Publikationen über RAF-Mitglieder

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

07. 06. 2007


Aktenzeichen

27 O 396/07


Tenor

wird der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


Gründe

Der Klägerin als Antragstellerin im Prozesskostenhilfeverfahren (im Folgenden: Antragstellerin) steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. 1004 Abs. 1 Satz 2 analog BGB, 22 f. KUG, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG nicht zu, weil die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Fotos rechtmäßig war.

Die Antragstellerin hat keinen Unterlassungsanspruch gegen die Veröffentlichung des Fotos im Kontext des verfahrensgegenständlichen Artikels.

Nach § 22 Satz 1 KUG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder zur Schau gestellt werden. An einer solchen fehlt es zwar.

Die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Bildes der Antragstellerin ist aber nach § 23 Abs. 1 KUG gerechtfertigt.

Gemäß § 23 Abs. 1 KUG dürfen unter anderem Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte veröffentlicht werden (Nr. 1). Dies gilt gemäß § 23 Abs. 2 KUG jedoch nicht für eine Verbreitung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird.

Zwar gilt grundsätzlich, wie das Oberlandesgericht Frankfurt in seinem Beschluss vom 13. August 2001 (11 W 20/01, OLGR Frankfurt 2001, 309 f.) in diesem Zusammenhang ausgeführt hat:

"Eine öffentliche Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung und Abbildung des Täters beeinträchtigt dessen Persönlichkeitsbereich erheblich (BVerfG 35, 202,226 - Lebach). Nach in Rechtsprechung und Schrifttum einhellig vertretener Auffassung ist ein Straftäter keine absolute Person der Zeitgeschichte, selbst wenn es sich um einen Schwerverbrecher handelt, dessen Fall in der Öffentlichkeit besonderes Aufsehen erregt hat und zur "Kriminalgeschichte" geworden ist (OLG Hamburg AfP 91,537, 539). Die Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit lässt es deshalb nicht zu, dass die Medien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters befassen. Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses sein Recht, "allein gelassen zu werden", zunehmende Bedeutung und setzt dem Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des Publikums, Straftat und -täter zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen. Auch der Täter, der durch eine schwere Straftat in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist und die allgemeine Missachtung erweckt hat, bleibt Glied der Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität. Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit der strafgerichtlichen Verurteilung die im Interesse des öffentlichen Wohls gebotene gerechte Reaktion erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, so lassen sich darüber hinausgehende fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich des Täters in der Regel nicht rechtfertigen (BVerfG 35,202,234). Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten kommt deshalb nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung, also im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Tat und einem Strafverfahren, genereller Vorrang zu. Mit fortschreitender Zeit schwindet dagegen das Interesse und Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, während das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Anonymitätsinteresses und des Rehabilitationsinteresses an Gewicht zunimmt.

Die Nennung des Namens und die Veröffentlichung eines Bildnisses eines Straftäters in der Presseberichterstattung über seine früheren Straftaten verletzt daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht und ist nach der Güterabwägung im Einzelfall wegen des seit der Verurteilung verstrichenen Zeitraumes trotz der Schwere der Tat nicht gerechtfertigt, wenn für die Berichterstattung kein aktueller Anlass besteht (OLG Hamburg AfP 94, 232; 91, 537; OLG Hamm AfP 88, 258; OLG Köln AfP 86, 347; OLG München AfP 81, 360; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 107, 853; Steffen in Löffler, Presserecht, 4.Aufl. Rn. 211 mwN). Die Veröffentlichung eines Bildnisses kann schon kurze Zeit nach Beendigung eines Strafverfahrens nicht mehr gerechtfertigt sein (Prinz/Peters aaO. mwN). Bei der Wortberichterstattung ist die Aktualitätsgrenze für den Straftäter zwar nicht so restriktiv zu bemessen. Die Rechtsprechung hat hier eine genaue Fixierung der zeitlichen Grenzen abgelehnt. Auch hier ist die zeitliche Grenze für die Berichterstattung unter Namensnennung aber erheblich früher anzusetzen als auf das Ende der Strafverbüßung (vgl. Steffen aaO.)."

Das Bundesverfassungsgericht (AfP 1993, 478, 479) hat als zeitliche Grenze für eine Berichterstattung angenommen, dass mit der Haftentlassung das entscheidende Stadium beginnt, in dem das Interesse an der Resozialisierung und der Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft die Grenze einer zulässigen Berichterstattung markiert. Entscheidend ist stets, in welchem Maß eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung, insbesondere die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft, beeinträchtigen kann. Die Resozialisierung eines Straftäters ist ein genuin persönlichkeitsrelevantes Anliegen von hohem Rang, das selbst dann zu beachten wäre, wenn ein Täter keine oder nur eine sehr kurze Freiheitsstrafe verbüßt hätte (BVerfG AfP 2000, 160, 162). Ein regelmäßiges Überwiegen der Informationsinteressen gegenüber dem Anonymitätsinteresse des Straftäters kann lediglich im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über schwere Straftaten bestehen (BVerfG NJW 1973, 1226).

Diese Auffassung vertritt grundsätzlich auch die Kammer in ständiger Rechtsprechung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei den Taten, deretwegen die Antragstellerin verurteilt worden ist, nicht lediglich um schwerste Straftaten handelt, sondern es sich zudem um solche Taten handelt, die in einzigartiger Weise die Geschichte der Bundesrepublik geprägt haben und an denen daher auch heute noch ein derartiges zeitgeschichtliches Interesse besteht, dass über sie berichtet werden darf, und zwar auch unter Namensnennung der Beteiligten, was vorliegend allerdings auch von der Antragstellerin nicht in Frage gestellt wird. Die Kammer teilt auch die Auffassung der Antragsgegnerin, dass es sich bei dem Fahndungsplakat um ein zeitgeschichtliches Dokument handelt. Denn jeder Mensch, der in Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelebt hat, musste diese Fahndungsplakate wahrnehmen. Sie waren allgegenwärtig, und allein das wohl einzigartige Ausmaß der staatlichen Fahndungsmaßnahmen in Bezug auf die Angehörigen der "RAF", die durch die Veröffentlichung des Plakats ins Gedächtnis gerufen werden, ist von einer solchen historischen und zeitgeschichtlichen Bedeutung, dass die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfüllt sind und ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, nämlich konkrete entgegenstehende berechtigte Interessen des Abgebildeten im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG, nicht ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten angenommen werden kann. Dies gilt um 50 mehr, als, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, ein Straftäter keinen Anspruch darauf hat, mit seiner Tat nicht mehr konfrontiert zu werden (BVerfG, AfP 2000, 160, 162).

Eine Verletzung von berechtigten persönlichkeitsrechtlichen Interessen der Antragstellerin scheidet jedenfalls im Hinblick auf die der Kammer bekannten Berichterstattung in der "Berliner Zeitung" vom 17./18. Dezember 2005 und der als Anlage AG 1 von der Antragsgegnerin vorgelegten Veröffentlichung eines Interviews vom 27. Oktober 2006 aus.

Dass die Veröffentlichung in der Berliner Zeitung, in der die Antragstellerin häufig zitiert wird, in der von ihr gefertigte Fotografien veröffentlicht werden und die mit ihrem großformatigen Bildnis illustriert ist, ohne ihr Wissen und ihre grundsätzliche Zustimmung erfolgt wäre, behauptet die Antragstellerin selbst nicht. Es ist auch nicht so, dass die Antragstellerin lediglich aus Unwissen über presserechtliche Sanktionsmöglichkeiten diesen Beitrag unbeanstandet gelassen hat, trägt sie doch selbst vor, dass ihr die Autorin des Beitrags persönlich bekannt war, so dass es sie kaum überrascht haben kann, dass die ihr bekannte Journalistin einen Zeitungsartikel verfassen würde, in den auch das Gespräch mit der Antragstellerin Eingang fände. Die Antragstellerin stellt auch nicht in Frage, dass das großformatige Portraitfoto, mit dem der Artikel illustriert war, von ihr für die Veröffentlichung freigegeben worden ist. In dem Beitrag wurde die Antragstellerin als ehemalige Terroristin vorgestellt, ihre Ausbildung zur Fotografin beschrieben und ihre Fotos vorgestellt. Weshalb angesichts dieser Darstellung die Veröffentlichung der vorliegend verfahrensgegenständlichen deutlich kleineren Bildnisse persönlichkeitsrechtsverletzend sein soll, ist letztlich nicht nachvollziehbar.

Dies gilt um so mehr, als auch gegenwärtig noch das Buch der Antragstellerin ... im Buchhandel erhältlich ist, in dem sowohl ein Foto der Antragstellerin abgedruckt ist als auch Details über ihren Lebensweg, insbesondere ihre terroristische Vergangenheit mitgeteilt werden. Schließlich hat die Antragsgegnerin noch im Herbst 2006 ein Interview gegeben, das am 27. Oktober 2006 unter www.woxx.lu ins Netz gestellt und mit einem Foto der Antragstellerin bebildert sowie mit detaillierten Angaben zur terroristischen Vergangenheit der Antragstellerin versehen war.

Schließlich verfängt der Einwand der Antragstellerin nicht, die Vorveröffentlichungen stammten aus einer Zeit, in der noch keine Rede davon habe sein können, dass sie möglicherweise bald aus der Haft entlassen würde. Denn schon im Dezember 2005 und erst recht im Oktober 2006 war schon damit zu rechnen, dass in nicht allzu ferner Zukunft über ihre Mindesthaftdauer entschieden und, daran anknüpfend, sich das Strafvollstreckungsgericht auch mit einer Aussetzung ihres Strafrestes zur Bewährung befassen würde. Eine derart grundlegende Änderung der Verhältnisse, die die Bildnisveröffentlichung nunmehr in einem gänzlich anderen Licht erscheinen ließe, ist nicht ersichtlich. Auch aus der Tatsache, dass die Antragstellerin im Dezember 2005 beziehungsweise Oktober 2006 noch nicht auf Arbeits- bzw. Wohnungssuche war, lässt sich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die beanstandete Bildnisveröffentlichung nicht herleiten. Denn die Antragstellerin wendet sich nicht gegen die Nennung ihres Namens im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Berichterstattung über die Prüfung ihrer vorzeitigen Haftentlassung. Dass sie im Zusammenhang mit einer Wohnungs- beziehungsweise Arbeitssuche allein wegen der Veröffentlichung eines 20 Jahre alten Fotos Nachteile erleiden könnte, die sie nicht ohnehin schon aufgrund der Namensnennung zu vergegenwärtigen hätte, kann ausgeschlossen werden.

Es besteht schließlich ein erhebliches öffentliches Interesse an der Haftentlassung der noch inhaftierten ehemaligen Mitglieder der "RAF", wie eben der Antragstellerin, so dass auch die Bildnisveröffentlichung im Rahmen eines Artikels wie des verfahrensgegenständlichen, der sich u. a. mit der möglichen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung befasst, nicht zu beanstanden ist. Mit der möglichen. baldigen Haftentlassung der Antragstellerin schließt sich nämlich die strafrechtliche Aufarbeitung der von ihr verübten Taten, nicht aber die gesellschaftliche und die der Opfer, wie die breit und in praktisch allen Medien des Landes geführten aktuellen Debatten um die Haftentlassung bzw. Begnadigung anderer ehemaliger Angehöriger der "RAF" zeigen. Die Illustration eines entsprechenden Artikels mit Bildnissen der Antragstellerin ist jedenfalls vor dem Hintergrund des Umstandes, dass sie bereits früher nichts gegen eine Veröffentlichung ihres Fotos und ihres Namens im Zusammenhang mit einem Artikel, der sich auch mit ihrer Vergangenheit befasste, hatte, nicht geeignet, sie in ihrem Recht am eigenen Bild zu verletzen.

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, dass sich die Presse nur oder in erster Linie mit ihrem künstlerischem Schaffen befasst. Rückt die Presse in einer Berichterstattung, die sich mit der Antragstellerin befasst, deren Straftaten ins Zentrum, so wird die Antragstellerin nicht auf diese Vergangenheit in einer ihre Persönlichkeitsrechte berührenden Weise reduziert; denn dies liegt daran, dass ein Großteil der Öffentlichkeit sich mehr für die Straftaten der Antragstellerin als für ihre Kunst interessiert. Dass die Presse entsprechende Schwerpunkte in ihrer Berichterstattung setzt, ist Teil der Pressefreiheit.

Hinzu kommt, dass die Antragstellerin sich zwar nach wie vor in Haft t5efindet, aber seit Jahren Freigängerin ist, also den größten Teil des Tages in Freiheit verbringt. In dieser Situation befand sich die Antragstellerin auch zur Zeit der Berichterstattung in der "Berliner Zeitung". Wenn sich die Antragstellerin aber zu jenem Zeitpunkt, in dem sie sich bereits tagsüber in der Öffentlichkeit frei bewegen konnte, aus freien Stücken für die damalige Berichterstattung zur Verfügung gestellt hatte, ist nur schwer erkennbar, wieso die angegriffene Berichterstattung zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen negativen Einfluss auf die Wiedereingliederung der Antragstellerin haben sollte.

Der maßgebliche Einschnitt im Tagesablauf wird nämlich nach einer etwaigen Haftentlassung sein, dass die Antragstellerin künftig auch nachts oder abends nicht mehr in die Justizvollzugsanstalt wird zurückkehren müssen. Weshalb sich gerade im Hinblick darauf, dass sie künftig möglicherweise nicht nur die Tage, sondern auch die Nächte in Freiheit verbringt, eine grundsätzliche Änderung des persönlichkeitsrechtlichen Gewichts einer Berichterstattung über ihre Vergangenheit vollzogen haben soll, vermag die Kammer insbesondere im Hinblick auf die nicht angegriffene Textberichterstattung nicht nachzuvollziehen.

Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass manche Prominente, nachdem sie ihre Privatsphäre teilweise geöffnet hatten, die Möglichkeit hatten, künftige Berichte über Aspekte ihres Privatlebens zu untersagen. Die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen sind mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Seinerzeit ging es um einzelne Aspekte des Privatlebens Prominenter, während es hier um die Frage geht, ob überhaupt im Bild über die Antragstellerin berichtet werden darf und ob von einer solchen Berichterstattung entgegenstehende berechtigte Interessen berührt werden. Entscheidend ist, dass solche berechtigten Interessen der Antragstellerin nicht ersichtlich sind, die die Veröffentlichung von Bildnissen, die zeitgeschichtliche Bedeutung haben, im konkreten Berichtskontext unzulässig machen würden.


Mauck
Becker
Bömer

Rechtsgebiete

Presserecht