Zu den Voraussetzungen für die Entstehung einer Einigungsgebühr.
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
10. 10. 2006
Aktenzeichen
VI ZR 280/05
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 13. Juli 2005 wird auf ihre Kos-ten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (künftig: VV RVG). Der Beklagte ist die Korrespondenzversicherung des Haft-pflichtversicherers des polnischen Fahrzeugs, mit dem ein polnischer Ver-kehrsteilnehmer am 20. Juli 2004 auf das Fahrzeug der Klägerin auffuhr. Den Unfallgegner trifft die alleinige Haftung. Der Beklagte beauftragte die A.Versicherung mit der Regulierung des Schadens. Die Klägerin machte am 25. August 2004 gegenüber der A.Versicherung Schadensersatzansprüche in Höhe von 8.377,75 € geltend. Im Schreiben vom 6. Oktober 2004 kündigte die A.Versicherung die Zahlung von 5.750,96 € zuzüglich der angefallenen An-waltskosten von 532,90 €, also von insgesamt 6.283,86 €, unter dem Vorbehalt der Rückforderung an. Die A.Versicherung hatte unter anderem den von der Klägerin geltend gemachten Nutzungsausfallschaden gekürzt. Am 13. Oktober 2004 übersandte sie an die Klägerin einen weiteren Scheck über 1.328,84 € unter Hinweis darauf, dass die angefallene Mehrwertsteuer in Höhe von 1.217,94 € und 111,60 € für weiteres Anwaltshonorar damit ausgeglichen wür-den. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte im Schreiben vom 8. November 2004 der A.Versicherung mit, dass die Klägerin das Angebot, die Schadenspositionen mit insgesamt 7.699,75 € zu entschädigen, zur Erledigung der Angelegenheit ausdrücklich annehme. Zugleich stellte er eine Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 VV RVG in Höhe von weiteren 716,88 € in Rechnung und bat um Ausgleich innerhalb einer Woche. Die A.Versicherung lehnte die Zah-lung der Einigungsgebühr ab.
Das Amtsgericht hat die Klage, die die Klägerin hilfsweise mit dem Anspruch auf Nutzungsausfall für weitere 17 Tage zu je 40 € begründet hat, ab-gewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter. Sie wendet sich nicht mehr gegen die Abweisung des An-spruchs auf Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass die Einigungsgebühr, auch wenn im Gegensatz zur Vergleichsgebühr nach der BRAGO ein gegensei-tiges Nachgeben nicht mehr erforderlich sei, eine vertragliche Beilegung des Streits voraussetze. Beschränke sich der Vertrag - wie hier - ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht, entstehe nach Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 1000 VV RVG die Einigungsgebühr nicht. Der zwischen den Parteien ge-führte Schriftwechsel gehe inhaltlich nicht über wechselseitige Verzichts- und Anerkenntniserklärungen bezüglich der einzelnen Schadenspositionen hinaus.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr, wenn der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch Abschluss eines Vertrages unter Mitwirkung des Rechtsanwalts beseitigt wird; es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Aner-kenntnis oder einen Verzicht. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlos-sen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht be-sonders vorgeschrieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2006 - VIII ZB 29/05 - NJW 2006, 1523, 1524; AnwK-RVG/N. Schneider, 3. Aufl., VV 1000 Rn. 47 bis 51; Goebel/Gottwald/v.Seltmann RVG Nr. 1000 VV RVG Rn. 3). Die Einigungsgebühr soll die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben vor-ausgesetzt hat, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren. Durch den Wegfall der Voraussetzung des ge-genseitigen Nachgebens soll insbesondere der in der Vergangenheit häufige Streit darüber vermieden werden, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (BT-Drucks. 15/1971, S. 147 und 204). Unter der Geltung des RVG kommt es deswegen nicht mehr auf einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an (vgl.
Hartmann Kostengesetze, 36. Aufl. Nr. 1000 VV RVG Rn. 5 und 10; v. Eicken in Gerold/Schmitt RVG, 17. Aufl. Nr. 1000 VV RVG Rn. 3 f.; Madert/Müller-Rabe NJW 2006, 1927, 1929 f.). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Eini-gung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden, durch die zudem die Belastung der Gerichte gemindert wird (vgl. v. Eicken in Gerold/Schmitt, aaO Rn. 1).
Nach dem zweiten Halbsatz des Abs. 1 der Nr. 1000 VV RVG reicht al-lerdings die bloße Annahme eines einseitigen Verzichts oder ein Anerkenntnis für die Entstehung der Einigungsgebühr nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2006 - VIII ZB 29/05 - aaO; Hartmann, aaO, Rn. 5; v. Eicken in Ge-rold/Schmitt, aaO, Rn. 26 bis 30). Hieraus kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zwar nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Abschluss eines sich wechselseitig auf ein Anerkenntnis und einen Verzicht beschränken-den Vertrags grundsätzlich eine Einigungsgebühr nicht entsteht. Die Revision macht in diesem Zusammenhang zu Recht geltend, dass ein Vergleich, in wel-chem der Schuldner den Ausgleich eines Teils der vom Gläubiger geltend ge-machten Forderung zusage und der Gläubiger den weitergehenden Anspruch fallen lasse, nichts anderes als eine Kombination von Anerkenntnis und Ver-zicht sei. Die Einigungsgebühr gelangt vielmehr nur dann nicht zur Entstehung, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag das Anerkenntnis der ge-samten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2006 - VIII ZB 29/05 - aaO; Goebel/Gottwald/v.Seltmann, aaO).
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts wirkt sich jedoch für die Ent-scheidung des Streitfalls nicht aus. Der Anspruch der Klägerin ist unbegründet, weil der von den Beteiligten geführte Schriftwechsel eine Abrechnung und keine Einigung darstellt.
a) Der erkennende Senat kann den Inhalt der in ihrem Wortlaut unstreiti-gen Schreiben der A.Versicherung vom 6. und 13. Oktober 2004 und des Pro-zessbevollmächtigten der Klägerin vom 8. November 2004 durch eigene Ausle-gung feststellen. Zwar ist die freie Würdigung der Erklärungen nach den §§ 133, 157 BGB zunächst Sache des Tatrichters. Da aber das Berufungsgericht die Vereinbarung lediglich unter dem Gesichtspunkt eines wechselseitigen teilwei-sen Verzichts und teilweisen Anerkenntnisses gewürdigt hat und weitere tat-sächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat die Schrei-ben hinsichtlich ihres materiell-rechtlichen Gehalts selbst auslegen (vgl. Senat BGHZ 109, 19, 22 ff. und Urteil vom 20. Dezember 1983 - VI ZR 19/82 - VersR 1984, 382 m.w.N.; BGHZ 65, 107, 112). Zu den allgemein anerkannten Ausle-gungsregeln gehört der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessenge-rechten Auslegung (BGHZ 131, 136, 138; 137, 69, 72; BGH, Urteil vom 26. April 1994 - XI ZR 114/93, WM 1994, 1063 m.w.N.). Diese lässt eine Einigung nicht erkennen.
b) Die A.Versicherung hat in ihren Abrechnungsschreiben vom 6. und 13. Oktober 2004 zum Ausgleich des Schadens diejenigen Beträge abgerech-net, die sie für objektiv gerechtfertigt oder doch für vertretbar erachtet hat. Ein Angebot auf eine gütliche Einigung ergibt sich daraus nicht. Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass die A.Versicherung am 13. Oktober 2004 eine weitere Zahlung leistete. Es ist nämlich weder festgestellt noch ersichtlich, dass diese auf weiteren Bemühungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin be-ruhte. Bei dieser Sachlage konnte auch dessen Schreiben vom 8. November 2004 die Entstehung einer Einigungsgebühr nicht auslösen.
3. Die Revision ist deshalb mit der Kostenfolge nach § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Müller
Wellner
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