Keine Anwendbarkeit des UWG auf Anwaltsreferat

Gericht

OLG Hamburg


Art der Entscheidung

Berufungsbeschluss


Datum

29. 06. 2006


Aktenzeichen

3 U 12/06


Leitsatz des Gerichts

  1. Äußert sich ein Rechtsanwalt als Dozent vor Anlageberatern zum Seminarthema „Beraterhaftung“ in einem Beispiel negativ über die Prospekt-Werbung für einen Schiffsfonds (hier: „Das Rechnen mit steigenden Charterraten über 10 Jahre ist objektiv nicht plausibel“), so ist fehlt es an einer Wettbewerbshandlung. Äußerungen in in wissenschaftlicher Lehrtätigkeit erfolgen typischerweise außerhalb des marktbezogenen geschäftlichen Verkehrs. Eine Wettbewerbsabsicht ist wegen der Wissenschaftsfreiheit nicht zu vermuten (Art. 5 Abs. 3 GG). Vorliegend ergibt sich aus der Unrichtigkeit der Aussage nichts anderes, als Schulfall für die Beraterhaftung war sie didaktisch sowie thematisch veranlasst.

  2. Ist der Vorwurf unrichtig (und geschäftsehrverletzend), weil der Anlageprospekt die Charterraten tatsächlich so nicht eingerechnet hat, verletzt das demgemäß auf § 824 BGB gestützte Unterlassungsgebot den Äußernden nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG), auch wenn seine Aussage mehrdeutig ist. Bei zukünftigen Äußerungen besteht vorliegend ohne weiteres die Möglichkeit, sich nunmehr eindeutig und zutreffend auszudrücken (Fortführung von BVerfG NJW 2006, 207).

Entscheidungsgründe


Gründe

Nachdem die Parteien im Hinblick auf die Unterlassungsverpflichtungserklärung des Antragsgegners vom 22. Juni 2006 (Bl. 122) den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt haben, ist nur noch über die Kosten gemäß § 91 a ZPO zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, den Antragsgegner mit den Kosten des Rechtsstreits zu belasten.

Die Berufung des Antragsgegners hätte ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung in der Berufungsverhandlung voraussichtlich keinen Erfolg gehabt. Eine gegebenenfalls gebotene Klarstellung des Verbotsausspruchs wäre nur redaktioneller Natur und nicht mit Kostennachteilen für die Antragstellerin verbunden gewesen.

I.

Die Antragstellerin ist ein Emissionsunternehmen und hat u. a. den geschlossenen Schiffsfonds "Ship_3" aufgelegt (Emissionsprospekt: Anlage ASt 3).

Der Antragsgegner - Rechtsanwalt in Hamburg - referierte als Dozent am 4. Juni 2005 auf einem im Auftrag der "HC… Gruppe" - eines Hamburger Finanzdienstleistungsunternehmens - veranstalteten Seminar vornehmlich vor Mitarbeitern von Kapitalvertriebsunternehmen und äußerte sich dabei über den Schiffsfonds "Ship_3" der Antragstellerin (vgl. die Seminarunterlage des Antragsgegners "Beraterhaftung - ein völlig unterschätztes Thema": Anlage ASt 4, dort Seite 16).

Die Antragstellerin beanstandet die Äußerung des Antragsgegners als rechtswidrig. Sie hatte den Antragsgegner vorliegend im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Durch Urteil vom 6. September 2005 hatte das Landgericht seine Beschlussverfügung vom 30. Juni 2005 bestätigt, mit der dem Antragsgegner unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verboten worden war,

in Bezug auf den von der OE… GmbH herausgegebenen Emissionsprospekt "Ship_3" zu behaupten und/oder behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

"Im Prospekt wird über einen Zeitraum von 10 Jahren mit steigenden Charterraten gerechnet, obwohl die Schiffe nur eine sehr kurze Anfangsbeschäftigung haben und derzeit am Markt ein historisch hohes Charterratenniveau besteht, was allgemein bekannt ist, so dass bei dem bisherigen zyklischen Verlauf der Charterraten eine Steigerung über 10 Jahre objektiv nicht plausibel ist".

Gegen dieses Urteil hatte sich der Antragsgegner mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung gewandt.

Über die nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung in der Berufungsverhandlung wechselseitig gestellten Kostenanträge der Parteien ist - wie vom Senat angekündigt - schriftlich zu entscheiden.


II.

Der Antragsgegner hatte auf dem Seminar über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Haftung von Kapitalanlage-Vermittlern für die von ihnen vermittelten Anlagen referiert. In der Seminarunterlage (Anlage ASt 4: "Beraterhaftung - ein völlig unterschätztes Thema") wurde im "Fall 15" unter Hinweis auf eine dort zitierte BGH-Entscheidung (Urteil vom 13. Januar 2000 - Aktenzeichen III ZR 62/99) folgendes ausgeführt:

"Der Beklagte hätte sich selber sachkundig machen müssen, bevor er zum Anlagemodell Auskunft gab. Insbesondere hätte er die wirtschaftliche Plausibilität prüfen müssen. Bei pflichtgemäßer Prüfung wäre ihm die Fragwürdigkeit der angeblichen, im wesentlichen mit festverzinslichen Anleihen zu erwirtschaftenden Rendite von 15 % aufgefallen.

Die schuldhafte Verletzung des Auskunftsvertrages liegt darin, dass der Beklagte nicht offen legte, dass er das Anlagekonzept nicht geprüft und auch sonst keine Informationen zu der Wirtschaftlichkeit der Anlage hatte." (Anlage ASt 4, dort Seite 11).

Auf den nachfolgenden Seiten stand dann:

"Exkurs Plausibilitätsprüfung

Die Plausibilitätsprüfung ist einer der Schwerpunkte der Recherchetätigkeit des Anlagevermittlers. Die Prospektprüfungsberichte der Wirtschaftsprüfer geben Auskunft darüber, ob die im Prospekt beschriebenen Vertragsverhältnisse tatsächlich bestehen. Zur Plausibilität der Ertragsberechnungen nehmen sie häufig nicht Stellung.

Die Annahme überhöhter und nicht objektivierbarer Ertragsprognosen des Anlageobjekts sind einer der häufigsten Gegenstände gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Aktuelle Beispiele mangelnder Plausibilität in den wirtschaftlichen Annahmen bestehen auch bei aktuellen Schiffsbeteiligungen." (Anlage ASt 4, dort Seiten 12-13).

Nach der Erörterung des "N-yy-Fonds" (als "Beispiel 1" - vgl. Anlage ASt 4, dort Seiten 14-15) hieß es weiter:

"Beispiel 2: Ship_3

Im Prospekt wird über einen Zeitraum von 10 Jahren mit steigenden Charterraten gerechnet, obwohl die Schiffe nur eine sehr kurze Anfangsbeschäftigung haben und derzeit am Markt ein historisch hohes Charterratenniveau besteht, was allgemein bekannt ist, so dass bei dem bisherigen zyklischen Verlauf der Charterraten eine Steigerung über 10 Jahre objektiv nicht plausibel ist." (Anlage ASt 4, dort Seite 16).

Und danach wurde in der Seminarunterlage ausgeführt:

"Der Berater muss offen legen, wenn er ein Produkt nicht selber umfassend geprüft hat, sondern sich auf Angaben des Kapitalsuchenden verlässt und darauf verweist.

Hat er die Sicherheit einer Kapitalanlage nicht selbst geprüft, so muss er dies dem Kunden ungefragt mitteilen.

Ansonsten macht er sich die Aussagen des Kapitalsuchenden zu eigen." (Anlage ASt 4, dort Seite 17).

Der Antragsgegner hat sich in der Seminarunterlage als Rechtsanwalt unter Angabe seiner Hamburger Anwaltspraxis vorgestellt. Er ist außerdem Mitglied des Beirates eines auf Schiffsfonds-Emissionen spezialisierten und mit der Antragstellerin konkurrierenden Unternehmens ("HC… Finanzservice GmbH" - so Bl. 2 - bzw. "HC… Emissionshaus GmbH" - so in Anlage ASt 1), das jedenfalls seinerseits zu der "HC…Gruppe" gehört, die - wie ausgeführt - Veranstalterin des in Rede stehenden Seminars gewesen ist.

Der von der Antragstellerin aufgelegte geschlossene Schiffsfonds "Ship_3" war zur Zeit der Abfassung der Antragsschrift (29. Juni 2005) in der Platzierung. Der Fonds ist ein sog. Dachfonds, der sich seinerseits wiederum an insgesamt sieben Ein-Schiff-Fonds beteiligt, hierbei handelt es sich um zwei Massengutschiffe ("Bulker"), drei Mehrzweckfrachter und zwei kleinere Containerschiffe (vgl. im Emissionsprospekt "Schiffsfonds Ship_3 GmbH & Co. KG - Ship_3": Anlage ASt 3, Seite 9).


III.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß der Beschlussverfügung des Landgerichts war auch nach Auffassung des Senats begründet, allerdings nicht aus den vom Landgericht herangezogenen UWG-Vorschriften, sondern aus den §§ 824, 1004 BGB.

1.) Der Gegenstand des Unterlassungsantrages ist das Aufstellen und Verbreiten der in der Beschlussverfügung zitierten Äußerung. Der zum Streitgegenstand gehörende, vorgetragene Lebenssachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Antragsgegner auf einem Seminar vor Anlageberatern im Rahmen seiner Lehrveranstaltung bei der Behandlung des Themas: "Beraterhaftung und Plausibilitätsprüfung" so geäußert hat.

2.) § 824 BGB schützt die wirtschaftliche Wertschätzung von Unternehmen, die sog. Geschäftsehre, vor Beeinträchtigungen, die durch Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen über sie herbeigeführt wird.

(a) Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert, Werturteil und Meinungsäußerung durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage. Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist es, ob der Gehalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes oder Bestehendes grundsätzlich dem Beweis offen steht. Der Inhalt der Äußerung ist, ausgehend von seinem Wortlaut, unter Berücksichtigung seines sprachlichen Kontextes, in dem sie steht, sowie der für den Adressaten erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gemacht wird, zu ermitteln. Maßgeblich für die Deutung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat.

(b) Das Besondere am Verletzungsfall war, dass die Äußerung des Antragsgegners in der Seminarunterlage (Anlage ASt 4, dort Seite 16), die - bis auf die Unterstreichungen - im Verbotsausspruch der Beschlussverfügung zutreffend zitiert ist, mehrdeutig ist und insoweit Elemente unrichtiger Tatsachenbehauptungen innerhalb der Wertung des Antragsgegners (die im Anlageprospekt der Antragstellerin angenommene Steigerung der Charterraten über 10 Jahre sei unplausibel) enthält, auf die sich die Wertung gerade stützt.

Die Adressaten der Äußerung des Antragsgegners sind Anlageberater in der der Seminarveranstaltung. Diese verstehen die Äußerung nicht etwa als Aufforderung, erst einmal den Schiffsfonds-Prospekt zu analysieren, sondern als Beispiel-Hinweis auf eine fehlende Plausibilität (eine Meinungsäußerung des Antragsgegners) mit der dazu gegebenen Begründung, es sei zu Unrecht (wiederum eine Meinungsäußerung) mit steigenden Charterraten über 10 Jahre gerechnet worden (insoweit eine Tatsachenbehauptung des Antragsgegners).

(aa) Der Äußerung kann man unvoreingenommen und durchschnittlich verständig dahin verstehen, im Prospekt "Ship_3" sei bei allen Schiffen oder jedenfalls bei den meisten mit steigenden Charterraten gerechnet worden.

(bb) Die Wendung "über 10 Jahre mit steigenden Charterraten" ist ihrerseits mehrdeutig. Man kann als Hinweis darauf verstehen, dass bei der Berechnung im Ergebnis nach den 10 Jahren eine höhere Charterrate als zu Beginn erscheint, so dass keine Aussage über den Verlauf der Charterraten in der Zwischenzeit getroffen wird, man kann das aber auch so verstehen, als sei über die 10 Jahre ständig steigende Charterraten angenommen worden.

Die Deutung im Sinne der ständig steigenden Charterraten ist jedenfalls nicht so fern liegend, dass diese Deutungsmöglichkeit auszuschließen wäre. Denn im Äußerungszusammenhang steht gerade als Begründung zur fehlenden Plausibilität der Hinweis auf den zyklischen Verlauf der Charterraten; das Publikum kann also unvoreingenommen annehmen, das sei bei der Berechnung nicht berücksichtigt worden, weil man ständig steigende Charterraten zugrunde gelegt habe.

(cc) Weiter kann man - so auch das Landgericht - der Äußerung des Antragsgegners auch entnehmen, die Berechnung der (über 10 Jahre steigenden) Charterraten im Prospekt "Ship_3" sei mit den derzeit marktüblichen Frachtraten begonnen worden, und zwar wiederum bei allen oder jedenfalls bei den meisten Schiffen.

(dd) Schließlich mag sich die Äußerung des Antragsgegners auch in dem von ihm beigelegten Sinne verstehen lassen, es gäbe bei der Berechnung nur im Einzelfall auch steigende Charterraten.

(ee) Das Argument des Antragsgegners, sein Motiv für die Aussage im Seminar sei es gewesen, Anlageberatern an konkreten Fällen die potentiellen Haftungsrisiken des Vertriebs von Schiffsbeteiligungen aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass jeder Prospekt akribisch geprüft werden müsse, steht der aufgezeigten Mehrdeutigkeit nicht durchgreifend entgegen.

Es kommt auf den objektivierten Empfängerhorizont des Publikums an. Die beanstandete Äußerung ist nicht etwa ein vom Antragsgegner kritisiertes Zitat aus dem Prospekt der Antragstellerin, sondern seine eigene zusammenfassende Bewertung dahingehend, die prognostizierten Steigerungsraten im Prospekt seien unplausibel, weil im Prospekt wie vom Antragsgegner eben mehrdeutig geschildert "über 10 Jahre mit steigenden Charterraten gerechnet" worden sei.

(c) Entsprechend den oben unter lit. (b) aufgeführten Deutungsvarianten handelte es sich in mehrfacher Hinsicht um objektiv falsche Äußerungen.

(aa) Es ist bei dem Emissionsprospekt der Antragstellerin bei den meisten oder gar bei allen Schiffen nicht mit (über 10 Jahre) ständig steigenden Charterraten gerechnet worden, so nicht (vgl. Anlage ASt 3, Seite 13) bei den Schiffen M-ooo, L-aaa, J-iii, Hnnn, U-rrrr.

Allerdings ergibt sich aus den im Emissionsprospekt auf Seite 13 aufgeführten Zahlen, dass die Berechnungen bei 6 von 7 Schiffen von einer Steigerung der Charterraten über 10 Jahre ausgehen, wenn man nur den Anfangs- und den Endtermin vergleicht. Das gilt auch für die Schiffe, die kurz vor Ablauf der 10 Jahre verkauft werden sollen, weil bis dahin ebenfalls die Charterrate im Ergebnis der 10 Jahre als steigend angenommen wird. Die Äußerung des Antragsgegners erschöpft sich, wie ausgeführt, aber nicht darin, dass nur über 10 Jahre verglichen eine Steigerung der Charterraten zugrunde gelegt worden sei.

(bb) Zudem hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass bei den Charterraten in den Anfangsjahren nicht in jedem Falle die marktüblichen Charterraten zugrunde gelegt wurden, sondern die ausgehandelten niedrigeren Raten. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wird dieser Umstand verschwiegen, wenn die Unplausibilität nur begründet wird mit dem zyklischen Verlauf der Raten und dem derzeitigen "historisch hohen Charterniveau".

(d) Es entlastet das Argument des Antragsgegners ihn nicht, er habe mündlich im Seminar nicht etwa von dem Anlagefond abgeraten, sondern zur konkreten Prüfung im Einzelfall angeraten. Denn es geht gerade darum, dass die beanstandete Äußerung dahin geht, die Prognoseberechnung der Antragstellerin sei unplausibel.

(e) Die beanstandete unwahre Äußerung war geeignet, die Geschäftsehre der Antragstellerin - sogar unmittelbar - zu beeinträchtigen.

Es besteht zumindest die Gefahr, wovon auch das Landgericht ausgegangen ist, dass die Äußerungsempfänger diesen namentlich genannten Fond nicht mehr anbieten würden. Das liegt schon nach der Lebenserfahrung auf der Hand. Zwar wären die Anlageberater - vom Antragsgegner insoweit zutreffend unterrichtet - nicht im Haftungsrisiko, wenn sie die Interessenten auf Bedenken hinwiesen und den Prospekt insoweit kommentierten, aber das negative Ergebnis in der Schilderung des Antragsgegners bliebe auch in diesem Falle gleichwohl hängen.

(f) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs gemäß §§ 824, 1004 BGB waren gegeben, insbesondere bis zur Abgabe der Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr.

(g) Die aufgezeigte rechtliche Bewertung durch den Senat verletzt den Antragsgegners nicht in seinen Grundrechten.

(aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird allerdings die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verletzt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen deren zu einer (zivil- oder strafrechtlichen) Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher mit schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Sanktion nicht zu rechtfertigen vermögen (BVerfG NJW 1992, 2073 m. w. Nw.). Müsste der sich Äußernde befürchten, wegen einer Deutung, die den gemeinten Sinn verfehlt, mit staatlichen Sanktionen belegt zu werden, würden über die Beeinträchtigung der individuellen Meinungsfreiheit hinaus negative Auswirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts der Meinungsfreiheit eintreten. Eine staatliche Sanktion könnte in so einem Fall wegen ihrer einschüchternden Wirkung die freie Rede, freie Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen (BVerfG NJW 1996, 1529 m. w. Nw.).

(bb) Ein gleicher Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung und die Funktionsfähigkeit des Meinungsbildungsprozesses besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indessen nicht bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen.

Hier ist im Rahmen der rechtlichen Zuordnung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit hat, sich in Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen ist. Ist der Äußernde nicht bereit, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, besteht kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu keiner oder nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen. Der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht sind vielmehr alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten zu Grunde zu legen, die dieses Recht beeinträchtigen (BVerfG NJW 2006, 207 m. w. Nw.).

(cc) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a. a. O.) betrifft zwar einen Sachverhalt, in dem es um mehrdeutige persönlichkeitrechtsverletzende Meinungsäußerungen ging. Nach Auffassung des Senats kann im Bereich der Unterlassungsansprüche gemäß § 824 BGB bei äußerungsrechtlichen Mischtatbeständen (mehrdeutigen Äußerungen mit Tatsachenbehauptungselementen) zu Gunsten des Äußernden auch im Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit jedenfalls kein milderer Maßstab angelegt werden, da dies den mit § 824 BGB geschützten Interessen der Geschäftsehre zuwider laufen würde.

3.) UWG-Vorschriften als Anspruchsgrundlage kommen nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, das beanstandete Verhalten des Antragsgegners ist keine Wettbewerbshandlung.

"Wettbewerbshandlung" im Sinne des UWG bedeutet jede Handlung einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder Bezug von Waren oder die Erbringung oder Bezug von Dienstleistungen zu fördern (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG). Entsprechend dem Gegenstand des UWG (vgl. vor allem § 1 UWG) ist nicht allgemein das Handeln eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr erfasst, sondern nur das marktbezogene geschäftliche Verhalten.

(a) Im vorliegenden Fall stehen die Parteien zueinander nicht etwa in einem Wettbewerbsverhältnis, der Antragsgegner ist Rechtsanwalt und insoweit kein Konkurrent der Antragstellerin. Vielmehr hat sich der Antragsgegner, wie ausgeführt, als Dozent auf einer Seminarveranstaltung vor Anlageberatern in der beanstandeten Weise geäußert. Wissenschaftliche Tätigkeiten, zu denen derartige Lehrtätigkeiten gehören, erfolgen zumeist außerhalb des marktbezogenen geschäftlichen Verkehrs, so dass im Regelfall schon das objektive Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbshandlung nicht gegeben ist.

(b) Jedenfalls ist bei wissenschaftlichen Tätigkeiten - wie hier bei einer Lehrveranstaltung - wegen der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG eine Wettbewerbsabsicht nicht zu vermuten. Das gilt nicht nur bei rein wissenschaftlichen Arbeiten etwa an Universitäten, sondern auch dann, wenn und soweit der wirtschaftliche Wettbewerb mit einer wissenschaftlichen Tätigkeit marktbezogen und geschäftlich beeinflusst wird.

Für die Annahme einer Wettbewerbshandlung ist es, anders als das Landgericht gemeint hat, nicht ausschlaggebend, dass der Antragsgegner in der Seminarveranstaltung den Emissionsprospekts der Antragstellerin namentlich erwähnt und gleichsam als Schulfall einer nicht plausiblen Ertragsrechnung vorgeführt hat. Auch wenn eine wissenschaftliche Arbeit geeignet ist, die wirtschaftlichen Interessen Dritter zu begünstigen oder zu beeinträchtigen, fehlt es an einem Wettbewerbszweck (BGH GRUR 1964, 389 - Fußbekleidung, GRUR 1957, 360 - Phylax-Apparate), für die Dozententätigkeit des Antragsgegners gilt nichts anderes. Wenn er das Thema "Beraterhaftung und Plausibilitätsprüfung" behandelt, muss es ihm jedenfalls grundsätzlich frei stehen, aus anschaulich-didaktischen Gründen konkrete und auch negative Beispiele aus tatsächlich erfolgten Ertragsrechnungen in Emissionsprospekten zu nennen und entsprechend zu bewerten.

Eine Wettbewerbsabsicht ist allerdings zu vermuten, wenn die Arbeit auf Herabsetzung von Konkurrenzprodukten gerichtet ist, persönliche Angriffe enthält oder der Verfasser eigenen wirtschaftlichen Interessen damit verfolgt (Harte-Henning-Keller, UWG, § 2 Nr. 1 UWG Rz. 57 unter Hinweis auf BGH a. a. O. - Fußbekleidung). Ein derartiger Sonderfall ist vorliegend nicht gegeben. Der Antragsgegner ist Rechtsanwalt und als Dozent tätig geworden, das verbietet die Annahme, seine Lehrtätigkeit sei auf die Herabsetzung eines "Konkurrenzproduktes" gerichtet gewesen, denn er konkurriert nicht am Markt mit dem von ihm kritisierten Emissionsprospekt der Antragstellerin.

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der Antragsgegner mit seiner Äußerung insoweit eigene wirtschaftliche Interessen verfolgte, dass es ihm mit der Kritik an dem Emissionsprospekt der Antragstellerin etwa darum gegangen wäre, auf diesem Wege indirekt den Wettbewerb des mit der Antragstellerin konkurrierenden Unternehmens aus der "HC…Gruppe" zu fördern. Die beanstandete Äußerung war vielmehr ein Beispiel von mehreren in dem Seminar des Antragsgegners, war thematisch durchaus veranlasst und stand andererseits nicht etwa überbetont im Vordergrund. Seine Äußerung war auch nicht mit solchen über die Leistungen der "HC…Gruppe" verknüpft.

Der Umstand, dass der Antragsgegner im Beirat des mit der Antragstellerin konkurrierenden Unternehmens ist und die "HC…Gruppe" wiederum das Seminar veranstaltete, stützt nicht die Annahme, es sei dem Antragsgegner um eigene wirtschaftliche Interessen zum Nachteil der Antragstellerin und nicht um seine Lehrtätigkeit gegangen. Schon die sozial abhängige Stellung eines Wissenschaftlers belegt für sich nicht die Vermutung, er handle bei der Abfassung wissenschaftlicher Abhandlungen im wettbewerblichen Interesse (BGH GRUR 1962, 45 - Betonzusatzmittel). Für die in Rede stehende Dozententätigkeit des Antragsgegners ist nicht einmal eine derartige Abhängigkeit erkennbar: Er ist von Beruf Rechtsanwalt und wird auf der Homepage der "HC…Gruppe" als "Experte" bezeichnet; er stellt damit als Beirat nur seinen sachverständigen Rat zur Verfügung (Anlage ASt 1).

(c) Es lässt sich auch nicht anhand konkreter Umstände positiv feststellen, dass die Absicht des Antragsgegners bei seiner Äußerung, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern, eine größere als nur notwendig begleitende Rolle gespielt hat.

Hierzu ist eine Gesamtschau der Umstände, des Zwecks der beanstandeten Handlung und der Besonderheiten der jeweiligen Einzelfallgestaltung vorzunehmen, die subjektiven Motive des Antragsgegners bedürfen keiner Ermittlung, maßgebend für die Wettbewerbsabsicht ist die nach außen tretende Zielrichtung des Handelnden (BGH GRUR 2002, 987 - Wir Schuldenmacher; Harte-Henning-Keller, a. a. O. Rz. 58)

Es besteht unter Beachtung dieser Grundsätze klar im Vordergrund, dass es sich um eine Seminartätigkeit des Antragsgegners gehandelt hat, der gerade nicht im Wettbewerb zur Antragstellerin steht:

Die Äußerung gehörte, wie ausgeführt, thematisch unmittelbar zur Sache, die Kritik an dem Emissionsprospekt der Antragstellerin war ein didaktisch nahe liegender Beispielsfall innerhalb einer größeren Abhandlung. Die Beiratsfunktion des Antragsgegners in dem Unternehmen, das in Konkurrenz zur Antragstellerin steht, lässt die Seminartätigkeit und auch die in Rede stehende Äußerung des Antragsgegners nicht in einem anderen Licht erscheinen.

Der Senat verkennt nicht, dass es Fälle getarnter Verfolgung von wirtschaftlichen Interessen unter dem "wissenschaftlichen Deckmantel" gibt, Anhaltspunkte hierfür gibt der Sachverhalt in allen seinen aufgezeigten Facetten aber nicht her, und zwar auch dann nicht, wenn man - wie es geboten ist - mitberücksichtigt, dass die Äußerung - wie ausgeführt - mehrdeutig ist und insoweit einen für die Antragstellerin nachteiligen und unzutreffenden Aussageinhalt hat.


Gärtner Spannuth Löffler

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht