist mit dem am 26. September 2006 eingereichten Verfügungsantrag zeitnah angegriffen worden.
Die Anzeige ist neu, denn es geht um den „Winterflugplan“ ab Oktober 2006, sie datiert vom 28. August 2006. Insoweit spricht nichts gegen eine dringlichkeitsschädliche Vorkenntnis der Antragstellerin.
Entsprechendes gilt für die Internetwerbung gemäß Verbotsanlage B ("Neue Strecken, Start am 14. Sept. und 19. Dez. 2006").
Zudem hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass sie zeitnah ab ihrer Kenntnis von der Werbung gegen diese vorgegangen ist (Bl. 143, 146 mit Anlage ASt AS 11).
III.
Der mit dem - in der Berufungsverhandlung klargestellten - Unterlassungsantrag in beiden mit "und/oder" verknüpften Teilen geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist auch nach Auffassung des Senats begründet (§§ 5, 8, 3 UWG).
1.) In beiden Werbemaßnahmen der Antragsgegnerin, in der Anzeige (Verbotsanlage A) und auf der Internetseite (Verbotsanlage B), steht an keiner Stelle, dass bei den angebotenen Einfachflügen zu dem jeweils angegebenen „ab-Preis“ immer noch ein Entgelt für das aufzugebende Gepäck hinzukommt. Das erwartet der Durchschnittsverbraucher aber gerade nicht, denn er wird bei den "ab-Preisen" wegen des Hinweises: „incl. Steuern & Gebühren“ selbstverständlich annehmen, weitere Kosten jedenfalls für "normales" Gepäck kämen insoweit nicht hinzu.
Werden, wie in der Werbung der Antragsgegnerin, "ab"-Preise genannt, so erkennt der Verkehr, dass das beworbene Angebot auch preislich differenziert ist, d. h. Teile des Angebots werden zu einem höheren, insoweit nicht genannten Preis angeboten. Zugleich wird dem Durchschnittsverbraucher aber auch gesagt, dass der "ab"-Preis für einen bestimmten Angebotsbereich gelten soll. Welches Angebot der Verkehr zu dem "ab"-Preis selbst erwartet, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles der jeweiligen Werbung mit dem "ab"-Preis. Irreführend ist die Werbung mit einem "ab"-Preis jedenfalls dann, wenn es zu diesem Preis das erwartete Angebot nicht gibt. Hiervon sind, wie ausgeführt, andere Angebotsteile zu unterscheiden, für die ein höherer Preis gefordert wird und deren Werbung auch so verstanden wird.
Die Angabe „ab“ wird der Verkehr in der Printanzeige der Antragsgegnerin (Verbotsanlage A) nahe liegend so verstehen, dass der Preis des jeweiligen Fluges je nach dem (in der Anzeige nicht genannten) Abflugort und/oder möglicherweise abhängig vom Buchungszeitpunkt unterschiedlich sein wird, und dass nur im günstigsten Fall der angegebene „ab-Preis“ verlangt wird. Entsprechendes wird für die Internetwerbung gelten (Verbotsanlage B). Denn dort steht vom Abflugsort nur etwas im Zusammenhang mit „Direktflügen ab Friedrichshafen“.
Dass aber in jedem Fall zu dem "ab"-Preis ein Zuschlag für aufzugebendes Gepäck hinzukommt, erwartet man nicht. Der Hinweis "inkl. Steuern & Gebühren" geht vielmehr in die gegenteilige Richtung und befördert die Vorstellung, weiteres käme nicht hinzu. Bei der Internetwerbung (Verbotsanlage B) steht überdies noch etwas von „Hand Baggage Restrictions“; daraus entnimmt man ebenfalls nicht, dass das aufzugebende Gepäck immer noch etwas zusätzlich kostet.
(c) Es spricht auch nach Auffassung des Senats nichts für die Annahme, der Verkehr wäre etwa bei Billigflügen zuverlässig darüber informiert, dass man - anders als beim Handgepäck - bei aufzugebendem Gepäck immer etwas zusätzlich bezahlen muss.
Gegen eine solche Annahme spricht schon die Lebenserfahrung, weil für Reisende die Mitnahme des "normalen" aufzugebenden Gepäcks kein "Extra" darstellt, für das man die Zahlungspflicht eines zusätzlichen Entgeltes erwartet. Bei Flugreisen war es generell immer üblich, dass in normalen Grenzen das aufzugebende Gepäck nichts zusätzlich kostete. Das bestreitet die Antragsgegnerin verständigerweise auch nicht.
Dass das bei "Billigflügen" in der Verkehrsvorstellung des Durchschnittsverbrauchers "grundsätzlich" anders wäre, kann nicht angenommen werden. Zum einen gibt es auch preisgünstige Angebote der traditionellen Fluggesellschaften mit kostenloser Gepäckbeförderung weiterhin. Das steht der Entwicklung einer Verkehrsvorstellung von strikt getrennten Märkten (etwa "Normalflüge" und "Billigflüge" mit insoweit klar unterschiedlichen Inklusive-Leistungen) entgegen. Zudem hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass andere Billiganbieter das Freigepäck keineswegs abgeschafft haben (Bl. 3 mit Anlagen ASt 3-5).
Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber darauf verweist, dass es auch Angebote Dritter gibt, bei denen jeweils für das aufgegebene Gepäck ein Zuschlag erhoben wird (Bl. 122 mit Anlagen AG 17-19 und Bl. 124-127 mit Anlagen ASt BK 4-9), besagt das für die Verkehrsvorstellung nichts Durchgreifendes. Es kann sein, dass in der jeweiligen Werbung auf die Zusatzkosten für Gepäck hingewiesen worden ist, das würde dem von der Antragsgegnerin beanspruchten gewandelten Verkehrsverständnis widersprechen. Es ist aber auch ohne weiteres möglich, dass die betreffenden Werbemaßnahmen Dritter ebenfalls irreführend gewesen sind. Dass das nicht ein Verkehrsverständnis im Sinne der Antragsgegnerin hat prägen können, liegt auf der Hand.
Um so weniger kann das Argument der Antragsgegnerin greife, ihre Gepäckgebühr sei gleichsam der "Marktstandard". Maßgeblich ist vielmehr für die Vorstellung des Durchschnittsverbrauchers, dass das Freigepäck noch bei vielen Anbietern besteht und ursprünglich sogar durchgehend, wie ausgeführt, Standard gewesen ist.
Auch der in der Berufungsinstanz von der Antragsgegnerin herangezogene Umstand, dass sie inzwischen seit einem Jahr die Gepäckgebühr erhebt, ändert an der Sachlage nichts, denn die Vorstellungen des Durchschnittverbrauchers werden durch langjährige Erfahrungen geprägt und ändern sich nicht so ohne weiteres. Auch dafür spricht schon die Lebenserfahrung. Soweit sie noch auf Pressemitteilungen verweist, in denen über ihre Preispolitik der Antragsgegnerin als "Preis-Abzocke" berichtet wird, vermag das die Antragsgegnerin verständigerweise nicht zu entlasten. Es zeigt vielmehr auf, dass es Werbemaßnahmen der Antragsgegnerin gegeben hat, die auch andere als irreführend bewerten.
2.) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Der Antrag erfasst die konkrete Verletzungsform. Er bezieht sich auf die Verbotsanlagen A und/oder B und diese geben, wie ausgeführt, die Print- und Internetwerbung der Antragsgegnerin (Anlagen ASt AS 1 und 2) wieder.
Der Senat hatte nur über diese konkrete Werbemaßnahmen zu befinden. Es kann offen bleiben, welche Vorstellungen der Durchschnittsverbraucher entwickeln würde, wenn in der Werbung der Hinweis „incl. Steuern & Gebühren“ nicht gestanden hätte.
IV.
Nach alledem ist die Berufung der Antragsgegnerin unbegründet und war mit der aus dem Urteilsausspruch ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Umstand, dass die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag durch Streichung des Wortes "insbesondere" im Verbotsausspruch überarbeitet hat, ist nur redaktioneller Natur.
Aus der Antragsschrift ergibt sich jedenfalls nicht hinreichend deutlich, dass die ursprüngliche Antragsfassung wortlautgemäß auch einen verallgemeinerten Antrags-Teil enthalten sollte, eine teilweise Antragszurücknahme ist daher nicht anzunehmen. Das Landgericht ist von der "streitgegenständlichen Werbung" ausgegangen, ohne deutlich zu machen, was damit gemeint sein sollte. Insoweit lässt sich auch aus dem zunächst angekündigten Berufungsgegenantrag der Antragstellerin, die Berufung zurückzuweisen, nicht herleiten, dass sie ursprünglich einen weiter gefassten Verfügungsantrag verfolgt hat.
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