Keine Kostenerstellung bei Behandlung im Ausland verstößt gegen Gemeinschaftsrecht

Gericht

EuGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

19. 04. 2007


Aktenzeichen

C-444/05


Entscheidungsgründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 EG und insbesondere die Frage, ob diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Erstattung der Kosten der Behandlung von über 14 Jahre alten Versicherten in einer ausländischen Privatklinik durch einen inländischen Sozialversicherungsträger ausschließt.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage von D. Stamatelakis, der in Griechenland ansässig und beim Organismos Asfaliseos Eleftheron Epangelmation (Versicherungseinrichtung der freien Berufe, im Folgenden: OAEE), dem Nachfolger des Tameio Asfaliseos Emporon (Sozialversicherung der Kaufleute), versichert war, auf Erstattung der Kosten seiner stationären Behandlung in einer Privatklinik im Vereinigten Königreich.


Nationaler rechtlicher Rahmen

Die Gesetzesbestimmungen

Art. 40 des Gesetzes Nr. 1316/1983 über die Bildung, die Organisation und die Befugnisse der Nationalen Arzneimitteleinrichtung, der Nationalen Arzneimittelindustrie, der Staatlichen Arzneimittelreserve sowie die Änderung und Ergänzung der Regelung für Arzneimittel und mit sonstigen Bestimmungen (FEK A’ 3) in der durch Art. 39 des Gesetzes Nr. 1759/1988 über den Versicherungsschutz für nicht versicherte Gruppen und die Verbesserung des Sozialversicherungsschutzes sowie mit sonstigen Bestimmungen (FEK A’ 50) ersetzten Fassung lautet:

„(1) Im Fall außergewöhnlich schwerer Krankheiten können im Ausland stationär behandelt werden:

a) …

b) …

c) Versicherte der Versicherungseinrichtungen oder ‑dienststellen, für die das Ministerium für Gesundheit, Vorsorge und soziale Sicherheit zuständig ist …

(2) Die Genehmigung für die stationäre Behandlung im Ausland wird vom zuständigen Träger nach Stellungnahme des in Abs. 3 vorgesehenen zuständigen Gesundheitsausschusses erteilt.

(3) Zur Notwendigkeit der stationären Behandlung der in Abs. 1 genannten Personen im Ausland geben Gesundheitsausschüsse eine Stellungnahme ab, die durch Verordnung des Ministers für Gesundheit, Vorsorge und soziale Sicherheit gebildet werden, die im Amtsblatt bekannt gemacht wird …

(4) Die Fälle, in denen die stationäre Behandlung im Ausland genehmigt wird, die Art und Weise und das Verfahren der Genehmigung der stationären Behandlung des Patienten, des eventuellen Spenders und der Rückgriff auf eine Begleitperson, die Art und der Umfang der Leistungen, die Höhe der Kosten, die etwaige Beteiligung des Versicherten an den Kosten der stationären Behandlung und deren Höhe sowie alle anderen für die Anwendung dieses Artikels erforderlichen Einzelheiten werden durch Verordnung des Ministers für Gesundheit, Vorsorge und soziale Sicherheit geregelt, die im Amtsblatt bekannt gemacht wird.“

Die Verordnungsbestimmungen

Art. 1 der Verordnung Nr. F7/oik.15 des Ministers für Arbeit und soziale Sicherheit vom 7. Januar 1997 über die stationäre Behandlung von Kranken im Ausland, die bei Versicherungseinrichtungen versichert sind, für die das Generalsekretariat für soziale Sicherheit zuständig ist (FEK B’ 22), bestimmt Folgendes:

„Für eine stationäre Behandlung im Ausland bedürfen die Versicherten aller Krankenversicherungsträger und ‑zweige, für die das Generalsekretariat der Sozialversicherung zuständig ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrer Rechtsform einer Genehmigung des zuständigen Versicherungsträgers nach mit Gründen versehener Stellungnahme der in Art. 3 dieser Verordnung vorgesehenen besonderen Gesundheitsausschüsse. Diese stationäre Behandlung wird bewilligt, sofern der Versicherte

a) an einer schweren Krankheit leidet, die in Griechenland nicht behandelt werden kann, weil keine geeigneten wissenschaftlichen Mittel vorhanden sind oder weil die erforderliche spezifische Diagnose‑ und Behandlungsmethode nicht angewandt wird;

b) an einer schweren Krankheit leidet, die nicht rechtzeitig behandelt werden kann, und durch die eventuelle Verzögerung der Behandlung Gefahr für sein Leben besteht;

c) sich ohne Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens der vorherigen Genehmigung durch den Träger dringend ins Ausland begeben muss, weil sein Fall sofortiger Behandlung bedarf;

d) sich aus einem beliebigen Grund vorübergehend im Ausland aufhält und aufgrund eines gewaltsamen, überraschenden und unvermeidbaren Ereignisses plötzlich erkrankt und stationär behandelt wird.

In den Fällen der Buchst. c und d kann seine stationäre Behandlung nachträglich genehmigt werden.“

Art. 3 dieser Verordnung bestimmt:

„Für Stellungnahmen zur stationären Behandlung im Ausland von Patienten, die bei Versicherungsträgern versichert sind, für die das Generalsekretariat der Sozialversicherung zuständig ist, sind die besonderen Gesundheitsausschüsse zuständig.“

Art. 4 dieser Verordnung bestimmt:

„…

(2) Der zuständige Ausschuss gibt eine Stellungnahme ab zu der Art der Krankheit, zu den genauen Gründen im Sinne von Art. 1, aus denen die Verlegung ins Ausland notwendig ist, zur voraussichtlichen Dauer der stationären Behandlung, zu dem Land und/oder der Krankenanstalt, in der der Versicherte stationär behandelt werden soll …

(3) Ablehnende Stellungnahmen der Gesundheitsausschüsse sind für die Versicherungseinrichtungen verbindlich.

(6) Kosten der stationären Behandlung in Privatkliniken im Ausland werden außer in Kinder betreffenden Fällen nicht erstattet.

(7) Das Verfahren, die Art und Weise der Bezahlung und ganz allgemein alle Fragen der Übermittlung und der Erstattung der Rechnungen werden in den Satzungsbestimmungen des jeweiligen Versicherungsträgers geregelt …“

Die Verordnung Nr. 35/1385/1999 des Ministers für Arbeit und soziale Sicherheit zur Regelung für den Gesundheitszweig der Versicherungseinrichtung der freien Berufe (FEK B’ 1814) sieht in Art. 13 vor:

„(1) Die Krankenhausbehandlung umfasst die stationäre Behandlung des Patienten in öffentlichen Krankenhäusern und in privaten Kliniken, mit denen die OAEE Verträge schließt …“

Art. 15 dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Die Versicherten der OAEE können sich aufgrund einer Entscheidung des Direktors und einer Genehmigung des besonderen Gesundheitsausschusses zur stationären Behandlung ins Ausland begeben, wenn sie die in den verschiedenen Ministerialverordnungen über die stationäre Behandlung im Ausland aufgestellten Voraussetzungen erfüllen.

(2) Für den Fall der stationären Behandlung im Ausland werden folgende Kosten übernommen:

a) sämtliche Kosten der stationären Behandlung in öffentlichen Kliniken …

Unter den Begriff der stationären Behandlung fallen: die Kosten der Krankenhauspflege, die Arzthonorare, alle erforderlichen ärztlichen Leistungen, die Arzneimittel, die Laboruntersuchungen, Krankengymnastik, alle weiteren für chirurgische Eingriffe erforderlichen Maßnahmen und die außerhalb des Krankenhauses anfallenden Kosten zur Diagnose der Krankheit oder zur Ergänzung der Behandlung, soweit das Krankenhaus sie für unerlässlich hält. Die Kosten der stationären Behandlung in Privatkliniken im Ausland werden nur erstattet, soweit sie Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren betreffen;

b) die Kosten für den Hin‑ und Rücktransport des Kranken und gegebenenfalls seiner Begleitperson und seines Spenders;

c) die Kosten für Verpflegung und Unterbringung des Patienten und gegebenenfalls seiner Begleitperson oder seines Spenders; beim Patienten oder dem Spender werden diese Kosten für die Zeit übernommen, in denen sie sich außerhalb des Krankenhauses befinden, und für die Begleitperson für die gesamte notwendige Dauer ihres Aufenthalts im Ausland …“


Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

Herr Stamatelakis wurde vom 18. Mai bis zum 12. Juni und vom 16. bis zum 18. Juni 1998 im London Bridge Hospital, einer Privatklinik im Vereinigten Königreich, behandelt. Für diese Krankenhausbehandlung zahlte er 13 600 GBP.

Mit einer beim Polymeles Protodikeio Athinon (Gericht erster Instanz Athen) eingereichten Klage beantragte der Betroffene die Erstattung dieses Betrags durch die OAEE. Die Klage wurde am 26. April 2000 mit der Begründung abgewiesen, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit für den Rechtsstreit zuständig sei.

Ein neuer Erstattungsantrag an die OAEE vom 8. September 2000 wurde mit der Begründung abgelehnt, dass zum einen die Ansprüche von Herrn Stamatelakis der einjährigen Verjährungsfrist des Art. 21 der Regelung für den Gesundheitszweig dieses Trägers unterlägen und dass zum anderen die Kosten für die stationäre Behandlung in Privatkliniken im Ausland nicht erstattungsfähig seien, es sei denn, sie beträfen Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren.

Nach dem Tod ihres Ehemanns am 29. August 2000 legte Frau A. Stamatelaki, dessen Alleinerbin, Widerspruch gegen den genannten ablehnenden Bescheid ein, der aus den gleichen Gründen mit Bescheid vom 18. September 2001 zurückgewiesen wurde.

Das Dioikitiko Protodikeio Athinon, das mit einer Klage gegen den letztgenannten Bescheid befasst ist, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Stellt eine nationale Regelung, die die Erstattung der Kosten der Behandlung eines Versicherten in einer ausländischen Privatklinik durch einen inländischen Sozialversicherungsträger außer in Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren betreffenden Fällen stets ausschließt, während sie vorsieht, dass die betreffenden Kosten nach Genehmigung – die erteilt wird, wenn der Versicherte nicht rechtzeitig in einem Vertragskrankenhaus seines Versicherungsträgers angemessen behandelt werden kann – erstattet werden können, wenn die fragliche Krankenhausbehandlung in einem ausländischen öffentlichen Krankenhaus erfolgt ist, eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft dar, der in den Art. 49 ff. EG verankert ist?

  2. Im Fall einer Bejahung der ersten Frage: Kann diese Beschränkung als durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses – wie insbesondere das Erfordernis, eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des griechischen Systems der sozialen Sicherheit abzuwenden, oder die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen sowie allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung – gerechtfertigt angesehen werden?

  3. Im Fall einer Bejahung der zweiten Frage: Kann eine derartige Beschränkung in dem Sinne als zulässig erachtet werden, dass sie nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, d. h. nicht über das Maß dessen hinausgeht, was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks objektiv notwendig ist, und dass dieses Ergebnis nicht durch weniger einschneidende Regelungen erreicht werden kann?


Zu den Vorlagefragen

Erstens ist vorab das Vorbringen der belgischen Regierung zurückzuweisen, dass die Vorlagefragen anhand von Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu‑ und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zu prüfen seien.

Denn zum einen verweist die Vorlageentscheidung nicht auf die Verordnung Nr. 1408/71, und zum anderen ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht, dass Herr Stamatelakis eine vorherige Genehmigung gemäß Art. 22 dieser Verordnung beantragt hätte.

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen sich nur darauf beziehen, dass ein griechischer Sozialversicherungsträger die Kosten einer Behandlung in einer im Ausland belegenen Privatklinik nicht übernimmt.

Daher sind diese Fragen im Licht allein von Art. 49 EG zu prüfen.

Mit seinen drei Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 49 EG dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie derjenigen, um die es im Ausgangsverfahren geht, entgegensteht, die die Erstattung der Kosten einer Behandlung in einer Privatklinik in einem anderen Mitgliedstaat, außer für die Behandlung von Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren, ausschließt.

Nach ständiger Rechtsprechung fallen entgeltliche medizinische Leistungen in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr, ohne dass danach zu unterscheiden wäre, ob die Versorgung in einem Krankenhaus oder außerhalb eines solchen erbracht wird (Urteil vom 16. Mai 2006, Watts, C‑372/04, Slg. 2006, I‑4325, Randnr. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Auch ist entschieden worden, dass der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger, insbesondere der Personen, die eine medizinische Behandlung benötigen, einschließt, sich zur Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben (Urteil Watts, Randnr. 87).

Ferner verliert eine medizinische Leistung, wie der Gerichtshof entschieden hat, nicht deshalb ihren Charakter als Dienstleistung im Sinne von Art. 49 EG, weil der Patient, nachdem er den ausländischen Dienstleistungserbringer für die erhaltene Behandlung bezahlt hat, später die Übernahme der Kosten dieser Behandlung durch einen nationalen Gesundheitsdienst beantragt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 2003, Müller‑Fauré und van Riet, C‑385/99, Slg. 2003, I‑4509, Randnr. 103).

Daher ist Art. 49 EG auf den Sachverhalt eines Patienten anwendbar, der, wie Herr Stamatelakis, in einem anderen Mitgliedstaat als dem seines Wohnorts entgeltliche medizinische Leistungen in einem Krankenhaus erhält, ohne dass es darauf ankommt, ob dieses Krankenhaus öffentlich oder privat ist.

Zwar steht fest, dass das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt und dass in Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten, insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr. Diese Bestimmungen untersagen es den Mitgliedstaaten, ungerechtfertigte Beschränkungen der Ausübung dieser Freiheit im Bereich der Gesundheitsversorgung einzuführen oder beizubehalten (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juli 2001, Smits und Peerbooms, C‑157/99, Slg. 2001, I‑5473, Randnrn. 44 bis 46, und Watts, Randnr. 92).

Daher ist zu prüfen, ob die Hellenische Republik bei der Einführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung dieses Verbot eingehalten hat.

Wie der Gerichtshof schon mehrmals wiederholt entschieden hat, verstößt jede nationale Regelung gegen Art. 49 EG, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert (Urteile vom 5. Oktober 1994, Kommission/Frankreich, C‑381/93, Slg. 1994, I‑5145, Randnr. 17, sowie Smits und Peerbooms, Randnr. 61).

Im Ausgangsverfahren geht aus der griechischen Regelung hervor, dass ein Patient, der in Griechenland bei einem Träger der sozialen Sicherheit versichert ist, nichts zu bezahlen hat, wenn er in einem öffentlichen Krankenhaus oder einer Vertragsprivatklinik in diesem Mitgliedstaat behandelt wird. Anders verhält es sich, wenn dieser Patient in einer Privatklinik in einem anderen Mitgliedstaat behandelt wird; der Betroffene hat dann die Kosten für diese Behandlung zu entrichten, ohne in den Genuss einer Erstattungsmöglichkeit zu gelangen. Die einzige Ausnahme betrifft Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren.

Außerdem gilt zwar für dringende Fälle im Rahmen einer Behandlung in Griechenland in einer Privatklinik, mit der kein Vertrag geschlossen wurde, eine Ausnahme von der fehlenden Erstattungsfähigkeit, doch gilt für sie in keinem Fall eine Ausnahme, wenn eine Behandlung in einer Privatklinik in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt.

Somit schreckt eine solche Regelung die Sozialversicherten davon ab, sich an Erbringer von Krankenhausdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten als dem Versicherungsstaat zu wenden, oder hindert sie sogar daran, und stellt daher sowohl für diese Versicherten als auch für die Dienstleistungserbringer eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

Bevor der Gerichtshof jedoch über die Frage entscheidet, ob Art. 49 EG einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, ist zu prüfen, ob diese Regelung objektiv gerechtfertigt werden kann.

Wie der Gerichtshof schon mehrmals entschieden hat, kann eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann (Urteile vom 28. April 1998, Kohll, C‑158/96, Slg. 1998, I‑1931, Randnr. 41, Smits und Peerbooms, Randnr. 72, sowie Müller‑Fauré und van Riet, Randnr. 73).

Ferner hat der Gerichtshof anerkannt, dass auch das Ziel, eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten, zu den Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nach Art. 46 EG zählen kann, soweit dieses Ziel zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beiträgt (Urteile Kohll, Randnr. 50, Smits und Peerbooms, Randnr. 73, sowie Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 67).

Der Gerichtshof hat überdies festgestellt, dass die erwähnte Bestimmung des EG-Vertrags den Mitgliedstaaten erlaubt, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist (Urteile Kohll, Randnr. 51, Smits und Peerbooms, Randnr. 74, sowie Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 67).

Hierzu vertritt die griechische Regierung die Ansicht, dass das Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit gestört werden könnte, wenn die Versicherten die Möglichkeit hätten, auf Privatkliniken in anderen Mitgliedstaaten zurückzugreifen, ohne dass mit diesen Kliniken Verträge geschlossen worden seien, und zwar in Anbetracht der hohen Kosten dieser Art von Krankenhausbehandlung, die in jedem Fall diejenigen einer Krankenhausbehandlung in einer öffentlichen Einrichtung in Griechenland weit überstiegen.

Zwar lässt sich die in Randnr. 28 dieses Urteils festgestellte Beschränkung mit den in den Randnrn. 30 bis 32 dieses Urteils beschriebenen zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses rechtfertigen, doch darf sie nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.

Wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist die Absolutheit – außer für Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren – des von der griechischen Regelung ausgesprochenen Verbots nicht mit dem verfolgten Ziel vereinbar, da weniger einschneidende und den freien Dienstleistungsverkehr besser wahrende Maßnahmen ergriffen werden könnten, wie etwa ein System der vorherigen Genehmigung, das den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts genügt (Urteil Müller‑Fauré und van Riet, Randnrn. 81 und 85), und gegebenenfalls die Festlegung von Tabellen für die Erstattung von Behandlungskosten.

Ferner ist das Vorbringen der griechischen Regierung zurückzuweisen, dass es an einer Überwachung der Qualität der Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat belegener Privatkliniken durch die griechischen Sozialversicherungsträger und an einer Überprüfung der Möglichkeit für die Vertragskrankenhäuser fehle, eine geeignete gleiche oder gleichwertige medizinische Behandlung zu gewähren.

Denn die in anderen Mitgliedstaaten belegenen Privatkliniken unterliegen in diesen Mitgliedstaaten ebenfalls Qualitätskontrollen, und die in diesen Staaten niedergelassenen Ärzte, die in den genannten Krankenhäusern tätig sind, bieten gleiche berufliche Garantien wie die in Griechenland niedergelassenen Ärzte, insbesondere seit dem Erlass und der Umsetzung der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1).

Nach allem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art entgegensteht, die jede Erstattung der Kosten der Behandlung der bei einem nationalen Sozialversicherungsträger Versicherten in Privatkliniken in einem anderen Mitgliedstaat außer für die Behandlung von Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren ausschließt.


Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 49 EG steht einer Regelung eines Mitgliedstaats der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art entgegen, die jede Erstattung der Kosten der Behandlung der bei einem nationalen Sozialversicherungsträger Versicherten in Privatkliniken in einem anderen Mitgliedstaat, außer für die Behandlung von Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren, ausschließt.


Unterschriften

Rechtsgebiete

Arzt-, Patienten- und Medizinrecht