Weiternutzung des Kfz nach wirtschaftlichem Totalschaden

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

10. 07. 2007


Aktenzeichen

VI ZR 217/06


Leitsatz des Gerichts

Benutzt der Geschädigte im Totalschadensfall (hier: Reparaturkosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts) sein unfallbeschädigtes Fahrzeug nach einer (Teil-)Reparatur weiter, ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen (Ergänzung zum Senatsurteil vom 6. 3. 2007 - VI ZR 120/06 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

Tenor


Tenor:

Der VI. Zivilsenat des BGH hat im schriftlichen Verfahren nach Schriftsatzfrist bis zum 20. 6. 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr für Recht erkannt:

Die Revision der Bekl. gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bochum vom 5. 9. 2006 wird zurückgewiesen.

Die Bekl. tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kl. nimmt die Bekl. zu 1 und 2 als Gesamtschuldner auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 31. 12. 2004 in Anspruch. Die Haftung der Bekl. steht außer Streit. Die Parteien streiten nur noch darum, in welcher Höhe sich der Kl. bei der Ermittlung des Wie-derbeschaffungsaufwandes den Restwert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges anrechnen lassen muss.

Der vom Kl. mit der Schadensermittlung beauftragte Sachverständige hat für das Fahrzeug Reparaturkosten in Höhe von 13.767,14 €, einen Brutto-Wiederbeschaffungswert von 12.500 € und einen auf dem regionalen Markt erzielbaren Restwert von 2.000 € ermittelt. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Netto-Wiederbeschaffungswert nach Abzug der Differenzsteuer 12.200 € beträgt.

Mit Schreiben vom 20. 1. 2005 hat der Haftpflichtversicherer (Bekl. zu 2 dem Kl. ein höheres Restwertangebot von 4.300 € eines Restwertaufkäufers aus einer Internet-Restwertbörse vorgelegt und auf dieser Basis den Fahrzeugschaden mit 7.900 € reguliert.

Der Kl. will sich das höhere Restwertangebot nicht anrechnen lassen, weil er das Unfallfahrzeug (teil-)repariert hat und weiternutzt und verlangt mit der vorliegenden Klage die Differenz von 2.300 € zu dem Restwert von 2.000 €, den sein Sachverständiger auf dem regionalen Markt ermittelt hat.

Das AG hat die entsprechende Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das LG das Urteil des AG insoweit abgeändert und die Bekl. verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kl. weitere 2.300 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgen die Bekl. ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kl. könne bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands zwar nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot unter Umständen verpflichtet sein, ein ihm vom Haftpflichtversicherer übermitteltes höheres Restwertangebot aus dem Bereich spezialisierter Restwertaufkäufer im Internet anzunehmen. Dies sei jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb nicht für die Schadensabrechnung maßgeblich, weil der Klä-ger das Fahrzeug repariert habe und weiternutze. Würde man ihn auf das höhere Restwertangebot verweisen, würde dies letztlich dazu führen, dass der Kl. sein Fahrzeug statt der Reparatur zwingend hätte verkaufen müssen, um nicht einen Teil des Schadens selbst zu tragen, obwohl er sich für eine Reparatur entschieden hätte. Damit würde in die Dispositionsfreiheit des Kl. und die ihm allein zustehende Ersetzungsbefugnis eingegriffen. Dies gelte um so mehr, als vom Grundsatz her das Fahrzeug durchaus reparaturwürdig gewesen sei, weil die kalkulierten Reparaturkosten 130 % des Wiederbeschaffungswertes nicht überschritten hätten.

II. Die Erwägungen des BerGer. halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kl. muss sich bei der Berechnung des von den Bekl. zu ersetzenden Wiederbeschaffungsaufwandes lediglich den von seinem Sachverständigen ermittelten Restwert von 2.000 € anrechnen lassen.

1. Da die geschätzten Reparaturkosten im Streitfall den Wiederbeschaffungswert des Kraftfahrzeuges übersteigen, ist das BerGer. zutreffend davon ausgegangen, dass der Geschädigte im Wege der fiktiven Schadensabrechnung nur den Wiederbeschaffungsaufwand, also die Differenz zwischen dem Netto-Wiederbeschaffungswert und dem Restwert ersetzt verlangen kann.

a) Nimmt der Geschädigte tatsächlich eine Ersatzbeschaffung vor, leistet er im Allgemeinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 II Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 163, 362, 366; BGHZ143, 189, 193; vom 21. 1. 1992 - VI ZR 142/91 -VersR 1992, 457; vom 6. 4. 1993 - VI ZR 181/92 - VersR 1993, 769, 770 und vom 7. 12. 2004 - VI ZR 119/04 - VersR 2005, 381, 382). Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen und kann vom Schädiger auch nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem solchen Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielt werden könnte; er muss sich einen höheren Erlös allerdings anrechnen lassen, wenn er ihn bei tatsächlicher Inanspruchnahme eines solchen Sondermarktes ohne besondere Anstrengungen erzielt (vgl. Senatsurteil vom 7. 9. 2004 - VI ZR 119/04 - aaO). Dabei können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, eine ihm ohne weiteres zugängliche, günstigere Verwertungsmöglichkeit wahrzunehmen und durch eine entsprechende Verwertung seines Fahrzeuges in Höhe des tatsächlich erzielten Erlöses den ihm entstandenen Schaden auszugleichen (vgl. Senatsurteil BGHZ 143, 189, 194). Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil andernfalls die dem Geschädigten nach § 249 II Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, wonach es Sache des Geschädigten ist, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt. Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadensbehebung nicht die vom Haftpflichtversicherer des Schädigers gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden.

b) Nimmt der Geschädigte im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens tatsächlich keine Ersatzbeschaffung vor, sondern nutzt er sein unfallbeschädigtes Fahrzeug - ggf. nach einer Teilreparatur - weiter, ist nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 6. 3. 2007 - VI ZR 120/06 - (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens (Repara-turkosten höher als 130 % des Wiederbeschaffungswerts) bei der Berechnung des fiktiven Wiederbeschaffungsaufwandes in der Regel nur der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen. Dies gilt erst recht, wenn sich - wie im Streitfall - die geschätzten Reparaturkosten in einem Bereich bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges bewegen und der Geschädigte nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 15. 2. 2005 - VI ZR 70/04 - VersR 2005, 663, 665) vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach einer vollständigen und fachgerechten Reparatur im Rahmen einer konkreten Schadensabrechnung sogar die entsprechenden Kosten verlangen könnte. Lässt der Geschädigte in einem solchen Fall sein Fahrzeug nur teilreparieren, so kann er im Rahmen einer fiktiven Schadensabrechnung zwar nur den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangen. Er kann dabei aber nicht auf ein höheres Restwertangebot verwiesen werden, das er wegen der tatsächlichen Weiternutzung des Fahrzeuges nicht realisieren kann. Da nach dem gesetzlichen Leitbild des Schadensersatzes der Geschädigte mit der Ersetzungsbefugnis Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt, kann ihn der Haftpflichtversicherer des Schädigers auch nicht durch die Übermittlung eines höheren Restwertangebotes aus einer Internet-Restwertbörse, das möglicherweise nur in einem engen Zeitraum zu erzielen ist, zu einem sofortigen Verkauf des Fahrzeuges zwingen (vgl. Senatsurteil vom 6. 3. 2007 - VI ZR 120/06 -Umdr. S. 7, Rn. 10).III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 I, 100 IV ZPO.

Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

Vorinstanzen

AG Bochum, Entscheidung vom 17.05.2006 - 70 C 385/05 -
LG Bochum, Entscheidung vom 05.09.2006 - 9 S 106/06 -

Rechtsgebiete

Privatversicherungsrecht; Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

BGB § 249