Inoffizielle Mitarbeiterin des Staatssicherheitsdienstes der DDR

Gericht

KG


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

17. 04. 2008


Aktenzeichen

10 U 211/06


Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.9.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 27 O 701/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe


Gründe

I.

Der jetzige Kläger ist Erbe und war Ehemann der am 09.08.2006 verstorbenen Schauspielerin Jenny Gröllmann. Die Beklagte ist Verlegerin des Nachrichtenmagazins "Focus", in dessen Ausgabe vom 29.04.2006 ein Interview mit dem Schauspieler Ulrich Mühe erschien. Hierin ging es unter anderem um die Frage, ob Frau Gröllmann inoffizielle Mitarbeiterin des Staatssicherheitsdienstes der DDR gewesen sei.

Der Kläger verfolgt von seiner verstorbenen Ehefrau rechtshängig gemachte Unterlassungsansprüche weiter.

Auf die Darstellung des Tatbestandes in dem angefochtenen. Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO Bezug genommen.

Der nach dem Inhalt der über Frau Gröllmann geführten Akte des Staatssicherheitsdienstes zuständige Führungsoffizier Menge äußerte nach der erneuten Veröffentlichung der Vorwürfe gegen Frau Gröllmann, diese habe nicht wissentlich der Stasi zugearbeitet. Fünf von Menge in seinen sogenannten Treffberichten dargestellten Treffen mit Frau Gröllmann überschneiden sich zeitlich mit Auftritten der Schauspielerin im Maxim-Gorki- Theater.

Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil mit der Berufung an und führt hierzu aus:

Aus dem Zusammenhang der vom Kläger angegriffenen Interviewpassagen ergebe sich, dass die IM-Tätigkeit von Frau Gröllmann im Streit stehe, so dass sich der im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Eindruck dem Leser gerade nicht aufdränge.

Zudem belege die über Frau Gröllmann geführte Akte, dass sie IM des MfS gewesen sei. Die heutigen abweichenden Bekundungen des Herrn Menge dienten allein dem Selbstschutz. Dass einige in der Akte dokumentierte Treffen sich zeitlich mit beruflichen Verpflichtungen von Frau Gröllmann überschnitten, beruhe wohl darauf, dass der Aktenführer sich im Einzelfall im Datum geirrt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die über seine Ehefrau geführte Akte des Staatssicherheitsdienstes weise so viele Ungereimtheiten auf, dass sich schon hieraus ergebe, dass seine Frau niemals als IM für die Staatssicherheit gearbeitet habe.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26.04.2007 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens in Form einer behördlichen Stellungnahme der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im folgenden BStU). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Schreiben der BStU vom 06.06.2007 (Bd. I, Bl. 256, 257) und auf die behördliche Stellungnahme vom 14.12.2007 (Bd. II, Bl. 1 bis 6) nebst Anlagen Bezug genommen.


II.

Die gemäß §§ 511, 517, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 1 bis 3 ZPO zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Der Kläger als Erbe und naher Angehöriger ist als Prozessstandschafter befugt, das postmortale Persönlichkeitsrecht seiner verstorbenen Ehefrau geltend zu machen (BGH NJW 1990, 1986, 1987). Beide Parteien haben durch ihr Prozessverhalten nach dem Tod der früheren Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie von einem Eintritt des Klägers als Prozessstandschafter anstelle seiner Ehefrau in den Rechtsstreit einvernehmlich ausgehen. Der Senat hat dementsprechend das Rubrum richtiggestellt. Ebenso hat die Beklagte gemäß § 267 ZPO in eine etwaige Klageänderung durch den Übergang von der Geltendmachung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu einer solchen des postmortalen Persönlichkeitsrechts eingewilligt.

2. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1 GG verlangen, dass diese es unterlässt, durch die beanstandeten Äußerungen den - zusammengefassten - Eindruck zu erwecken, Jenny Gröllmann habe wissentlich als IM mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet.

a) Eine dahingehende - unzutreffende - Behauptung stellt eine schwerwiegende Verletzung des nach dem Tod fortbestehenden sozialen und personalen Achtungsanspruches der Ehefrau des Klägers dar, der dem Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG unterfällt. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (S. 8, 9 des Urteils) wird Bezug genommen.

b) Ein Unterlassungsanspruch scheitert nicht deshalb, weil es sich bei dem Interview mit Ulrich Mühe um eine zulässige Verdachtsberichterstattung (vgl. BGH NJW 2000, 1036, 1037) handelte.

aa) Eine solche wäre gerechtfertigt, weil der Verdacht einer Stasi-Tätigkeit der sehr bekannten und beliebten Schauspielerin - auch nach ihrem Tod - eine die Öffentlichkeit berührende Angelegenheit ist und aufgrund der von der BStU herausgegebenen über Frau Gröllmann geführten IM-Akte ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt.

bb) Die Grenzen einer Verdachtsberichterstattung werden vorliegend jedoch überschritten, weil sich aus den Fragen und Sachverhaltsdarstellungen der Beklagten für den Leser der Eindruck ergibt, es stehe fest, dass Frau Gröllmann als IM tätig gewesen sei.

Die Formulierung des Interviewers «Der Zeitschrift Super-Illu liegt ein Gutachten vor.... nach FOCUS -Informationen kommt es zum Ergebnis: "Das vorliegende MfS-Schriftgut verschiedenster Provinienz weist Frau Jenny Gröllmann eindeutig als Inoffizielle Mitarbeiterin aus. " » lässt eine Distanzierung der Beklagten vom Inhalt des Gutachtens nicht erkennen. Eine solche wird auch nicht durch die lapidare Antwort Ulrich Mühes, wonach ein Richter entscheiden werde, zum Ausdruck gebracht. Welcher Aussagegehalt dieser Bemerkung zuzumessen wäre, kann dahinstehen. Denn der Interviewer lässt die Äußerung Mühes im Raum stehen, ohne sie zur Relativierung seiner eigenen Darstellung heranzuziehen.

Auch die weiteren Angaben der Beklagten zum Inhalt des Gutachtens unter Bezugnahme darauf, dass es von Mitarbeitern des Forschungsverbundes SED- Staat an der FU Berlin erstellt worden sei, kann der Leser nur so verstehen, dass die Beklagte sich die dortigen Feststellungen zu eigen macht. Dafür spricht zunächst die im Text vermittelte Herkunft des Gutachtens als Beleg für seine Seriosität und des weiteren die Mitteilung, dass es nach dem Gutachten "klar" sei,..., "dass sich Jenny Gröllmann regelmäßig mit ihrem Führungsoffizier getroffen hat, dass die Treffen in konspirativen Wohnungen stattfanden ...".

Die Beklagte stellt weder in einer Frage noch in einem Zwischentext dar, dass Frau Gröllmann eine Stasi-Mitarbeit vehement bestritten hat. Sie liefert auch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte, aus denen der Leser schließen könnte, dass eine vom zitierten Gutachten abweichende Beurteilung der Stasi-Akte möglich wäre.

Der unter der Überschrift des Interviews befindliche Satz, wonach Mühes "Ex-Frau" ihm verbiete, "über ihre IM-Akte zu sprechen" und die Erwähnung der gegen Herrn Mühe erwirkten einstweiligen Verfügung im weiteren Text machen entgegen der Ansicht der Beklagten nicht deutlich, dass die Stasi-Mitarbeit von Frau Gröllmann streitig ist, sondern nur, dass Frau Gröllmann ihrem geschiedenen Mann ein Redeverbot erteilt hat.

c) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass Frau Gröllmann gegen einen Bericht aus dem Jahr 2001 in der Zeitschrift Super-Illu nicht vorgegangen sei und damit zum Ausdruck gebracht habe, dass veröffentlicht werden dürfe, sie sei IM gewesen. Denn der damalige Artikel stellte eine zulässige Verdachtsberichterstattung dar. Es wurde berichtet, dass es "laut Akte" zu Treffen in konspirativen Wohnungen gekommen sei, dass "angeblich" Frau Gröllmann Tonbänder besprochen habe und dass Frau Gröllmann sämtliche Vorwürfe bestreite.

d) Eine Inanspruchnahme der Beklagten auf Unterlassung scheitert letztlich nicht dran, dass die beanstandeten Äußerungen im Rahmen eines Interviews getätigt wurden. Denn es geht vorliegend nicht um die Frage, ob der Beklagten Äußerungen des Interviewten zuzurechnen seien, weil sie sich mit diesen identifiziert habe (vgl. BGH AfP 1976, 75, 77, 78 - Panorama; OLG Hamburg AfP 1983, 412). Vielmehr hat die Beklagte gerade durch eigene Äußerungen des für sie auftretenden Interviewers Josef Seitz die IM-Tätigkeit der Frau Gröllmann als feststehende Tatsache vermittelt. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu 2.b) verwiesen werden.

e) Grundlage des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs ist die Behauptung der Beklagten, Frau Gröllmann sei IM des Staatssicherheitsdienstes gewesen. Allerdings hat der Kläger seinen Klageantrag so gestellt, dass die Erweckung/Verbreitung von entsprechenden Eindrücken untersagt werden solle. Dies ist grundsätzlich bei verdeckten Tatsachenbehauptungen angezeigt, bei denen der Leser erst aus dem Zusammenhang auf zugrunde liegende, nicht ausgesprochene Tatsachenbehauptungen schließen kann. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass bei der Feststellung solcher verdeckter Behauptungen Zurückhaltung angezeigt sei, um die Abwägung zwischen Ehrschutz und Äußerungsfreiheit nicht unzulässigerweise zu Lasten letzterer zu verschieben (vgl. BGH AfP 1994, 299, 301).

Im Streitfall liegen jedoch dem Anspruch nicht verdeckte, sondern offene Tatsachenbehauptungen zugrunde, wie aus den eingangs des Klageantrages zitierten "Aussagen" ersichtlich ist. Der Leser muss nicht "zwischen den Zeilen lesen", um aus den dort genannten Zitaten die sodann aufgeführten Eindrücke zu gewinnen.

Die ersten drei Äußerungen der Beklagten, die sich mit der IM-Akte der Frau Gröllmann und – in der dritten Äußerung - mit dem darüber erstellten Gutachten befassen, führen zu dem erstgenannten Eindruck, Frau Gröllmann habe für den Staatssicherheitsdienst als IM gearbeitet. Die Äußerungen zwei bis vier beschreiben eine wissentliche Mitwirkung der Frau Gröllmann als Grundlage der über sie vorhandenen Stasi-Akte (zweiter Eindruck). Die vierte Äußerung beinhaltet, dass Frau Gröllmann "ihren" Führungsoffizier als solchen gekannt habe und sich mit diesem in konspirativen Wohnungen getroffen habe, was sie ebenfalls erkannt habe (dritter und vierter Eindruck).

f) Die allen Äußerungen zugrunde liegende Behauptung einer IM-Tätigkeit der Frau Gröllmann, d.h. einer wissentlichen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR, ist geeignet, das Ansehen der Betroffenen herabzuwürdigen, so dass nach der in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB die Beklagte darlegen und beweisen muss, dass ihre Behauptung zutreffend ist. Dies ist ihr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht gelungen.

aa) Zwar ergeben sich aus der Existenz der umfangreichen IM-Akte gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass Frau Gröllmann mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet hat. Die Akte beweist dies jedoch nicht. Sie genügt auch nicht, um die Beweislast zu Gunsten der Beklagten umzukehren.

bb) Denn tatsächliche Umstände begründen Zweifel an der Richtigkeit der dort festgehaltenen Anwerbung der Frau Gröllmann und ihrer anschließenden IM-Tätigkeit: Eine schriftliche Verpflichtungserklärung Frau Gröllmanns existiert nicht. Es findet sich in der gesamten Akte auch kein anderes von Frau Gröllmann selbst erstelltes oder unterzeichnetes Schriftstück: Von den 15 Treffberichten, die der - allein - aktenführende Offizier Menge erstellt hat, können fünf wegen der Überschneidungen mit Theaterauftritten Frau Gröllmanns nicht zutreffend sein, ohne dass die Beklagte eine plausible Erklärung hierfür geben könnte. Herr Menge stellt zudem nunmehr in Abrede, dass Frau Gröllmann der Stasi wissentlich zugearbeitet habe.

cc) Auch das von der Beklagten vorgelegte Gutachten des Forschungsverbundes SED-Staat der FU Berlin vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Hierbei handelt es sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht um eine öffentliche Urkunde i.S.d. §§ 415, 418 ZPO, die den Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen erbringen könnte. Vielmehr haben die Mitarbeiter Dr. Staadt und Voigt des Forschungsverbundes auf einen offenbar von der Zeitschrift Super-Illu erteilten Auftrag hin, ein (Privat-) Gutachten erstellt, auf das die Beklagte allein im Rahmen ihres Parteivortrages Bezug nehmen kann.

g) Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme durch Einholung einer behördlichen Stellungnahme der BStU zu der Beweisfrage, ob Frau Jenny Gröllmann mit der Stasi als IM zusammengearbeitet habe, bzw. ob dies jedenfalls aufgrund des Inhaltes der Akte der Stasi für die IM "Grille/Jeanne" als feststehend angesehen werden müsse, hat den danach von der Beklagten zu führenden Wahrheitsbeweis nicht erbracht.

Bereits in dem vorab übersandten Hinweis vom 06.06.2007 hat die Behörde darauf hingewiesen, dass es nicht in ihren Aufgabenbereich falle festzustellen, ob jemand tatsächlich inoffizieller Mitarbeiter gewesen sei. Für die BStU komme es allein auf die Sichtweise des Staatssicherheitsdienstes an, so dass für die Einstufung als IM es ausreichend sei, wenn sich aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes die wissentlich-willentliche Informationslieferung einer Person an das MfS zweifelsfrei ergebe.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die bei Frau Gröllmann praktizierte Verfahrensweise zur Anwerbung als IM den Regularien der hierfür geltenden Richtlinie 1/79 entsprochen habe. Nach dem Inhalt der von der BStU herausgegebenen Stasi-Akten(¬-bestandteile) habe Frau Gröllmann wissentlich und willentlich Informationen geliefert und sei deshalb als IM einzustufen. Diese Einordnung beruhe allerdings allein auf der Aktenlage. Eine inhaltliche Bewertung der Unterlagen oder eine verbindliche Wahrheitsfeststellung sei hiermit nicht verbunden. Die Aktenführung weise keine Besonderheiten auf. Nach den Erfahrungen der BStU stellten die Verfahrensweise und Aktenführung nichts Außergewöhnliches dar, Anhaltspunkte für Fälschungen seien aus der Akte nicht ersichtlich.

Dass fünf in der IM-Akte aufgeführte Treffen wegen gleichzeitiger Auftritte der Frau Gröllmann im Maxim-Gorki-Theater nicht zu den angegebenen Zeiten stattgefunden haben können, bewertet die BStU in ihrem Gutachten nicht. Hierzu führt dies BStU in ihrem Schreiben vom 06.06.2007 aus, dass sie mögliche Diskrepanzen zwischen dem Akteninhalt und den tatsächlichen Gegebenheiten aufgrund des ihr nach dem StUG erteilten beschränkten Auftrages weder analysieren noch bewerten dürfe.

Aus der behördlichen Stellungnahme ergibt sich danach zwar, dass aus dem Fehlen einer schriftlichen Verpflichtungserklärung kein Rückschluss darauf gezogen werden kann, dass Frau Gröllmann nicht als IM tätig war. Ferner hat der Senat aufgrund der Erfahrungen der Behörde mit der Auswertung von Akten des Staatssicherheitsdienstes trotz der Ausführungen des Klägers zu den seiner Ansicht nach doch bestehenden Ungereimtheiten keine Zweifel daran, dass aus der Akte selbst sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese Fälschungen enthält. Diese Feststellungen genügen jedoch nicht, um eine tatsächliche IM-Tätigkeit der Frau Gröllmann zu beweisen.

Nach den von der BStU anzulegenden archivischen Maßstäben war Frau Gröllmann zwar IM. Hieraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass sie tatsächlich IM war, wie die BStU in ihrem Hinweis vom 06.06.2007 selbst darlegt. Die im Gutachten der BStU und dem genannten Schreiben zum Ausdruck gekommene Beschränkung der Feststellungen entspricht § 37 Abs. 1 Nr. 2 StUG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Danach überprüft die BStU nicht die Wahrheit der Stasiunterlagen, sondern nur, ob sich aus den Unterlagen selbst Zweifel an deren Richtigkeit ergeben. Die BStU nimmt nur eine formale Bewertung der Unterlagen vor. Eine Feststellung, jemand sei tatsächlich inoffizieller Mitarbeiter gewesen, folgt hieraus nicht (VG Berlin NJ 95, 159, 160).

Bei der Bewertung des Beweisergebnisses müssen dieselben für den Kläger streitenden, außerhalb der Akte liegenden Umstände berücksichtigt werden, die bereits bei der Frage einer Beweislastumkehr von Bedeutung waren. Die hierdurch hervorgerufenen Zweifel an der Richtigkeit der in der Akte dargestellten Anwerbung der Frau Gröllmann und ihrer anschließenden IM-Tätigkeit, d.h. der Lieferung von Informationen an den Führungsoffizier Menge bei Treffen in konspirativen Wohnungen, sind so erheblich, dass der Wahrheitsbeweis trotz der in sich schlüssigen Stasi-Akte als nicht erbracht anzusehen ist.

Dabei mag es für die jetzigen Äußerungen des damaligen Stasi-Offiziers Menge unterschiedliche Motive geben. Im Hinblick darauf, dass er allein die gesamt IM-Akte geführt hat, kann jedoch seine heutige Darstellung bei der Bewertung des Akteninhalts nicht mit der durch keine Tatsachen belegten Einschätzung abgetan werden, es handele sich um eine Schutzbehauptung. Es hätte der beweisbelasteten Beklagten frei gestanden, sich auf das Zeugnis des Herrn Menge zu berufen. Wenn sie hiervon keinen Gebrauch macht, bleibt es bei den durch die öffentlichen Äußerungen des Herrn Menge begründeten Zweifel an einer IM-Tätigkeit der Frau Gröllmann. Entsprechendes gilt für die Zweifel am Akteninhalt, die durch die jedenfalls zeitlich nicht zutreffenden Berichte über Treffen mit Frau Gröllmann hervorgerufen wurden. Hierzu hat die Beweisaufnahme aufgrund der auf eine archivische Bearbeitung der Unterlagen beschränkten Befugnisse der BStU keine Erkenntnisse erbracht. Ob die weiteren MfS-Mitarbeiter, die laut Gutachten der BStU Einsicht in die Akte genommen hätten Unrichtigkeiten hätten feststellen müssen, ergibt sich aus dem Gutachten ebenfalls nicht. Soweit das von der Beklagten eingeführte Gutachten des Forschungsverbundes SED-Staat aus der Einsichtnahme weiterer MfS-Mitarbeiter in die Akte zu dem Schluss kommt, dass es sich um keine Komplettfälschung handeln könne, kann dies zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden. Denn auch die Klägerin räumt ein, sie habe zweimal Kontakt zu dem ihr als Kriminalbeamter Holm bekannten Menge gehabt. In Rede steht also nicht eine Komplettfälschung, sondern die Frage, ob die Klägerin wissentlich dem Staatssicherheitsdienst bei Treffen in konspirativen Wohnungen Informationen hat zukommen lassen oder ob sie von einem ihr - nur - als Kriminalbeamten bekannten Stasi-Offizier "abgeschöpft" wurde. Letzteres kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.

h) Die Beklagte war danach nicht berechtigt, eine - wissentliche - IM-Tätigkeit der Frau Gröllmann und damit zusammenhängende Treffen in konspirativen Wohnungen mit einem ihr als solchen bekannten Führungsoffizier als feststehende Tatsache und nicht nur als Verdacht im Rahmen des Interviews darzustellen.

i) Die für den Unterlassungsanspruch des Klägers weiter erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund der eingetretenen Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts seiner verstorbenen Ehefrau vermutet.

j) Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 709 ZPO.

k) Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich, § 543 Abs. 2 ZPO.


Neuhaus

RiKG Thiel ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert
Neuhaus

Busse

Vorinstanzen

LG Berlin, 27 O 701/06

Rechtsgebiete

Presserecht