Kein Schmerzensgeld bei Bericht über mutmaßlichen Mord mit Zerlegung einer Leiche
Gericht
OLG Frankfurt a. M.
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
31. 10. 2006
Aktenzeichen
11 U 10/06
Zum Anspruch eines verurteilten Straftäters auf Geldentschädigung wegen einer Presseveröffentlichung über die Straftat
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um eine Geldentschädigung wegen einer Presseveröffentlichung.
Die Beklagte verlegt die "X"-Zeitung. Der Kläger war wegen Mordes an seiner Cousine angeklagt. Mit Urteil des Landgerichts Koblenz vom (…) wurde er vom Vorwurf des Mordes freigesprochen, zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach den damaligen Feststellungen des Landgerichts Koblenz tötete der (…) Kläger seine Cousine ohne feststellbaren Grund durch Ersticken, zerlegte die Leiche an einem unbekannten Ort und erhitzte Teile der Leiche im Backofen seiner Wohnung. Dass der Angeklagte Leichenteile verzehrt hat, konnte ausweislich der Urteilsgründe nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
Auf die Revision des Klägers hob der Bundesgerichtshof (…) das Urteil des Landgerichts Koblenz (…) einschließlich der Feststellungen wegen Mängeln des zugrunde gelegten psychiatrischen Sachverständigengutachtens auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Koblenz zurück. Auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen ( Bl. 46 ff. d. A.).
In der Ausgabe vom (…) berichtete die "X"-Zeitung über den Beginn des zweiten Prozesses gegen den Kläger unter der Überschrift "(…)". Wegen der Einzelheiten der X- und Textgestaltung des Artikels wird auf die Anlage 1 zur Klagebegründung verwiesen.
Der Kläger sieht in der Veröffentlichung einen rechtswidrigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Er meint, es liege keine zulässige Gerichtsberichterstattung vor. Der Vorwurf, er habe Teile der Leiche seiner Cousine verzehrt, sei weder von der Anklage erhoben noch vom Gericht festgestellt worden. In der Auswahl des Fotos, bei dem seine Zunge zwischen den Lippen zu sehen sei, liege eine Erniedrigung seiner Person. Er hat deswegen erstinstanzlich eine Geldentschädigung in einer Größenordnung von 50.000 € verlangt.
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 20.000 € stattgegeben.
Wegen der Begründung, der tatsächlichen Feststellungen und der weitergehenden Einzelheiten des Parteivortrags wird auf sein Urteil vom 2.3.2006 Bezug genommen
( Bl . 126 ff d.A.).
Ergänzend ist festzustellen, dass das Landgericht Koblenz nach Erlass des angefochtenen Urteils mit – nicht rechtskräftigem – Urteil vom 23.6.2006 den Kläger des Mordes für schuldig befunden und seine Unterbringung gem. § 63 StPO in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet hat ( Bl. 191 ff d.A.).
Gegen das ihr am 6.3.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.3.2006 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 6.6.2006 begründet.
Sie meint, die konkrete Abbildung des Klägers sei von dem Berichterstattungsinteresse gedeckt gewesen. Bei der Bewertung des Textes habe das Landgericht übersehen, dass für Schlagzeilen das Gebot der Textinterpretation aus dem Kontext gelte. Die vom Landgericht beanstandete Artikelüberschrift könne daher nicht als selbständige bzw. rechtlich selbständig zu wertende Sachaussage angesehen werden. Die Tendenz des nachfolgenden Artikels sei mit der Schlagzeile korrekt wiedergegeben. Der Stand des Verfahrens und die besondere Problematik des Falles seien in dem angegriffenen Artikel vollkommen zutreffend dargestellt. Insbesondere sei explizit erwähnt, dass der Kläger seine Cousine getötet und Teile der Leiche gegessen haben soll. Unabhängig davon fehle es an einem schweren Verschulden.
Sie, die Beklagte, habe nicht mehr wiedergegeben als die Feststellungen des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 1. 12. 2003. Sie habe den Verfahrensstand für ihre Leser übersetzt und berichtet. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Berichterstattung bereits seit mehreren Jahren in einer geschlossenen Anstalt untergebracht gewesen sei und Beeinträchtigungen im täglichen Leben unter diesen Umständen nicht zu gewärtigen seien. Jedenfalls aber sei die zuerkannte Geldentschädigung der Höhe nach bei weitem nicht gerechtfertigt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 2. 3. 2006 verkündeten Urteils des Landgerichts
Frankfurt am Main die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags. Wenn die Beklagte dem komplett aufgehobenen ersten Urteil des Landgerichts Koblenz habe folgen wollen, so meint der Kläger, habe sie auch davon ausgehen müssen, dass er ein seelisch schwer erkrankter Mensch sei. Die Beklagte begründe aber ihre vermeintliche Berechtigung, über einen so schwer erkrankten Menschen in der inkriminierten Art und Weise zu berichten, mit keinem Wort. Ausführungen der Beklagten zum jetzigen Stand des Strafverfahrens lägen neben der Sache, weil das spätere Prozessgeschehen die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer zeitlich früher liegenden Berichterstattung in keiner Weise berühre.
Die reißerische, menschenverachtende und unsachliche Berichterstattung der Beklagten und insbesondere die Distanz zwischen der „Verfahrensrealität“, wie sie von der Öffentlichkeit wahrzunehmen gewesen sei, und der Berichterstattung, rechtfertige eine Geldentschädigung.
Ergänzend wird wegen des weitergehenden Parteivortrags auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen der inkriminierten Berichterstattung zu. Bei einer Verletzung des in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrechts sowie des Rechts am eigenen Bild gemäß § 22 KUG kommt ein Geldentschädigungsanspruch nur in Betracht , wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt, anderweitige befriedigende Ausgleichsmöglichkeiten nicht bestehen und in der Gesamtwürdigung ein unabwendbares Bedürfnis für eine Geldentschädigung besteht (Soehring, Presserecht, Rn. 32.20; Dreier/Schulze, UrhG, Rn. 22 zu § 33 ff KUG).
1.)
Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die inkriminierte Berichterstattung das Persönlichkeitsrecht des Klägers und dessen Recht am eigenen Bild widerrechtlich verletzt.
a) Zwar kann, soweit ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung über ein Gerichtsverfahren besteht, die Abbildung eines Angeklagten auch ohne dessen Einwilligung gerechtfertigt sein kann, sofern er durch die Tat zu einer relativen Person der Zeitgeschichte geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil die Tat fraglos über das täglich Wiederkehrende hinausgeht und Aufsehen erregt hat (vgl. Dreier/Schulze aaO. Rn. 9 zu § 23 KUG mwN.)
b) Die Art und Weise der Berichterstattung muss aber auch in diesen Fällen verhältnismäßig sein und darf die berechtigten Interessen des Abgebildeten nicht verletzen.
Gemäß § 23 Abs. 2 KUG erstreckt sich die Befugnis zur Veröffentlichung von Bildnissen nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Im Rahmen der nach § 23 Abs. 2 KUG erforderlichen Interessenabwägung ist deshalb zu prüfen, ob eine Bildnisdarstellung unter Verletzung von Ehre und Ruf, mit negativer Tendenz oder unter Irreführung über die wahren Zusammenhänge erfolgt (Dreier/Schulze aaO. Rn. 32).
aa) Die Veröffentlichung des Bildnisses des Klägers in der konkreten Form im Zusammenhang mit der erkennbar reißerischen Tendenz des Artikels war nicht zu einer sachlichen Berichterstattung erforderlich. Zu Recht hat das Landgericht deshalb gemeint, dass die Bildberichterstattung ohne Einwilligung des Klägers im konkreten Fall und in der konkreten Form unzulässig war, weil das Porträt schon wegen seiner Größe außerhalb des Verhältnismäßigen lag und eine derart prominente Herausstellung einer Person geeignet ist, diese "an den Pranger" zu stellen. Auch der Beschwerdeausschuss des deutschen Presserats hat diese Auffassung vertreten und in seinem Beschluss vom 27.9.2005 ausgeführt:
„Das Foto ist so groß, dass es fast die Hälfte des gesamten Artikels einnimmt. Dennoch sind keinerlei Bemühungen unternommen worden, den Betroffenen unkenntlich zu machen. Dass er zudem in einer Situation abgebildet wird, in der es scheint, als würde er sich den Mund ablecken, erscheint im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kannibalismus als besonders sensationsheischend und erhöht die Prangerwirkung des Fotos. In dieser Form erweckt es nicht den Eindruck, dass es ein Informationsinteresse, sondern vielmehr ein Sensationsbedürfnis der Öffentlichkeit befriedigen soll".
Der Senat macht sich diese Ausführungen zu Eigen. Ist die Ablichtung in der konkreten Form und im konkreten Kontext aber nicht mehr von § 23 Abs. 1 KUG gedeckt, weil sie die berechtigten Interessen des Klägers beeinträchtigt, so liegt eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Rechts am eigenen Bild vor.
bb) Auch die Artikelüberschrift "(…)" hat das Landgericht zu Recht als rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers gewertet. Die Textüberschrift unterstellt mit dem Wort "Kannibale", der Kläger habe Menschenfleisch gegessen, was indes nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte. Zwar heißt es in dem nachfolgenden Artikel, der Kläger "soll seine eigene Cousine getötet und Teile der Leiche gegessen haben". Bei dieser Formulierung wird deutlich, dass es sich bei dem Vorwurf des Kannibalismus um keine bestätigte Tatsache, sondern allenfalls um einen Verdacht handelt.
Die Überschrift enthält jedoch eine selbständige Aussage, zu deren Verständnis es nicht auf den Text des nachfolgenden Beitrags ankommt. Die von der Berufung als ihr günstig angeführten Entscheidungen BGH AfP 97, 634 – Komplexe Gesamtäußerung - und KG AfP 99, 369 stellen diese Bewertung nicht in Frage, weil sie andere Sachverhalte betreffen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft das Problem der Herausnahme einzelner Sätze aus einem Gesamttext, durch die dessen Verständnis erschwert wird, die Entscheidung des Kammergerichts betrifft eine Äußerung, bei der verschiedene Auslegungsmöglichkeit bestanden. Demgegenüber ist die Überschrift des streitgegenständlichen Artikels im zu entscheidenden Fall eindeutig und enthält für sich genommen eine konkrete Aussage, so dass es nicht darauf ankommt, ob im nachfolgenden Artikel die in der Überschrift enthaltene Aussage teilweise relativiert wird. Sie verstößt wegen der Verwendung des Wortes "Kannibale" gegen den Grundsatz, dass in Berichten über noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten nicht der Eindruck erweckt werden darf, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen bereits überführt.
2.)
Auch wenn durch die inkriminierte Bildberichterstattung das Persönlichkeitsrecht und das Recht des Klägers am eigenen Bild widerrechtlich verletzt werden, besteht nach der Gesamtwürdigung aller Umstände noch kein unabwendbares Bedürfnis für eine Geldentschädigung.
a) Nicht jede rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eigenen Bild löst einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus. Nur unter bestimmten erschwerenden Voraussetzungen ist das unabweisbare Bedürfnis anzuerkennen, dem Betroffenen wenigstens einen gewissen Ausgleich für ideelle Beeinträchtigungen durch Zubilligung einer Geldentschädigung zu gewähren. Das ist nur der Fall, wenn die Verletzung aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles als schwer anzusehen ist. Hierbei sind insbesondere die Art und Schwere der zugeführten Beeinträchtigung, die Nachhaltigkeit der Rufschädigung, der Grad des Verschuldens sowie Anlass und Beweggrund des Handelns zu berücksichtigen (OLG Celle, NJW-RR 01, 335; Soehring a.a.O. Rn. 32.20; Dreier/Schulze a.a.O. Rn. 22 vor § 33 ff. KUG jeweils m.w.N.).
b) Für die Abwägung im zu entscheidenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Artikel – ungeachtet seiner reißerischen, sensationslüsternen Aufmachung – im Kern zutreffende, der Wahrheit entsprechende Angaben enthält.
Der Bericht stellt die Prozessentwicklung und das Ergebnis des Revisionsverfahrens dar, gibt wieder, dass der Kläger wegen Schuldunfähigkeit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde und erläutert, warum der Prozess nochmals von Neuem beginnen muss und der Täter nicht mehr wegen Mordes verurteilt werden könnte, selbst wenn er im zweiten Prozess für voll schuldfähig erklärt würde. Die dem Kläger vorgeworfenen Tathandlungen sind entsprechend den Ermittlungsergebnissen und Feststellungen im ersten Urteil wiedergegeben, wenn es heißt, der Kläger soll seine eigene Cousine getötet und Teile der Leiche gegessen haben. Schließlich wird auch berichtet, dass der Kläger die Tat abstreitet.
Bei der zu treffenden Abwägung zwischen dem Recht des Klägers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und dem Recht der Medien auf Freiheit der Berichterstattung überwiegt angesichts der Umstände des vorliegenden Falls letzteres. Der in der (wahrheitsgemäßen) Berichterstattung liegende Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache. Die Beklagte hat sich im Text des beanstandeten Artikels vom (…) im Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung gehalten. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung ist zunächst das Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst Öffentlichkeitswert verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten und den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlungen bereits überführt. Unzulässig ist nach diesen Grundsätzen eine auf Sensationen ausgehende, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung, vielmehr müssen grundsätzlich auch die zur Verteidigung des Angeklagten vorgetragenen Argumente berücksichtigt werden.
Andererseits dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung zu den Aufgaben der Medien gehört ( OLG Celle a.a.O; BGH NJW 2000, 1036 ).
Nach diesen Grundsätzen ist der Bericht der Beklagten vom (…) im Textteil inhaltlich nicht zu beanstanden. Zum einen ist zu beachten, dass der Kläger durch sein Verhalten das Interesse der Öffentlichkeit selbst auf sich gelenkt hat und schon deswegen eine Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts hinnehmen muss. Zum anderen entspricht die beanstandete Berichterstattung in ihrem Kern der Wahrheit. Dabei besteht im zu entscheidenden Fall sogar die Besonderheit, dass im Zeitpunkt der Berichterstattung bereits zwei gerichtliche Entscheidungen vorlagen, das erste Urteil des Landgerichts Koblenz und der dieses aufhebende Beschluss des Bundesgerichtshofs, in dem die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts ausdrücklich als rechtsfehlerfrei bezeichnet werden.
Die Situation, in der die Beklagte zu Beginn des zweiten Prozesses über das Verfahren berichtete, war damit deutlich anders als bei einer Berichterstattung im Stadium eines Ermittlungsverfahrens, in dem eine besonders zurückhaltende und das öffentliche Informationsinteresse mit der Unschuldsvermutung abwägende Berichterstattung geboten ist. Dass der Bundesgerichtshof das erste Urteil des Landgerichts Koblenz einschließlich seiner Feststellungen aufgehoben hat, steht der Zulässigkeit des Berichts nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom (…) darauf hingewiesen, dass die Feststellungen in dem aufgehobenen Urteil rechtsfehlerfrei sind. Die Aufhebung erfolgte aus verfahrensrechtlichen Gründen.
Wenngleich damit nach wie vor die Unschuldsvermutung zu berücksichtigen war, weil es an einer rechtskräftigen Entscheidung fehlte, bestanden doch im Hinblick auf die Feststellungen im ersten Urteil des Landgerichts Koblenz sowie des Hinweises des Bundesgerichtshofs zu Beginn des zweiten Strafverfahrens gesicherte Feststellungen, auf deren Grundlage sich ein ganz erheblicher Verdacht ergab, der über die in einem Ermittlungsverfahren oder im Stadium der Anklage üblicherweise vorliegenden Erkenntnisse weit hinausging.
Um überhaupt in verständlicher Weise von dem zweiten Prozess berichten zu können, war es notwendig, die Prozessgeschichte und die dem Kläger vorgeworfenen Tathandlungen darzustellen. Dass der Kläger wegen dieser Taten noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, geht aus dem Beitrag ausreichend deutlich hervor. Die Beklagte hat sich damit im Text des inkriminierten Beitrags von wahren Tatsachen leiten lassen, wobei es unschädlich ist, dass der Sachverhalt in dem für ein Boulevardblatt üblichen Stil und mit reißerischer, sensationslüsterner und bewusst schockierender Tendenz verfasst ist. Denn die Ergebnisse der bisherigen Strafverfahren stehen dem Inhalt des Artikels nicht entgegen.
Soweit das Landgericht eine weitere selbständige Ehrverletzung in der Formulierung "(…) soll seine eigene Cousine getötet und Teile der Leiche gegessen haben" gesehen hat, weil hierdurch der Eindruck vermittelt werde, dem Kläger werde nicht nur die Tötung, sondern auch der Verzehr von Leichenteilen vorgeworfen, folgt dem der Senat nicht. Zwar konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob der Kläger Leichenteile verzehrt hat, doch sprechen die festgestellten Umstände durchaus dafür. Nach den Feststellungen des ersten landgerichtlichen Urteils, die im Beschluss des Bundesgerichtshofs wiedergegeben werden, erhitzte der Kläger erhebliche Teile der Leiche im Backofen seiner Wohnung. Wesentliche Teile des Leichnams wurden nicht gefunden, andere waren mit Reiskörnern behaftet.
Ohne Zweifel sind die polizeilichen Ermittlungen danach auch in Richtung „Kannibalismus“ gegangen und befassen sich die im Zeitpunkt der Berichterstattung vorliegenden gerichtlichen Entscheidungen mit dieser Frage. Unter diesen Umständen durfte sich die angegriffene Berichterstattung auch mit dem „Verdacht des Kannibalismus“ in sachlicher Form befassen und bewegte sich die fragliche Textpassage angesichts der Erkenntnisse im polizeilichen Ermittlungsverfahren im Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung. Dass der „Vorwurf des Kannibalismus“ nicht Gegenstand der Anklage im prozessualen Sinn war, ist dafür unerheblich, zumal Kannibalismus keinen eigenen Straftatbestand erfüllt.
c) Etwas anderes gilt für die Verwendung des Begriffs Kannibale und die darin liegende Behauptung, der Kläger habe Menschenfleisch gegessen, diese Handlungsweise sei erwiesen. Insoweit wohnt dem im Kern zutreffenden Bericht eine aus Gründen der Sensationsgier gewählte Übertreibung oder Überzeichnung inne.
In Fällen von Übertreibung oder Überzeichnung kann indes von einer weniger schwerwiegenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts auszugehen sein, wenn der erhobene Vorwurf oder eine gegebene Darstellung im Kern gleichwohl zutreffend ist. Das gilt etwa, wenn dem Betroffenen die Begehung von Unzucht mit zwei Kindern nachgesagt wurde, während der Vorwurf nur in einem Fall berechtigt war (Soehring a.a.O. Rn. 32.24 ), oder bei einem Bericht über eine Straftat unter Namensnennung des Betroffenen, in dem die Berichterstattung inhaltlich in allen Punkten zutreffend war und die Unzulässigkeit der Namensnennung sich nur aus dem Fehlen eines berechtigten Interesses auch an der Offenbarung der Täteridentität ergab (vgl. Soehring aaO. 32, 24). Der zu entscheidende Fall liegt ähnlich.
Nach den vom Bundesgerichtshof für sachlich richtig befundenen Feststellungen des Landgerichts Koblenz hat der Kläger seine Cousine erstickt, mit einem Teppichmesser zerlegt und Teile der zerlegten Leiche im Ofen gebraten. Der ( unberechtigte, da nicht erwiesene ) Vorwurf, der Kläger habe schließlich auch Leichenteile gegessen, der (nur) in der Überschrift des Artikels zum Ausdruck kommt, stellt vor diesem Hintergrund zwar eine Überzeichnung und Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Ihr kommt aber gemessen an den Tatvorwürfen, über die die Beklagte inhaltlich zutreffend berichten durfte, kein solches Gewicht zu, dass die Zuerkennung einer Geldentschädigung unabweislich erscheint. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung wiegt im Vergleich zu den Auswirkungen, die eingetreten wären, wenn sich die Beklagte ( nur ) im Rahmen zulässiger Berichterstattung gehalten hätte, nach alledem nicht derart schwer, dass ein finanzieller Ausgleich des Nichtvermögensschadens geboten wäre ( vgl. auch OLG Celle a.a.O.).
d) Bei der Gesamtabwägung sind für den Senat folgende weitere Gesichtspunkte von Bedeutung :
aa) Im (zweiten) Urteil des Landgerichts Koblenz (…) heißt es u.a., die Behandlung einzelner Leichenteile nach ihrer Zerstückelung lasse nach Überzeugung der Kammer nur den Schluss zu, dass der Angeklagte sein Opfer oder Teile der Leiche essen wollte und zu diesem Zweck zumindest essfertig zubereitet hat. Dass der Angeklagte Teile der Getöteten tatsächlich verspeiste, konnte die Kammer nicht feststellen, hält dies jedoch angesichts des Fehlens von Leichenteilen, namentlich der Oberschenkel und der Rückenstreckermuskulatur sowie der nachfolgend aufgeführten Indizien für sehr wahrscheinlich. ( S. 48 = Bl. 191 ff.d.A.)
Entgegen der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vertretenen Auffassung ist der Senat – zumindest bei der Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung und ihrer Auswirkungen – nicht gehindert, die weitere Entwicklung des Strafverfahrens zu berücksichtigen (vgl. Soehring aaO. 19.36). Zwar weist der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu Recht darauf hin, dass die Rechtswidrigkeit einer Veröffentlichung nach den Erkenntnissen im Zeitpunkt der Veröffentlichung zu beurteilen ist und spätere Entwicklungen die Rechtswidrigkeit nicht nachträglich entfallen lassen.
Ungeachtet der gegen diese Entscheidung eingelegten Revision ist zu berücksichtigen, dass auch nach der Überzeugung der Strafkammer beim Landgericht Koblenz der Kläger zumindest „sehr wahrscheinlich“ Leichenteile gegessen hat. Hierüber könnte die Beklagte unter Hinweis darauf, dass die Entscheidung nicht rechtskräftig ist, zulässig berichten. Angesichts dieser Überzeugung der Strafkammer entfernt sich die Berichterstattung der Beklagten mit der zu beanstandenden Überschrift nicht so weit von der Beurteilung des Falles durch die Gerichte, dass von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung die Rede sein kann, die nur durch eine Geldzahlung ausgeglichen werden könne.
bb) Schließlich scheitert die Zubilligung einer Geldentschädigung daran, dass der Kläger keinerlei Beeinträchtigungen erheblicher Art dargelegt hat, für die ein immaterieller Schadensausgleich zuzuerkennen sein könnte. Dafür trifft ihn, worauf die Beklagte wiederholt hingewiesen hat, die Darlegungs- und Beweislast. Zu entsprechendem Vortrag bestand umso mehr Anlass, als der Kläger seit Jahren in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht ist und sich die Auswirkungen der angegriffenen Berichterstattung damit keineswegs von selbst verstehen.
3.)
Soweit der Kläger in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17.10.2006 die Auffassung vertritt, die reißerische, menschenverachtende und unsachliche Berichterstattung der Beklagten und insbesondere die Distanz zwischen der „Verfahrensrealität“, wie sie von der Öffentlichkeit wahrzunehmen gewesen sei, und der Berichterstattung, rechtfertige eine Geldentschädigung, veranlassen seine Ausführungen keine andere Entscheidung.
Der reißerische Stil des Artikels entspricht dem in einem Boulevardblatt Üblichen, hält sich aber – wie bereits dargelegt – aufgrund der Gesamtumstände noch im Rahmen des – ohne Geldentschädigung – Hinzunehmenden, zumal der Kern des Textes wahrheitsgemäß ist.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers beanstandet, die Berichterstattung sei durch „äußerste Verzerrung letzen Endes unwahr geworden“, weil sie nichts über die „völlig einseitigen Ermittlungen und die Ablehnung von Beweisanträgen der Verteidigung berichte, weglasse, dass die Einstufung des Klägers als psychisch krank jeder Grundlage entbehre und seine Verurteilung ohne jeglichen Tatnachweis“ erfolgt sei, überdehnt er die Anforderungen an die Presseberichterstattung. Gegen den Kläger lag im Zeitpunkt der Berichterstattung bereits ein Urteil des Landgerichts vor, die darin getroffenen Feststellungen hat der Bundesgerichtshof für rechtsfehlerfrei befunden. Es lag damit eine hinreichend gesicherte Grundlage für die inkriminierte Berichterstattung vor. Von einer bewusst einseitigen, verfälschenden Darstellung kann vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen werden. Insbesondere hieße es, die Anforderungen an die Sorgfalt der Presse zu überdehnen, wenn eine ausgewogene Berichterstattung stets voraussetzen würde, dass über sämtliche Vorermittlungen und die – nach Auffassung der Verteidigung ungerechtfertigte – Ablehnung von Beweisanträgen berichtet werden müsste, obwohl diese Gesichtspunkte im Hinblick auf bereits vorliegende gerichtliche Entscheidungen überholt sind bzw. im konkreten Verfahrensstadium nicht im Vordergrund stehen.
4.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, da der Senat nur anerkannte Rechtsgrundsätze im Einzelfall angewandt hat (§ 543 ZPO).
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