Hinterbliebenenrente auch bei kurzer Ehedauer möglich
Gericht
LSG Sachsen-Anhalt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
20. 09. 2007
Aktenzeichen
L 3 RJ 126/05
Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist widerlegt, wenn zur vollen Überzeugung des Gerichts für die Eheschließung ein überwiegend anderes Motiv der Hinterbliebenen als das der Versorgung maßgeblich war.
Hat die Hinterbliebene in die Eheschließung eingewilligt, um dem Versicherten bei der Überwindung seiner schweren Erkrankung beizustehen, ist dies ein anders Motiv als das der Versorgungsabsicht.
Unerheblich ist, ob der Verstorbene zum Zeitpunkt der Eheschließung unheilbar krank war, wenn er der Hinterbliebenen den Ernst der Erkrankung verschwiegen und diese irrtümlich an eine Heilungsmöglichkeit geglaubt hat.
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. 5. 2005 wird aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 3. 12. 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. 2. 2004 wird abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin große Witwenrente vom 1. 9. 2003 bis 31. 8. 2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Umstritten ist insbesondere das Vorliegen einer so genannten Versorgungsehe.
Die am ... 1952 geborene Klägerin ist die Witwe des am ... 1952 geborenen und am ... 2003 verstorbenen Versicherten (im Folgenden: Versicherter) W. B. ... Vom 15. 8. 1992 bis zum 17. 5. 2003 war der Versicherte unter der Anschrift R. ..., H., und danach in der H.-S.-Str. ..., H., polizeilich gemeldet. Die Klägerin ist seit dem 1. 10. 2001 in der H.-S.-Str. ..., H. gemeldet. Die Eheschließung erfolgte am 20. 6. 2003 vor dem Standesbeamten der Stadt H./S. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt als Taxifahrerin beschäftigt und hatte im Jahre 2002 ein Bruttoeinkommen von durchschnittlich 636,66 EUR sowie im August 2003 von 720,00 EUR erzielt. Der Versicherte war zuletzt seit 1991 als Kraftfahrer im Fernverkehr tätig gewesen und hatte lediglich unregelmäßig die Wochenenden am Wohnort verbracht.
Der Versicherte wurde am 22. 4. 2003 wegen Thoraxschmerzen in die Notaufnahme des Diakoniekrankenhauses H./S. aufgenommen und zunächst bis zum 24. 5. 2003 stationär behandelt. Die am 23. und 25. 4. 2003 erfolgten Pleurapunktionen ergaben den dringenden Verdacht auf Malignität. Eine am 29. 4. 2003 durchgeführte Thorakoskopie ergab die Diagnose einer Pleurakarzinose rechts im Sinne eines undifferenzierten nichtkleinzelligen Karzinoms mit Leberfilia und Verdacht auf Nierenmetastasen beidseits. Ein Primärtumor konnte nicht identifiziert werden. Unter der Diagnose CUP-Syndrom (cancer of unknown primary) wurde eine Chemotherapie eingeleitet. Ausweislich eines in den Patientenakten des Diakoniekrankenhauses enthaltenen Gesprächsvermerks vom 12. 5. 2003 - mutmaßlich des Oberarztes Dr. L. - sei in einem nochmaligen Gespräch über den malignen Tumor und einen Behandlungsversuch mittels Chemotherapie bei unklarem Ansprechen, jedoch als einzige Möglichkeit der Besserung gesprochen worden. Eine Operation oder Bestrahlung könnten keine Besserung bringen, da es sich um ein fortgeschrittenes Leiden handele. Die Chemotherapie wurde zunächst vom 13. 5. bis zum 20. 5. 2003 durchgeführt und der Versicherte sodann in ambulante Weiterbehandlung entlassen. In der Patientenakte ist zu diesem stationären Aufenthalt als Anschrift des Versicherten die R. ..., H., registriert.
Vom 2. bis 4. 6. und vom 9. bis 11. 6. 2003 wurde der Versicherte abermals stationär zur Fortsetzung der Chemotherapie behandelt. Insoweit ist in der Patientenakte als Anschrift des Versicherten die H.-S.-Straße ..., H. , vermerkt. Die Entlassung erfolgte in die ambulante Weiterbehandlung zur geplanten Fortsetzung der Chemotherapie am 23. 6. 2003. Der Versicherte begab sich vom 23. 6. bis 19. 7. 2003 abermals in stationäre Behandlung. Dort wurde nach der Aufnahme entschieden, die Chemotherapie abzubrechen. Gleichzeitig wurden zur Sicherstellung der häuslichen Pflege ein Rollstuhl, ein Sauerstoffgerät sowie ein häuslicher Pflegedienst verordnet. Ausweislich eines Gesprächsvermerks einer Mitarbeiterin der Sozialstation des Krankenhauses vom 18. 7. 2003 hatte der Versicherte angegeben, er wolle zu Hause zu Kräften kommen, allein zur Toilette gehen und mit dem Rollstuhl herumfahren können. Der Versicherte wurde im Folgenden mit Unterstützung der Sozialstation bis zu seinem Tod zu Hause gepflegt. Mit Bescheid der Pflegekasse der AOK Sachsen-Anhalt vom 25. 9. 2003 wurde rückwirkend die Pflegestufe II gewährt.
In ihrem Rentenantrag vom 23. 9. 2003 machte die Klägerin geltend, die tödlichen Folgen der Krankheit seien bei der Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Auf Nachfragen der Beklagten erklärte sie, der Versicherte habe ihr am 12. 5. 2003 wieder einen Heiratsantrag gemacht und erklärt, dass er eine Chemotherapie beginnen werde. Sie habe eingewilligt, um ihm Kraft und Rückhalt zu geben. Zum Zeitpunkt der Heirat sei ihr nicht bekannt gewesen, dass er nur noch wenige Wochen zu leben gehabt habe. Bis zum Abbruch der Therapie sei sie überzeugt gewesen, dass der Krebs eingedämmt werden könne, um dann anschließend im Rahmen einer Operation das kranke Gewebe entfernen zu können.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 3. 12. 2003 ab. Der Tod des Ehegatten sei vor Ablauf der Mindestehedauer von einem Jahr eingetreten. Die Voraussetzung des § 46 Abs. 2 a Halbsatz 1 SGB VI sei daher nicht erfüllt. Ferner lägen keine besonderen Umständen vor, die dafür sprächen, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen sei.
In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin ergänzend geltend, die Diagnose „Krebs” bedeute nicht automatisch den baldigen und sicheren Tod. Vermutlich sei die falsche Chemotherapie gewählt worden; anderenfalls würde der Versicherte heute noch leben. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. 2. 2004 als unbegründet zurück und führte ergänzend aus, besondere Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, z. B. der plötzlich unvorhersehbare Tod durch Unfall, Verbrechen oder Infektionskrankheit oder die Nichtvorhersehbarkeit der tödlichen Folgen einer Krankheit bei der Eheschließung, lägen hier nicht vor. Die Klägerin habe von der schweren Krebserkrankung sowie dem Beginn der Chemotherapie im Mai 2003 erfahren. Trotz der erhofften Heilung habe sie mit einer tödlichen Folge rechnen müssen. Die Übergangsvorschrift des § 242 a Abs. 1 SGB VI fände keine Anwendung, da die Ehe nicht vor dem 1. 1. 2002 geschlossen worden sei.
Dagegen hat die Klägerin am 9. 3. 2004 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und zur Begründung in verschiedenen Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vorgetragen: Sie und der Versicherte hätten seit 1992 in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit gemeinsamer Wohnung zusammengelebt. Sie hätten gemeinsam gewirtschaftet und ein Konto gehabt, zusammen einen Kleingarten gepachtet und die Jahresurlaube verbracht. Wegen der häufigen berufsbedingten Abwesenheit des Versicherten sei sie ab 1993 zur Wahrnehmung seiner behördlichen und geschäftlichen Angelegenheiten bevollmächtigt gewesen. Seine beiden Kinder seien bis zum Wegzug der geschiedenen Ehefrau während ihrer Aufenthalte beim Versicherten auch von ihr erzogen worden. Für ihren 1980 geborenen Sohn habe der Versicherte spätestens seit 1992 die Vaterrolle eingenommen. - Motiv der Heirat seien Zuneigung und Liebe füreinander gewesen. Beide hätten die Erkrankung gemeinsam durchstehen und den festen Zusammenhalt in der Zeit der Krankheit dokumentieren wollen. Schon früher hätten beide über eine Heirat nachgedacht. Allerdings hätten sie davon Abstand genommen, weil sie schon zweimal verheiratet gewesen seien, den Urlaub in der Regel nicht hätten gemeinsam nehmen können und für eine Hochzeit weder Zeit noch Geld gehabt hätten. Die seit langem geplante Heirat sei allein wegen ihrer schlechten Erfahrung in ihrer früheren Ehe immer wieder herausgezögert worden. Der Versicherte habe ihr mehrfach Heiratsanträge gemacht. Mit der Eheschließung sei der lange bestehende Heiratsentschluss verwirklicht worden. - Der Tod sei plötzlich und unerwartet eingetreten. Es sei nicht vorhersehbar gewesen, dass die Krankheit einen tödlichen Verlauf nehmen würde. Sie hätte keine Hinweise der Ärzte im Diakoniekrankenhaus über die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erhalten. Sie habe sich schon wegen eines Kurses für pflegende Angehörige erkundigt, der jedoch erst am 1. 9. 2003 beginnen sollte. Sie habe mit dem Versicherten auch schon gemeinsame Kuraufenthalte geplant. - Die Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI sei somit widerlegt. Bereits das Vorliegen eines Hinweises auf eine andere Motivation rechtfertigte die gesetzliche Vermutung nicht mehr. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes sollten ausschließlich Scheinehen von sich fremden Personen ausgeschlossen sein.
Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, der enge zeitlich Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Eheschließung sowie das lange Zusammenleben ohne Heirat sprächen für eine Versorgungsehe. Die Klägerin und der Versicherte seien sich zum Zeitpunkt des Heiratsentschlusses über den grundsätzlich lebensbedrohenden Charakter der Erkrankung im Klaren gewesen. Unerheblich sei, ob der Versicherte ihr schon früher Heiratsanträge gemacht habe. Aufgrund der langen vorehelichen Lebensgemeinschaft könnten die Sicherung und Betreuung des Versicherten nicht alleiniger Grund für die Heirat gewesen sein. An der Lebenssituation des Gepflegten habe sich nichts geändert, da bei einer langjährigen Lebensgemeinschaft von einer mit der Ehe vergleichbaren Fürsorge- und Beistandsleistung auszugehen sei. Die Beklagte hat auf das Urteil des Bayerischen Gerichtshofs vom 1. 12. 1998 (3 B 95.3050) sowie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a. M. vom 9. 2. 2004 (S 16 RJ 1259/03) Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die auf die Bewilligung einer Witwenrente vom 1. 9. 2003 bis 31. 8. 2005 beschränkte Klage mit Urteil vom 12. 5. 2005 abgewiesen, da die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt sei. Die objektive Beweislast dafür trage die Klägerin. Es dürften keine Anhaltspunkte für die Besorgnis eines vorzeitigen Ablebens bestanden haben, die Ehe müsste also auf Dauer eingegangen worden sein. Dies sei hier nicht der Fall. Die Überlebenszeit liege bei einem Bronchialkarzinom durchschnittlich unter einem Jahr. Im Zeitpunkt der Eheschließung hätten der Versicherte und die Klägerin davon ausgehen müssen, dass der Tod mit Wahrscheinlichkeit binnen kurzer Zeit eintreten könne. Die Behauptung, die behandelnden Ärzte hätten sie nicht auf die tödlichen Folgen der Erkrankung hingewiesen, könne als wahr unterstellt werden. Die Klägerin und der Versicherte hätten ahnen können, dass der Tod eintreten könne. Es gehöre zum Allgemeinwissen, dass es sich bei Lungenkrebs um eine besonders schwere Krebserkrankung handele. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Ehe überwiegend deshalb geschlossen worden sei, um die Klägerin zu versorgen. Ganz sicher hätten auch Liebe und Zuneigung bei der Eheschließung eine Rolle gespielt. Das langjährige frühere Zusammenleben spreche dafür, dass die Eheschließung ohne die Krebserkrankung nicht beabsichtigt gewesen sei.
Gegen das ihr am 4. 7. 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. 8. 2005 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung ausgeführt, entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts sei bei einem Bronchialkarzinom der Überlebenszeitraum nicht pauschal feststellbar, sondern hänge von der Ausdehnung des Tumors sowie der Ausbildung von Metastasen ab. - Die langjährige eheähnliche Beziehung sei ein besonderer Umstand, der die Vermutung einer Versorgungsehe widerlege. Insoweit beziehe sie sich auf das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15. 9. 2004 (S 8 RJ 697/02). - Schließlich sei die Pflege des Versicherten als Heiratsmotiv nicht berücksichtigt worden. Legitimes Motiv für die Eheschließung sei es, dem Erkrankten durch die Heirat die nötige Betreuung, Sorge und Pflege zukommen zu lassen. Insoweit beziehe sie sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. 3. 1973 (5 RKN 37/71). - Ergänzend hat die Klägerin die Patientenakte des verstorbenen Hausarztes Dr. Z. vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. 5. 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. 12. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. 2. 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente vom 1. 9. 2003 bis zum 31. 8. 2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Patientenakten über den Versicherten vom Diakoniekrankenhaus H. beigezogen und eine Auskunft des Oberarztes Dr. L. vom 18. 8. 2006 eingeholt. Der Versicherte sei danach im Lauf des stationären Aufenthaltes in mehreren Gesprächen über die Diagnose aufgeklärt worden. Bei Beginn der Chemotherapie sei ihm nochmals klar gemacht worden, dass die Tumorerkrankung fortgeschritten sei und eine Tumorresektion und Bestrahlung nicht möglich seien. Ebenso sei ihm erklärt worden, dass das Ansprechen der Chemotherapie im Vorfeld nicht sicher vorhersehbar gewesen sei und abgewartet werden müsse. Über eine zeitliche Lebensprognose werde generell mit den Patienten nicht gesprochen. Patient und Familie - soweit bei Gesprächen anwesend - würden aber darüber aufgeklärt, dass die Heilungsaussicht nur schwer einzuschätzen sei bzw. die Ärzte sich nicht festlegen könnten. - Bei der Wiederaufnahme am 23. 6. 2003 habe das Nichtansprechen der Chemotherapie konstatiert werden müssen, weshalb man sich zur Beendigung der Chemotherapie und einer Behandlung zur Stabilisierung des Allgemeinbefindens entschlossen habe. Ferner hat der Senat eine Auskunft der Meldebehörde der Stadt H. vom 27. 8. 2007 eingeholt. Schließlich ist die Klägerin vom Senat angehört worden; auf das Protokoll der Sitzung der mündlichen Verhandlung wird insoweit Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senates.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden.
Die Berufung ist auch begründet, da die Klägerin Anspruch auf die begehrte große Witwenrente für den hier nur streitbefangenen Zeitraum vom 1. 9. 2003 bis zum 31. 8. 2005 hat. Insoweit hat die Klägerin ihre Klage vor dem Sozialgericht beschränkt und sich deshalb im Berufungsverfahren an diesem (eingeschränkten) Antrag orientiert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. 12. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. 2. 2004 verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt, u. a. dann Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie - wie die Klägerin - das 45. Lebensjahr vollendet haben.
Gemäß § 46 Abs. 2 a SGB VI haben Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
1.
Die Klägerin ist die Witwe des am ... 2003 verstorbenen Versicherten, welcher die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Sie hatte im Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch das 45. Lebensjahr vollendet.
Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten hatte die Ehe aber nicht mindestens ein Jahr gedauert, sodass aufgrund der gesetzlichen Vermutung gemäß § 46 Abs. 2 a SGB VI zunächst unterstellt wird, dass die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war und somit ein Anspruch auf Witwenrente ausscheidet. Diese mit Wirkung vom 1. 1. 2002 eingeführte Regelung (Gesetz vom 21. 3. 2001, BGBI. I, Seite 403) korrespondiert mit entsprechenden Bestimmungen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 SGB VII), der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 BVG) sowie den Vorschriften über die Beamtenversorgung (§19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG). Damit hat der Gesetzgeber einen weiteren Ausschlussgrund für die Gewährung von Hinterbliebenenrente neben der Vorschrift des § 105 SGB VI eingeführt (vorsätzliche Herbeiführung des Todes des Versicherten). Danach soll ein Anspruch auf Witwenrente bei einer Versorgungsehe ausgeschlossen sein, wenn zumindest überwiegendes Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung ist. Dabei wird unterstellt, dass dies regelmäßig der Fall ist, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstirbt (BT-Drucksache 14/4595). Entgegen der Auffassung der Klägerin soll die Hinterbliebenenversorgung nicht ausschließlich im Falle einer Scheinehe und bei quasi fremden Personen ausgeschlossen sein. Vielmehr sollen auch diejenigen Lebenspartner, die sich vor der Erkrankung bewusst gegen eine Eheschließung entschieden hatten, von der gesetzlichen Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen sein. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist allein, ob überwiegender oder alleiniger Zweck der Heirat die Hinterbliebenenversorgung war.
2.
Der Senat hat sich nach Beiziehung der Patientenakten über den Versicherten und ausführlicher Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits davon überzeugt, dass nach den besonderen Umständen des Falls hier nicht die Annahme gerechtfertigt ist, alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat sei die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist von der Klägerin widerlegt worden, da - trotz der kurzen Ehedauer - zur vollen Überzeugung des Senats ein überwiegendes anderes Motiv für die Eheschließung maßgeblich war.
Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG, § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Dabei sind im Rahmen der Amtsermittlung Ermittlungen in der privaten Intimsphäre grundsätzlich nicht anzustellen, es sei denn, der Antragsteller ist insoweit zur Auskunft bereit. Im Übrigen sind die besonderen Umstände, welche die gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet sind, anhand objektiver Ermittlungsmöglichkeiten in einer typisierenden Betrachtungsweise zu ermitteln. Diese Umstände müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Die objektive Beweislast für das Vorliegen von Anhaltspunkten gegen die Annahme, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, liegt bei der Klägerin (Bundessozialgericht, Urteil vom 3. 9. 1986, Az. 9a RV 8/84, BSGE 60, 204 (206) = SozR 3100 § 38 Nr. 5; GK-SGB Vl-Butzer § 46 Rdnr. 111; KassKomm-Gürtner § 46 SGB VI Rdnr. 46 b). Entgegen der Auffassung der Klägerin reichen also bloße Hinweise auf etwaige andere Motive für die Heirat nicht aus, um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers müssen besondere Umstände wie etwa z. B. ein Unfalltod vorliegen (BT-Drucksache 14/4595). Weitere gegen eine Versorgungsehe sprechende typisierende Umstände des Einzelfalls kann die Existenz gemeinsamer Kinder sein, wenn die weitere Erziehung eines Kindes des Versicherten durch den überlebenden Ehegatten gesichert werden soll, ferner die Legitimation einer nach deutschem Recht ungültigen früheren Eheschließung, ein bereits vor der Erkrankung fest vereinbarter und aufgrund unabweisbarer schwerwiegender Umstände verschobener erster Hochzeitstermin oder die Heirat zum Zwecke der Sicherstellung der Pflege des auf fremde Hilfe angewiesenen Ehepartners, wenn sein Ableben nach den gesundheitlichen Verhältnissen zur Zeit der Eheschließung nicht in absehbarer Zeit zu erwarten war (vgl. GK-SGB Vl-Butzer § 46 Rdnr. 114, KassKomm-Gürtner § 46 SGB VI Rdnr. 46 c). Abzustellen ist insoweit grundsätzlich auf die Motive nicht nur eines, sondern beider Ehegatten (BSG, Urteil vom 3. 9. 1986, a.a.O.).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die gesetzliche Vermutung hier widerlegt worden, da Anhaltspunkte dafür, dass die Eheschließung von der Klägerin nicht zumindest überwiegend zum Zweck der Hinterbliebenenversorgung betrieben worden ist, nachgewiesen sind. Ob allerdings der Versicherte ein solches Motiv für die Eheschließung hatte, kann hier außer Betracht bleiben. Denn abzustellen ist bei der Erforschung der Motivlage auf die beider Ehegatten. Wenn nur einer, insbesondere der Hinterbliebene, nicht aus einem Versorgungswunsch heraus geheiratet hat, ist die Motivationslage des Anderen unbeachtlich (vgl. KassKomm-Gürtner § 46 SGB VI Rdnr. 46 c).
Zur Überzeugung des Senats war Motiv der Klägerin für die Heirat am 20. 6. 2003, dem Versicherten bei der Überwindung seiner schweren Erkrankung beizustehen. Dies ergibt sich insbesondere aus den Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung sowie im Verwaltungsverfahren. Diese Angaben hat der Senat umfassend seiner Urteilsfindung zugrunde gelegt, da er die Klägerin für uneingeschränkt glaubwürdig gehalten und ihre Aussage im Verhandlungstermin als ausnahmslos glaubhaft beurteilt hat. Die Angaben der Klägerin waren in sich widerspruchsfrei, vermeintliche Widersprüche zum schriftlichen Vorbringen der Prozessbevollmächtigten konnten zwanglos aufgeklärt werden. Aufgrund der Schilderungen der Klägerin entstand für den Senat ein stimmiges Bild von der Person des Versicherten, der Klägerin sowie der Beziehung der beiden zueinander. Auch der übrige Akteninhalt deckt sich völlig mit den Angaben der Klägerin. Diese hat gegenüber dem Senat den Eindruck hinterlassen, wahrheitsgemäß, eher wortkarg und nüchtern, keinesfalls dramatisierend oder übertreibend die Fragen nach der Entwicklung ihrer Beziehung zum Versicherten sowie ihres Heiratsentschlusses, den Umständen der Heirat und dem Krankheitsverlauf des Versicherten beantwortet zu haben.
Danach hatte der Versicherte bereits nach seiner Scheidung 1995 die Klägerin gebeten, ihn zu heiraten, da er sie an sich binden wollte. Wegen der häufigen berufsbedingten Abwesenheiten des Versicherten, der als Berufskraftfahrer sowohl unter der Woche als auch häufig am Wochenende unterwegs war, wollte er die Sicherheit der Ehe für sich in Anspruch nehmen. Die Klägerin, die in ihrer vorangegangenen Ehe unter der Eifersucht des früheren Ehemannes gelitten hatte, widersetzte sich diesem immer wieder geäußerten Wunsch mit der Begründung, die Eheschließung hätte seine vorherige Ehefrau auch nicht gehindert, ihn zu verlassen, und sie sei auch ohne eine Heirat bereit, für ihn da zu sein; so habe sie z. B. alle Behördengänge in Vollmacht für ihn erledigt. Auch hatte sie die Schulden, die er mit seiner früheren Ehefrau bei seinen Eltern gemacht hatte, in Form von Mietzahlungen mit ihm getragen, obwohl sie hierzu nicht verpflichtet gewesen war. Sie hatte sich von ihm als verlässliche Lebenspartnerin in die Pflicht nehmen lassen, sich aber seinem Heiratswunsch wegen der schlechten Erfahrungen widersetzt. Der Versicherte hatte dies „um des lieben Frieden willens” akzeptiert.
Am 12. 5. 2003 machte ihr der Versicherte erneut einen Heiratsantrag und erzählte ihr gleichzeitig erstmals von der Krebsdiagnose. In dieser Situation fühlte sich die Klägerin insoweit in die Pflicht genommen, dem Wunsch nach Sicherheit und nach einer Einstandsgemeinschaft in der Not nachzukommen, nachdem sie jahrelang seinem Drängen auf eine eheliche Absicherung ihrer Partnerschaft - aus nach ihrer Auffassung egoistischen Motiven - nicht entsprochen hatte. Nach ihren moralischen Vorstellungen fühlte sie sich verpflichtet, seinem Wunsch nachzukommen, um ihn in seinem Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Nach ihrer Vorstellung musste gerade jetzt die Familie zusammenhalten. Angesichts des Umstandes, dass der Versicherte gleichzeitig mit dem Heiratsantrag die Mitteilung über die Krebserkrankung verbunden hatte, sah sich die Klägerin nun nicht mehr - wie früher - in der Lage, dem Heiratswunsch des Versicherten auszuweichen. Sie traf daraufhin alle Vorbereitungen für die Eheschließung und suchte nach Vorliegen der Unterlagen mit dem Versicherten die Standesbeamtin zum Zwecke der Terminsbestimmung auf. Während der Besprechung riet die Standesbeamtin, den Hochzeitstermin vor die Chemotherapie zu legen, und begründete dies mit eigenen familiären Erfahrungen. Nachdem sie als noch freien Termin den nächsten Tag vorgeschlagen hatte, stimmte der Versicherte zu und die Klägerin schloss sich seiner Entscheidung an.
Auf ausdrückliches Befragen durch den Senat hat die Klägerin angegeben, sich über den möglichen Anspruch auf Witwenrente anlässlich der Hochzeit keine Gedanken gemacht zu haben, da ihr dies in dieser Situation unwichtig erschienen sei und sie in erster Linie die Genesung ihres Mannes im Blick gehabt habe.
Soweit die Klägerin im Klageverfahren - in sich widersprüchlich - vorgetragen hatte, die Heirat sei nur die Erfüllung eines langjährigen Ehewunsches beider Eheleute gewesen, wertet der Senat dies als prozesstaktisches Vorbringen der Prozessbevollmächtigten. Diese widersprüchliche Darstellung hat aufgrund des in der mündlichen Verhandlung glaubwürdigen Eindrucks der Klägerin nicht zu Zweifeln an dem Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin gegenüber dem Senat geführt.
Auch die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits geschilderte Persönlichkeit des Versicherten fügt sich in den von ihr geschilderten Geschehensablauf. Sie und der Versicherte hatten während des Zusammenlebens nie viel, insbesondere nicht über belastende Umstände, geredet. So hatte der Versicherte der Klägerin bei Beginn des Zusammenlebens Kreditschulden über 21.000,00 DM verschwiegen. Darauf angesprochen, hatte er der Klägerin gegenüber als Begründung für dieses Verschweigen seine Befürchtung angeführt, sie hätte bei vorheriger Kenntnis dieser Umstände keine Lebensgemeinschaft mit ihm aufgenommen. Dazu passt, dass er ihr erstmals am 12. 5. 2003 von der ihm sicherlich schon früher bekannten Krebsdiagnose berichtete, aber sie über den Ernst der Lage im Unklaren ließ. Dies ergibt auch insoweit ein stimmiges Bild, als der Versicherte nach Angaben der Klägerin von der früheren Ehefrau verlassen worden war und deshalb auch Trennungsängste in Bezug auf die Klägerin bestanden hatten. Er hatte während ihres Zusammenlebens augenscheinlich versucht, unangenehme Tatsachen zu verheimlichen, um die Harmonie in der ohnehin nur wenigen gemeinsamen Zeit nicht zu stören und so alles zu unterlassen, was die Klägerin hätte veranlassen können, die Beziehung zu beenden. So hatte der Versicherte auch seinen Wunsch, die Klägerin zu heiraten, immer wieder geäußert, sich aber „um des lieben Friedens willen” jeweils mit ihrer Absage zufrieden gegeben. Schließlich hatte er der Klägerin gegenüber auch, als er schon an Krebs erkrankt war, verheimlicht, weiter geraucht zu haben. Erst nach seinem Ableben fand die Klägerin eine versteckte Zigarettenschachtel.
Der Senat ist auch ferner der Überzeugung, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt der Eheschließung die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung nicht erkannt hatte. Während der Versicherte - ausweislich des vorliegenden Gesprächsvermerks des Oberarztes der Klinik - spätestens am 12. 5. 2003 hierüber sowie über die Unmöglichkeit einer Bestrahlung und Tumorresektion informiert worden war, war der Klägerin das Ausmaß der Erkrankung nicht bewusst gewesen. Erstmals am 12. 5. 2003 hatte der Versicherte ihr überhaupt hinsichtlich der Diagnose „Krebs” Angaben gemacht, sie jedoch über den Ernst der Erkrankung dabei nicht aufgeklärt. Versuche der Klägerin, mit den Ärzten des Krankenhauses Aufklärungsgespräche zu führen, waren nach ihren Angaben vergebens gewesen. Auch in den Patientenunterlagen finden sich keine Hinweise auf ein mit der Klägerin geführtes Gespräch über die Lebensbedrohlichkeit der Krankheit. Von dem inzwischen verstorbenen Hausarzt Dr. Z. war die Klägerin ebenfalls nicht aufgeklärt worden. Dieser hatte die Klägerin und den Versicherten nach dessen Entlassung aus dem Krankenhaus am 24. 5. 2003 zwar gefragt, warum sie immer noch nicht verheiratet wären. Er hatte der Klägerin aber nicht erklärt, dass für eine Heirat nicht mehr viel Zeit bliebe. Diese Einschätzung hatte Dr. Z. ihr erst nach dem Tod des Versicherten mitgeteilt.
Die Ärzte des Diakoniekrankenhauses hatten die Chemotherapie auch erst während des dritten stationären Aufenthaltes des Versicherten, also nach erfolgter Eheschließung, abgebrochen. Dabei war jedoch die Heirat zunächst für die Zeit nach Abschluss der dritten Chemotherapie geplant worden. Nur aufgrund des überraschenden Vorschlags der Standesbeamtin der Stadt H. war die Heirat auf den Freitag vor der Wiederaufnahme in die Klinik vorverlegt worden.
Die Überzeugung des Senats stützt sich auch insoweit auf die Angaben der Klägerin im Verhandlungstermin, die ausnahmslos durch die beigezogene Patientenakte bestätigt werden. Danach ist unter dem 12. 5. 2003 vermerkt, dass der Patient sich gut fühle, Besuch bekommen habe und morgen mit der Chemotherapie begonnen werde. Aus dem Besprechungsvermerk ergibt sich nicht, dass außer dem Versicherten eine weitere Person anwesend gewesen war. Die Patientenakte, in der im Einzelnen Befunde, Befindlichkeiten und Besuche aufgeführt sind, enthält keinen Hinweis über ein Gespräch mit der Klägerin. Überdies besteht Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin im Rentenantrag vom 23. 9. 2003 und ihrem Vorbringen zur Begründung des Widerspruchs. Zu einem Zeitpunkt, als der Klägerin noch nicht bewusst war, nach welchen Maßstäben das Vorliegen einer Versorgungsehe zu beurteilen ist, hat sie angegeben, in die Heirat eingewilligt zu haben, um dem Versicherten Kraft und Rückhalt zu geben. Es sei ihr nicht bekannt gewesen, dass er nur noch wenige Wochen zu leben gehabt habe. Sie sei bis zum Abbruch der Therapie von einer Eindämmbarkeit und anschließender Operabilität des Karzinoms ausgegangen. Noch im Widerspruchsverfahren hatte die Klägerin gemutmaßt, dass eine Falschtherapie gewählt worden sei. Auch dieses Vorbringen stimmt mit den Angaben während der Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überein und bestätigt, dass die Klägerin von dem Versicherten, den Ärzten des Diakoniekrankenhauses sowie von dem Hausarzt jedenfalls bis zur Hochzeit im Unklaren über den Zustand des Versicherten gelassen worden ist.
Schließlich verdeutlicht die Schilderung der Klägerin, sie habe sich nach der Diagnosestellung über Heilpilze informiert, diese bestellt und ihrem Mann mit Hilfe von Joghurt verabreicht, dass sie nicht in der Lage war, das Ausmaß der Krankheit und die Heilungschancen realistisch einzuschätzen. Vielmehr versuchte sie mit völlig untauglichen Mitteln, die gesundheitliche Situation zu verbessern. Dies hat sie, da diese Verabreichung unangenehm und quälend für den Versicherten war, im Nachhinein sehr bedauert. Auch insoweit passt in das von der Klägerin vermittelte Bild der Persönlichkeit des Versicherten, dass er die für ihn schmerzhafte Einnahme der Pilze nicht abgelehnt hatte.
Ferner spricht der Umstand, dass die Klägerin sich bereits über einen Pflegekurs informiert und das Wohnzimmer umgeräumt hatte, damit der Versicherte weiterhin so viel wie möglich vom Familienleben mitbekommen konnte, für ihre Überzeugung, dass ein längerer Heilungsprozess noch vor ihnen lag.
Auch der sehr schlechte körperliche Zustand, in dem sich der Versicherte befunden hatte, lässt die Überzeugung der Klägerin, die Krankheit sei heilbar, nicht als unwahrscheinlich erscheinen. Vielmehr bestärkten sie das Gespräch mit der Standesbeamtin der Stadt H. über die körperlichen Beeinträchtigungen einer Chemotherapie bei deren Vater und ihre persönliche Erfahrung als Taxifahrerin mit den jahrelangen Krankenfahrten einer an Lungenkrebs erkrankten Kundin in ihrer Auffassung, dass der Zustand des Versicherten noch heilbar sei und der Tod nicht in absehbarer Zeit eintreten werde.
Schließlich liegt auch kein Indiz dafür vor, dass es sich bei der Heirat - wegen des schlechten körperlichen Zustandes des Versicherten - um eine „Notheirat” gehandelt hätte. Vielmehr war die Hochzeit zunächst für einen Zeitpunkt nach Beendigung der vorgesehenen Chemotherapieintervalle vorgesehen gewesen. Zu der Heirat zwischen den zwei stationären Aufenthalten kam es nur, weil zufälligerweise ein Termin im Standesamt frei war.
Der Umstand, dass der Versicherte bis zur zweiten stationären Behandlung unter einer anderen Anschrift - nämlich der Wohnung seiner Eltern - gemeldet war, spricht auch nicht gegen die Ernsthaftigkeit der Absicht, an einem gemeinsamen Wohnsitz zu leben. Die Klägerin hat gegenüber dem Senat überzeugend erläutert, dass der Versicherte den Eltern Rückzahlungen zu leisten hatte, die in Form von Miete für ein Zimmer in deren Wohnung deklariert worden waren. Zur Ummeldung in die vom Versicherten und der Klägerin bewohnte Wohnung kam es erst, als der Versicherte durch die Erkrankung krankgeschrieben war und nun beide Zeit für die Behördengänge hatten, bei denen die Vollmacht für die Klägerin nicht ausreichend gewesen war.
Nach alledem hat sich der Senat durch die Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits und Würdigung aller ihrer Angaben im Verwaltungsverfahren davon überzeugt, dass - zumindest sie - die Ehe am 20. 6. 2003 nicht in der überwiegenden Absicht der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen hat, sodass die gesetzliche Vermutung widerlegt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
I.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bundessozialgericht Kassel, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel, einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen:
a) die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbstständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von Vereinigungen der Kriegsopfer, die kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind. Gleiches gilt für Bevollmächtigte, die als Angestellte bestimmter juristischer Personen handeln, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der genannten Vereinigungen stehen und die ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Vereinigung nach deren Satzung durchführen. Dazu ist die Haftung der Vereinigung für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten Voraussetzung.
b) Rechtsanwälte.
Behörden sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts brauchen sich nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich zu begründen.
In der Begründung muss
die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt
oder
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von der das Urteil abweicht,
oder
ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
II.
Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch einen Bevollmächtigten der unter I a) genannten Gewerkschaften oder Vereinigungen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Antrag kann von dem Beteiligten persönlich gestellt werden; er ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen; hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten und ggf. durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - ggf. nebst entsprechenden Belegen - müssen bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
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