Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung nach zwei Monaten
Gericht
OLG Hamburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
15. 08. 2007
Aktenzeichen
5 U 173/06
Wenn der Verletzte in einer durchschnittlich schwierigen Wettbewerbssstreitigkeit fast zwei Monate zwischen der Kenntniserlangung von dem Wettbewerbsverstoß und der Einreichung des Verfügungantrags vergehen lässt (ohne vorherige Abmahnung des Verletzers), kann er die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs.2 UWG selbst widerlegt haben.
Auf die Berufung der Ag. wird das Urteil des LG Hamburg – Kammer 16 für Handelssachen – vom 21.3.2007 geändert:
Die einstweilige Verfügung des LG Hamburg – Zivilkammer 15 – vom 7.11.2005 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die Ast. hat die Kosten des Verfügungsverfahrens in beiden Instanzen zu tragen.
Gründe
I.
Die Parteien sind Wettbewerber beim Angebot von Mobilfunkdienstleistungen. Die Ag. bewirbt im Internet unter der Bezeichnung „Simyo Industries“ einen Prepaid-Tarif. In diesem Internetauftritt wird „Simyo Industries“ als ein Forschungsunternehmen auf dem Gebiet der Gentechnologie dargestellt, deren Forschern es gelungen sei, „das Einfachheitsgen eines Pantoffeltierchens zu separieren und mit einer herkömmlichen SIM-Karte zu kreuzen“. Der Internetauftritt ist an mehreren Stellen mit der Internetseite simyo.de der Ag. verlinkt, auf der über die Konditionen des Prepaid-Tarifs informiert wird. Wegen der Einzelheiten des Internetauftritts von „Simyo Industries“ in der hier streitgegenständlichen Fassung wird auf die Anlage Ast.2 Bezug genommen. Unstreitig existiert ein Unternehmen namens „Simyo Industries“ nicht, sondern es handelt sich um einen Werbegag, um die Einfachheit des Prepaid-Tarifs der Ag. in origineller und humorvoller Form bekannt zu machen.
Die Ast. hält den Internetauftritt unter „Simyo Industries“ wegen Irreführung über die geschäftlichen Verhältnisse der Ag. für wettbewerbswidrig und nimmt die Ag. im Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch. Sie hat eine einstweilige Verfügung des LG Hamburg erwirkt, die nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens in folgender Fassung bestätigt worden ist:
Der Ag. wird bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten,
im geschäftlichen Verkehr unter der Bezeichnung „Simyo Industries“ aufzutreten und/oder Werbung zu betreiben,
wenn diese geschieht wie aus der nachfolgenden Anlage ersichtlich (es folgt eine Ablichtung der Anlage Ast.2).
Gegen dieses Urteil wendet sich die Ag. mit ihrer Berufung und beantragt eine Änderung des landgerichtlichen Urteils dahingehend, dass der Verfügungsantrag zurückgewiesen wird. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag, dass der Verkehr den Auftritt von „Simyo Industries“ als irreal erkenne. Auch meint sie, dass eine etwaige Irreführung des Verkehrs jedenfalls nicht relevant sei, da der Internetauftritt von „Simyo Industries“ nicht mit einem Produktabsatz verknüpft sei. Schließlich vertritt sie – wie schon in erster Instanz – die Auffassung, dass ein Verfügungsgrund nicht gegeben sei. Der Ast. habe die seit dem 30.5.2005 parallel zu einem Fernsehspot geschaltete Seite schon vor dem von ihr genannten Zeitpunkt der Kenntnisnahme am 8.9.2005 nicht entgehen können. Außerdem habe die Ast. mit dem erst am 4.11.2005 bei Gericht eingegangenen Verfügungsantrag zu lange zugewartet.
Die Ast. verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Zum Verfügungsgrund trägt sie ergänzend vor, dass die streitgegenständliche Internetwerbung erst am 20.8.2005 geschaltet worden sein könne, da die Ag. zu diesem Termin Inhaberin der dazugehörigen Domain „simyoindustries.de“ geworden sei (Anlage ROP 1). Hierzu macht die Ag. geltend, dass die vorherigen Inhaber die Domain treuhänderisch für sie gehalten hätten und die fragliche Werbung ab dem 7.7.2005 in das Internet eingestellt gewesen sei (Anlage Ag.11)
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Ast. eine weitere eidesstattliche Versicherung ihres zuständigen Mitarbeiters H. eingereicht, in der der Ablauf der wettbewerbsrechtlichen Bearbeitung der Angelegenheit im Hause der Ast. und im Büro der Prozessbevollmächtigten der Ast. zwischen dem 8.9. und dem 4.11.2005 dargestellt ist. Hierzu hat sie ergänzende Ausführungen gemacht.
II.
Die Berufung der Ag. ist zulässig und begründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Ast. wegen des Internetauftritts unter „simyo industries“ ein Unterlassungsanspruch gegen die Ag. zusteht. Denn jedenfalls fehlt es an einem Verfügungsgrund. Nach dem eigenen Vortrag der Ast. hat sie durch zu langes Zuwarten zwischen der Kenntniserlangung von dem streitgegenständlichen Internetauftritt und der Antragstellung die Vermutung des § 12 Abs.2 UWG selbst widerlegt.
Die Ast. hat zu diesem, bereits in erster Instanz streitigen Punkt bis zur Senatsverhandlung lediglich vorgetragen, dass sie erst im Internet habe recherchieren müssen, um festzustellen, ob es ein Unternehmen „simyo industries“ gebe. Dieser Vortrag ist nicht ausreichend, um einen Zeitablauf von fast zwei Monaten bis zur Einreichung des Verfügungsantrags zu erklären.
Nach ständiger Rechtsprechung der Wettbewerbssenate des Hanseatischen OLG beurteilt sich die Frage, welche Zeiträume noch als dringlichkeitsunschädlich anzusehen sind, nach sämtlichen Umständen des Einzelfalls, z.B. Umfang und Schwierigkeit der Sache, Notwendigkeit weiterer Ermittlungen, Zeitablauf wegen vorgerichtlichen Schriftverkehrs, Häufung von Feiertagen usw. . Danach kann ein Zeitablauf von fast zwei Monaten zwischen der Kenntniserlangung von einem Wettbewerbsverstoß und der Einreichung des Verfügungsantrags in dem einen Fall noch dringlichkeitsunschädlich sein, in dem anderen Fall nicht mehr.
Vorliegend ist Letzteres der Fall. Es handelt sich um einen durchschnittlich schwierigen Wettbewerbsfall. Zur Ermittlung des Verständnisses der streitgegenständlichen Werbung bedurfte es keinerlei sachverständiger Hilfe, da sich die Werbung an jeden Verbraucher richtet. Ermittlungen waren allenfalls insoweit anzustellen, als zu überprüfen war, ob es ein Unternehmen „simyo industries“ tatsächlich gibt. Zu der hierzu durchgeführten Recherche und dem erforderlichen Zeitaufwand hat die Ast. nicht substantiiert vorgetragen. Unter Zuhilfenahme des Internets, wo der Mitarbeiter H. der Ast. nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 2.11.2005 recherchiert hat, und der verschiedenen Suchmaschinen dürfte der Rechercheaufwand kaum länger als einige Stunden in Anspruch genommen haben. Vorgerichtlicher Schriftverkehr oder sonstige Gründe für das Zuwarten bis zum 4.11.2005 sind ebenfalls nicht vorgetragen. Somit vermag sich der Senat der Beurteilung des LG, ein Verfügungsgrund habe vorgelegen, nicht anzuschließen.
Soweit die Ast. in der Senatsverhandlung ergänzend zu den Gründen des Zeitablaufs ab Kenntnisnahme von der Werbung vorgetragen und eine weitere eidesstattliche Versicherung ihres Mitarbeiters H. vom 31.7.2007 eingereicht hat, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Berufungsinstanz nicht mehr zugelassen werden kann. Die Ag. hat das Vorbringen auch nicht unstreitig gestellt, sondern mit Nichtwissen bestritten und Verspätung gerügt. Gründe für die Zulassung i.S. des § 531 Abs.2 ZPO hat die Ast. nicht vorgetragen. Diese sind auch nicht erkennbar, zumal – wie ausgeführt – die Frage der Dringlichkeit bereits in der ersten Instanz umstritten war. Der neue Vortrag ist schließlich nicht als zulässige Erwiderung auf den Schriftsatz der Ag. vom 30.7.2007 berücksichtigungsfähig, denn dieser stellt seinerseits lediglich eine Reaktion auf den ebenfalls neuen Vortrag der Ast. dar, die Ag. sei erst seit dem 20.8.2006 Inhaberin der Domain „simyoindustries.de“, so dass die Werbung nicht früher habe geschaltet werden können. Dieser Vortrag ist für die Frage, ob die Ast. nicht schon durch ihr eigenes Zuwarten ab einem nach dem 20.8.2005 liegenden Zeitpunkt die Dringlichkeit selbst widerlegt hat, ohne Belang, so dass ergänzender Vortrag zu diesem Punkt auch nicht mehr auf diesem Wege in prozessual beachtlicher Weise in den Rechtsstreit eingeführt werden kann.
Im Übrigen ist der neue Vortrag aber auch inhaltlich nicht ausreichend, um der Ast. die Dringlichkeit zu erhalten. Soweit die Ast. geltend gemacht hat, die Werbung habe umfassend in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht geprüft werden müssen, um dem Vorwurf einer rechtsmissbräuchlichen „Salamitaktik“ zu entgehen, vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil nicht näher dargelegt ist, welche weiteren denkbaren Wettbewerbsverstöße die streitgegenständliche Werbung verwirklichen soll. Soweit der Mitarbeiter Held der Ast. vom 28.9. bis 14.10.2005 im Urlaub gewesen ist, hat sich dies schon nicht ausgewirkt, da er die Sache nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 31.7.2005 bereits am 8.9.2005 an das Büro der Prozessbevollmächtigten abgegeben hat (was im Übrigen ebenfalls bestätigt, dass die von ihm in seiner früheren eidesstattlichen Versicherung vom 2.11.2005 genannten Recherchen im Internet keinen nennenswerten Zeitaufwand erfordert haben können). Die Abstimmungen und mehrfachen Überarbeitungen des Verfügungsantrags seit dem 4.10.2005 bis zur Einreichung des Verfügungsantrags am 4.11.2005 mögen einen normalen Ablauf der Vorbereitung eines Rechtsstreits zwischen Mandant und Anwalt dokumentieren. An die Zügigkeit einer wettbewerbsrechtlichen Rechtsverfolgung im Eilverfahren sind jedoch höhere Anforderungen zu stellen und in der Praxis auch gang und gäbe, wie z.B. die knappen Fristsetzungen bei Abmahnungen zeigen. Erst recht gilt dies in einem Markt, in dem ein so scharfer Wettbewerb herrscht und so viele wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten geführt werden wie in der Telekommunikationsbranche. Eine Partei und ihre Prozessbevollmächtigten sind gehalten, ihre Arbeitsabläufe so zu organisieren, dass diesen Anforderungen in einer durchschnittlich schwierigen Wettbewerbssache wie der vorliegenden Rechnung getragen wird. Auch dem ergänzten Vortrag der Ast. ist damit nach allem nicht zu entnehmen, dass der Ast. nicht auch eine deutlich zügigere Rechtsverfolgung möglich gewesen wäre, wenn es ihr wirklich darauf angekommen wäre, die Sache im Eilverfahren zu betreiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Betz
Koch
Lübbe
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