Vorbeugende Sicherungspflicht bei Glätte

Gericht

OLG Brandenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 01. 2007


Aktenzeichen

5 U 86/06


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 13. April 2006 - Az. 12 O 20/06 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 5.553,52 €.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung der Beklagten im Haus … Ring … in W…. Am Morgen des 17. Februar 2005 verließ sie nach ihrem - bestrittenen - Vorbringen gemeinsam mit dem Zeugen F… M… gegen 4.45 Uhr das Haus, um zur Arbeit zu gehen. Nach ihrem eigenen weiteren Vorbringen stellte sie bereits beim Öffnen der Hauseingangstür fest, dass der betonierte Vorplatz und die Treppenstufen äußerst glatt gewesen seien. Sie habe sich dann langsam und behutsam zum Treppengeländer bewegt und sich daran festgehalten, um langsam hinunter zu gehen. Wegen der vorhandenen Glätte sei sie schon auf der ersten Stufe ausgerutscht und gestürzt. Sie zog sich dabei eine Fraktur des Sprunggelenks im rechten Fuß zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten auch hinsichtlich des Umfanges des geltend gemachten Schadenersatzanspruches wird auf die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, auch in Wohnanlagen wie der von der Klägerin bewohnten müsse nicht vor 5.00 Uhr morgens mit einem nennenswerten Fußgängerverkehr gerechnet werden, so dass zum Unfallzeitpunkt noch nicht habe erwartet werden können, dass die Treppe beräumt und gestreut war. Ein Fall des sog. “vorbeugenden Streuens” sei nicht gegeben. Nach den unstreitigen Umständen sei für die Beklagte nicht vorhersehbar gewesen, dass es nach Ende der Räum- und Streupflicht gegen 20.00 Uhr zu einer Glatteisbildung auf den Außentreppen der Wohnanlage kommen würde. Die Beklagte könne sich mit Erfolg darauf berufen, dass auf die während der Nacht eingetretene neue Witterungslage - Absinken der Temperaturen unter den Gefrierpunkt, leichter Schneefall - erst am Morgen des 17. Februar 2005 nach dem Unfall habe reagiert werden müssen.

Gegen das ihr am 20. April 2006 zugestellte Urteil des Landgerichts Potsdam hat die Klägerin mit am 19. Mai 2006 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Die Klägerin rügt unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens die Verletzung materiellen Rechts. Ergänzend und in der Berufungsinstanz neu legt sie nunmehr zwei Mitschriften des Wetterberichts aus der Tagesschau vom 15. und 16. Februar 2005 vor (GA 104 f.), aus denen sich ergeben soll, dass konkrete Anhaltspunkte bestanden hätten, die die Beklagte zu einem vorbeugendem Streuen hätten veranlassen müssen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 13. April 2006 - Az. 12 O 20/06 - die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 347,64 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2005 zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2005 zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 205,84 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin alle weiteren zukünftigen immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 17. Februar 2005, … Ring …, W…, zu ersetzen habe.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens die angefochtene Entscheidung.


II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 517, 519, 520 ZPO.

Das Rechtsmittel der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend die Klage insgesamt abgewiesen; der Klägerin steht bereits dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB wegen des Unfalls vom 17. Februar 2005 nicht zu, weil nicht festgestellt werden kann, dass der – unterstellte - Sturz dadurch verursacht worden ist, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt hat.

1.
Soweit das Landgericht im Hinblick auf den Unfallzeitpunkt um 4.45 Uhr festgestellt hat, die Beklagte sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht verpflichtet gewesen, die Treppe zu streuen und zu räumen, so ist dies nicht zu beanstanden.

Maßgeblich für Beginn und Ende der Streupflicht ist neben dem Eintritt der Gefährdungslage (mit angemessener Reaktionszeit) das Einsetzen des üblichen Tagesverkehrs. Streumaßnahmen müssen danach morgens so rechtzeitig durchgeführt werden, dass auch der vor dem allgemeinen Tagesverkehr liegende Hauptberufsverkehr geschützt wird (OLG Frankfurt NJW-RR 2004, 312, 313).

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dieser Hauptberufsverkehr im vorliegenden Fall schon um 4.45 Uhr eingesetzt hatte - mit der Folge, dass die Beklagte zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr nachts mit dem Räumen und Streuen hätte beginnen müssen - sind nicht erkennbar. Die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang lediglich pauschal vor, in größeren Wohnanlagen wohnten üblicherweise Mieter, die im Schichtbetrieb arbeiten und es sei daher auch schon vor 5.00 Uhr mit einem nennenswerten Fußgängerverkehr zu rechnen (GA 95).

Abgesehen davon, dass dem Senat ein solcher Erfahrungssatz nicht bekannt ist, wird - worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist - insbesondere nicht deutlich, was sie unter einem “nennenswerten Fußgängerverkehr” versteht. Es fehlen insbesondere Darlegungen der Klägerin dazu, wie die Situation in der konkret von ihr bewohnten Wohnanlage ist.

Daraus, dass zum Unfallzeitpunkt noch nicht beräumt und gestreut war, lässt sich demgemäß eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten nicht herleiten.

2.
Eine Verletzung der Pflicht zum sog. “vorbeugenden Streuen” durch die Beklagte lässt sich auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz ebenfalls nicht feststellen.

a.
Die zeitliche Begrenzung der Räum- und Streupflicht hat ihren Grund nicht darin, dass es unerheblich wäre, ob es während der übrigen Zeit glatt ist oder zu sonstigen Gefahrensituationen kommt. Die Begrenzung der Handlungspflichten beruht allein auf Zumutbarkeitserwägungen. Daraus folgt aber, dass auch zu einem Zeitpunkt Sicherungspflichten bestehen, in dem Glätte noch nicht eingetreten ist, aber bereits mit hinreichender Sicherheit absehbar ist, dass es in den folgenden Stunden, in denen keine Räum- und Streupflicht mehr besteht, zum Auftreten von Glätte kommen wird (OLG Frankfurt, a. a. O.). Der Bundesgerichtshof spricht in diesem Zusammenhang davon, dass unter den gegebenen Umständen Anlass bestehen muss, gegen eine an solcher Stelle konkret zu befürchtende Glatteisgefahr Vorsorgemaßnahmen zu treffen (BGH Versicherungsrecht 1985, 189).

b.
Der Senat vermag selbst nach dem ergänzten Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz nicht festzustellen, dass für die Beklagte mit hinreichender Sicherheit absehbar war, dass sich in der Nacht zum 17. Februar 2005 auf den Treppen der Wohnanlage … Straße … in W… Glatteis bilden wird bzw. eine konkret zu befürchtende Glatteisgefahr bestand.

Soweit die Klägerin insoweit ihren Vortrag in der Berufungsinstanz durch Vorlage der Wetterberichte in der Tagesschau vom 15. Februar 2005 und vom 16. Februar 2005 ergänzt hat, war dies in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen. Dem Landgericht ist dadurch, dass es der Klägerin den in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2006 beantragten Schriftsatznachlass nicht gewährt hat, ein Verfahrensfehler unterlaufen. Es trifft zwar zu, dass zuvor die rechtliche Problematik des “vorbeugenden Streuens” in den Schriftsätzen der Parteien angesprochen worden war, aber das Landgericht hat ersichtlich erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2006 deutlich gemacht, dass es insoweit den Tatsachenvortrag der Klägerin nicht für ausreichend erachte. Dann aber hätte der Klägerin Gelegenheit gegeben werden müssen auf diesen Hinweis zu reagieren. Das neue Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz - Vorlage der Wetterberichte - kann demgemäß nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO in der Berufungsinstanz berücksichtigt werden.

Unter Berücksichtigung dieses weiteren Vorbringens ist eine Situation, in der es für die Beklagte bei Ende der Streupflicht am 16. Februar 2005 gegen 20:00 Uhr absehbar gewesen war, dass es in den Hauseingangsbereichen in den folgenden Stunden zu einer Glättebildung kommen wird, nach wie vor nicht dargetan. Für den 16. Februar 2005 kommt es für eine Prognoseentscheidung, mit welcher Witterungssituation in der kommenden Nacht zu rechnen war, schon nicht darauf an, welchen Inhalt der Wetterbericht in der Tagesschau vom 15. Februar 2005 hatte, sondern darauf, wie das Wetter konkret an diesem Tag war. Darlegungen hierzu seitens der Klägerin fehlen, worauf sie ebenfalls in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die von der Klägerin nicht beanstandet werden, hat es am 16. Februar 2005 keine Niederschläge mehr gegeben. Die Klägerin legt in diesem Zusammenhang nicht dar, in welchem Zustand sich die Treppe am Abend des 16. Februar 2005 gegen 20.00 Uhr konkret befunden hat.

In der Nacht zum 17. Februar 2005 sind dann die Temperaturen unter 0°C gesunken und es hatte leichter Schneefall eingesetzt. Dies allein reicht aber nicht aus um feststellen zu können, die Beklagte habe bereits am Abend zuvor mit Glatteisbildung konkret rechnen müssen. Der Wetterbericht in der Tagesschau vom 16. Februar 2005 bietet hierfür ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dieser Wetterbericht enthält überwiegend nur allgemeine Angaben für ganz Deutschland. Lediglich für die Südosthälfte Deutschlands, in der sich W… allerdings nicht befindet, ist leichter Schneefall angekündigt. Abgesehen von der Frage, ob die abstrakte Möglichkeit leichten Schneefalls ausreicht, um eine vorbeugende Streupflicht auszulösen, lässt sich dem Wetterbericht schon nicht hinreichend sicher entnehmen, dass dieser leichte Schneefall überhaupt im Bereich um P… und B…, der dem Südosten Deutschlands nicht zuzurechnen ist, angekündigt war. Anders als in dem vom OLG Frankfurt/Main entschiedenen Fall, in dem sich schon im Laufe des Tages erkennbar auf Grund von Niederschlägen Pfützen gebildet hatten, auf denen sich dann etwa ab 20.00 Uhr Eis bildete, fehlen vorliegend konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich die Pflicht zu einem vorbeugenden Handeln hätte ergeben können.

Hat danach die Beklagte aber ihre Pflicht zum sog. “vorbeugenden Streuen” nicht verletzt, so beruht der Unfall der Klägerin nicht auf einer Pflichtverletzung der Beklagten. Ein Schadensersatzanspruch ist danach bereits dem Grunde nach nicht gegeben, mit der Folge, dass die Klage durch das Landgericht zu Recht insgesamt abgewiesen worden ist.

3.
Es kommt nicht mehr darauf an, ob das Mitverschulden der Klägerin, die nach ihrem eigenen Vorbringen in der Klageschrift bereits beim Öffnen der Hauseingangstür festgestellt hatte, dass der betonierte Vorplatz und die Treppenstufen äußerst glatt gewesen sind und die danach zum Verlassen des Hauses einen vorhandenen überdachten Hinterausgang nicht genutzt hat, so groß ist, dass dahinter eine - unterstellte - Pflichtverletzung der Beklagten vollständig zurücktreten würde.

4.
Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.


Gemeinhardt Kiepe Dr. Huth

Vorinstanzen

AG Potsdam, 12 O 20/06

Rechtsgebiete

Schnee und Glatteis