Überfall in Sittensen

Gericht

Dt. Presserat


Art der Entscheidung

Entscheidung


Datum

11. 03. 2008


Aktenzeichen

BK1-228, 229 + 230/07


Tatbestand


A. Zusammenfassung des Sachverhalts

Unter der Überschrift ,,'Böse Menschen waren da'“ berichtet der FOCUS in der Ausgabe Nr. 34/2007 über den Aufsehen erregenden Raubüberfall auf ein chinesisches Restaurant in Sittensen, bei dem die gesamte Belegschaft (sieben Personen) ermordet worden war. Die Ermittlungen der Polizei werden detailliert wiedergegeben, es werden Fotos vom Tatort, den beiden Angeklagten sowie den Leichen abgebildet. Zum Abschluss des Artikels werden außerdem mit namentlicher Nennung Porträtfotos von den sieben Personen abgebildet, die ermordet wurden.

Der Beschwerdeführer in Fall BK1-228/07 ist der Ansicht, dass die Berichterstattung, die bildliche Darstellung en detail und deren gebetsmühlenartige Wiederholung einschließlich der Tatumstände die Ehre der Opfer und auch das Empfinden des normalen Lesers verletze.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers im Fall BK1-229/07 verstößt die Berichterstattung gegen die Ziffern 1, 4, 9 und 11 des Pressekodex. Die Veröffentlichung der Bilder verstoße gegen die Menschenwürde. Da es sich offenbar um Tatortfotos aus der Tatnacht handele, die der Presse allgemein nicht zugänglich seien, bestehe der dringende Verdacht, dass die Bilder auf nicht korrekte bzw. nicht legale Art beschafft worden seien. Die Veröffentlichung derartiger Fotos diene nicht der erläuternden Ergänzung des Wortbeitrages, sondern verletze die Ehre der Opfer und ihrer Angehörigen. Sie würde außerdem eine üble Art von Sensationsberichterstattung darstellen.

Der Beschwerdeführer im Fall BK1-230/07 moniert, dass die abgebildeten Fotos vom Tatort aus der Tatnacht nicht die Wahrung der Menschenwürde (Ziffer 1) beachten würde. Diese gelte auch für tote Menschen und für die Erinnerung an sie. Der Beschwerdeführer fragt, ob Ziffer 4 verletzt worden sei, da die Fotos auf den Seiten 42ff. und 64ff. nicht mit Herkunftsangabe versehen seien. Außerdem würden die Bilder auch Ziffer 9 betreffen, da sie mit unangemessenen Darstellungen Menschen in ihrer Ehre verletzten. Auch eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid liege vor (Ziffer 11).

Für den Chefredakteur des FOCUS geht es in den Beschwerden um die Frage, wie die Informationsaufgabe der Presse bei Unglücksfällen oder schweren Verbrechen so erfüllt werden kann, dass die Würde der Opfer gewahrt bleibt. Seiner Ansicht nach sei die beanstandete Berichterstattung weder unangemessen sensationell noch als Verstoß gegen die Würde der Verstorbenen anzusehen. Es habe sich um eines der größten Verbrechen gehandelt, das in Deutschland jemals geschehen sei. FOCUS habe darüber nach wochenlangen intensiven Recherchen sehr umfangreich berichtet. Insbesondere sei es darum gegangen, die Zufälligkeit und kalte Banalität des Verbrechens darzustellen. Den Opfern, deren Biografien ausgelöscht schienen, sollte ihre Geschichte zurückgegeben werden. Außerdem sollte ein Einblick in das Leben dieser Bevölkerungsgruppe gegeben werden, dies sei ohne Personalisierung nicht möglich. Der Beitrag respektiere die Würde der Toten. Er berichte von ihrem Leben, rekonstruiere ihr Schicksal und versuche gerade dadurch, das Ausmaß des Verbrechens zu verdeutlichen.

Die Fotos würden ebenso wie der Text ruhig und sachlich präsentiert. Die in Frage stehenden Fotos seien bewusst klein gehalten und in die Gesamtstruktur des Artikels eingebettet. In einem Fall sei das Gesicht eines der Verstorbenen nach Art eines Porträtfotos abgebildet, weil dies die einzige Möglichkeit gewesen sei, den Getöteten nicht nur als anonymes Opfer, sondern als Individuum darzustellen. Es gebe nach der Kenntnis der Redaktion keine Angehörigen dieses Toten, die deutschsprachige Medien lesen und verstehen könnten. Die Fotos, die erkennbar Leichen zeigten, ließen keine individualisierenden Merkmale erkennen. Die Fotos nicht zu drucken, wäre dem Informationsziel des Artikels nicht gerecht geworden. Unlautere Methoden seien bei der Bildbeschaffung nicht angewendet worden, das Material sei der Redaktion so übermittelt worden. Die Redaktion ist der Ansicht, dass in Ausnahmefällen - und um einen solchen habe es sich vorliegend gehandelt - auch Leichen gezeigt werden müssten.

Entscheidungsgründe


B. Erwägungen des Beschwerdeausschusses

Der Beschwerdeausschuss ist der Auffassung, dass FOCUS durch die Berichterstattung nicht gegen den Pressekodex verstoßen hat. Schwerpunkt der Prüfung waren dabei die Ziffern 1*, 4**, 8***, 9**** und 11***** des Pressekodex.

Der Ausschuss betont, dass es sich bei dem Ereignis um ein außergewöhnliches Verbrechen gehandelt hat, dessen Dimension in der Öffentlichkeit ein erhebliches Interesse hervorrief. Die Redaktion hat das Tatgeschehen detailliert aufgearbeitet und in informativer Art und Weise journalistisch dargestellt. Der Ausschuss ist sich darin einig, dass die Art der Darstellung die Opfer weder in ihrer Menschenwürde noch in ihrer Ehre verletzt hat. Im Gegenteil: die zurückhaltende Präsentation der Opferporträts wahrt aus Sicht des Ausschusses die Würde der Opfer. Zwar enthält der Beitrag viele Fotos, auf denen u. a. auch die getöteten Mitarbeiter des China-Restaurants abgebildet werden. Auf den Bildern, die die Leichen am Tatort zeigen, sind die Personen aber ausnahmslos nicht erkennbar. Eine würdelose oder ehrverletzende Darstellung dieser Personen liegt nicht vor.

Auch die textliche Beschreibung der Personen erfolgte an keiner Stelle in diffamierender oder herabwürdigender Art und Weise. Einen Verstoß gegen die Ziffern 1 und 9 erkennt der Beschwerdeausschuss daher nicht.

Die Darstellung ist auch nicht unangemessen sensationell. Zwar wird das Geschehen sehr detailliert geschildert und es werden auch viele Fotos vom Tatort und vom Geschehen rund um den Tatort abgebildet. An keiner Stelle werden aber die Opfer des Verbrechens zu einem bloßen Objekt herabgewürdigt. Infolge der außergewöhnlichen Dimension des Verbrechens gab es ein außergewöhnlich hohes Interesse der Öffentlichkeit, über die näheren Tatumstände informiert zu werden. Diesem Informationsinteresse ist die Redaktion in verantwortlicher Art und Weise nachgekommen. Der Beitrag bewegt sich insgesamt auf einer sachlichen und informativen Ebene und verwendet keine sensationsheischenden Fotos. Dass die Abbildungen von Leichen oder von Blutspuren an einem Tötungsort grausam sein können, liegt in der Natur der Sache. Es muss jedoch möglich sein, derart grauenvolle Vorgänge in Wort und auch in Bild darzustellen. Auch dies gehört zu den Aufgaben der Presse.

Aus den genannten Erwägungen stellt die Berichterstattung auch keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Opfer dar. Zwar werden alle Opfer durch die Porträtfotos mit Namensangaben erkennbar dargestellt. Der Beschwerdeausschuss sieht hier jedoch eine Ausnahme von der in Richtlinie 8.1 Absatz 2****** aufgestellten Regel, dass Opfer von Straftaten besonderen Schutz ihres Namens genießen. Die besonderen Begleitumstände der außergewöhnlich brutalen Tat rechtfertigten aus Sicht des Beschwerdeausschusses hier eine erkennbare Darstellung der Opfer. Auch diesbezüglich kann der Beschwerdeausschuss die Argumentation der Redaktion gut nachvollziehen, dass gerade die personalisierte Beschreibung der Opfer erforderlich war, um die gesamte Dimension dieses von Willkür geprägten Verbrechens deutlich zu machen.

Der Beschwerdeausschuss hat keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Beschaffung der Fotos mit unlauteren Methoden gearbeitet wurde. Die Redaktion hat dargelegt, dass die Bilder der Redaktion angeboten worden seien. Da die Beschwerdeführer keine über einen bloßen Verdacht hinausgehenden Anhaltspunkte für eine unlautere Vorgehensweise vorgebracht haben, ist hier ein Verstoß gegen Ziffer 4 des Pressekodex nicht ersichtlich.


C. Ergebnis

Insgesamt liegt damit kein Verstoß gegen die Publizistischen Grundsätze des Deutschen Presserats vor, so dass der Beschwerdeausschuss die Beschwerden für unbegründet erklärt.

Die Entscheidung ergeht einstimmig.


(Manfred Protze)
Vorsitzender des
Beschwerdeausschusses 1



* Ziffer 1 - Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.
Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

** Ziffer 4 - Grenzen der Recherche
Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.

*** Ziffer 8 - Persönlichkeitsrechte
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

**** Ziffer 9 - Schutz der Ehre
Es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen in Wort und Bild Menschen in ihrer Ehre zu verletzen.

***** Ziffer 11 - Sensationsberichterstattung, Jugendschutz
Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

****** Richtlinie 8.1 - Nennung von Namen/Abbildungen
(2) Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. Für das Verständnis des Unfallgeschehens bzw. des Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Ausnahmen können bei Personen der Zeitgeschichte oder bei besonderen Begleitumständen gerechtfertigt sein.
unterbleiben.

Rechtsgebiete

Presserecht