Pressevertrieb: keine Störerhaftung, keine Begehungsgefahr

Gericht

LG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

03. 04. 2008


Aktenzeichen

2-03 O 188/07


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kläger wurde bereits mehrfach wegen Tötungsdelikten - zuletzt im Jahre 1983 wegen Mordes - verurteilt und verbüßt derzeit eine lebenslange Freiheitsstrafe. In diesem Rechtsstreit wehrt er sich gegen die Verbreitung des Magazins ... vom Dezember 2006 durch die Beklagte, soweit darin über von ihm begangene Straftaten unter Namensnennung und mit Foto berichtet wird.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Pressegroßhändlerin ... . In ihrem Vertriebsgebiet beliefert die Beklagte ... täglich ... . Ihr Sortiment umfasst etwa ... Titel. Auf Bestellung liefert die Beklagte auch vergriffene Hefte nach (Apartbestellungen). Dabei kann das bestellte, vergriffene Heft nicht nur beim Verlag, sondern auch bei einem anderen Großhändler, der in einem anderen Gebiet tätig ist, besorgt werden. Der Umfang der Apartbestellungen ist marginal. Selbst bei relativ hochwertigen und "langlebigen" Zeitschriften kommt es üblicherweise höchstens zu ein bis zwei Apartbestellungen pro Heftfolge.

In der ... erschien unter dem Titel ... ein Artikel über den Kläger mit voller Namensnennung und Bildern. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 58 bis 63 der Akte verwiesen. Dieses Magazin lieferte die Beklagte regulär zu Beginn des Erscheinungszeitraums ... an den Einzelhandel aus.

Nach Abmahnung durch den Kläger gaben der Verlag, die Redaktion und der Autor des angegriffenen Artikels am 28.11.2006 strafbewehrte Unterlassungserklärungen ab (Bl. 11 der Beiakte).

Am ... übersandte der bei der Beklagten tätige ... eine E-Mail an vier Mitarbeiter der Beklagten. In dieser E-Mail wurden die Adressaten aufgefordert, "wegen eines anhängigen Rechtsstreits" "ab sofort keine Nachlieferungen" von ... mehr auszuführen.

Ebenfalls am ... (Bl. 8 der Beiakte) mahnte der Kläger die Beklagte ab und verlangte die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Hierauf reagierte die Beklagte nicht.

Tatsächlich lieferte die Beklagte seit Zugang der Abmahnung vom ... keine Exemplare ... vom Dezember 2006 mehr aus. Am ... (Abholtag) rief sie das Heft wegen des Erscheinens des Folgeheftes beim Einzelhandel zur Remission auf. Mit Ausnahme eines Exemplars, das die Beklagte im Hinblick auf den Rechtsstreit mit dem Kläger behielt, vernichtete sie die zurückgegebenen Hefte wie üblich.

Mit Beschluss vom 05.12.2006 (...) verbot das Landgericht Frankfurt am Main der Beklagten auf Antrag des Klägers im Wege der einstweiligen Verfügung den Vertrieb von Druckwerken, insbesondere des ... vom Dezember 2006, soweit diese

  1. über den Kläger bei voller Namensnennung im Zusammenhang mit den von dem Kläger begangenen Straftaten wie aus der Anlage K 1 (Bl. 58ff.) ersichtlich berichten; und/oder

  2. ohne Zustimmung des Klägers Bildnisse des Klägers im Rahmen von Berichterstattung über die vom Kläger begangenen Straftaten - wie aus Anlage K1 (Bl. 58ff.) ersichtlich - oder im Zusammenhang damit veröffentlichen.

Nach Widerspruch der Beklagten bestätigte das Landgericht die einstweilige Verfügung, soweit sich der Verbotstenor auf das ... vom Dezember 2006 bezog, hob die einstweilige Verfügung im Übrigen auf und wies den auf ihren Erlass gerichteten Antrag insoweit zurück.

Auf die Berufung der Beklagten hob das Oberlandesgericht mit Urteil vom 30.10.2007 (...) die Beschlussverfügung auch in ihrem bestätigten Umfang auf und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch insoweit zurück.

Der Kläger meint, die beanstandete Berichterstattung sei unzulässig, weil sie den Kläger identifiziere. Die Beklagte sei Störerin, weil mit dem Zugang der Abmahnung ihre Prüfpflicht entstanden sei. Dann könne nur eine strafbewehrte Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigen, die sich aus der Störereigenschaft der Beklagten ergebe. Ansonsten würde der Kläger rechtlos gestellt.

Der Kläger beantragt,

der Beklagten bei Vermeidung eines in jedem Falle der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zum Betrag von € 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, bis zu sechs Monaten, zu untersagen,
das ... vom Dezember 2006 zu vertreiben, soweit dieses

  1. über den Kläger unter voller Namensnennung im Zusammenhang mit den vom Kläger begangenen Straftaten wie aus Anlage K 1 ersichtlich berichtet; und/oder

  2. ohne Zustimmung des Klägers Bildnisse des Klägers im Rahmen von Berichterstattung über die vom Kläger begangenen Straftaten - wie aus Anlage K1 ersichtlich - oder im Zusammenhang damit veröffentlicht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers durch die beanstandete Berichterstattung liege nicht vor. Außerdem sei die Beklagte nicht Störerin, da erst mit der Abmahnung ihre Prüfpflicht entstanden sei. Da sie nach dem Zugang der Abmahnung keine Hefte mehr ausgeliefert habe, sei keine Wiederholungsgefahr indiziert. Anhaltspunkte für eine Erstbegehungsgefahr lägen nicht vor.

Mit Beschluss vom 17.09.2007 hat die Kammer dem Kläger Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt.

Die Akten des Landgerichts Frankfurt am Main zum ... (Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ...) waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 1004 (analog) BGB i.V.m. § 22 KUG, Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG wegen der Berichterstattung in ... vom Dezember 2006. Denn unabhängig davon, ob die angegriffene Veröffentlichung den Kläger rechtswidrig in seinen Rechten verletzt (vgl. hierzu OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.10.2007, ...), ist die Beklagte für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht passiv legitimiert.

Eine Inanspruchnahme der Beklagten als Gehilfe kommt nicht in Betracht. Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der Zuwiderhandlung Hilfe leistet (Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Auflage 2007, § 8 UWG Rdn. 2.6). Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei der Auslieferung des ... mit dem Artikel über den Kläger Kenntnis von dem Bericht hatte, liegen nicht vor.

Zur Unterlassung verpflichtet ist weiter der Störer. Störer ist, wer - auch ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsgutes beiträgt. Hat die Beeinträchtigung ihre unmittelbare Ursache im Verhalten Dritter, ist zusätzlich die Verletzung von Prüfungspflichten erforderlich. Der Umfang der Prüfungspflichten bestimmt sich allgemein danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist und inwieweit der Handelnde zu der Rechtsverletzung beiträgt (vgl. nur BGH GRUR 2001, 1038, 1039 - "ambiente.de"; BGH NJW 2004, 3102, juris-Rdn. 49). Dabei ist darauf zu achten, dass die Arbeit des als Störer in Anspruch Genommenen nicht über Gebühr erschwert und die Verantwortlichen nicht überfordert werden dürfen. Von einem Grossisten kann nicht verlangt werden, sämtliche von ihm vertriebenen Presseerzeugnisse einschließlich der Tagespresse auf rechtswidrige Beiträge hin zu überprüfen (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.10.2007, Az. 11 U 9/07).

Demnach begründet die Auslieferung ... vor der Abmahnung am 29.11.2006 wegen fehlender Prüfpflicht keine Störerhaftung der Beklagten.

Mit Zugang der Abmahnung entstand zwar eine Prüfpflicht der Beklagten. Sie lieferte jedoch seitdem keine Zeitschriften mit dem beanstandeten Inhalt mehr aus, so dass ein Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr nicht in Betracht kommt.

Auch eine Erstbegehungsgefahr liegt nicht vor (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.10.2007, Az. 11 U 9/07). Hierfür muss der Kläger die tatsächlichen Umstände, die eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr erstmaliger Begehung begründen, im Einzelnen darlegen und gegebenenfalls beweisen (Bornkamm in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 8 UWG Rdn. 1.17). An solchen Umständen fehlt es im vorliegenden Fall:

Auch nach der erklärten Auffassung des Klägers zielt die Beklagte nicht darauf ab, ... mit dem vom Kläger beanstandeten Artikel zu vertreiben. Damit kommt eine Erstbegehungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Berühmung einer Rechtsposition nicht in Betracht.

Sonstige Anhaltspunkte für eine drohende Verletzungshandlung durch die Beklagte sind nicht ersichtlich. Der Verkaufszeitraum für die Ausgabe ... des ... endete zum 07.12.2006. Die Beklagte selbst besitzt nur noch ein einziges Exemplar dieser Ausgabe, das sie lediglich im Hinblick auf diesen Rechtsstreit behalten hat.

Soweit der Kläger sich zur Begründung der Erstbegehungsgefahr darauf beruft, die Beklagte liefere Nachbestellungen aus und könne sich das Heft mit dem beanstandeten Artikel nicht nur vom Verlag, sondern auch von anderen Großhändlern besorgen, überzeugt dies nicht. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine abstrakte, fern liegende Gefahr, keineswegs aber um die für die Begründung der Erstbegehungsgefahr erforderliche ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr. Dies ergibt sich zunächst aus dem marginalen Umfang der Apartbestellungen, die die Beklagte ausführt. Die Apartbestellungen haben für die Beklagte damit keinerlei wirtschaftliche Bedeutung. Darüber hinaus ist seit dem Erscheinen des Heftes mit dem beanstandeten Artikel ... mittlerweile geraume Zeit vergangen, was das Interesse der Leser an dem Heft - und im Übrigen auch die Möglichkeit, dass die Beklagte das Heft von anderen Großhändlern besorgen könnte - sehr unwahrscheinlich macht.

Schließlich überzeugt auch das Argument des Klägers nicht, dass ihm der Rechtsschutz verweigert würde, wenn die Beklagte trotz Abmahnung und fest stehender Rechtsverletzung erst bei einem weiteren Verstoß nach Abmahnung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verpflichtet wäre. Denn falls - wie hier - die Erstbegehungsgefahr fehlt, ist die Beklagte nicht anders zu behandeln als jeder beliebige Dritte. Die Abmahnung bewirkt allein, dass der Beklagten nunmehr eine Prüfpflicht obliegt, soweit die Abmahnung reicht.

Die vom Kläger zur Begründung seiner Argumentation zitierten Urteile betreffen sämtlich andere Fallgestaltungen und sind damit auf den dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht übertragbar.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 123,709 ZPO.


Dr. Kurth
Zöller-Mirbach
Dr. Burckhardt

Rechtsgebiete

Vertriebsrecht