Auch Pressegrossisten haften als Störer nur bei Verletzung von Prüfungspflichten.
Gericht
OLG Frankfurt am Main
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
30. 10. 2007
Aktenzeichen
11 U 9/07
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - 3. Zivilkammer - vom 22.02.2007 abgeändert.
Die Beschlussverfügung vom 05.12.2006 wird - soweit sie durch das angefochtene Urteil bestätigt worden ist - aufgehoben. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird auch insoweit zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Der Verfügungskläger (nachfolgend: Kläger) verbüßt wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagte) ist Presse-Großhändlerin. In der Deutschland-Ausgabe erschien ein Artikel über den Kläger mit voller Namensnennung und Bild.
Auf die Abmahnung des Klägers haben der Verlag und die Redaktion sowie der Autor des angegriffenen Artikels strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben.
Mit Schreiben vom 29.11.2006 hat der Klägervertreter die Beklagte
ebenfalls abgemahnt und sie zur Abgabe einer Verpflichtungserklärung aufgefordert. Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen ist, hat der Kläger den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung beantragt.
Mit Beschluss vom ..... hat das Landgericht dem Unterlassungsantrag stattgegeben.
Auf den Widerspruch der Beklagten hat es die einstweilige Verfügung bestätigt,
soweit sich der Verbotstenor auf ….. bezieht. Im Übrigen hat es die einstweilige Verfügung
aufgehoben und den Antrag auf deren Erlass zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf das angefochtene Urteil vom ….. Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Aufhebung der Beschlussverfügung insgesamt weiterverfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22.07.2007 abzuändern, die einstweilige Verfügung vom 05.12.2006 aufzuheben und den Antrag auf
Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Darüber hinaus behauptet er, auch Nachbestellungen würden über den Presse-Großhandel abgewickelt …… Es könne auch nicht zweifelhaft sein, dass die Veröffentlichung von Bildern von Straftätern, soweit die Taten mehr als zwanzig Jahre zurückliegen, einen schweren Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Täters begründe, wenn es keinen aktuellen Anlass zur Berichterstattung gebe, ……
Ergänzend wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
1.) Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die
angegriffene Veröffentlichung den Kläger in seinen Rechten gemäß §§ 823, 1004
(analog) BGB i. V. m. § 22 KUG, Art. 1 u. 2, Abs. 1 GG rechtswidrig verletzt. …..
2.) Zu Recht hat das Landgericht weiter angenommen, dass eine Haftung der Beklagten (ausschließlich) nach den Grundsätzen der Störerhaftung in Frage kommt, die - nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - die Verletzung von Prüfungspflichten voraussetzt.
a) Eine Gehilfenhaftung der Beklagten scheidet den Umständen nach aus, da nichts dafür spricht, dass sie im Zeitpunkt der Auslieferung Kenntnis von dem rechtsverletzenden Bericht hatte. Gehilfe ist nur, wer vorsätzlich eine fremde
mindestens objektiv rechtswidrige Tat unterstützt ( Köhler in: B/H/K/B, UWG, 23.
Auf!. § 82.6).
b) Soweit im Schrifttum vereinzelt die Auffassung vertreten wird, technische Verbreiter wie Druckereien oder Grossisten seien auch im Rahmen der verschuldensunabhängigen Störerhaftung nicht in Anspruch zu nehmen
(Soehring, Presserecht, 3. Auf!., 28.7), folgt dem der Senat mit der ganz vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht. Wer durch die Verbreitung einer Zeitschrift an der Beeinträchtigung eines Persönlichkeitsrechts
mitwirkt, kann jedenfalls als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, da der Betroffene die Möglichkeit haben muss, auch die Verbreitung solcher Exemplare zu unterbinden, die der Einflussnahme des Verlegers bereits entzogen sind (Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auf!. Kap. 10 Rn. 221; OLG München, OLGR 01, 171).
Als Störer kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs }eder in Anspruch genommen werden, der willentlich und adäquat-kausal an der
Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat. Weil die Störerhaftung aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen
haben, setzt die Haftung des Störers weiter die Verletzung von Prüfungs pflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH GRUR 01, 1038 - Ambiente.de m. w. N; GRUR 99, 418 - Möbelklassiker).
Wie weit die Prüfungspflichten eines möglichen Störers reichen, hat der Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung der Funktion und AufgabensteIlung des als Störer in Anspruch Genommenen, sowie mit Blick auf die eigene Verantwortung des unmittelbar handelnden Dritten beurteilt. Dabei ist darauf zu
achten, dass die Arbeit des als Störer in Anspruch Genommenen nicht über Gebühr erschwert werden und die Verantwortlichen nicht überfordert werden dürfen. Zu Recht hat das Landgericht vor diesem Hintergrund angenommen, dass von einem Grossisten nicht verlangt werden kann, sämtliche von ihm vertriebenen
Presseerzeugnisse einschließlich der Tagespresse auf rechtswidrige Beiträge hin
zu überprüfen.
3.) Im Ergebnis hat es jedoch die Prüfungspflichten der Beklagten überspannt und
ist zu Unrecht von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen.
Die vor der Abmahnung vom 29.11.2007 durchgeführte Auslieferung …… hat eine Störerhaftung der Beklagten mangels Prüfungspflicht nicht begründet ( ebenso BGH a.a.O. unter (3) ).
Deshalb könnte eine Störerhaftung der Beklagten frühestens ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung bestehen. Ob die Abmahnung allein der Beklagten schon Anlass zu einer eigenständigen rechtlichen Prüfung der behaupteten
Persönlichkeitsrechtsverletzung bot, kann dahinstehen, weil es nach der Abmahnung zu keiner Auslieferung mehr gekommen ist.
Hat die Beklagte aber weder durch die Auslieferung … noch durch Auslieferung nach Zugang der Abmahnung ihre Prüfungspflichten verletzt, so kommt ein Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr nicht in Betracht, sondern stellt sich allein die Frage einer Erstbegehungsgefahr.
Die tatsächlichen Umstände, die eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr erstmaliger Begehung begründen, müssen im Einzelnen vom Verletzten dargelegt werden. Die bloß theoretische Möglichkeit der Begehung genügt nicht. Insbesondere genügt im vorliegenden Fall nicht, dass sich die Beklagte der Rechtmäßigkeit ihres Handeins berühmt. Sie hat - in der Berufungsinstanz ausdrücklich - klargestellt, dass ihr entsprechender Prozessvortrag lediglich der Rechtsverteidigung dient, nicht aber in der Praxis umgesetzt werden soll ( vgl. auch Senat OLGR 02, 165).
Sonstige Anzeichen für eine bevorstehende (erstmalige) Verletzungshandlung liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere liegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten in naher Zukunft bevorsteht. Dagegen spricht, dass der Verkaufszeitraum der im Streit befindlichen Ausgabe ….
Am …… endete und nicht ersichtlich ist, weshalb diese Ausgabe nochmals vertrieben werden sollte.
Darüber hinaus spricht auch nichts dafür, dass sich die Beklagte über die Unterlassungserklärung des Verlags hinwegsetzen würde, was zudem weiter voraussetzte, dass der Verlag seinerseits der abgegebenen Unterlassungsverpflichtungserklärung zuwider handelt und die Beklagte belieferte, was erst recht nicht unterstellt werden kann.
Nach allem ist das erstinstanzliche Urteil abzuändern und der Beschluss - einst¬weilige Verfügung - vom 05.12.2006 unter Zurückweisung des auf seinen Erlass gerichteten Antrags aufzuheben
III.
Die Kosten des Eilverfahrens hat der Kläger als unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711, 713 ZPO.
Die Revision findet nicht statt.
Dr. Weber
Dr. Schartl
Prof. Dr. Backhaus
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