Anwälte konkurrieren im Sinne des UWG, - auch bei Sitz in unterschiedlichen Städten

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

12. 12. 2006


Aktenzeichen

15 O 587/06


Leitsatz des Gerichts

Ein in einer kleinen Kanzlei auf dem Gebiet des Familienrechts tätiger Anwalt aus Frankfurt am Main ist Mitbewerber eines nicht derart spezialisierten Anwalts einer kleinen Berliner Kanzlei.

Tenor

  1. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 4. 8. 2006 wird bestätigt.

  2. Der Antragsgegner hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand


Tatbestand

Die Antragstellerin verlangt vom Antragsgegner die Unterlassung der Werbung mit einem ihm nicht zustehenden Fachanwaltstitel.

Der Antragsgegner warb in den „Gelben Seiten 2005/2006” für Frankfurt am Main unter der Rubrik „Rechtsanwälte: Familienrecht/Fachanwälte” wie aus der Anlage Ast 1 (Bl. 6 d. A.) ersichtlich. Die „Gelben Seiten” sind auch im Internet zugänglich, wo der Antragsgegner wiederum unter der Rubrik „Rechtsanwälte: Familienrecht (Fachanwälte)” warb (Anlage Ast 8, Bl. 42 ff. d. A.).

Der Antragsgegner ist kein Fachanwalt für Familienrecht.

Die Antragstellerin behauptet, dass sie erstmals am 24.7.2006 von der vorstehend erwähnten Werbung des Antragsgegner Kenntnis erhalten habe.

Durch Beschlussverfügung vom 4.8.2006 hat es die Kammer dem Antragsgegner bei Vermeidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel untersagt,

in Branchenverzeichnissen, insbesondere den „Gelben Seiten”, für seine anwaltliche Tätigkeit als Fachanwalt für Familienrecht, insbesondere unter der Rubrik „Rechtsanwälte: Familienrecht/Fachanwälte” wie in der Anlage Ast 1 zu werben, ohne dass ihm zuvor eine Rechtsanwaltskammer die Befugnis verliehen hat, die Bezeichnung „Fachanwalt für Familienrecht” zu führen.

Gegen die ihm am 17.8.2006 zugestellte Beschlussverfügung hat der Antragsgegner Widerspruch eingelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

die einstweilige Verfügung aufrecht zu erhalten.

Der Antragsgegner beantragt unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 4.8.2006,

den Antrag der Antragstellerin vom 2.8.2006 zurückzuweisen.

Der Antragsgegner rügt zunächst die örtliche Zuständigkeit des LG Berlin.

Des weiteren ist der Antragsgegner der Ansicht, dass die Parteien nicht Mitbewerber i. S. d. § 2 I Nr. 3 UWG seien; in diesem Zusammenhang behauptet er, dass die Antragstellerin nicht auf dem Gebiet des Familienrechts tätig sei. Zudem hält der Antragsgegner die Geltendmachung des Anspruchs für rechtsmissbräuchlich i. S. d. § 8 IV UWG, da die Antragstellerin offenbar gezielt nach Verstößen gesucht habe, um durch Abmahnungen Gebühren zu erzielen. Auch mangele es an einem Verfügungsgrund, da die Anzeige in den „Gelben Seiten” bereits im September 2005 geschaltet worden sei.

Der Antragsgegner beruft sich schließlich unter Hinweis auf das vorgenannte Erscheinungsdatum auf Verjährung.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung ist zu bestätigen, das sie zu Recht ergangen ist (§ 936, 925 ZPO).

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet, da sowohl Verfügungsanspruch als auch Verfügungsgrund glaubhaft gemacht sind:


I.

Die Zuständigkeit des LG Berlin ergibt sich aus § 14 II, S. 1 UWG. Denn die Handlung ist auch im Bezirk des erkennenden Gerichts begangen worden. Unter dem Begehungsort ist sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort zu verstehen. Bei Wettbewerbsverstößen im Internet ist der Erfolgsort überall dort zu sehen, wo sich der Internetauftritt bestimmungsgemäß auswirken soll (BGH GRUR 2006, 513, 515 - Arzneimittelwerbung im Internet). Das trifft hier zu, da die „Gelben Seiten” für das Gebiet Frankfurt am Main nicht nur in diesem Bereich, sondern etwa auch für Personen von Interesse sind, die von Berlin aus nach einem Gewerbetreibenden in Frankfurt suchen.

Offen bleiben kann vorliegend, ob, wie der Antragsgegner meint, bereits zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit erforderlich ist, dass die streitgegenständliche Handlung sich am Erfolgsort in wettbewerbsrechtlich (nicht wettbewerblich) relevanter Weise auswirkt (dafür u.a. Celle, NJW 63, 2131; Köln, WRP 72, 590; Karlsruhe, GR 85, 556; dagegen u.a. KG, WRP 82, 95; GR 89, 134; Hamburg WRP 72, 389; WRP85, 351; Düss. NJW-RR 89, 233). Denn auch die Vertreter der Auffassung, die eine wettbewerbsrechtlich relevante Auswirkung verlangen, sehen diese als erfüllt an, wenn die Verbreitungshandlung objektiv geeignet ist, den Wettbewerbim Bezirk des angerufenen Gerichts zu beeinflussen. Dies ist aber stets dort zu bejahen, wo die wettbewerblichen Interessen der Mitbewerber aufeinander treffen. Wegen der grundsätzlichen Möglichkeit bei der Nachfrage nach anwaltlichen Leistungen, einen Rechtsanwalt am eigenen Wohnort/Sitz oder am Ort des Rechtsstreits oder einem aus sonstigen Gründen sachgerechten Ort zu beauftragen, ist vorliegend diese Voraussetzung ohne weiteres erfüllt.


II.

Der Antragstellerin steht der tenorierte Unterlassungsanspruch gem. §§ 8 III Nr. 1, I, 3, 5 I, II Nr. 3 UWG zu.

1. Bei den Parteien handelt es sich um Mitbewerber. Nach § 2 I Nr. 3 UWG ist unter einem Mitbewerber jeder Unternehmer zu verstehen, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Das ist hier sowohl in sachlicher als auch in räumlicher Hinsicht zu bejahen:

a) Für die sachliche Marktabgrenzung kommt es nach dem sog. Bedarfsmarktkonzept darauf an, ob sich die von den beteiligten Unternehmen angebotenen Waren oder Dienstleistungen nach ihren Eigenschaften, ihrem Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahe stehen, dass sie der verständiger Nachfrager als austauschbar ansieht (s. nur Köhler in Hefermehl u. a., Wettbewerbsrecht, 24. Aufl. 2006, § 2 Rdnr. 64 m.w. Nachw.). Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der Tätigkeit der Parteien zu bejahen, da sich ein verständiger Mandant mit einem familienrechtlichen Problem sowohl an die Antragstellerin als auch an den Antragsgegner wenden könnte. Unerheblich ist insoweit, ob und inwieweit die Antragstellerin auf dem Gebiet des Familienrechts tätig ist. Denn es lässt sich entgegen den nicht näher substantiierten Andeutungen des Antragsgegner keineswegs feststellen, dass es für anwaltliche Leistungen im Bereich des Familienrechts einen auch nur weitgehend geschlossenen, allein von Fachanwälten oder auf dieses Gebiet spezialisierten Anwälten besetzten Markt gibt. Dies gilt umso mehr, als sich die Wahl eines Anwalts gerichtsbekannt nicht nur nach fachlichen Kompetenzen, die anhand eines Fachanwaltstitels ohnehin nicht zweifelsfrei nachgewiesen wären, sondern auch etwa nach persönlichen Empfehlungen richtet.

b) Hinsichtlich der räumlichen Marktabgrenzung kommt es darauf an, ob sich die Gebiete, in denen die Beteiligten Kunden haben oder zu gewinnen suchen, decken oder überschneiden. Bei mittelgroßen Kanzleien mit Sitz in Berlin und Hamburg soll eine derartige Überschneidung vorliegen (BGH GRUR 2005, 520 - optimale Interessenvertretung). Auch wenn es sich bei der Kanzlei des Antragsgegner und bei der Antragstellerin (ebenfalls fünf Anwälte) nicht um mittelgroße, sondern eher um kleine Kanzleien (fünf Anwälte) handeln sollte, und auch wenn die Entfernung zwischen Berlin und Frankfurt größer ist als die zwischen Berlin und Hamburg, kann nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall aber nichts anderes gelten. Denn es ist gerichtsbekannt, dass selbst in Gerichtsverfahren Parteien sich zuweilen nicht durch einen an ihrem oder am Sitz des Gerichtes, sondern an einem dritten Ort ansässigen Anwalt vertreten lassen. Dies scheint angesichts der heutigen Kommunikationsmittel und Reisemöglichkeiten auch ohne weiteres machbar zu sein. Gründe für ein solches Verhalten mag es viele geben, wobei die Kammer in der Begründung der Beschluss-Verfügung nur ein Beispiel genannt hat. An diesem Beispiel ist im übrigen auch angesichts der Einwendungen des Antragsgegner festzuhalten: Geht es um familienrechtliche Fragen in Bezug auf ein Kind, das sich mittlerweile in Berlin befindet, so wird sich für einen Rechtsuchenden aus Frankfurt am Main durchaus die Frage stellen, ob er einen Anwalt in Frankfurt oder Berlin beauftragt, wobei er bei seiner Suche nicht auf die Gelben Seiten beschränkt ist, sondern etwa die Beauftragung der Antragstellerin nach Empfehlung durch einen Bekannten in Erwägung ziehen könnte.

2. Dadurch, dass der Antragsgegner unter der Überschrift „Familienrecht/ Fachanwälte” für sich wirbt, ohne über einen entsprechenden Fachanwaltstitel zu verfügen, wirbt er irreführend über seine geschäftlichen Verhältnisse, nämlich seine Befähigung. Dies hat der Antragsgegner auch nicht in Zweifel gezogen.

3. Die Geltendmachung des Anspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich gem. § 8 IV UWG. Anzeichen dafür, dass die Antragstellerin lediglich Gebühren erzielen will, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben sich diese nicht daraus, dass die Antragstellerin offenbar gezielt nach derartigen Rechtsverstößen gesucht hatte. Denn mangels einer staatlichen Kontrolle der Lauterkeit des Wettbewerbs in Deutschland kann sich der Gewerbetreibende nur so vor unlauteren Maßnahmen der Mitbewerber schützen. Dass dabei Gebührenforderungen entstehen, liegt in der Natur der Sache.

4. Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Denn die 6-monatige Verjährungsfrist des § 11 I UWG kann im Fall von Unterlassungsansprüchen auf Grund einer Dauerhandlung nicht beginnen, solange der Eingriff noch fortdauert. Auch beginnt die Frist gem. § 11 II Nr. 2 UWG erst, wenn der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Durch die anwaltliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten hat die Antragstellerin aber hinreichend gem. § 294 ZPO glaubhaft gemacht, dass die Kenntnisnahme erst am 24.7.2006 erfolgte, weshalb der Anspruch durch Einreichen des Verfügungsantrags wenige Tage später gem. § 204 Nr. 9 BGB gehemmt worden ist. Grobe Fahrlässigkeit ist der Antragstellerin insoweit auch nicht vorzuwerfen, da sie nach ständiger Rechtsprechung nicht zur Marktbeobachtung verpflichtet ist (vgl. Köhler, a. a. O., § 12 Rdnr. 3.15 m.w. Nachw.).


III.

Die Dringlichkeit wird gem. § 12 II UWG vermutet. Sie wird insbesondere nicht dadurch widerlegt, dass die Gelben Seiten 2005/2006 bereits im September 2005 erschienen waren, da es auch insoweit allein auf die Kenntnis des Antragstellerin ankommt und keine Pflicht zur Marktbeobachtung besteht (s. nur Köhler, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 I ZPO.

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht