Kausalität der Geschwindigkeitsüberschreitung
Gericht
OLG Celle
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
23. 05. 2006
Aktenzeichen
14 U 50/05
Für die Frage, ob eine unfallursächliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorgelegen hat, kommt es auf den Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung an.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Februar 2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 11.763,56 EUR.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
Ein Verschulden des Beklagten zu 2 an dem Verkehrsunfall vom 26. März 2004 auf der Kreuzung der G.straße mit der M. Straße in G. lässt sich nicht feststellen. Der Klägerin ist der Nachweis nicht gelungen, dass dem Beklagten zu 2 eine - zudem noch unfallursächliche - Überschreitung der auf der G.straße zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h vorzuwerfen ist. Zwar hat der gerichtliche Sachverständige M. in seinem vom Senat eingeholten Gutachten vom 9. Dezember 2005 ausgeführt, dass sich der Beklagte zu 2 mit seinem Pkw VW Passat der Kreuzung zunächst mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von über 70 km/h genähert hat. Dies ist jedoch unerheblich, weil für die Frage, ob ein Geschwindigkeitsverstoß vorliegt, auf die im Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung gefahrene Geschwindigkeit abzustellen ist. Dies war hier der Moment, als der Beklagte zu 2 bemerkte, dass der Pkw Mazda der Klägerin in seine Fahrspur hineinfuhr. In diesem Augenblick hatte der Pkw des Beklagten zu 2 aber nur noch eine Geschwindigkeit von etwa 70 km/h inne, weil er sein Fahrzeug wegen des vor der Klägerin herfahrenden und seine Fahrbahn kreuzenden Sattelzuges bereits abgebremst hatte. Dies ergibt sich sowohl aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen M. als auch aus seinen mündlichen Ausführungen im Senatstermin vom 25. April 2006. Danach lässt sich schon nicht feststellen, dass der Beklagte zu 2 die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Moment der Reaktionsaufforderung überhaupt überschritten hat.
Ebenso wenig ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Beklagte zu 2 einen Rotlichtverstoß begangen hat. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat der Senat bei seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche konkreten Anhaltspunkte hat die Klägerin - bezogen auf einen möglichen Rotlichtverstoß des Beklagten zu 2 - nicht aufzuzeigen vermocht. Sie hat das erstinstanzliche Urteil in ihrer Berufungsbegründung im Gegenteil in diesem Punkt überhaupt nicht angegriffen. Folglich muss es bei der aufgrund sorgfältiger Beweiswürdigung des Landgerichts getroffenen und allemal gut vertretbaren Feststellung verbleiben, dass die Klägerin dem Beklagten zu 2 keinen Rotlichtverstoß nachzuweisen vermag.
Dagegen lässt sich ein nicht einmal unerhebliches Verschulden der Klägerin an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls feststellen. Wie das Unfallrekonstruktionsgutachten des Sachverständigen M. vom 9. Dezember 2005 ergeben hat, ist die Klägerin mit ihrem Fahrzeug dem nach links abbiegenden Sattelzug folgend in die von dem Beklagten zu 2 mit seinem Pkw befahrene Geradeausspur der G.straße hineingefahren und dort mit seinem Pkw VW Passat zusammengestoßen. Zu dieser Schlussfolgerung sah sich der Sachverständige insbesondere angesichts der Beschädigungen an beiden Fahrzeugen, dem nachträglich rekonstruierbaren Kollisionswinkel und der Endstellung der beiden an dem Unfall beteiligten Pkw in der Lage. Dabei spricht auch die Endstellung des Pkw Mazda der Klägerin nach dem Unfall, die der Zeuge W. dahingehend beschrieben hat, dass dieses Fahrzeug fast komplett auf der Linksabbiegerspur der G.straße stand, gerade für eine Kollision beider Fahrzeuge auf der von dem Beklagten zu 2 befahrenen Geradeausfahrspur der G.straße. Wie der Sachverständige M. bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Senatstermin vom 25. April 2006 nämlich nachvollziehbar ausgeführt hat, ist der Pkw Mazda der Klägerin infolge der Kollision auf dieser Spur angesichts der bereits nach links eingeschlagenen Räder ihres Fahrzeugs auf die Linksabbiegerspur der G.straße in eine hierzu fast parallele Endstellung zurückgedrückt worden. Nach alledem hat das vom Senat eingeholte Sachverständigengutachten die Annahme des Landgerichts bestätigt, dass die Klägerin gegen § 9 Abs. 3 StVO dadurch verstoßen hat, dass sie das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 2 missachtet hat.
Ob der Unfall für den Beklagten zu 2 unvermeidbar war, kann dahinstehen. Denn eine den Beklagten zuzurechnende Betriebsgefahr des Pkw VW Passat des Beklagten zu 2 tritt in Übereinstimmung mit dem Landgericht nach Auffassung des Senats gegenüber dem erheblichen Verschulden der Klägerin - d. h. der letztlich unfallursächlichen Missachtung der Vorfahrt des Beklagten zu 2 - hier vollständig zurück.
Da nach alledem die Klägerin die alleinige Verantwortlichkeit für den Verkehrsunfall vom 26. März 2004 trifft, hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Ihre hiergegen gerichtete Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 ZPO liegen nicht vor. ...
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