Anfechtung der Vaterschaft durch angeblichen Vater

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

06. 12. 2006


Aktenzeichen

XII ZR 164/04


Leitsatz des Gerichts

  1. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1600 II BGB, der es dem (angeblichen) leiblichen Vater verwehrt, die Vaterschaft eines rechtlichen Vaters anzufechten, wenn zwischen diesem und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht.
  2. Zum Verhältnis zwischen der Definition einer sozial-familiären Beziehung in § 1600 III Satz 1 BGB und den Regelannahmen des § 1600 III Satz 2 BGB.
  3. Zur Unzulässigkeit einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage, mit der keine statusrechtlichen Folgen begehrt werden.

Tenor


Tenor:

Der XII. Zivilsenat des BGH hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. 12. 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats - Familiensenat -des OLG Dresden vom 10. 8. 2004 wird auf Kosten des Kl. mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es bei der vom AG ausgesprochenen Abweisung des Hilfs-antrages als unzulässig verbleibt.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kl. hatte mit der Ehefrau des Bekl. zu 1, die am 3. 1. 2003 die Bekl. zu 2 gebar, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt und zu Urkunde des Jugendamts vom 4. 9. 2002 anerkannt, Vater des damals noch ungeborenen Kindes zu sein. Er behauptet dies nach wie vor.

Er hatte die Ehefrau des Bekl. zu 1 nach eigener Darstellung Anfang Februar 2002, nach Darstellung des Bekl. zu 1 Anfang April 2002 kennen gelernt. Die Beziehung endete nach übereinstimmender Darstellung der Parteien Anfang Juni 2002. Etwa zeitgleich nahmen der Bekl. zu 1 und seine Ehefrau, die seit 1998 verheiratet sind, ihr eheliches Zusammenleben wieder auf und wohnen seit der Geburt des Kindes mit diesem zusammen. Zuvor hatten sie nach Darstellung des Kl. von Anfang April bis Mitte Juni 2002 getrennt gelebt.

Das Familiengericht wies die vom Kl. gegen den Bekl. zu 1 erhobene Klage auf Feststellung, dass dieser nicht der Vater des Kindes sei, unter Hinweis auf § 1600 BGB in der seinerzeit geltenden Fassung mangels Anfechtungsbefugnis als unzulässig ab.

Auf die Berufung des Kl. setzte das BerGer. das Verfahren aus, weil das BVerfG diese Vorschrift einen Tag vor Verkündung des angefochtenen Urteils (mit Beschlüssen vom 9. 4. 2003 FamRZ 2003, 816 ff.) für teilweise verfassungswidrig erklärt und angeordnet hatte, dass bis zur gesetzlichen Neuregelung anhängige Verfahren, deren Entscheidung hiervon abhängt, auszusetzen sind.

Nach der ab 30. 4. 2004 geltenden Neufassung des § 1600 BGB und der Wiederaufnahme des Verfahrens versicherte der Kl. an Eides Statt, der Mutter des Kindes innerhalb der Empfängniszeit, nämlich im Zeitraum März bis Mai 2002, beigewohnt zu haben, und erweiterte seine Klage gegen die Bekl. zu 2. Ferner beantragte er hilfsweise festzustellen, dass diese von ihm abstamme.

Das BerGer. wies die Berufung zurück. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Kl., mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.



I. Das BerGer. hat die Klage für insgesamt zulässig, aber sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag für unbegründet gehalten. Der Kl. habe seine Anfechtungsklage zwar, wie in §§ 1600 e I, 1600 I Nr. 2 BGB vorgeschrieben, sowohl gegen das Kind als auch gegen dessen Vater i.S. des § 1592 Nr. 1 BGB erhoben. Er sei aber nach § 1600 II BGB zur Anfechtung nicht berechtigt, weil zwischen den beiden Bekl. eine sozialfamiliäre Beziehung bestehe. Das sei nach § 1600 III Satz 1 BGB der Fall, wenn der Vater im Rechtssinne für das Kind tatsächliche Verantwortung trage. Davon sei nach § 1600 III Satz 2 BGB in der Regel auszugehen, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet sei oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt habe. Beide Voraussetzungen seien hier erfüllt, da der Bekl. zu 1 mit der Mutter der Bekl. zu 2 seit 1998 verheiratet sei und die Bekl. zu 2 seit ihrer Geburt im Januar 2003 mit diesen in der gemeinsamen Wohnung lebe, was auch der Kl. nicht in Abrede stelle.

Diese gesetzlichen Regelungen seien, soweit sie den vorliegenden Fall beträfen, verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit ihnen habe der Gesetzgeber die ihm vom BVerfG (Beschlüsse vom 9. 4. 2003 aaO) gemachten Vorgaben zutreffend umgesetzt. Insbesondere habe er damit das hier vom Kl. beanspruchte Recht auf Klärung der biologischen Abstammung gegen den durch Art. 6 II GG geschützten unbeeinträchtigten Fortbestand der aus dem Vater im Rechtsinne, dem Kind und dessen Mutter bestehenden sozial-familiären Verantwortungsgemeinschaft abgewogen und in nicht zu beanstandender Weise diesem Schutz den Vorrang vor der Möglichkeit der Vaterschaftsanfechtung eingeräumt, indem er diese nur in Fällen zulasse, in denen keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind bestehe.

Diese Wertung gebiete zugleich die Abweisung des Hilfsantrages, da auch die begehrte Feststellung, dass die Bekl. zu 2 vom Kl. abstamme, diese sozial-familiäre Beziehung gefährde. Auch insoweit müsse ein möglicherweise aus dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG) des angeblichen biologischen Vaters herzuleitendes Recht, die Abstammung des Kindes von ihm gerichtlich klären zu lassen, hinter dem durch Art. 6 II GG gebotenen Schutz der Familie der Bekl. und dem auch dem Kind zustehenden Persönlichkeitsrecht zurücktreten, das es auch einschließe, ungestört in der durch seine Familie gewährleisteten Geborgenheit aufwachsen zu können.



II. Das hält der rechtlichen Prüfung und den Angriffen der Revision im Ergebnis - bis auf die Beurteilung des Hilfsantrages als zulässig - stand.

1. Die angefochtene Entscheidung ist nicht schon deshalb (insgesamt) aufzuheben, weil sie der minderjährigen Bekl. zu 2 noch nicht wirksam zugestellt wäre, wie dies die Revisionserwiderung zur Amtsprüfung durch den Senat stellt. Würde es - etwa mangels Vertretungsbefugnis ihrer (rechtlichen) Eltern - an einer wirksamen Zustellung an die Bekl. zu 2 fehlen, hätte allerdings auch noch keine Entscheidung über die gegen den Bekl. zu 1 erhobene Klage getroffen werden dürfen. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit einheitlicher Prozessführung und Entscheidung, § 1600 e I Satz 1 BGB und § 640 h II ZPO.

Bedenken gegen die wirksame Vertretung der Bekl. zu 2 durch den Bekl. zu 1 und dessen Ehefrau und damit auch gegen die Wirksamkeit der von ihnen namens des Kindes erteilten Prozessvollmacht bestehen hier aber nicht. Die dem Bekl. zu 1 und seiner Ehefrau gemeinsam zustehende elterliche Sorge für das Kind umfasst auch dessen Vertretung, § 1629 I Satz 1 und 2 BGB.

Ein Fall, in dem dies nach § 1629 II Satz 1 i.V. mit § 1795 BGB ausnahmsweise gesetzlich ausgeschlossen ist, liegt hier nicht vor. Die Vorinstanzen haben dem Bekl. zu 1 und seiner Ehefrau die Vertretung des Kindes auch nicht nach §§ 1629 II Satz 3, 1796 BGB entzogen. Auf die Frage, ob dies wegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen ihnen und dem Kind geboten gewesen wäre, kommt es nicht an, da die Vertretungsbefugnis erst mit der Entziehung und nicht bereits mit dem Auftreten des Interessengegensatzes entfällt (vgl. OLG Celle FamRZ 1976, 97; Palandt/Diederichsen BGB 66. Aufl. § 1796 Rdnr. 6; Staudinger/Engler BGB [1999] § 1796 Rdnr. 18 m.w. Nachw.). Im Übrigen ist ein solcher erheblicher Interessengegensatz, für den im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte vorliegen müssten (vgl. MünchKomm/Huber BGB § 1629 Rdnr. 68 m.N.), hier nicht ersichtlich. Ein Interesse des jetzt knapp vierjährigen Kindes, seine Abstammung zu klären und gegebenenfalls statusrechtlich dem Kl. zugeordnet zu werden, kann noch nicht ohne weiteres unterstellt werden; sollte es mit zunehmender Verstandesreife ein solches Interesse entwickeln, ist dieses durch die Möglichkeit, sein eigenes Anfechtungsrecht nach Erreichen der Volljährigkeit selbst wahrzunehmen, hinreichend gewahrt (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 737, 739). Ein dem Interesse des Kindes möglicherweise zuwiderlaufendes Interesse der Mutter, einen bislang verschwiegenen Ehebruch nicht durch ein Abstammungsgutachten offenbar werden zu lassen, scheidet hier aus, da sie den Ehebruch hier auch gegenüber ihrem Ehemann nicht in Abrede gestellt hat. Eine Entziehung der Vertretung ist auch nicht angebracht, wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern trotz eines möglichen Interessenwiderstreits in der Lage sind, eine dem Wohl des Kindes entsprechende Entscheidung zu treffen (vgl. MünchKomm/Huber aaO § 1629 Rdnr. 68; OLG Stuttgart FamRZ 1983, 831); davon ist hier mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auszugehen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass auch der das Kindschaftsverfahren beherrschende Amtsermittlungsgrundsatz geeignet ist, die Interessen des Kindes zu wahren (vgl. OLG Celle aaO).

2. Der Senat schließt sich der Auffassung des BerGer. an, dass das ein Anfechtungsrecht des Kl. ausschließende Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen den beiden Bekl. eine Frage der Begründetheit und nicht schon der Zulässigkeit ist (ebenso Staudinger/Rauscher BGB [2004] § 1600 Rdnr. 40; Höfelmann FamRZ 2004, 745, 748 f.; Seidel FPR 2005, 181, 184 und Palandt/Diederichsen aaO § 1600 Rdnr. 7: „negative Tatbestandsvoraussetzung“; Weinreich/Klein/Pieper Kompaktkommentar Familienrecht 2. Aufl. § 1600 BGB Rdnr. 3; ders. in FA-FamR 5. Aufl. Kap. 3 Rdnr. 131 c; a.A. Wieser FamRZ 2004, 1773, 1774).

Hierfür spricht die Begründung der Neufassung des § 1600 BGB durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft etc. vom 23. 4. 2004 (BGBl. 2004 I 598), derzufolge die positive Feststellung des Bestehens einer solchen Beziehung eine Anfechtung durch den leiblichen Vater auch für die Zukunft ausschließen soll (BT-Drucks. 15/2253 S. 11; Palandt/Diederichsen aaO § 1600 Rdnr. 7). Diese Folge ist aber nur zu erreichen, wenn eine Entscheidung in der Sache ergeht. Nach der Intention des Gesetzes ist deshalb davon auszugehen, dass das Nichtbestehen einer solchen Beziehung nicht schon Voraussetzung der Prozessführungsbefug-nis des Kl. und damit der Zulässigkeit seiner Anfechtungsklage nach § 1600 I Nr. 2 BGB ist, sondern erst ihrer Begründetheit.

3. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist auch der (vom BerGer. unausgesprochen zugrunde gelegte) Ausgangspunkt, dass es für die Frage, ob die negative Voraussetzung des Anfechtungsrechts (§ 1600 II BGB) gegeben ist, entsprechend den allgemeinen Regeln (vgl. auch Senatsurteil vom 25. 10. 2006 - XII ZR 5/04 -, zur Veröffentlichung bestimmt) auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt und nicht etwa auf den Zeitpunkt, in dem sie rechtshängig wird (vgl. Staudinger/Rauscher aaO § 1600 Rdnr. 41).

Denn die Anfechtung der Vaterschaft ist keine rechtsgestaltende Willenserklärung, bei der es allein auf die Sachbefugnis im Zeitpunkt ihrer Abgabe ankäme. Die bestehende rechtliche Zugehörigkeit eines Kindes zu einem bestimmten Mann als dessen Vater kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung im Statusverfahren aufgehoben werden, nicht aber schon durch die Erhebung der Anfechtungsklage selbst.

Wäre es anders, könnte beispielsweise einer unmittelbar nach Geburt des Kindes erhobenen Anfechtungsklage die Regelannahme des § 1600 III Satz 2 BGB, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind zumindest schon übernommen hat, nur in den Fällen des § 1592 Nr. 1 BGB entgegengehalten werden, wenn also der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist. Beruht dessen rechtliche Vaterschaft hingegen auf einem Anerkenntnis (§ 1592 Nr. 2 BGB), kommt die Regelannahme des § 1600 III Satz 2 2. Alt. BGB noch nicht in Betracht, weil der rechtliche Vater zu dem Zeitpunkt, in dem die Anfechtungsklage rechtshängig wird, naturgemäß noch nicht längere Zeit mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben kann. Dies könnte zur Folge haben, dass auf die zunächst schlüssige Klage ein gerichtliches Gutachten eingeholt wird, das die Vaterschaft des Kl. und zugleich die Nichtvaterschaft des beklagten Mannes ergibt, die Klage aber gleichwohl abgewiesen werden muss, weil der rechtliche Vater inzwischen längere Zeit mit dem Kind zusammengelebt hat und daraus eine sozial-familiäre Beziehung entstanden ist.

Diese Gefahr, die dem Zweck der gesetzlichen Regelung evident zuwiderläuft, ist deutlich geringer, wenn die Voraussetzung, dass keine derartige Beziehung besteht, im Laufe des Verfahrens erfüllt bleiben muss. Denn ein längeres Zusammenleben mit dem Kind ist zwar ein Indiz, nicht aber eine notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung. Diese kann bereits auch bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn dieses noch andauert und der Tatrichter überzeugt ist, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise trägt, die auf Dauer angelegt erscheint.

4. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Neuregelung des § 1600 BGB werde der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der gegenläufigen Interessen in mehrfacher Weise nicht gerecht:

Zum einen werde durch die gesetzlichen Vermutungen und Regelannahmen des § 1600 III Satz 2 BGB eine nicht widerlegbare Priorität des Schutzes eines nur vermuteten Familienverbandes begründet, wobei diese Vermutung in der ersten Alternative der Regelung nicht etwa auf die Belange des Kindes abstelle, sondern lediglich auf das formale Bestehen einer Ehe zwischen seiner Mutter und deren Ehemann.

Zum anderen führe dies angesichts der Anfechtungsfrist von zwei Jahren dazu, dass einem biologischen Vater, dem die gegen die Vaterschaft des Ehemannes sprechenden Umstände von Anfang an bekannt gewesen seien, eine Anfechtung bereits dann für immer verwehrt bleibe, wenn die Ehe der Kindesmutter über das zweite Lebensjahr des Kindes hinaus zumindest formal Bestand habe. Auch wenn die Ehe und/oder die sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater nach Ablauf der Anfechtungsfrist zerbreche, lebe das Anfechtungsrecht nämlich nicht wieder auf, so dass der biologische Vater selbst einer Freigabe des Kindes zur Adoption durch Dritte tatenlos zusehen müsste.

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das BerGer. beide die gesetzliche Regelannahme des § 1600 III Satz 2 BGB begründenden Alternativen geprüft und bejaht hat, obwohl für die Vermutung, dass der Bekl. zu 1 tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen habe, bereits die Tatsache ausgereicht hätte, dass er mit dessen Mutter verheiratet ist. Die zweite Alternative (ein längeres, nicht notwendigerweise aber noch fortbestehendes Zusammenleben mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft) bedarf insoweit nur dann der Prüfung, wenn nicht schon die erste Alternative diese Vermutung rechtfertigt, etwa weil die Ehe inzwischen geschieden ist oder eine Ehe - im Fall der rechtlichen Vaterschaft durch Anerkenntnis, § 1592 Nr. 2 BGB - nicht bestanden hat.

b) Soweit die Revision in der gesetzlichen Regelung eine „nicht widerlegbare Priorität eines (nur vermuteten) Familienverbandes“ sieht, differenziert sie nicht hinreichend zwischen zwei Fragen, nämlich einerseits der Wertung des Gesetzes, das in der Tat einem bestehenden Familienverband den Vorrang vor den Interessen des Anfechtenden einräumt, und andererseits der Frage der Widerlegbarkeit der gesetzlichen Regelannahme in § 1600 III Satz 2 BGB. Diese Regelannahme betrifft nur die Übernahme der tatsächlichen Verantwortung, begründet ihrerseits aber noch keine weitere Annahme dafür, dass die übernommene Verantwortung weiterhin getragen wird. Werden allerdings vom Anfechtungskläger keine Umstände dargelegt und sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen eine fortdauernd wahrgenommene tatsächliche Verantwortung sprechen, wird der Tatrichter auch ohne weitere Amtsermittlung davon ausgehen dürfen, dass der rechtliche Vater die übernommene Verantwortung weiterhin trägt. Im Einzelnen:

aa) Die der bestehenden sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind in § 1600 II BGB eingeräumte Priorität begegnet aus der Sicht des Senats keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie sich im Rahmen des vom BVerfG eingeräumten Gestaltungsspielraums hält, den der Gesetzgeber bei der Abwägung gegenläufiger, verfassungsrechtlich geschützter Interessen und Rechte nach seinem Ermessen ausfüllen darf. Die getroffene Regelung ist auch sachgerecht.

Zwar mögen die im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I GG) geschützten gegenläufigen und gegeneinander abzuwägenden Interessen des Kindes und des Anfechtenden einander gleichwertig sein. Das im Regelfall zu vermutende Interesse des Kindes am Erhalt seines Status (auch im weiteren Sinne einer „possession d'état“, vgl. Art. 311-1 frz. Code Ci- vil) und der Abwehr von Störungen seiner fortbestehenden oder zumindest für längere Zeit vorhanden gewesenen sozial-familiären Beziehung steht aber unter dem zusätzlichen Schutz des Art. 6 I GG. Die Bereitschaft des (mutmaßlichen) leiblichen Vaters, Verantwortung tragen zu wollen, und sein Wunsch, eine sozial-familiäre Beziehung zwischen ihm und dem Kind erst entstehen zu lassen, verdienen diesen Schutz hingegen nicht (BVerfG FamRZ 2006, 1661, 1662) oder zumindest nicht in gleichem Maße.

Soweit der leibliche Vater sich grundsätzlich auch auf seine durch Art. 6 II GG geschützte Elternschaft berufen kann, umfasst dieser Schutz zwar auch sein Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen, und damit den Zugang zu einem Verfahren, das dies ermöglicht. Dem steht aber das mindestens gleichwertige Interesse des rechtlichen Vaters gegenüber, der diese Rechtsstellung bereits einnimmt und die sich daraus ergebende Verantwortung auch wahrnimmt (vgl. BVerfG FamRZ 2003 aaO 818 f. unter C I 1 b). Träger des Elternrechts nach Art. 6 II GG kann aber nur einer von beiden sein (vgl. BVerfG FamRZ 2003 aaO 819 unter C I 2 a), und zwar derjenige, der zugleich die Elternverantwortung bereits wahrnimmt, unabhängig davon, ob sich die Elternverantwortung auf Abstammung oder auf Rechtszuweisung gründet. Trägt der rechtliche Vater diese Verantwortung, verliert er sein Elternrecht nicht allein dadurch, dass sich ein anderer Mann als leiblicher Vater herausstellt (vgl. BVerfG FamRZ 2006 aaO 1661 und FamRZ 2003 aaO 819 unter C I 2 b).

Das BVerfG hat § 1600 BGB a.F. daher nur insoweit als mit Art. 6 II Satz 1 GG unvereinbar erklärt, als diese Vorschrift dem leiblichen Vater das Recht auf Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft auch dann vorenthielt, wenn die rechtlichen Eltern oder auch nur der rechtliche Vater mit dem Kind keine soziale Familie bilden, die es nach Art. 6 I GG - vorrangig - zu schützen gilt (BVerfG FamRZ 2003 aaO 820 f. unter C I 5, 6 und 6 a).

Dieser Vorgabe entspricht die Neuregelung in § 1600 II BGB. Dem steht auch nicht entgegen, dass bereits das Bestehen einer sozialen Familie aus rechtlichem Vater und Kind ein Anfechtungsrecht des biologischen Vaters ausnahmslos ausschließt, so dass eine Einzelabwägung zwischen dem dieser Familie gebührenden Schutz und dem damit in Konflikt stehenden Elternrecht des leiblichen Vaters gerade nicht mehr stattzufinden hat. Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen nicht verwehrt, eine solche Abwägung generalisierend vorwegzunehmen, auch um die bestehende Familie davor zu schützen, deren Interna im Einzelnen aufdecken zu müssen (a.A. Staudinger/Rauscher aaO § 1600 Rdnr. 40).

Verfassungsrechtlich bedenklich könnte insoweit allenfalls sein, dass die Neufassung des § 1600 II BGB das Nichtbestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind als negative Tatbestandsvoraussetzung ausgestaltet hat mit der Folge, dass eine non-liquet-Situation sich zu Lasten des anfechtenden leiblichen Vaters auswirkt (vgl. Palandt/Diederich-sen aaO § 1600 Rdnr. 7; Hoppenz/Müller Familiensachen 8. Aufl. § 1600 BGB Rdnr. 9; Höfelmann aaO 745, 749). In einem solchen Fall steht gerade nicht fest, ob dem Begehren des leiblichen Vaters eine familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater entgegensteht, die vorrangig zu schützen ist. Allerdings ist auch insoweit zu beachten, dass das BVerfG § 1600 BGB a.F. nur in der Hinsicht für mit Art. 6 II GG unvereinbar erklärt hat, als er dem leiblichen Vater das Recht auf Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft auch dann vorenthält, wenn die rechtlichen Eltern mit dem Kind keine soziale Familie bilden, die es nach Art. 6 I GG zu schützen gilt (FamRZ 2003 aaO 821 unter C I 6). Für die - voraussichtlich sehr seltenen - Einzelfälle, in denen dies auch bei Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes ebenso wenig festgestellt werden kann wie das Gegenteil, ist der Entscheidung des BVerfG daher kein Gebot zu entnehmen, dieses Verfahrensrisiko zu Lasten des rechtlichen Vaters gehen zu lassen.

bb) Unbedenklich ist insoweit auch, dass das Bestehen einer sozialfamiliären Beziehung auf Grund ihrer gesetzlichen Definition in § 1600 III Satz 1 BGB - unwiderleglich - stets zu bejahen ist, wenn der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder im Falle seines Todes bis dahin getragen hat. Dies schließt es im übrigen nicht aus, das (Fort-)Bestehen einer sozial-familiären Beziehung auch dann zu bejahen, wenn - etwa in den von der Revisionserwiderung angesprochenen Fällen sehr später Vaterschaftsanfechtung - vom rechtlichen Vater eine tatsächliche Verantwortung für das inzwischen volljährige und voll im Berufsleben stehende Kind in der Vergangenheit getragen wurde und inzwischen weitgehend gegenstandslos geworden ist.

cc) Verfehlt wäre es jedoch, die gesetzliche Regelannahme des § 1600 III Satz 2 BGB und ihr Zusammenspiel mit III Satz 1 dieser Vorschrift unter Außerachtlassung des unterschiedlichen Wortlauts dieser beiden Sätze dahin zu verstehen, dass bei fortbestehender Ehe der Kindesmutter mit dem rechtlichen Vater oder dessen längerem Zusammenleben mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft bereits zu vermuten sei, dass der rechtliche Vater tatsächliche Verantwortung i.S. des § 1600 III Satz 1 BGB trage und deshalb eine sozial-familiäre Beziehung i.S. des Absatzes 2 dieser Vorschrift bestehe. § 1600 III Satz 2 BGB enthält lediglich eine Regelannahme dafür, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat. Dies allein reicht indes für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung nicht aus, weil diese nach § 1600 III Satz 1 BGB voraussetzt, dass der rechtliche Vater diese tatsächliche Verantwortung für das Kind (noch) trägt oder bis zu seinem Tod getragen hat. Dies kann nach Auffassung des Senats nur bedeuten, dass die übernommene Verantwortung auch über den Zeitpunkt ihrer erstmaligen Übernahme hinaus weiterhin wahrgenommen wird (vgl. Staudinger/Rauscher aaO § 1600 Rdnr. 42, 44).

Mit anderen Worten: Zwar besteht unter den Voraussetzungen des § 1600 III Satz 2 BGB eine der Lebenserfahrung entsprechende gesetzliche Regelannahme der (ursprünglichen) Übernahme der tatsächlichen Verantwortung. Diese ist jedoch widerleglich. Das ermöglicht eine sachgerechte, auf den Einzelfall bezogene Lösung auch jener Fälle, in denen die Ehe zwischen den rechtlichen Eltern des Kindes nur formal besteht (z.B. Scheinehe) und deshalb einen Ausschluss des Anfechtungsrechts allein auf Grund dieses Kriteriums schwerlich rechtfertigen könnte, wie die Revision zu Recht ausführt.

Insoweit ist auch nicht ersichtlich, dass es dem Anfechtenden regelmäßig faktisch unmöglich wäre, die Regelannahme zu entkräften. Denn hierfür können auch nach außen in Erscheinung tretende und damit für den Anfechtenden erkennbare Umstände wie z.B. getrennte Wohnungen der Eheleute hinreichende Anhaltspunkte bieten, denen das Gericht dann wegen des im Vaterschaftsan- fechtungsverfahren geltenden Grundsatzes der Amtsermittlung (§§ 640 I, 616 I, 640 d ZPO) von sich aus nachzugehen hat.

Die Übernahme der tatsächlichen Verantwortung begründet aber ihrerseits noch keine Regelannahme dahin, dass diese Verantwortung auch weiterhin wahrgenommen wird und somit eine sozial-familiäre Beziehung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung noch besteht.

Der Anfechtende braucht daher insoweit entgegen der Auffassung der Revision keine gesetzliche Vermutung zu widerlegen, kann sich andererseits aber nicht darauf beschränken, das Bestehen einer solchen Beziehung mit Nichtwissen zu bestreiten. Dass er die (negativen) Voraussetzungen seines Anfechtungsrechts (§ 1600 II BGB) zumindest schlüssig darlegen muss und es nicht etwa den Anfechtungsbeklagten obliegt, ihre sozial-familiäre Beziehung im einzelnen darzulegen und notfalls zu beweisen, beeinträchtigt seine Möglichkeit, die rechtliche Vaterstellung zu erlangen, nicht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise. Wie bereits ausgeführt, kann er objektive Umstände vortragen wie etwa, dass das Kind nicht bei seinem Vater lebe, sondern bei seiner Mutter und deren neuem Partner; dem wird das Gericht auf Grund seiner Amtsermittlungspflicht nachzugehen haben.

Damit ist auch der Kritik an der gesetzlichen Neuregelung, die eine Abwägung zwischen dem Elternrecht des biologischen Vaters und einer wirklich existierenden sozialen Familie von Kind und rechtlichem Vater fordert (vgl. Staudinger/Rauscher BGB [2004] § 1600 Rdnr. 16 m.w. Nachw.), der Boden entzogen. Denn ob eine solche Familie wirklich existiert, ist bei richtigem Verständnis des § 1600 II und 3 BGB im Wege der Amtsermittlung zu prüfen, sobald Anhaltspunkte ersichtlich sind, die Anlass geben, daran zu zweifeln. Dass eine Anhörung des Jugendamtes, die noch im Regierungsentwurf als § 640 d II ZPO vorgesehen war (BT-Drucks. 15/2253 S. 6), nach Kritik des Bundesrates (BT-Drucks. aaO S. 16 f.) nicht in das Gesetz übernommen wurde, bedeutet nicht, dass sie zu unterbleiben hat. Vielmehr hat das Gericht, soweit dies zweckmäßig erscheint, auch das Jugendamt zu befragen (vgl. BT-Drucks aaO S. 21; Friederici jurisPR-FamR 7/2004 Anm. 6). Die von der Kritik erhobene Forderung erweist sich damit als hinreichend erfüllt.

c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Verfassungswidrigkeit des § 1600 II BGB n.F. ergebe sich auch aus der Konsequenz, dass ein leiblicher Vater, dem diese Vorschrift die Anfechtung der Vaterschaft des rechtlichen Vaters verwehre, gegebenenfalls eine spätere Freigabe des Kindes zur Adoption durch Dritte nicht verhindern könne. Dies mag in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich sein (vgl. Staudinger/Rauscher § 1600 Rdnr. 14 a.E.; Hop- penz/Müller aaO § 1600 Rdnr. 11), stellt aber nicht die Verfassungsmäßigkeit des § 1600 II BGB, sondern allenfalls die des § 1747 I Satz 2 BGB in Frage.

Entgegen der Auffassung der Revision ist es auch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600 b BGB durch das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung i.S. des § 1600 II BGB nicht gehemmt wird. Mit der Intention, bei positiver Feststellung des Bestehens einer solchen Beziehung durch das Gericht eine Anfechtung durch den leiblichen Vater auch für die Zukunft auszuschließen (vgl. BT-Drucks. aaO S. 11), geht das Gesetz zwar im Falle der Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 I Nr. 2 BGB noch über die allgemeine Beschränkung der Anfechtung durch die Frist des § 1600 b BGB hinaus; auch dies erscheint jedoch im Interesse der Rechtssicherheit und des Schutzes der bestehenden sozialen Familie, das auch der Fristenregelung zugrunde liegt (vgl. Staudinger/Rauscher aaO § 1600 b Rdnr. 4), sachgerecht und zumutbar (vgl. auch EGMR FamRZ 2006, 181 Rdnr. 39, 44).

5. Auch die Angriffe der Revision gegen die Abweisung des Hilfsantra- ges, die Abstammung des Kindes vom Kl. festzustellen, bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Diese hilfsweise erhobene Abstammungsfeststellungsklage ist allerdings bereits unzulässig, weil mit ihr keine statusrechtlichen Folgen begehrt werden. Eine solche isolierte (folgenlose) Abstammungsfeststellungsklage sieht das deutsche Recht - zumindest de lege lata - nicht vor (vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, 1365), auch nicht als „normale“ Feststellungsklage nach § 256

ZPO (vgl. Gaul FamRZ 2000, 1461, 1474; OLG Düsseldorf FamRZ 2003, 1578, 1579). § 1600 d I BGB stellt eine abschließende Sonderregelung für die Abstammungsfeststellung dar (vgl. OLG Düsseldorf aaO; OLG Köln NJW-RR 2002, 4, 5; OLG Hamm FamRZ 1999 aaO 1366). Danach ist die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nur zulässig, soweit keine andere Vaterschaft nach §§ 1592 Nr. 1 und 2, 1593 BGB besteht. Hier besteht jedoch die Vaterschaft des Bekl. zu 1, weil er zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet war, § 1592 Nr. 1 BGB. Diese ist auch vorrangig gegenüber dem vorgeburtlichen Anerkenntnis des Kl., § 1594 I BGB. Nur in Verbindung mit einer erfolgreichen Anfechtung dieser Vaterschaft nach § 1600 I Nr. 2 BGB kann der leibliche Vater die Feststellung seiner Vaterschaft erreichen, § 640 h II ZPO. Der darauf gerichtete Hauptantrag des Kl. hat aber keinen Erfolg.

Auch dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Ist dem Kl. in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise der Zugang zum Verfahren der Vaterschaftsanfechtung verwehrt, mit dessen Hilfe allein er auch rechtlich die Vaterstellung einnehmen könnte, ist das mit dem Hilfsantrag verfolgte Begehren, allein Kenntnis und Gewissheit über die Abstammung des Kindes zu erlangen und diese feststellen zu lassen, jedenfalls nicht durch Art. 6 II Satz 1 GG geschützt (BVerfG FamRZ 2003 aaO 820 unter C I 3 b).

Soweit das BVerfG es hat dahinstehen lassen (aaO), ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG einen Anspruch gewähren kann, die Abstammung des Kindes klären zu lassen, bedarf diese Frage auch hier keiner Entscheidung. Selbst wenn ein solcher Anspruch zu bejahen wäre, müsste er hier nämlich hinter den aufgezeigten und durch Art. 6 GG geschützten Belangen der Bekl. zurückstehen. Denn auch die bloße gerichtliche Feststellung, dass das Kind nicht von seinem rechtlichen Vater, sondern von einem anderen Mann abstammt, gefährdet den Zusammenhalt des bisherigen Familienverbandes und erschwert dem Kind die fürseine Entwicklung bedeutsame Orientierung, zu wem es letztlich gehört (vgl. BVerfG FamRZ 2003 aaO 821 unter C I 5 b).

Vorinstanzen

AG Hohenstein-Ernstthal, Entscheidung vom 10.04.2003 - 1 F 134/03 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 10.08.2004 - 20 UF 255/03 -

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht; Erbrecht

Normen

BGB § 1600 II