Fristlose Kündigung trotz 30jähriger Betriebszugehörigkeit
Gericht
LAG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
16. 01. 2007
Aktenzeichen
9 Sa 1033/06
Lässt sich ein Kundendienstmonteur dahin ein, er habe die von ihm über das Internetauktionshaus eBay verkauften Telekommunikationsartikel der gleichen Art, wie er sie bei seiner dienstlichen Tätigkeit zu verwenden hat, von unbekannten Personen auf Flohmärkten erworben und in öffentlichen Müllbehältern gefunden, so handelt es sich um eine in solchen Fällen typische Schutzbehauptung.
Das Anpreisen der angebotenen Telekommunikationsartikel als „neu“ und „originalverpackt“, das Einstellen der Artikel mit sehr niedrigen Startpreisen, die fehlende Vorlage von Verkaufsbelegen sowie das Erzielen einer sehr hohen Anzahl von positiven Urteilen in der Bewertungsplattform des Internetauktionshauses eBay als Indizien für einen dringenden Diebstahlsverdacht.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 7. Juni 2006 – 9 Ca 5993/05 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2005 beendet worden ist und ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bereits während der Dauer des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Der Kläger, geboren am 12. Mai 1960, ist bzw. war bei der Beklagten seit dem 1. August 1976 als Servicemonteur/Kundendiensttechniker beschäftigt zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt EUR 2.700,00 brutto.
Mit Schreiben vom 24. Juni 2005, unterzeichnet vom Niederlassungsleiter K , Herrn E , und dem Personalleiter, Herrn K , beide mit im Handelsregister eingetragener Prokura, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos wegen erwiesenen Diebstahls von Firmeneigentum, zumindest aber wegen dringenden Diebstahlverdachts.
Nachdem ein Arbeitnehmer der Beklagten durch einen Testkauf bei dem Internetauktionshaus eBay festgestellt hatte, dass Artikel der Beklagten von einem "h " verkauft wurden, und ermittelt worden war, dass es sich bei dem Verkäufer um den Kläger handelte, hörte die Beklagte den Kläger zu am 3. Juni 2005 angebotenen 10 Verkaufsartikeln an. Die Artikel waren bei eBay als "Privatauktionen" eingestellt, bei denen nicht sofort erkannt werden kann, um welche Artikel es sich handelt, und bei denen auch der Name des Käufers über eBay nicht ermittelt werden kann. Eine Recherche ergab, dass es sich bei den 10 Verkaufsartikeln um Materialien handelte, die den Kundendiensttechnikern der Beklagten für ihre Tätigkeit zur Verfügung stehen, u. a. 2 Kabelringe á 250 Meter.
Bei der Anhörung am 13. Juni 2005, die von 9.55 Uhr bis 13.25 Uhr dauerte, waren neben dem Kläger anwesend der direkte Vorgesetzte des Klägers, Herr H , und ein Sicherheitsmitarbeiter der Beklagten, Herr S . In dem Anhörungsprotokoll, das von dem Kläger unterschrieben wurde, heißt es über die Einlassung des Klägers:
"Herrn B wird noch einmal der Sachverhalt genau vorgehalten. Er behauptet, die angebotenen Artikel auf verschiedenen Flohmärkten erworben zu haben. Quittungen über Ankäufe kann er nicht vorlegen, da er keine Belege besitzt. Auch Unterlagen über die verschiedenen Käufer sind angeblich nicht mehr in seinem Besitz. Selbst Bankauszüge, auf denen die Einzahlungen für ihn vermerkt sein könnten, will er vernichtet haben.
Herrn B wird um ca. 10.05 Uhr die aktuelle Angebotsliste von " " vorgehalten, auf der zwei Ringe mit Kabel aufgeführt sind. Herr B erklärt dazu: "Diese Kabelringe sind nicht in meinem Besitz. Ich habe die zwei Ringe zwar bei eBay eingestellt, habe sie aber zu keinem Zeitpunkt besessen. Ich wollte sie mir auf Flohmärkten ankaufen, wenn ein Käufer Interesse gehabt hätte. Ich war gestern noch auf einem Flohmarkt, habe aber kein entsprechendes Kabel gefunden. Wenn sich ein Käufer gemeldet hätte, hätte ich ihm gesagt, dass das Kabel bereits anderweitig verkauft sei.
Von 13.05 Uhr bis 13.20 Uhr wurde die Befragung unterbrochen.
Fortsetzung der Befragung: Ich gebe zu, dass ich zwei Rollen á 250 m Kabel aus dem V -Gebäude mitgenommen habe. Diese Rollen haben über mehrere Monate dort in einem alten nicht aufgelösten Lager gelegen. Ein Kollege, dieser ist nicht mehr bei der T , seinen Namen weiß ich nicht, hat mir gesagt, dass ich das Kabel mitnehmen darf.
Des weiteren gebe ich zu, dass ich das ein oder andere Teil auch schon mal aus den Müllbehältern mitgenommen und aufgearbeitet bei eBay verkauft habe."
Bei der Anhörung waren dem Kläger eine Aufstellung des Internetauktionshauses eBay über die am 3. Juni 2005 eingestellten Verkaufsartikel (Bl. 54 d. A.) nebst Einzelangeboten (Bl. 55 – 61 d. A.) vorgehalten worden, darunter 3 Aufputzdosen für ISDN mit dem Hinweis "neu von "T" ("kein preiswerter Baumarktkram!") sowie 2 Unterputzdosen für ISDN mit dem Hinweis "neue T -Dosen", jeweils zu einem Startpreis in Höhe von EUR 1,99 mit der Erklärung, "im Handel seien die Dosen für EUR 14,90 zu erwerben". Die beiden Telefonkabel waren angepriesen worden mit "neu und unbenutzt" und "im Ring" bzw. "originalverpackt" lieferbar. Zu einem Kabel heißt es, es koste in dem Baumarkt OBI pro Meter 0,70 EUR. Sie waren zu einem Startpreis von EUR 45,00 bzw. EUR 9,99 und einem Sofort-Kaufpreis von EUR 55,00 bzw. EUR 23,00 eingestellt worden.
Die Beklagte ermittelte, dass der Kläger in der Bewertungsplattform des Internetauktionshauses eBay weit überwiegend als Verkäufer wie aber auch als Käufer bei 763 positiven Bewertungen nur eine negative Bewertung erhalten hatte. Besonders wurde seine "schnelle Lieferung" und die "gute Qualität der Ware" hervorgehoben.
Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 21. Juni 2005 widerrief der Kläger die im Anhörungsprotokoll abgegebene Erklärung.
Der Betriebsrat war am 21. Juni 2005 zur Tat- und auch zur hilfsweisen Verdachtskündigung angehört worden. Er hatte mit Schreiben vom 23. Juni 2005 der Kündigung widersprochen mit der Begründung, der Kläger sei am 13. Juni 2005 durch Art und Dauer der Befragung in eine schlechte psychische Verfassung geraten und ihm sei auch während der Unterbrechung weiter zugesetzt worden. Der Kläger habe seine Erklärung widerrufen, nachdem er einen Rechtsanwalt eingeschaltet habe. Die Beklagte räume selbst ein, dass sie nicht nachweisen könne, es habe sich um in ihrem Eigentum befindliche Artikel gehandelt. Die Beklagte treffe nur mangelhaft Vorsorge gegen die Entwendung von Verbrauchsmaterial.
Zudem hatte der Betriebsrat auf die lange Beschäftigungsdauer hingewiesen und ergänzt, der Kläger sei weder in seinem Verhalten noch mit seiner geleisteten Arbeit unangenehm aufgefallen.
Mit der vorliegenden Klage, die am 27. Juni 2005 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist, wendet sich der Kläger gegen die Kündigung.
Er hat erstinstanzlich vorgetragen, mit Schreiben vom 27. Juni 2005 habe er die Kündigung zurückgewiesen, weil das Schreiben nicht vom Vorstand unterzeichnet und ihm keine Vollmacht für die Unterzeichner, die ihm nicht bekannt seien, beigefügt gewesen sei.
Die von ihm bei eBay angebotene Ware habe er zum Teil selbst bei eBay gekauft, zum Teil auf Flohmärkten erworben und zum Teil aus öffentlichen Müllcontainern, die sich vor dem Betriebsgebäude der Beklagten in K befänden, herausgenommen. Letztere habe er aufgearbeitet und als Neuware angeboten.
Er sei zu dem Gesprächstermin am 13. Juni 2005 ohne Angabe von Gründen gebeten worden. Er habe die Herkunft sämtlicher Artikel, die auf der eBay-Liste aufgeführt seien, erklären können und die gegen ihn erhobenen Diebstahlsvorwürfe mehrfach zurückgewiesen. Nachdem auf seinen Wunsch die Unterredung unterbrochen worden sei, habe Herr S versucht, sein Vertrauen zu gewinnen. Zu diesem Zweck habe er sich mit ihm zunächst über private Angelegenheiten unterhalten, um dann zu erklären, die Angelegenheit müsse unter allen Umständen noch am selben Tag beendet werden, wobei er ihm in Aussicht gestellt habe, mit einer Unterschrift unter das Gesprächsprotokoll sei die Sache erledigt und er könne bei der Beklagten weiterarbeiten. Sollte er dagegen die Unterschrift verweigern, habe er mit dem Besuch der Finanzbehörden und einer Hausdurchsuchung zu rechnen. Anschließend sei er wieder zu einem privaten Gespräch übergegangen, bei dem es um die Bild einer anzüglich gekleideten Frau auf einer Internet-Seite gegangen sei. Um das als lästig empfundene Gespräch zu beenden und die Arbeit wieder aufnehmen zu können, habe er schließlich das Gesprächsprotokoll unterzeichnet. Er bestreite weiterhin, Gegenstände, die im Eigentum der Beklagten ständen, entwendet zu haben. Ein solcher Diebstahl könne von der Beklagten auch ohne weiteres nachgewiesen werden, da er sämtliche Artikel intern bestellen und über den Verbrauch Buch führen müsse.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 24. Juni 2005 beendet worden ist, sondern dass das Arbeitsverhältnis über den 24. Juni 2005 hinaus zu den Konditionen des geschlossenen Arbeitsvertrages unverändert fortbesteht;
die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den Konditionen des geschlossenen Arbeitsvertrages bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Servicemonteur weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erstinstanzlich vorgetragen, da das Kündigungsschreiben mit Hinweis auf die Prokura der Unterzeichner unterschrieben worden sei, könne die Zurückweisung der Kündigung keinen Erfolg haben. Im Übrigen verwundere, dass der Kläger die Unterzeichner nicht namentlich kenne, handle es sich doch um den Betriebsleiter und den Personalleiter.
Die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, da der Kläger über eBay neuwertige Artikel verkauft habe, die er zuvor bei ihr entwendet habe. Die angebotenen Artikel seien ihm von ihr als Verbrauchsmaterial für seine dienstliche Tätigkeit zur Verfügung gestellt worden. Anders als bei höherwertigen Artikeln würden weder die Übergabe des Verbrauchsmaterials an die Kundendiensttechniker noch der tatsächliche Verbrauch im Einzelnen festgehalten, so dass sie dem Kläger eine Differenz beim Warenbestand nicht nachweisen könne.
Der Kläger sei zu der Besprechung am 13. Juni 2005 mit dem Hinweis gebeten worden, dass es um die Entwendung von Gegenständen der Beklagten und den Verkauf durch ihn gehe. Auf die Hinzuziehung eines Mitglieds des Betriebsrats habe der Kläger verzichtet. Er habe angegeben, die Artikel auf dem Flohmarkt erworben zu haben. Belege habe er nicht. Er habe zwar 2 Kabelrollen bei eBay angeboten, diese aber zu dem Zeitpunkt nicht besessen, sondern beabsichtigt, sie bei Kundeninteresse auf einem Flohmarkt zu erwerben. Während der Gesprächspause habe der Kläger gegenüber Herrn S erklärt, er habe private Probleme. Er habe eingeräumt, aus den Diensträumen Gegenstände entwendet zu haben. Herr S habe erklärt, private Probleme könnten kein Grund sein, sich am Eigentum der Arbeitgeberin zu vergreifen. In vergleichbaren Fällen sei in der Vergangenheit die Polizei eingeschaltet worden, um durch Hausdurchsuchungen die Eigentumsdelikte nachzuweisen. Zudem habe er den Kläger darauf hingewiesen, dass sich in vielen Fällen für solche umfangreichen Verkaufsaktivitäten über eBay, wie sie beim Kläger gegeben seien, auch das Finanzamt interessiere. Im weiteren Verlauf der Befragung habe der Kläger zugegeben, 2 Kabelrollen bei der Beklagten entwendet zu haben, nachdem ein ihm namentlich nicht bekannter Arbeitskollege erklärt habe, er könne sie mitnehmen. Andere Artikel habe er aus dem Müllcontainer entnommen.
Für sie stehe fest, dass der Kläger die über eBay verkauften Gegenstände bei ihr entwendet habe. Zumindest sei der dringende Verdacht gerechtfertigt. Er habe die Artikel als Neuware und mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es sich um einen Markenartikel der T handle, verkauft. Der Kläger habe keine Belege über die behaupteten Ankäufe auf Flohmärkten und über eBay vorgelegt. Auch seine Erklärung, er habe einen Teil der Artikel in Müllcontainern vorgefunden und vor dem Verkauf gereinigt, sei eine bloße Schutzbehauptung. Für die Entsorgung von unbrauchbaren Materialien stünden bei ihr Behälter bereit. Sie weist auf die positiven Bewertungen des Klägers in der Bewertungsplattform des Internetauktionshauses eBay hin.
Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 7. Juni 2006 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Unterzeichner des Kündigungsschreibens seien als Prokuristen kündigungsberechtigt gewesen. Es könne offen bleiben, ob der Kläger tatsächlich Verbrauchsmaterialien der Beklagten entwendet habe. Jedenfalls sei er einer solchen strafbaren Handlung dringend verdächtig. Bei den Erklärungen des Klägers handle es sich um die in derartigen Fällen typischen Schutzbehauptungen. Er habe nicht konkretisiert, wann, wo, welcher Artikel zu welchem Preis von ihm auf einem Flohmarkt oder über eBay erworben worden sei und wann, wo, welcher Artikel in einem öffentlichen Müllbehälter vorgefunden worden sei, den er später über eBay verkauft habe. Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger in öffentlichen Müllbehältern nach zum Verkauf geeigneten Markenartikeln der Beklagten gesucht habe, sie anschließend gewaschen, geputzt und poliert habe, um sie als Neuware zu verkaufen. Die Beklagte sei wohl kaum damit einverstanden, dass neue Artikel in öffentliche Müllbehälter geworfen würden. Im Übrigen habe der Kläger die Angabe, wo er die beiden Kabelrollen entwendet habe und wie lange sie zuvor dort gelegen hätten, nicht erfinden können.
Durch sein Verhalten habe der Kläger das zu ihm als Kundendienstmonteur erforderliche Vertrauen in Redlichkeit und Zuverlässigkeit so schwer zerstört, dass auch bei Berücksichtigung der langjährigen Betriebszugehörigkeit die fristlose Kündigung als gerechtfertigt erscheinen müsse.
Das Urteil ist dem Kläger am 14. August 2006 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 11. September 2006 Berufung einlegen und diese am 9. Oktober 2006 begründen lassen.
Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und führt aus, der Diebstahl von Telekommunikationsartikeln der Beklagten wie Kabelrollen, Umschalter und Telefonverteilerdosen sei nicht bewiesen. Es bestehe auch nicht ein dringender Tatverdacht. Derartige Artikel könnten auch in Baumärkten und in Elektrogeschäften erworben werden. Die Beklagte habe schon im erstinstanzlichen Verfahren eingeräumt, dass sie nicht nachweisen könne, dass es bei dem Kläger Fehlbestände gegeben habe. Jeder Kundenauftrag werde registriert. Das zur Ausführung des Auftrags erforderliche Material müsse er bei der Beklagten bestellen. Den Kunden werde auch jeder Gegenstand, der von dem Kundendienstmonteur bei der Ausführung des Auftrags verwandt werde, in Rechnung gestellt. Seine Angaben, dass er die von ihm verkauften Gegenstände zuvor auf Flohmärkten und über eBay erworben habe bzw. in öffentlichen Müllbehältern vorgefunden habe, müsse die Beklagte widerlegen. Er könne sich nur entlasten, wenn die Beklagte ihn zuvor substantiiert belastet habe. Es sei sein Hobby, vornehmlich auf Kölner Flohmärkten günstig Gegenstände aufzustöbern. Über die öffentlichen Müllbehälter vor dem Dienstgebäude der Beklagten in K entsorgten die Kundendienstmonteure häufig das nicht verbrauchte Restmaterial aus einem Einbausatz, weil dies bequemer sei und die auf dem Dienstgelände von der Beklagten aufgestellten Behälter oft überfüllt seien. Soweit das Material in Einzelfällen beschädigt oder beschmutzt gewesen sei, habe er es aufgearbeitet. Herr S habe seine angebliche Erklärung, die beiden Kabelrollen habe er in einem V -Gebäude vorgefunden und ein ihm nicht bekannter Arbeitskollege habe ihm die Mitnahme gestattet, erfunden. Allein der Umstand, dass er Gegenstände bei der Internet-Angeboten als "neu" bezeichnet habe, besage nicht, dass es sich auch tatsächlich um Neuware gehandelt habe. Es sei auch gang und gäbe, dass über eBay Gegenstände angeboten würden, die der Verkäufer sich selbst noch beschaffen müsse. Er möge keinen Papierkram, bewahre keine Quittungen auf und halte nicht fest, wann er, wo, was auf einem Flohmarkt gekauft habe. Allerdings könne er nachweisen, dass er im März 2004 einen Telefonapparat über eBay zum Preis von insgesamt EUR 66,50 erworben habe. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung sei unzulänglich.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 7. Juni 2005 – 9 Ca 5993/05 – entsprechend den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist weiterhin der Ansicht, es stehe fest, dass der Kläger die Verbrauchsmaterialien bei ihr entwendet habe. Auch im Berufungsverfahren habe der Kläger nicht erläutert, wann er, wo, welche Gegenstände, von wem sich beschafft habe. Zur Verschleierung habe der Kläger die Angebote der Telekommunikationsartikel als "Privatauktionen" bei eBay eingestellt. Weiterhin lege er trotz der hohen Geschäftsanzahl keine Auszüge über sein Bankkonto und sonstige Zahlungsbelege über die Verkäufe und Käufe vor. Es leuchte auch nicht ein, wieso der Kläger die Artikel weit unter dem Marktpreis habe anbieten können, wenn er sie zuvor auf Flohmärkten oder bei eBay gekauft habe. Das Protokoll über die Anhörung des Klägers am 13. Juni 2005 treffe zu. Jedenfalls sei die Kündigung als Verdachtkündigung gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht habe eine zutreffende Interessenabwägung vorgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nach § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und innerhalb der Fristen nach § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.
II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung erkannt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2005 beendet worden ist.
1. Die Kündigung ist von dazu berechtigten Vertretern der Beklagten ausgesprochen worden. Da beide Unterzeichner Prokuristen sind und ihre Prokura im Handelsregister eingetragen ist, war eine Zurückweisung nach § 174 S. 2 BGB ausgeschlossen (vgl. ErfK/Müller-Glöge, 5. Aufl., § 620 BGB Rdnr. 26 m.w.N.).
2. Die Kündigung ist aus einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.
a. Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung sowohl als Tatkündigung als auch als Verdachtskündigung ausgesprochen. Sie stützt sich dabei auf Indizien, da sie die vom Kläger verkauften Telekommunikationsartikel nicht sicherstellen und auch keine dem Kläger zuzuordnende Bestandsdifferenz nachweisen konnte. Selbst wenn die Indizien nicht geeignet sind, eine Tatbegehung nachzuweisen, rechtfertigen sie jedenfalls den schwerwiegenden Diebstahlsverdacht.
b. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Demgegenüber kann eine Verdachtskündigung gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Entscheidend ist, ob die den Verdacht begründenden Indizien zutreffen, also entweder unstreitig sind oder vom Arbeitgeber bewiesen werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. Urteil vom 10. Februar 2005 – 2 AZR 189/04 -).
Dabei reichen bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen des Arbeitgebers zur Rechtfertigung eines dringenden Verdachts nicht aus. Der Verdacht muss vielmehr auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss insbesondere auch dringend sein, also eine große Wahrscheinlichkeit für ihn sprechen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. Urteil vom 10. Februar 2005 – 2 AZR 189/04 -).
c. Bereits aufgrund unstreitiger Umstände besteht der dringende Verdacht, dass der Kläger Telekommunikationsartikel der Beklagten verkauft hat:
Der Kläger hat am 3. Juni 2005 über das Internetauktionshaus eBay 10 Telekommunikationsartikel zum Kauf angeboten. Es handelt sich um die gleichen Kabelrollen, Umschalter, LSA Leisten und Telefonverteilerdosen, wie er sie bei seiner dienstlichen Tätigkeit als Kundendienstmonteur zu verwenden hatte. Er hat damals ausdrücklich angegeben, die 3 Aufputz- und 2 Unterputzdosen seien von "T ", also der Beklagten, um sie von Billigprodukten zu unterscheiden. Zudem hat er diese Telefonverteilerdosen und auch die beiden angebotenen Telefonkabelrollen als "neu", "nicht gebraucht" bzw. "unbenutzt" und "originalverpackt" angepriesen. Jedenfalls insoweit wird sein Vorbringen widerlegt, es habe sich um beschädigte oder beschmutzte Teile gehandelt, die er aufgearbeitet habe. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass 763 positive Bewertungen in der Bewertungsplattform mit Prädikaten wie "schnelle Lieferung" und "gute Qualität der Ware" nur den Schluss zulassen, dass der Kläger nicht nur gewerbsmäßig verkauft hat, sondern auch stets kurzfristig die Ware in der angegebenen Qualität geliefert hat. Dies setzt eine gesicherte Bezugsquelle voraus und kann nicht auf Zufallsfunden des Klägers auf Flohmärkten oder aus Müllcontainern oder mit zufälligen Billigeinkäufen bei eBay erklärt werden. Auch der weit unter dem Fachhandelpreis liegende Startpreis macht nur Sinn, wenn die neuwertige Ware den Kläger selbst nichts gekostet hatte. Es mag zwar sein, dass andere Händler auf Flohmärkten oder über eBay solche Telekommunikationsartikel verkaufen. Es sind jedoch auch vom Kläger keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, dass neue Markenartikel von anderen Händlern verschleudert werden. Wenn der Kläger beispielsweise 3 Unterputzdosen mit einem Fachhandelpreis von EUR 14,90 zu einem Startpreis in Höhe von nur EUR 1,99 bei eBay einstellte, konnte dies unter Berücksichtigung auch des damit verbundenen Aufwandes wirtschaftlich nur Sinn haben, wenn er diese Artikel umsonst erhalten hatte. Gleiches gilt für das Angebot eines Telefonkabels zu einem Startpreis von EUR 9,99 und einem Sofortpreis von EUR 23,00, wenn der Baumarktpreis bereits EUR 197,50 (250 m x EUR 0,79) betrug. Es kommt hinzu, dass der Kläger keinen einzigen dieser Flohmarkt- oder eBay-Händler namentlich benannt hat. Auch Flohmarkt-Händler können nicht anonym auftreten, sondern müssen ihren Standplatz anmieten und sind regelmäßig auch bereit, Kaufinteressen ihren Namen zu nennen, es sei denn, es handelt sich um gestohlene Ware. Der Verkauf über eBay setzt voraus, dass die Ware beim Verkäufer abgeholt oder von diesem zugesandt wird und der Kaufpreis beim Verkäufer bezahlt oder an diesen per Nachnahme oder Überweisung gezahlt wird. Dabei werden Belege erstellt, die eine Identifizierung des Verkäufers ermöglichen. Dies zeigt beispielsweise der vom Kläger vorgelegte Beleg über den Kauf eines Telefonapparates bei einem Anbieter aus Böblingen im März 2004 (Bl. 261 d. A.). Auffällig ist auch, dass der Kläger diesen Beleg über den Kauf eines Telefonapparates im Jahr 2004 noch vorlegen kann, nicht aber angegeben kann, wo, wann und von wem er beispielsweise die beiden Telefonkabelrollen erworben hat, obwohl er nur wenige Tage nach der Einstellung dieser Artikel bei eBay mit dem Diebstahlsvorwurf der Beklagten konfrontiert worden ist. Es mag auch sein, dass Kundendienstmonteure der Beklagten aus Bequemlichkeitsgründen nicht verwandte Teile von Bausätzen in die öffentlichen Müllcontainer vor dem Dienstgebäude der Beklagten einwerfen. Dennoch ist nicht glaubhaft, dass der Kläger seinen eBay-Handel mit einer derartigen Abfallware aufgezogen hat, zumal der Kläger selbst nicht behauptet, er habe beispielsweise die originalverpackten Kabelrollen in Müllcontainern gefunden.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch darauf verwiesen, dass es sich bei dem Vorbringen, die Artikel von unbekannten Personen auf Flohmärkten erworben oder in Müllcontainern gefunden zu haben, um in solchen Fällen typische Schutzbehauptungen handelt.
Schließlich hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Kläger nach der Kündigung keine Telekommunikationsartikel bei eBay mehr verkauft habe, was ihren dringenden Tatverdacht noch verstärke.
Die Beklagte hat den Sachverhalt hinreichend aufgeklärt. Sie hat dem Kläger am 13. Juni 2005 angehört und ihm Gelegenheit gegeben, zu dem Diebstahlsvorwurf Stellung zu nehmen. Weder damals noch in der Folgezeit hat der Kläger für die bei eBay eingestellten Telekommunikationsartikel angeben können, wann, wo und von wem der Ankauf erfolgte. Entgegen der Ansicht des Klägers war die Beklagte nicht gehalten, nach einer ihm zurechenbaren Bestandsdifferenz zu suchen. Die Beklagte hat dargelegt, dass ihr dies bei Verbrauchsmaterial nicht möglich ist. Bestätigt wird dies durch den Einwand des Betriebsrats in der Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung, die Vorsorge der Beklagten gegen die Entwendung von Verbrauchsmaterial sei mangelhaft. Soweit der Kläger anführt, die verbrauchten Materialien seien den Kunden in Rechnung gestellt worden, ist darauf hinzuweisen, dass der tatsächliche Materialverbrauch mit dem angegebenen nicht übereinstimmen muss. Beleg dafür ist das Vorbringen des Klägers, bei einer z. B. nur teilweisen Beschädigung einer Telefonverteilerdose sei nur das defekte Teil ausgewechselt worden und der Rest des neuen Bausatzes wieder mitgenommen worden, angeblich als Müll. Auch dieser "Müll" verblieb im Übrigen im Eigentum der Beklagten.
Nach alledem besteht der dringende Verdacht, dass der Kläger die am 3. Juni 2005 bei eBay angebotenen Telekommunikationsartikel bei der Beklagten entwendet hat, ohne dass aufgeklärt werden muss, ob der Kläger bei der Anhörung am 13. Juni 2005 die Entwendung von zwei Kabelrollen eingeräumt hat.
Es liegt damit ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich vor.
d. Auch unter Beachtung der für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung erforderlichen umfassenden Interessenabwägung ist der Ausspruch der fristlosen Kündigung gerechtfertigt gewesen.
Zugunsten des Klägers ist die langjährige Beschäftigung und die Tatsache zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ausspruch der Kündigung beanstandungsfrei verlaufen war. Auch wiegen die Folgen einer fristlosen Entlassung für den Kläger schwer. Nach der Kündigung ist er psychisch erkrankt. Als gelernter Fernmeldehandwerker sind die Aussichten, eine vergleichbare neue Anstellung zu finden, eher gering, zumal er bereits 46 Jahre alt ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass er seiner Ehefrau bei Bedürftigkeit Unterhalt zu leisten hat.
Dennoch überwiegt das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger als Kundendienstmonteur im Außendienst arbeitet. Die Beklagte ist daher berechtigt, ein besonderes Vertrauensverhältnis vorauszusetzen. Dieses Vertrauen ist erheblich gestört, vor allem auch deshalb, weil der Kläger an der Aufklärung des Sachverhalts nicht mitwirkt. Das Bundesarbeitsgerichts hat zutreffend in dem Urteil vom 3. Juli 2003 – 2 AZR 437/02 – darauf hingewiesen, dass der durch den Verdacht eingetretene Vertrauensverlust beim Arbeitgeber nicht dadurch geringer wird, dass der in Verdacht geratene Arbeitnehmer bis zum Nachweis der Tatbegehung sein Fehlverhalten leugnet. Es besteht auch Wiederholungsgefahr. Es ist der Beklagten nicht zuzumuten, den tatsächlichen Materialverbrauch des Klägers ständig durch Kontrollen vor Ort bei den Kunden zu überwachen. Es ist auch nicht vorgetragen worden, dass der Kläger anderweitig bei der Beklagten auf einem freien Arbeitsplatz eingesetzt werden kann. Verwerflich ist schließlich, dass der Kläger durch das Angebot von Telekommunikationsartikeln, die von den Erwerbern selbst eingebaut werden, das Erwerbsinteresse der Beklagten in dem Arbeitsbereich stört, für den er von ihr angestellt und bezahlt worden ist.
3. Der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte hat den Betriebsrat durch das Anhörungsschreiben vom 17. Juni 2005 darüber unterrichtet, dass sie die außerordentliche Kündigung hilfsweise als Verdachtskündigung aussprechen wollte. Sie hat die Sozialdaten des Klägers genannt und die Kündigungsgründe dargestellt, wobei sie auch die Anhörung des Klägers und dessen Einlassung im Einzelnen schilderte. Sie hat keine persönlichen Umstände des Klägers vorenthalten, die sich im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken konnten (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – EzA Nr. 118 zu § 626 BGB n.F.; BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 2 AZR 415/05 -). Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 23. Juni 2005 vor Ausspruch der Kündigung abschließend Stellung genommen.
4. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung während der Dauer des Kündigungsrechtsstreits trotz Abweisung der Kündigungsschutzklage ist nach den Grundsätzen in der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – nicht gegeben.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlicher Grund. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die sich dabei stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil ist für die beklagte Partei ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Gegen dieses Urteil ist für die klagende Partei mangels ausdrücklicher Zulassung die Revision nicht statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Fax: (0361) 2636 - 2000
anzufechten wird die klagende Partei auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.
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