Ehrenmord keine Privatangelegenheit

Gericht

KG


Art der Entscheidung

Entscheidung


Datum

05. 07. 2007


Aktenzeichen

10 U 57/07


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. Januar 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 27 O 846/06 - geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe


Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die Darstellung des Tatbestandes in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte meint, das Landgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Wie das Landgericht ausgeführt habe, habe es sich bei dem gegen die Brüder der Klägerin geführten "Ehrenmordprozess" um ein zeitgeschichtliches Ereignis gehandelt. Die Klägerin sei in ihrer Rolle als Nebenklägerin und öffentliche "Kommentatorin" des Prozessgeschehens als relative Person der Zeitgeschichte anzusehen. Zudem habe sie das Sorgerecht für den Sohn der Ermordeten beantragt. Die Bildnisveröffentlichung sei unter diesen Umständen einwilligungsfrei zulässig.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Januar 2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.


II.

Die gemäß § 511 ZPO statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht im Sinne der §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zu. Der Senat hält an seiner bereits im Beschluss vom 11. Dezember 2006 vertretene Auffassung fest, dass die Klägerin eine Bildnisveröffentlichung im Zusammenhang mit einem Bericht über den Ausgang des gegen ihre Brüder geführten Prozesses wegen Ermordung ihrer Schwester hinnehmen muss (vgl. Beschluss des Senats vom 11. Dezember 2006 - 10 W 115/96). Auch die vorliegende Bildnisveröffentlichung war zulässig, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Prozess erfolgt ist und berechtigte Interessen der Klägerin im Sinne von § 23 Abs. 2 KUG nicht entgegenstehen.

Die Klägerin hat als Nebenklägerin und Wortführerin ihrer Familie insbesondere durch ihre umstrittenen Äußerungen ein berechtigtes, ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht überwiegendes öffentliches Informationsinteresse geweckt. Dieses bestand auch noch wenige Tage nach Urteilsverkündung fort. Dass, wie die Klägerin betont, sie bei ihrem öffentlichen Auftritt lediglich ihren nicht deutsch sprechenden Vater unterstützt hat, ist ohne Belang. Ausschlaggebend ist allein, dass die Klägerin durch ihr Auftreten und ihre Äußerungen bewusst in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist. Das hierdurch begründete Interesse an ihrer Person hat die Klägerin noch dadurch verstärkt, dass sie - wie im streitgegenständlichen Artikel mitgeteilt - das Sorgerecht für den Sohn der Ermordeten für sich beanspruchen will. Es geht in dem streitgegenständlichen Bericht entgegen den Ausführungen der Klägerin auch nicht um ihr Privatleben, sondern um einen Aufsehen erregenden Mordfall und die Rolle, die sie und ihre Familie bei der Tat und im Prozess gespielt haben. In diesem Zusammenhang ist sowohl eine kontextneutrale Bildnisveröffentlichung wie die auf Seite 49 des streitgegenständlichen Berichts zulässig, als auch die ebenfalls von der Klägerin angegriffene Fotografie auf Seite 48, die sie einvernehmlich mit ihrem Bruder ... zeigt. Zwar ist das Foto abseits des Prozessgeschehens, nämlich bei einem Spaziergang zu einem Lokal am Ostersonnabend aufgenommen worden. Das Foto ist nach Auffassung des Senats aber geeignet, die im Fließtext aufgestellte These zu untermauern, dass die Klägerin im Prozess lediglich aus taktischen Gründen als Nebenklägerin aufgetreten ist. Dass sich die Klägerin dem Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den jüngsten Bruder angeschlossen hat, steht dem nicht entgegen, sondern stützt die Annahme, dass die Verantwortung für einen sog. "Ehrenmord" vom jüngsten Familienmitglied übernommen wird, weil dieser mit der mildesten Strafe rechnen kann. Durch die Veröffentlichung wird die Klägerin entgegen ihren Ausführungen schließlich nicht zu einer Änderung ihres Verhaltens, insbesondere zur Meidung öffentlichen Straßenlandes, gezwungen. Sie hat es lediglich hinzunehmen, dass ein von ihr gewecktes öffentliches Informationsinteresse in einer dafür üblichen Art und Weise wie der Anfertigung von Fotografien befriedigt wird.

Mangels Bestehens eines Unterlassungsanspruchs besteht auch der auf Freistellung von anwaltlichen Gebühren für die Geltendmachung des vorgerichtlichen Unterlassungsbegehrens gerichtete Anspruch nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. I Satz I ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den § 709 Satz 1 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordert. Insbesondere liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung eines obersten Gerichts oder eine sonstige Rechtsprechungsdivergenz nicht vor.


Neuhaus
Frey
Thiel

Vorinstanzen

LG Berlin, 27 O 846/06

Rechtsgebiete

Presserecht