Verwendung des Begriffs „Fachanwälte”, wenn in einer Kanzlei mehrere Fachanwälte arbeiten.

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

29. 03. 2007


Aktenzeichen

I ZR 152/04


Leitsatz des Gerichts

Lässt das Berufungsgericht die Revision zu, muss – ebenso wie im Fall einer möglichen Revisionszulassung durch das Revisionsgericht – aus dem Berufungsurteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen (im Anschluss an BGHZ 156, 216).

  1. Die Verwendung des Begriffs „Fachanwälte“ als Zusatz zu der Kurzbezeichnung einer überörtlichen Anwaltssozietät auf einem Praxisschild oder auf dem Briefkopf setzt voraus, dass eine den Plural rechtfertigende Zahl von Sozietätsmitgliedern Fachanwälte sind. Nicht erforderlich ist es, dass an jedem Standort, an dem der Zusatz verwendet wird, ein oder mehrere Fachanwälte tätig sind.

  2. Verwendet eine Sozietät in ihrer Kurzbezeichnung eine auf eine Zusatzqualifikation hinweisende Bezeichnung, muss sie dort, wo die Mitglieder der Sozietät namentlich aufgeführt sind, die (Zusatz-)Qualifikation jedes einzelnen Sozietätsmitglieds benennen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 5.5.1994 – I ZR 57/92, GRUR 1994, 736 = WRP 1994, 613 – Intraurbane Sozietät).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 2. September 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gerichtskosten für das Berufungsurteil und das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Von Rechts wegen

Tatbestand


Tatbestand:

Die Beklagte ist eine überörtliche Sozietät von Rechtsanwälten und Notaren mit Büros in B. , Br. und Be. . Ihr gehören Fachanwälte für verschiedene Fachgebiete an, von denen jedoch keiner am Standort B. tätig ist. Die klagende Rechtsanwaltskammer macht gegen die Beklagte Unterlassungsansprüche wegen irreführender Verwendung des Begriffs „Fachanwälte“ auf dem Kanzleischild in B. sowie auf ihrem Geschäftspapier und in der Werbung, insbesondere in einer Broschüre und auf ihrer Homepage, geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Bremen NJW 2004, 2027). Das Berufungsgericht (OLG Bremen Mitt. 2005, 67 [Ls.] = OLG-Rep. 2005, 44) hat die Beklagte – das erstinstanzliche Urteil teilweise abändernd – verurteilt, es zu unterlassen,

  1. auf ihrem Kanzleischild in B. … den Begriff „Fachanwälte“ zu verwenden, solange am Standort der Beklagten in B. kein Fachanwalt tätig ist,

  2. auf ihrem Geschäftspapier, in der Werbung oder in sonstigen für ihre Außenbeziehungen bestimmten Unterlagen oder Ankündigungen – schriftlich oder mündlich – zur Kennzeichnung ihrer Tätigkeitsbereiche als überörtlicher Sozietät den Begriff „Fachanwälte“ zu verwenden, sofern nicht neben den Angaben zu den anderen Mitgliedern der Sozietät zugleich für jeden ihrer Fachanwälte das fachanwaltschaftliche Tätigkeitsgebiet und der zugehörige Standort ausgewiesen sind.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision, mit der die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet.

I. Das Berufungsurteil enthält keine dem § 540 Abs. 1 ZPO entsprechende Darstellung der Tatsachen, die das Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat. Es leidet daher an einem Verfahrensmangel, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (BGHZ 154, 99, 101; 156, 216, 218; BGH, Urt. v. 23.11.2006 – I ZR 276/03 – Abmahnaktion, unter II.1.). Lässt das Berufungsgericht die Revision zu, muss – ebenso wie in dem Fall einer möglichen Revisionszulassung durch das Revisionsgericht (vgl. BGHZ 156, 216, 218) – aus dem Berufungsurteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Sachverhalt selbst zu ermitteln, um abschließend beurteilen zu können, ob die Revision begründet ist (vgl. BGHZ 73, 248, 252).

Das Berufungsurteil enthält weder eigene Feststellungen noch die in § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgesehene Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Lediglich hinsichtlich des Beurteilungsmaßstabs für die Irreführungsgefahr nimmt das Berufungsurteil auf das erstinstanzliche Urteil Bezug. Auch der Umstand, dass in diesem Zusammenhang eine Fundstelle angegeben ist, vermag die erforderliche Bezugnahme – entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung – nicht zu ersetzen. Schließlich lassen sich auch den rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichts keine für eine revisionsrechtliche Überprüfung ausreichenden Feststellungen zum Sachverhalt entnehmen. Insbesondere fehlt jeder Hinweis darauf, wie die Beklagte den Begriff „Fachanwälte“ auf ihrem Kanzleischild in B. , auf ihrem Geschäftspapier und in der Werbung verwendet. Auf diese konkrete Gestaltung kommt es aber für die Beurteilung der Irreführungsgefahr maßgeblich an, weil der Senat diese Beurteilung mit Blick auf die von der Revision erhobene Rüge erfahrungswidriger Feststellungen zu überprüfen hat.

Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob eine Aufhebung des Berufungsurteils auch bereits deswegen geboten ist, weil es die Berufungsanträge nicht wiedergibt (vgl. BGHZ 154, 99, 100 f.; BGH, Urt. v. 14.1.2005 – V ZR 99/04, NJW-RR 2005, 716, 717; Urt. v. 23.11.2006 – I ZR 276/03 – Abmahnaktion, unter II.1.), oder ob die verschiedenen Angaben zu den Anträgen in den Gründen des Berufungsurteils noch den Anforderungen genügen, die an eine zumindest sinngemäße Wiedergabe der Berufungsanträge zu stellen sind.

II. Das Berufungsurteil kann unter diesen Umständen keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das erneute Berufungsverfahren wird auf Folgendes hingewiesen:

1. Den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ist unter Heranziehung des Akteninhalts zu entnehmen, dass die Klägerin im Berufungsverfahren die in erster Instanz gestellten Anträge weiterverfolgt hat. Trifft dies zu, hätte das Berufungsgericht der Klägerin mit dem Urteilsausspruch zu a) etwas zugesprochen, was nicht beantragt war (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO): Der im landgerichtlichen Urteil wiedergegebene Klageantrag zu 1 zielt auf die Untersagung der Verwendung des konkret beschriebenen Kanzleischildes der Beklagten in B. ab, das in der zweiten Zeile das Wort „Fachanwälte“ und in einer weiteren Zeile den Hinweis „Fachanwälte für Arbeitsrecht, Familienrecht, Verwaltungsrecht und Sozialrecht“ enthielt. Das Berufungsgericht hat der Beklagten dagegen schlechthin untersagt, den Begriff „Fachanwälte“ auf dem B. Kanzleischild zu verwenden, solange an diesem Standort kein Fachanwalt tätig ist. Auch der Urteilsausspruch zu b) weicht von dem entsprechenden Klageantrag zu 2 ab; diese Abweichung ist indessen unter dem Gesichtspunkt des § 308 ZPO unbedenklich, weil das ausgesprochene Verbot eine Bedingung enthält und daher gegenüber dem unbedingten Klageantrag ein Minus darstellt.

2. Hinsichtlich der beanstandeten Bezeichnung „Fachanwälte“ wird das Berufungsgericht Folgendes zu beachten haben:

a) Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, der Dienstleistungen der Rechtsanwälte und Notare in Anspruch nehmen möchte, wird eine entsprechende Werbung in der Regel nicht nur flüchtig, sondern mit zumindest normaler Aufmerksamkeit betrachten.

b) Nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu urteilen, wird ein interessierter Verbraucher zwischen der als Teil des Kanzleinamens firmenähnlich verwendeten Kurzbezeichnung (§ 9 BORA) der in einer überörtlichen Sozietät tätigen Berufsträger einerseits und der Qualifikation der einzelnen Sozien an einem konkreten Standort andererseits zu unterscheiden wissen. Wird der Kurzbezeichnung ein Zusatz zur Qualifikation der Berufsträger wie „Rechtsanwälte und Notare“ oder „Wirtschaftsprüfer und Steuerberater“ hinzugesetzt, versteht der Verkehr dies als Hinweis darauf, dass sich in der entsprechenden Kanzlei Berufsträger dieser Qualifikation zusammengeschlossen haben (vgl. BGH, Beschl. v. 30.11.1998 – NotZ 29/98, NJW 1999, 428, 429; Beschl. v. 23.9.2002 – AnwZ (B) 67/01, NJW 2003, 346; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 8.3.2005 – 1 BvR 2561/03, NJW 2005, 1483, 1484). Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, der Verkehr verstehe unter Fachanwälten Rechtsanwälte, die auf ein bestimmtes Fachgebiet spezialisiert sind und eine entsprechende Zusatzqualifikation erworben haben. Der interessierte Verbraucher wird annehmen, dass er Näheres zu der Spezialisierung der einzelnen Anwälte der Liste der Sozietätsmitglieder entnehmen kann. Ist eine solche Kanzlei – für den Verbraucher erkennbar – an mehreren Standorten tätig, so hat er keinen Anlass anzunehmen, dass alle in dem Zusatz zur Kurzbezeichnung genannten Qualifikationen an sämtlichen Standorten vertreten sind. Vielmehr wird der Interessent, soweit es ihm darauf ankommt, anhand der näheren Angaben über die Sozietätsmitglieder prüfen, welche Qualifikationen die an einem bestimmten Standort der Sozietät tätigen Berufsträger haben.

Die Verwendung des Begriffs „Fachanwälte“ als Zusatz zu der Kurzbezeichnung einer überörtlichen Anwaltssozietät – etwa in der Form „Dr. X & Partner – Rechtsanwälte, Fachanwälte, Notare“ – auf einem Praxisschild oder auf dem Briefkopf setzt danach voraus, dass eine den Plural rechtfertigende Zahl von Sozietätsmitgliedern Fachanwälte sind. Nicht erforderlich ist, dass an jedem Standort, an dem – etwa auf dem Praxisschild – die firmenmäßige Bezeichnung mit dem Zusatz verwendet wird, ein oder mehrere Fachanwälte tätig sind.

c) Verwendet eine Sozietät in ihrer Kurzbezeichnung eine auf eine Zusatzqualifikation hinweisende Bezeichnung, muss sie – zumal wenn nicht alle Sozietätsmitglieder die zusätzliche Qualifikation aufweisen – dort, wo die Mitglieder der Sozietät namentlich aufgeführt sind, die (Zusatz-)Qualifikation jedes einzelnen Sozietätsmitglieds benennen. Dies kann die Namensleiste auf dem Briefbogen, das Praxisschild, das die Namen der an diesem Standort tätigen Sozietätsmitglieder aufführt, oder die Liste der Sozietätsmitglieder in einer Praxisbroschüre oder auf der Internetseite der Kanzlei sein. Im Streitfall bedeutet dies, dass die Beklagte zur Vermeidung einer Irreführung jedem Sozietätsmitglied jeweils konkret und eindeutig seine berufliche Qualifikation zuzuordnen hat, also Rechtsanwalt, Notar oder Fachanwalt unter Angabe des Fachgebiets. Der Kanzleiauftritt darf keinen Zweifel an der jeweiligen Qualifikation der einzelnen benannten Berufsträger aufkommen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 5.5.1994 – I ZR 57/92, GRUR 1994, 736, 737 = WRP 1994, 613 – Intraurbane Sozietät). Das ist insbesondere auch dann zu beachten, wenn die Bezeichnung „Fachanwälte“ mit oder ohne Angabe des Gebiets, auf das sich diese Qualifikation bezieht, außerhalb einer Kurzbezeichnung der Sozietät verwendet wird.

III. Der Senat hat hinsichtlich der Gerichtskosten für das Berufungsurteil und das Revisionsverfahren von der in § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht.


Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann Kirchhoff

Vorinstanzen

LG Bremen, 12 O 527/03, 15.04.2004; OLG Bremen, 2 U 50/04, 02.09.2004

Rechtsgebiete

Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht

Normen

ZPO § 540 Abs. 1; UWG §§ 3, 5 Abs. 1