Schriftsätze von Mandanten

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

24. 01. 2008


Aktenzeichen

IX ZB 258/05


Leitsatz des Gerichts

Zur Frage der eigenverantwortlichen Prüfung einer Berufungsbegründungsschrift durch den unterzeichnenden Rechtsanwalt.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 4. Oktober 2005 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.441,84 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Anwaltsvergütung aus vier Aufträgen in Anspruch. Der Beklagte hat im Wege der Widerklage die Rückzahlung erbrachter Vorschüsse begehrt. Das Amtsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen legte der Beklagte durch Anwaltsschriftsatz Berufung ein. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist reichte der vom Beklagten beauftragte Anwalt eine 40-seitige Berufungsbegründungsschrift ein. Das Eingangsblatt mit den Berufungsanträgen sowie die Schlussseite hatte der Anwalt selbst verfasst, die übrigen Seiten stammten vom Berufungskläger selbst. Auf der Schlussseite führte der Anwalt aus, auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen "des Klägers" [d.h. Berufungsklägers] einschließlich etwaiger Beweisantritte werde ergänzend Bezug genommen. Den Begründungstext habe der Berufungskläger selbst verfasst und "quasi zur Frist vorgelegt". Gleichwohl mache er sich diese Begründung, insbesondere im Dienste der Fristwahrung, mit seiner Unterschrift zu eigen. Abschließend begehrte der Anwalt Akteneinsicht, weil der Berufungskläger die Schriftsätze erster Instanz "nicht mitgeliefert" habe.


II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die im Anwaltsprozess erforderliche eigenverantwortliche Prüfung und Genehmigung des Schriftsatzinhaltes liege bei der eingereichten Berufungsbegründungsschrift trotz Anwaltsunterschrift nicht vor. Aus den vom Anwalt selbst verfassten Schlussbemerkungen zur Begründungsschrift werde mit aller Deutlichkeit erkennbar, dass der Anwalt den Inhalt der vom Berufungskläger verfassten Begründung nicht der erforderlichen eigenverantwortlichen Prüfung unterzogen habe und nicht habe unterziehen können. Obendrein habe er ohne eigene Kenntnis vom erstinstanzlichen Vortrag ins Blaue hinein versucht, auch diesen zum Gegenstand einer Berufungsbegründung zu machen. Dem Zweck der Anwaltspflicht, unter anderem die Filterung, Aufbereitung und Versachlichung des Prozessstoffes zu erreichen, werde dies nicht gerecht. Bei der anwaltlichen Unterzeichnung des Schriftsatzes handele es sich lediglich um eine unwirksame "formelle Unterschrift".

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Mit den Regelungen über den Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 ZPO) soll erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffes vorträgt. Die Berufungsbegründung muss deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein (vgl. BGHZ 37, 156, 159; BGH, Urt. v. 19. Oktober 1988 - IVb ZR 5/88, NJW 1989, 394, 395; Beschl. v. 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709). Zwar ist der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich ist aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüft und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernimmt (BGHZ 97, 251, 253; Urt. v. 19. Oktober 1998, aaO).

b) Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift ohne ein darüber hinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung von dessen Inhalt tragen will. Für ein Berufungsgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 1989 - VII ZR 223/88, NJW 1989, 3022, 3023).

Ausnahmen von diesem Grundsatz werden von der Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1997 - VIII ZR 141/97, NJW-RR 1998, 574, 575; Beschl. v. 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, aaO). Zur letztgenannten Fallgruppe werden insbesondere Rechtsmittelbegründungsschriftsätze gerechnet, die weitgehend unverständlich sind und Ausführungen enthalten, die mit dem Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in keinem Zusammenhang stehen (vgl. BGH, Beschl. v. 21. Mai 1954 - IV ZB 28/54, JR 1954, 463; Urt. v. 28. März 1969 - I ZR 100/67, VersR 1969, 617; v. 19. Oktober 1998, aaO, S. 395).

c) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung nicht in zulässiger Weise begründet worden, weil der Prozessbevollmächtigte den von der Partei selbst verfassten Begründungsschriftsatz vernünftigerweise nicht eigenverantwortlich überprüft haben kann (BGH, Urt. v. 19. Oktober 1988 - IVb ZR 5/88, aaO S. 396). Dies folgt bereits daraus, dass der vom Prozessbevollmächtigten formulierte Berufungsantrag, der auf Abweisung der Klage gerichtet ist, nicht mit der von dem Mandanten verfassten Berufungsbegründung, die auch den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch verfolgt, in Einklang steht. Die fehlende eigene Prüfung des Bevollmächtigten ergibt sich auch aus dem Umstand, dass er auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen nebst etwaigen Beweisangeboten Bezug genommen, zugleich aber um Akteneinsicht gebeten hat, weil ihm die Schriftsätze erster Instanz von dem Mandanten "nicht mitgeliefert" worden seien. Da der Schriftsatz schließlich in weiten Teilen durch unverständliche, wirre Ausführungen, die sich in seitenlangen Zitateinschüben widerspiegeln, geprägt ist, die mit dem angefochtenen Urteil in keinem Zusammenhang stehen, kann eine eigenverantwortliche Prüfung des Prozessbevollmächtigten ausgeschlossen werden (BGH, Urt. v. 19. Oktober 1988 - IVb ZR 5/88, aaO S. 394 f).


Dr. Gero Fischer Dr. Ganter Dr. Kayser
Prof. Dr. Gehrlein Dr. Detlev Fischer

Vorinstanzen

AG Wiesbaden, 93 C 616/05-41, 14.02.2004; LG Wiesbaden, 1 S 14/05, 04.10.2005

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht

Normen

ZPO § 130 Nr. 6, § 520 Abs. 5