Höhe der ersatzfähigen Mietwagenkosten nach Verkehrsunfall

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

26. 06. 2007


Aktenzeichen

VI ZR 163/06


Leitsatz des Gerichts

Zur Schätzung der erforderlichen Herstellungskosten nach den Tabellen zur Nutzungsausfallentschädigung bei Anmietung eines Ersatzfahrzeugs zu einem Unfallersatztarif.

Tenor


Tenor:

Der VI. Zivilsenat des BGH hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. 6. 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr für Recht erkannt:

Auf die Revision der Bekl. wird das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Freiburg vom 20. 7. 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Bekl. ergangen ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das BerGer. zurückverwiesen.

Tatbestand


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Erstattung weiterer Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall vom 22. 2. 2005 zwischen dem Kl. und einem Versicherungsnehmer der Bekl.. Die Haftung der Bekl. dem Grunde nach ist zwischen den Parteien nicht streitig. Der Kl. hat sein Fahrzeug nicht reparieren lassen, sondern ein Ersatzfahrzeug mittels Leasing beschafft. Von23. 2. bis 7. 3. 2005 hat er bei der Fa. S. Autovermietung GmbH ein Mietfahrzeug in Anspruch genommen. Auf die Mietwagenrechnung vom 15. 3. 2005 in Höhe von 2.371,04 € hat die Bekl. lediglich 1.474 € gezahlt.

Der Kl. hat mit der Klage von den verbleibenden 897,04 € einen Teilbetrag von 650 € nebst Zinsen begehrt. Er hält die Bekl. zur Erstattung des dreifachen Nutzungsausfalls nach der Tabelle von Sanden/Danner/ Küppersbusch für verpflichtet. Sein Fahrzeug sei in der Gruppe G mit einem Tagessatz von 59 € einzustufen.

Das AG hat der Klage wegen einer Mietdauer von lediglich elf statt zwölf Tagen im Teilbetrag von 473 € stattgegeben.

Das BerGer. hat die Berufung der Bekl., mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgt hat, zurückgewiesen und die Bekl. auf die Anschlussberufung des Kl. zur Zahlung von 650 € nebst Zinsen verurteilt. Mit der vom BerGer. zugelassenen Revision verfolgt die Bekl. ihr Ziel einer Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I. Das BerGer. hat im Wesentlichen ausgeführt, die Bekl. sei verpflichtet, die Mietwagenkosten auf der Basis des dreifachen Satzes der nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbuch ermittelten Nutzungsausfallentschädigung mit 177 €/Tag zu ersetzen. Dass der Kl. den erforderlichen Her-stellungsaufwand nach § 249 BGB anhand des dreifachen Satzes des Nutzungsausfalls berechne, entspreche der ständigen Rechtsprechung der Berufungskammer des LG. Der Autorenrat für die Nutzungsentschädi-gungstabelle nach Sanden/Danner/Küppersbusch setze sich paritätisch aus einem Vertreter der Versicherungswirtschaft, einem Vertreter eines Automobilclubs und einem technischen Sachverständigen zusammen und fälle seine Entscheidungen über Berechnung, Umstufung und Höhe der Nutzungsentschädigung in der Regel übereinstimmend. Bei den zugrunde liegenden Mietwagenkosten stütze sich der Autorenrat auf den Automietpreisspiegel von eurotax Schwacke Expert. In einem Berechnungsbeispiel betrage der Nutzungswert 33,52 % der durchschnittlichen Mietwagenkosten abzüglich Eigenersparnis für diese Fahrzeugklasse. Das zeige die Eignung des dreifachen Nutzungswerts als Bemessungsgrundlage für die Schätzung dessen, welche Mietwagenkosten gem. § 249 ZPO erforderlich seien. An einer solchen nach freiem Ermessen unter Anlegung generalisierender Maßstäbe vorgenommenen Schätzung gem. § 287 ZPO sei das BerGer. durch die Rechtsprechung zur Erforderlichkeit der Kosten von Unfallersatztarifen nicht gehindert. Eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils sei jedoch auf die Anschlussberufung des Kl. geboten, weil das AG lediglich elf statt unstreitig zwölf Tage Mietdauer ohne den Abgabetag zugrunde gelegt habe.



II. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.; Urteile vom 26. 10. 2004 - VI ZR 300/03 - VersR 2005, 241, 242 f.; vom 15. 2. 2005 - VI ZR 160/04 - VersR 2005, 569 f. und - VI ZR 74/04 - VersR 2005, 568 f.; vom 9. 5. 2006 - VI ZR 117/05 - VersR 2006, 986 f.; vom 20. 3. 2007 - VI ZR 254/05 - z.V.b.; vom 12. 6. 2007 - VI ZR 161/06 - z.V.b., m.w. Nachw.) kann der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zu einem Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber dem „Normaltarif“ teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.ä.) einen gegenüber dem „Normaltarif“ höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind.

Wie der Senat inzwischen mehrfach dargelegt hat (vgl. Urteile vom 25. 10. 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133; vom 14. 2. 2006 VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670; vom 30. 1. 2007 - VI ZR 99/06 -VersR 2007, 516, 517; vom 12. 6. 2007 - VI ZR 161/06 - aaO), ist es dabei nicht erforderlich, dass der bei der Schadensberechnung nach § 287 ZPO besonders freie Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines „Unfallersatztarifs“ die Kalkulation des konkreten Unternehmens gegebenenfalls nach Beratung durch einen Sachverständigen - in jedem Falle nachvollzieht. Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den „Normaltarif“ in Betracht kommt. In Ausübung seines Ermessens nach § 287 ZPO kann der Tatrichter den „Normaltarif“ auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im Postleitzahlengebiet des Geschädigten - gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung - ermitteln (vgl. Senat, Urteile vom 9. 5. 2006 - VI ZR 117/05 - aaO; vom 30. 1. 2007 VI ZR 99/06 - aaO; vom 12. 6. 2007 - VI ZR 161/06 - aaO).

Die Erwägungen, mit denen das BerGer. von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abweichen will, sind nicht stichhaltig. Sie sind nicht fallbezogen und beruhen nicht auf sachverständiger Beratung, sondern stützen sich auf eigene Schätzungen und Vermutungen ohne die hierzu auch im Rahmen des § 287 ZPO erforderliche Sachkunde (vgl. Senat, Urteil vom 14. 2. 1995 - VI ZR 106/94 - VersR 1995, 681, 682 m.w. Nachw.; BGH, Urteil vom 17. 10. 2001 - IV ZR 205/00 - VersR 2001, 1547, 1548) darzulegen. Sie sind daher nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung zu tragen, zumal die Bekl. vorgetragen hatte, die Firma S. Autovermietung GmbH habe das angemietete Fahrzeug im „Normaltarif“ für zwölf Tage zu den von der Bekl. bezahlten 1.474 € angeboten.

Jedenfalls ist revisionsrechtlich der schlüssige Vortrag der Revisionsklägerin zu unterstellen, dass der geltend gemachte Unfallersatztarif nicht erforderlich gewesen ist, weil das BerGer. die Erforderlichkeit eines höheren Unfallersatztarifs nicht geprüft und dazu keine Feststellungen getroffen hat.

Soweit das BerGer. erforderliche Mietwagenkosten anhand des dreifachen Satzes der Nutzungsausfallentschädigung nach Sanden/Danner/ Küppersbusch für ein Fahrzeug der Gruppe G geschätzt hat, macht dies eine Prüfung, ob der Unfallersatztarif erforderlich war, nicht entbehrlich. Bei seiner Schätzung ist es nämlich entgegen der Rechtsprechung des erkennenden Senats davon ausgegangen, dass ein Unfallersatztarif grundsätzlich nicht ersatzfähig ist und Mietwagenkosten nur im Rahmen des dreifachen Satzes der Nutzungsausfallentschädigung für ein Fahrzeug der Gruppe des Unfallfahrzeugs als erforderlich anzusehen sind. Es hat somit nicht berücksichtigt, dass möglicherweise beim Unfallersatztarif ein Aufschlag auf den „Normaltarif“ zuzubilligen ist. Daher hat es seiner Schätzung einen Ausgangspunkt zugrunde gelegt, der einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand hält. Hinzu kommt, dass das angefochtene Urteil eine Begründung dafür vermissen lässt, aus welchem Grund der dreifache Tagessatz der Nutzungsausfallentschädigung maßgebend sein soll. Allein der Umstand, dass der dreifache Tagessatz in einem einzigen Beispielsfall einem „Normaltarif“ entsprochen haben mag, zeigt eine generelle Berechtigung dieser Schätzung nicht auf.

2. Im Streitfall konnte die Frage der Erforderlichkeit nach den bisher getroffenen Feststellungen auch nicht offen bleiben.

Die Frage, ob ein Unfallersatztarif auf Grund unfallspezifischer Kostenfaktoren erforderlich i.S. des § 249 II Satz 1 BGB ist, kann offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer „Normaltarif“ in der konkreten Situation ohne weiteres zugänglich war (wie die Bekl. vorgetragen hat), so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gem. § 254 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. Senat, Urteile vom 14. 2. 2006 - VI ZR 32/05 - VersR 2006, 564, 565; vom 4. 7. 2006 - VI ZR 237/05 - VersR 2006, 1425, 1426; vom 23. 1. 2007 - VI ZR 18/06 - VersR 2007, 515, 516; vom 6. 3. 2007 VI ZR 36/06 - VersR 2007, 706, 707; vom 20. 3. 2007 - VI ZR 254/05 - a-aO; vom 12. 6. 2007 - VI ZR 161/06 - aaO m.w. Nachw.). Ebenso kann diese Frage offen bleiben, wenn zur Überzeugung des Tatrichters feststeht, dass dem Geschädigten die Anmietung zum „Normaltarif“ nach den konkreten Umständen nicht zugänglich gewesen ist, denn der Geschädigte kann in einem solchen Fall einen den „Normaltarif“ übersteigenden Betrag im Hinblick auf die subjektbezogene Schadensbetrachtung auch dann verlangen, wenn die Erhöhung nicht durch unfallspezifische Kostenfaktoren gerechtfertigt wäre (vgl. Senat, Urteile vom 13. 6. 2006 - VI ZR 161/05 - VersR 2006, 1273, 1274; vom 4. 7. 2006 VI ZR 237/05 - aaO; vom 20. 3. 2007 - VI ZR 254/05 - aaO; vom 12. 6. 2007 - VI ZR 161/06 - aaO). Für die Frage, ob dem Geschädigten ein wesentlich günstigerer Tarif ohne weiteres zugänglich war, ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Solche auf den Einzelfall bezogene Feststellungen hat das BerGer. nicht getroffen.



III. Nach allem ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen, damit dieses unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats die gebotenen Feststellungen zur Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs im konkreten Fall nachholen kann.

Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr Vorinstanzen:

Vorinstanzen

AG Emmendingen, Entscheidung vom 20.10.2005 - 7 C 196/05 -

LG Freiburg, Entscheidung vom 20.07.2006 - 9 S 111/05 -

Rechtsgebiete

Privatversicherungsrecht; Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

BGB § 249 Gb; ZPO § 287