Störereigenschaft des Nachbarn bei Feuerschäden

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

11. 06. 1999


Aktenzeichen

V ZR 377/98


Leitsatz des Gerichts

  1. Störer ist auch der Eigentümer eines Hauses, das infolge eines technischen Defektes an elektrischen Leitungen oder Geräten in Brand gerät und das Nachbargrundstück beschädigt.
  2. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB steht jedenfalls dann einem Schadensersatzanspruch im Sinne des § 1 AHB gleich, wenn die Einwirkung zu einer Substanzschädigung geführt hat.

Tatbestand


Tatbestand:

Am Morgen des 3. Januar 1996 brach in der Diele des Wohnhauses des Beklagten ein Brand aus, dessen Ursache unaufgeklärt blieb. Auszuscheiden sind allerdings Naturgewalten sowie eine vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung Dritter. Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Auf dem Nachbargrundstück befindet sich das reetgedeckte Fachwerkhaus des bei der Klägerin versicherten Eigentümers V. . Dieser meldete bei der Klägerin Schäden an seinem Haus an, die nach seiner Darstellung durch das Feuer entstanden sind. Die Klägerin leistete dafür eine Entschädigung in Höhe von 17.610,69 DM.

Diesen Betrag macht die Klägerin aus übergegangenem Recht unter dem Gesichtspunkt eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs geltend. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat ein diese Entscheidung bestätigendes Grundurteil erlassen. Dagegen richtet sich die - zugelassene - Revision, mit der der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hält die Voraussetzungen eines verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 BGB für gegeben. Der durch die Brandeinwirkungen geschädigte Versicherungsnehmer sei aus tatsächlichen Gründen gehindert gewesen, einen ihm zustehenden Abwehranspruch gegen den Beklagten durchzusetzen. Die Störereigenschaft des Beklagten folge daraus, daß die durch den Brand verursachten Beeinträchtigungen wenigstens mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen seien. Der Brand könne nur auf einem technischen Defekt in elektrischen Anlagen oder Geräten seines Hauses beruhen, wofür er die Verantwortung trage.

Dem geltend gemachten Anspruch stehe auch nicht das Regreßverzichtsabkommen der Feuerversicherer (RVA) entgegen. Die Voraussetzungen für einen Regreßverzicht seien nicht gegeben. Es könne dahingestellt bleiben, ob ein Regreßverzicht - unabhängig von der Höhe der Regreßforderung - immer dann anzunehmen sei, wenn das der Regreßforderung zugrunde liegende Risiko nicht Gegenstand einer Haftpflichtversicherung sein könne; denn der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch stelle einen - versicherbaren - Schadensersatzanspruch im Sinne von § 1 Nr. 1 AHB dar.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.

1. Zu Recht bejaht das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines auf die Klägerin übergegangenen ( § 67 VVG) nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere des Senats, ist ein solcher auf einen angemessenen Ausgleich in Geld gerichteter Anspruch gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (vgl. BGHZ 48, 98, 101; 72, 289, 291; 85, 375, 384; 90, 255, 262; Senatsurt. v. 4. Juli 1997, V ZR 48/96, NJW-RR 1997, 1374). Auch die Revision stellt nicht in Frage, daß danach ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Beeinträchtigung in Betracht kommt, die infolge faktischen Duldungszwangs nicht rechtzeitig verhindert werden konnte (vgl. dazu Erman/Hagen, BGB, 9. Aufl., § 906 Rdn. 29). Sie meint jedoch, der Anspruch scheitere vorliegend daran, daß der Beklagte nicht als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB auf Unterlassung habe in Anspruch genommen werden können. Das geht fehl.

a) Ohne Erfolg wendet sie sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Brand könne nur auf einem technischen Defekt in elektrischen Anlagen oder Geräten beruhen. Das Berufungsgericht hat diesen Schluß in der Weise gezogen, daß es alle anderen theoretisch in Betracht kommenden Ursachen ausgeschlossen hat. An diese tatrichterliche Würdigung ist der Senat gebunden. Entgegen der Auffassung der Revision ist dieser Schluß nicht denkgesetzwidrig. Er steht nicht im Gegensatz zu der gleichfalls getroffenen Feststellung, daß die Ursache des Brandes nicht habe aufgeklärt werden können. Diese Feststellung bezieht sich ersichtlich nur auf die Bemühungen der mit der Untersuchung des Brandes befaßten Personen. Sie hindert das Berufungsgericht nicht, eigene Schlüsse zu ziehen und von verschiedenen theoretisch denkbaren Möglichkeiten einzelne auszuschließen und sich von den verbliebenen die Gewißheit ihrer Ursächlichkeit zu verschaffen, und zwar selbst dann, wenn hierauf hindeutende konkrete Hinweise ebenfalls fehlen. Der Tatrichter muß nicht alle denkbaren Ursachen als logisch gleichermaßen möglich ansehen und - wie die Revision meint - bei fehlenden Anhaltspunkten von einer Nichtaufklärbarkeit ausgehen. Er ist - im Rahmen der konkreten Umstände - frei in seiner Wertung. Daß das Berufungsgericht im vorliegenden Fall denkbare Möglichkeiten völlig außer Betracht gelassen oder die von ihm ausgeschlossenen Ursachen aus Gründen verneint hat, die von den übrigen Feststellungen nicht getragen werden, zeigt die Revision nicht auf.

b) Entgegen der Auffassung der Revision ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht, ausgehend von einem Defekt an elektrischen Leitungen oder Geräten, den Beklagten als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB angesehen hat. Allerdings begründet der bloße Umstand des Eigentums an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, nicht die Störereigenschaft; die Beeinträchtigung muß wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen (BGHZ 28, 110, 111; 90, 255, 266; 122, 283, 284; Senat, Urt. v. 7. Juli 1995, V ZR 213/94, NJW 1995, 2633, 2634). Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt und die Verantwortlichkeit des Beklagten nach dieser Maßgabe zutreffend bejaht.

Die Frage, ob der Eigentümer eines Grundstücks für hiervon ausgehende Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks als Störer in Anspruch genommen werden kann, läßt sich nicht begrifflich klären, sondern kann nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall beantwortet werden (Senat, Urt. v. 7. Juli 1995, V ZR 213/94, NJW 1995, 2633, 2634, "Wolläuse"; kritisch dazu Herrmann, NJW 1997, 153). Danach spricht zwar gegen die Annahme der Störereigenschaft, daß der Beklagte sich als Eigentümer im Rahmen bestimmungsgemäßer Nutzung seines Grundstücks gehalten hat (vgl. dazu Senat, BGHZ 114, 183, 188; 122, 283, 285). Eine solche Sachlage schließt die Haftung jedoch nicht generell aus. Wie die Rechtsprechung des Senats zum Eindringen von Wasser infolge eines Wasserrohrbruchs im Duschraum des Nachbarn (Urt. v. 19. April 1985, V ZR 33/84, WM 1985, 1041) oder von Baumwurzeln in Abwasserleitungen des Nachbargrundstücks zeigt, kann auch bei nicht gefahrgeneigter, bestimmungsgemäßer Nutzung des eigenen Grundstücks eine Haftung nach § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wenn Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks zu besorgen oder eingetreten sind (BGHZ 97, 231; 106, 142). Entscheidend ist, ob es Sachgründe dafür gibt, auch in solchen Fällen die Verantwortung dem Eigentümer des Grundstücks aufzuerlegen, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen. Beim Eindringen von Wasser oder Übergreifen von Baumwurzeln hat der Senat dies aus dem normierten Recht des Nachbarn abgeleitet, die Beeinträchtigung seines Grundstücks abzuwehren (§§ 836, 907 ff BGB). Im hier vorliegenden Fall des drohenden Brandübergriffs ist ein solches Abwehrrecht des Nachbarn aus folgenden Gründen ebenfalls zu bejahen. Der Brand war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (wie im Fall der Wolläuse) Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses. Er stellte damit kein allgemeines Risiko dar, das sich - wie etwa ein Blitzschlag - ebensogut bei dem Haus des Nachbarn wie bei dem des Beklagten hätte verwirklichen können und dessen Auswirkungen von dem jeweils Betroffenen selbst zu tragen sind. Er beruhte vielmehr auf Umständen, auf die grundsätzlich der Beklagte, und nur dieser, Einfluß nehmen konnte, wenn konkret auch kein Anlaß für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben mag. Bricht in einem solchen Fall auf dem Grundstück ein Brand aus, ist es seine Sache, auch zur Verhinderung einer Ausweitung, für eine Eindämmung und Behebung zu sorgen. Greift der Brand über, kann der betroffene Nachbar Maßnahmen zur Abwehr, selbst unter Inkaufnahme der Beschädigung des Hauses, von dem der Brand ausgeht, treffen ( § 228 BGB). Es ist daher gerechtfertigt, den Beklagten vorliegend als Störer im Sinne des § 1004 BGB anzusehen.

c) Daß der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 BGB nicht zu dem geltend gemachten vollen Ersatz des Schadens führen muß, sondern - worauf die Revision hinweist - eine angemessene Entschädigung in Geld nach den Grundsätzen über die Enteignungsentschädigung zur Folge hat (vgl. Senat, BGHZ 90, 255, 263; Urt. v. 18. November 1994, V ZR 98/93, NJW 1995, 714, 715, jeweils mit weiteren Nachweisen), steht dem angefochtenen Grundurteil nicht entgegen. Besteht die Einwirkung nämlich - wie hier - in einer Substanzschädigung, so kann der Entschädigungsanspruch durchaus auf vollen Schadensersatz gehen (Senatsurt. v. 4. Juli 1997, V ZR 48/96, NJW-RR 1997, 1374).

2. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht infolge eines Regreßverzichts aufgrund des Regreßverzichtsabkommens der Feuerversicherer bei übergreifenden Schadensereignissen ausgeschlossen (RVA, abgedruckt in den Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen 1978, 137).

Ein Regreßverzicht scheidet schon deswegen aus, weil die untere Grenze der Regreßforderung von 100.000 DM nicht erreicht ist (Nr. 6 a RVA). Es liegt auch - wie das Berufungsgericht ausgeführt hat - kein Fall einer Erweiterung des Regreßverzichts über die untere Begrenzung hinaus vor (Nr. 6 b RVA).

Ob - wie das Berufungsgericht erwogen hat - das Regreßverzichtsabkommen über die darin geregelten Fälle hinaus ergänzend dahin ausgelegt werden kann, daß von einem Regreßverzicht auch dann auszugehen ist, wenn der Versicherungsnehmer nicht in der Lage ist, sich gegen durch Feuer an fremden Sachen entstandene Schäden zu versichern, kann dahingestellt bleiben. Entgegen der Auffassung der Revision ist dem Berufungsgericht nämlich insoweit beizupflichten, als es das Risiko, aus einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 BGB in Anspruch genommen zu werden, für von einer Haftpflichtversicherung gedeckt ansieht.

Diese in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage (zum Streitstand vgl. Späte, Haftpflichtversicherung, 1993, § 1 AHB Rdn. 167) beurteilt sich danach, ob der Schuldner eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs "aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird" (§ 1 Nr. 1 AHB). Die Frage, die sich darauf konzentriert, ob der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ein Schadensersatzanspruch im Sinne des § 1 Nr. 1 AHB ist, ist - jedenfalls für Fälle der hier vorliegenden Art - zu bejahen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestimmt sich der Inhalt und Umfang des Anspruchs nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung (BGHZ 85, 375, 386; 90, 255, 263, jew.m.w.N.). Wie bei einem öffentlich-rechtlichen Enteignungs- oder Aufopferungsanspruch auf der Grundlage der §§ 74, 75 Einl. ALR, für den eine Behandlung als Schadensersatzanspruch im Sinne des § 1 AHB ganz überwiegend anerkannt ist (vgl. Wussow, AHB, 8. Aufl., § 1 Anm. 76, 78; Fauth, VersR 1964, 370; Syreé, VersR 1973, 116, 117), geht es dabei um einen für das Schadensersatzrecht charakteristischen Ausgleich für die durch die Beeinträchtigungen des Eigentums erlittenen Einbußen. In dem Fall einer rechtswidrigen, an sich zur Abwehr berechtigenden Beeinträchtigung, die der Betroffene aus faktischen Gründen nicht hat verhindern können, steht der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch einem Schadensersatzanspruch im engeren Sinne vor allem dann besonders nahe, wenn der Entschädigungsanspruch - wie hier - auf vollen Schadensersatz (vgl. Senat, Urt. v. 4. Juli 1997, NJW-RR 1997, 1374 m.w.N.) gehen kann. Er erfaßt dann die Beseitigungskosten ebenso wie einen verbleibenden Minderwert (Senat aaO). Dies rechtfertigt die Anwendung des § 1 AHB (ebenso Wussow aaO; Syreé aaO; wohl auch Sieg, VersR 1984, 1105, 1106; einschränkend Späte Rdn. 167, a.A. LG Stuttgart, VersR 1964, 156, begrifflich argumentierend; Fauth, VersR 1964, 370, verkennend, daß der Gedanke des Interessenausgleichs nicht im Gegensatz zur Funktion des Schadensersatzrechts steht).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO

Vorinstanzen

OLG Schleswig
LG Kiel

Rechtsgebiete

Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB §§ 906 Abs. 2 Satz 2, 1004; AHB § 1