Geschenkgutschein: Verfallklausel von einem Jahr rechtsunwirksam
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
17. 01. 2008
Aktenzeichen
29 U 3193/07
Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die die Gültigkeitsdauer von Geschenkgutscheinen regeln, stellen keine bloßen Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (Art, Umfang und Güte der Leistung; sog. Leistungsbeschreibung) dar. Der wesentliche Vertragsgegenstand mit den Hauptleistungspflichten der Parteien kann auch ohne derartige Klauseln bestimmt werden. Vielmehr handelt es sich bei Gültigkeitsbefristungen und Verfallsregelungen um Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, ausgestalten oder modifizieren. Sie sind daher inhaltlich zu kontrollieren (§§ 307 ff BGB; hier: §§ 307 Abs. 3 Satz 1, 307 Abs. 1 BGB).
AGB-Klauseln, die die Gültigkeit von (Geschenk-) Gutscheinen auf ein Jahr ab Ausstellung befristen bzw. ein Restguthabenverfall innerhalb Jahresfrist ab Ausstellung des Gutscheins bestimmen, verstoßen gegen das Benachteiligungsverbot aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
3. Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Die Unangemessenheit ist zu verneinen, wenn die Benachteiligung des Vertragspartners durch höherrangige oder zumindest gleichwertige Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist (vgl. BGH NJW 2005, 1774).
Das bürgerliche Recht kennt für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur das in den §§ 194 ff. BGB im Einzelnen geregelte Rechtsinstitut der Verjährung, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Eine Gültigkeitsbefristung von (Geschenk-) Gutscheinen enthält daher eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Die Gültigkeitsbefristung von Gutscheinen stellt einen Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis dar. Das Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung ist zwar durch die Verjährungsvorschriften in zeitlicher Hinsicht näher ausgestaltet. Ein (unangemessener) Eingriff in das Äquivalenzverhältnis liegt aber dann vor, wenn durch eine vertragliche Regelung die Werthaltigkeit einer Gegenleistung, die ein Vertragspartner auf Grund eigener Vorleistung verlangen kann, zeitlich über die Verjährungsregelungen hinaus beschränkt wird (vgl. BGH NJW 2001, 2635).
Die Empfänger von Gutscheinen (Beschenkte) sind als Dritte, die Rechte aus dem Vertag zwischen Gutscheinerwerber und Gutscheinaussteller herleiten können oder durch diesen unmittelbar berechtigt sind, in den Schutz des § 307 Abs. 1 BGB einbezogen (vgl. dazu auch: BGH NJW-RR 2006, 1258; BGH NJW 1999, 3558).
Bei Berechtigungskarten und Gutscheinen, die dem Inhaber die Möglichkeit verschaffen, eine bestimmte Ware oder Leistung zu verlangen, kann zwar nicht jede zeitliche Begrenzung der Gültigkeitsdauer als nicht hinnehmbare Verletzung des Äquivalenzprinzips und unangemessene Benachteiligung des Kunden angesehen werden. (vgl. BGH NJW 2001, 2635; OLG München NJW 2007, 227; jeweils zu einer Abkürzung der damals noch dreißig Jahre betragenden Regelverjährungsfrist). Durch die Abkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von dreißig Jahren (vgl. § 195 BGB a. F.) auf drei Jahre (vgl. § 195 BGB) im Rahmen der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber allerdings bereits den Interessen der Schuldner Rechnung getragen. Damit haben sich die Anforderungen an die Rechtfertigung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die eine kürzere als die gesetzliche Verjährungsfrist zur Anspruchsdurchsetzung statuieren, erhöht.
Gültigkeitsbefristungen bzw. eine formularmäßige Anordnung des Restguthabenverfalls bei Gutscheinen von einem Jahr zielen auf eine doppelte Benachteiligung des Gutscheininhabers im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung der §§ 195, 199 BGB ab, nach der entsprechende Ansprüche mit dem Ablauf einer Frist von drei Jahren - beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht - verjähren. So wird der Zeitraum, in dem die unmittelbare Geltendmachung des Anspruchs möglich ist, auf höchstens ein Drittel (1 Jahr) des vom gesetzlichen Leitbild Vorgesehenen (3 Jahre) herabgesetzt. Der dadurch bewirkte ersatzlose Verlust der Möglichkeit, einen nicht verjährten Anspruch geltend zu machen, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Gutscheininhabers dar. Daneben wird die auch nach Eintritt der Verjährung mögliche Entgegenhaltung des Anspruchs im Wege der Aufrechnung oder der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (vgl. § 215 BGB) dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch erlöschen ("verfallen") und damit gänzlich untergehen soll.
Zusätzlicher Buchführungs- und Bilanzzierungsaufwand stellt kein anerkennenswertes höherrangiges oder zumindest gleichwertiges Interesse des Klauselverwenders dafür dar, dem Gutscheininhaber den Wert des Gutscheins ersatzlos vor dem Ablauf der gesetzlichen Regelverjährung (3 Jahre) zu entziehen. Vielmehr erscheint ein solcher etwaiger Aufwand vernachlässigbar gering.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Verfallsklausel für Geschenkgutscheine, die die Beklagte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendet.
Die Klägerin ist eine qualifizierte Einrichtung gemäß §§ 3 f. UKlaG.
Die Beklagte vertreibt Waren im Fernabsatz über das Internet. Sie bietet Geschenkgutscheine an, die durch
Mitteilung des darauf jeweils angegebenen Codes eingelöst und so zum Erwerb von Waren der Beklagten
benutzt werden können. Dazu heißt es im Internetauftritt der Beklagten unter der Überschrift Bedingungen
zum Einlösen von Gutscheinen (vgl. Anlage K 2):
● Gutscheine sind generell ein Jahr ab Ausstellungsdatum gültig.
[…]
● Restguthaben werden bis zum Verfallsdatum des Gutscheins Ihrem Geschenkgutschein-Konto
gutgeschrieben. Danach können sie nicht mehr verwendet werden. […]
Die Klägerin hat diese Regelungen als gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam angesehen und
folgende Anträge gestellt:
I. Der Beklagten wird untersagt, gegenüber Verbrauchern gemäß § 13 BGB die nachfolgenden oder
inhaltsgleiche Klauseln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit entgeltlich
zu erwerbenden Geschenkgutscheinen zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen:
1. Gutscheine sind generell ein Jahr ab Ausstellungsdatum gültig.
2. Restguthaben werden bis zum Verfallsdatum des Gutscheins Ihrem Geschenkgutschein-Konto gutgeschrieben. Danach können sie nicht mehr verwendet werden.
II. Der Beklagten wird für jeden Falls der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000, € (ersatzweise
Ordnungshaft bis zu sechs Wochen) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die angegriffenen Klauseln enthielten keine unangemessene Benachteiligung.
Die Begrenzung der Gültigkeitsdauer der Gutscheine liege in ihrem Rationali-sierungsinteresse; bei
längerer Gültigkeitsdauer sei das für jeden Gutschein zu führende Konto hinsichtlich des Restguthabens
ebenfalls länger zu führen; die Gutscheine müssten bei längerer Gültigkeitsdauer auch als Forderungen
gegen sie gebucht und gegebenenfalls über mehrere Jahre in den Bilanzen berücksichtigt werden.
Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 5. April 2007, auf dessen tatsächlichen Feststellungen ergänzend
Bezug genommen wird, stattgegeben.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie ist der Auffassung, die angegriffe-nen Klauseln
bestimmten den Inhalt ihrer Verpflichtung und seien deshalb gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle
unterworfen. Das Landgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klauseln in
das Äquivalenzverhältnis eingriffen. Ebenfalls rechtlich unzutreffend sei es gewesen, auf die Interessen des
Beschenkten abzustellen; nach dem eindeutigen Wortlaut des § 307 Abs. 1 BGB komme es allein auf die
Interessen des Schenkers als ihres Vertragspartners an. Dieser habe lediglich das Interesse, seiner Anstandspflicht
nachzukommen und ein werthaltiges Geschenk zu machen; ein solches liege aber im Hinblick
auf ihr immensen Warenangebot auch bei einer Einlösefrist von einem Jahr vor.
Sie beantragt,
das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll
des Termins vom 17. Januar 2008 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
1. Zu Recht hat das Landgericht die angegriffenen Klauseln als kontrollfähig i. S. d. § 307 Abs. 3 Satz 1
BGB angesehen.
Nach dieser Vorschrift unterliegen bloße Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (so
genannte Leistungsbeschreibungen) nicht der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Unter den Begriff der
Leistungsbeschreibung fallen solche Bestimmungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung
festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, ausgestalten oder modifizieren, sind
hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung
nur der enge Bereich von Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit
des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. BGH,
Urt. v. 15. November 2007 III ZR 247/06 Tz. 18 m. w. N., in juris dokumentiert).
In diesen engen Bereich fallen die streitigen Klauseln nicht, da der wesentliche Vertragsinhalt mit den Hauptleistungspflichten
der Parteien auch ohne die Klauseln zum Verfall des Guthabens bestimmt werden könnte
(vgl. Senat NJW 2006, 2416 [2417]; Kieninger in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2007, § 307 Rz.
14).
2. Die angegriffenen Klauseln sind unwirksam, weil sie gegen das Benachteiligungsverbot des § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB verstoßen.
a) Nach dieser Vorschrift sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirk-sam, wenn
sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligen.
Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung
missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen
Ausgleich zuzugestehen; die Unangemessenheit ist zu verneinen, wenn die Benachteiligung des Vertragspartners
durch höherrangige oder zumindest gleichwertige Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist
(vgl. BGH NJW 2005, 1774 [1775] m. w. N.). Eine solche unangemessene Benachteiligung ist nach § 307
Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren
ist.
Das bürgerliche Recht kennt für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur das in
den §§ 194 ff. BGB im Einzelnen geregelte Rechtsinstitut der Verjährung, nicht dagegen besondere, von der
Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Auch für den mit einem Geschenkgutschein verknüpften
Anspruch gegen die Beklagte ist ohne dass es auf die Einzelheiten der rechtlichen Einordnung des zu
Grunde liegenden Vertragsverhältnisses ankäme keine gesetzlich vorgesehene Ausschlussfrist ersichtlich.
Die Gültigkeitsbefristung der Geschenkgutscheine der Beklagten enthält daher eine Abweichung von den
gesetzlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Zu den wesentlichen Grundgedanken der für schuldrechtliche gegenseitige Verträge geltenden Regeln des
bürgerlichen Rechts gehört das Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung (vgl. BGH NJW-RR
2007, 1124 Tz. 28 m. w. N.), das durch die Verjährungsvorschriften in zeitlicher Hinsicht näher ausgestaltet
wird. In dieses Äquivalenzverhältnis wird auch durch eine vertragliche Regelung eingegriffen, die die Werthaltigkeit einer Gegenleistung, die ein Vertragspartner auf Grund eigener Vorleistung verlangen kann, zeitlich
über die Verjährungsregelungen hinaus beschränkt (vgl. BGH NJW 2001, 2635 [2637]).
b) In ihrer konkreten Ausgestaltung enthält die streitgegenständliche Gültigkeitsbefristung der Gutscheine
einen so weit gehenden Eingriff in das vertragliche Äquivalenzverhältnis, dass sie als unangemessene
Benachteiligung der Gutscheininhaber angesehen werden muss.
aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dabei ohne Belang, dass die von ihr ausgegebenen Geschenkgutscheine
von ihren Vertragspartnern regelmäßig als Geschenke an Dritte weitergegeben werden,
die ihrerseits nicht Vertragspartner der Beklagten sind. Denn in den Schutz des § 307 Abs. 1 BGB sind auch
die Interessen solcher Dritter einbezogen, die Rechte aus dem Vertrag herleiten können oder durch diesen
unmittelbar berechtigt sind (vgl. BGH NJW-RR 2006, 1258 Tz. 12; NJW1999. 3558 [3559]; Coester in: Staudinger,
BGB, Neubearbeitung 2006, § 307 Rz. 146; jeweils m. w. N.).
Im Streitfall ist die Weitergabe der Gutscheine die die Beklagte selbst unter der Bezeichnung Geschenkgutscheine
anbietet eine vertragsgemäße Verwendung, nach der dem Gutscheininhaber gegen die Beklagte
ein Anspruch auf Lieferung der von ihm gewählten Ware mit einem den Gutscheinwert nicht übersteigenden
Kaufpreis zusteht. Da der Gutscheininhaber unmittelbare Rechte aus dem durch die angegriffenen
Klauseln geregelten Vertrag herleiten kann, sind seine Interessen in die Angemessenheitsprüfung des § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB einzubeziehen.
bb) Bei Berechtigungskarten und Gutscheinen, die dem Inhaber die Möglichkeit verschaffen, eine bestimmte
Ware oder Leistung zu verlangen, kann zwar nicht jede zeitliche Begrenzung der Gültigkeitsdauer
als nicht hinnehmbare Verletzung des Äquivalenzprinzips und unangemessene Benachteiligung des Kunden
angesehen werden. Solche Ausschlussfristen sind, obwohl im Gesetz in aller Regel nicht vorgesehen, in
weiten Bereichen üblich und werden unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der beiderseits
Beteiligten häufig als nicht unangemessen anzusehen sein (vgl. BGH NJW 2001, 2635 [2637]; OLG München
NJW 2007, 227 [228]; jeweils zu einer Abkürzung der damals noch dreißig Jahre betragenden Regelverjährungsfrist).
Durch die Abkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von dreißig Jahren (vgl. § 195
BGB a. F.) auf drei Jahre (vgl. § 195 BGB) im Rahmen der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber allerdings
bereits den Interessen der Schuldner Rechnung getragen; damit haben sich die Anforderungen an die
Rechtfertigung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die eine kürzere als die gesetzliche Verjährungsfrist zur
Anspruchsdurchsetzung statuieren, erhöht.
Die Umstände des vorliegenden Falls führen jedenfalls dazu, dass die von der Beklagten gewählte Ausgestaltung
der Gültigkeitsbefristung ihrer Geschenkgutscheine bei einer Abwägung ihrer Interessen und derjenigen
des Gutscheininhabers als eine die Gutscheininhaber unangemessen benachteiligende, nicht hinnehmbare
Abweichung vom Äquivalenzprinzip angesehen werden muss.
cc) Die angegriffenen Klauseln zielen auf eine doppelte Benachteiligung des
Gutscheininhabers im Vergleich
zu der gesetzlichen Regelung der §§ 195, 199 BGB ab, nach der entsprechende Ansprüche mit dem
Ablauf einer Frist von drei Jahren beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht
verjähren.
So wird der Zeitraum, in dem die unmittelbare Geltendmachung des Anspruchs möglich ist, auf höchstens
ein Drittel des vom gesetzlichen Leitbild Vorgesehenen herabgesetzt; der dadurch bewirkte ersatzlose Verlust
der Möglichkeit, einen nicht verjährten Anspruch geltend zu machen, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung
der Interessen des Gutscheininhabers dar. Daneben wird die auch nach Eintritt der Verjährung mögliche
Entgegenhaltung des Anspruchs im Wege der Aufrechnung oder der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts
(vgl. § 215 BGB) dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch erlöschen („verfallen“) und
damit gänzlich untergehen soll.
dd) Diese doppelte Abweichung vom gesetzlichen Leitbild betreffend die Rechtsfrage, wie sich der Zeitablauf
auf einen bestehenden Anspruch auswirkt, begründet die Unangemessenheit der Benachteiligung
des Gutscheininhabers, weil keine anerkennenswerten höherrangigen oder zumindest gleichwertigen Interessen
der Beklagten für eine derartige Regelung sprechen.
(1) Die Berufung der Beklagten auf einen erhöhten Buchführungs- und Bilanzierungsaufwand ist nicht
geeignet, die durch die angegriffenen Klauseln bewirkte Beschneidung der Rechte der Gutscheininhaber zu
rechtfertigen.
Dieser Aufwand ist dem Grunde nach schon in dem von der Beklagten selbst gewählten Geschäftsmodell,
zur Steigerung ihres Umsatzes Geschenkgutscheine anzubieten, angelegt. Auch bei nur einjähriger Gültigkeit
der Gutscheine müssen die jeweils noch offenen Gutscheinwerte in Konten geführt und am Ende des
Geschäftsjahrs bilanziert werden. Zu dem Umfang des mit der Führung der Konten über ein Jahr hinaus
mindestens bis zum Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist verbundenen zusätzlichen Aufwands, der
durch die angegriffenen Klauseln vermieden werden soll, ist von der Beklagten trotz entsprechenden Hinweises
des Landgerichts nicht näher vorgetragen worden; dieser Aufwand erscheint bei der praktizierten
Kontoführung mittels elektronischer Datenverarbeitung vernachlässigbar gering.
Eine Rechtfertigung dafür, dem Inhaber eines Gutscheins den unter Umständen erheblichen damit verbundenen
Wert ersatzlos zu entziehen, kann in dem zusätzlichen Buchführungs- und Bilanzierungsaufwand
jedenfalls nicht gesehen werden.
(2) In gleicher Weise fällt der von der Beklagten ebenfalls zur Rechtfertigung ihrer Verfallsregelung angeführte
Aufwand, bei Änderungen der Gutscheinbedingungen parallel alte und neue Bedingungen beachten
zu müssen, dem Grunde nach auch bei einer Gültigkeitsdauer der Gutscheine von nur einem Jahr an. Zudem
ist weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst er-sichtlich, dass derartige Änderungen in beachtenswertem
Umfang anfallen und welcher konkrete Aufwand damit verbunden ist; insoweit handelt es sich
bei diesem Vorbringen der Beklagten lediglich um hypothetische Behauptungen ohne praktische Bedeutung.
Schließlich können Änderungen der Bedingungen, die ihren Anlass in der Sphäre der Beklagten haben, nicht
dazu herangezogen werden, eine Benachteiligung der Gegenseite zu rechtfertigen.
Auch dieser Gesichtspunkt ist deshalb nicht geeignet, den ersatzlosen Verlust des Anspruchs auf die Gegenleistung
für den bereits erbrachten Kaufpreis zu rechtfertigen.
(3) Weitere Belange der Beklagten, die die Beschneidung der vom gesetzlichen Leitbild vorge-sehenen
Rechtsposition der Gutscheininhaber rechtfertigen könnten, sind weder von der Beklagten vorgebracht noch
sonst ersichtlich.
III.
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
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