Erbbauzinsen sind Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

20. 09. 2006


Aktenzeichen

IX R 17/04


Leitsatz des Gerichts

Der Erbbauzins für ein Erbbaurecht an einem privaten Grundstück gehört zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG . Der bewertungsrechtliche Ansatz des Erbbauzinsanspruchs als sonstiges Vermögen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 17. Juli 1995 1 BvR 892/89, BStBl II 1995, 810) steht dieser Beurteilung nicht entgegen .

Tatbestand


Tatbestand:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin hatte 1991 ein Grundstück geerbt, welches 1975 auf 99 Jahre mit einem Erbbaurecht belastet worden war. Später wurden das Grundstück und das Erbbaurecht geteilt. Der Anspruch der Klägerin auf Erbbauzinsen wurde in verschiedenen Bescheiden vermögensteuerrechtlich und erbschaftsteuerrechtlich als Vermögen erfasst. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1995) erklärte die Klägerin Erbbauzinsen in Höhe von 68 208,29 DM und Pachteinnahmen in Höhe von 9 885 DM. Nach Abzug von Werbungskosten ergab sich ein Überschuss von 58 116,53 DM. Gegen den erklärungsgemäß ergangenen Einkommensteuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein und machten unter anderem geltend, die überkommene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), nach der Erbbauzinsen zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gehörten, sei durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17. Juli 1995 1 BvR 892/89 (BStBl II 1995, 810) überholt. Der Einspruch und die Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben erfolglos. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 873 abgedruckt.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Grundstücke der Klägerin würden weder nach § 535 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vermietet noch nach § 581 BGB verpachtet. Vielmehr werde der Erbbauzins nach § 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über das Erbbaurecht (ErbbauV) "für die Bestellung" des Erbbaurechts gezahlt. Bei der Vermietung und Verpachtung stehe der Miet- oder Pachtzins dagegen dem Gebrauch der Sache pro rata temporis gegenüber. Ferner entfalle, wenn der Miet- oder Pachtzins nicht gezahlt werde, die Pflicht zur Gebrauchsüberlassung. Letzteres sei beim Erbbaurecht gerade nicht der Fall. Bei einem auf 99 Jahre eingeräumten Erbbaurecht handele es sich entgegen der Auffassung des FG auch nicht um eine "befristete" Nutzungsüberlassung, weil der Eigentümer die Beendigung des Erbbaurechts regelmäßig nicht mehr erlebe. Im Steuerrecht sei zwischen Einkommen und Vermögen zu unterscheiden. Was einkommensteuerrechtlich zu den Einkünften zähle, könne nicht gleichzeitig in anderen Steuerarten Vermögen sein. Aufgrund der vom BVerfG in seinem Beschluss in BStBl II 1995, 810 herausgestellten Ähnlichkeit des Erbbauzinses mit einem Kaufpreis könne der Erbbauzins nicht zu Einkünften führen, vielmehr handele es sich um eine bloße Vermögensumschichtung. Nach § 11 ErbbauV seien auf das Erbbaurecht die Vorschriften über Grundstücke anzuwenden. Dies führe nicht nur dazu, dass ein eigenes Grundbuchblatt angelegt werde, sondern dass das Erbbaurecht auch mit Grundschulden und Hypotheken belastet werden könne. Ferner unterliege die Bestellung des Erbbaurechts der Grunderwerbsteuer. Die überkommene Rechtsprechung des BFH, nach der der Erbbauzins Einnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bilde, sei nach dem Beschluss des BVerfG in BStBl II 1995, 810 nicht mehr aufrecht zu erhalten. Denn das BVerfG habe seine Entscheidung darauf gestützt, dass es "bei wirtschaftlicher Betrachtung" folgerichtig sei, den Erbbauzinsanspruch wie ein Entgelt für den Erwerb eines Grundstücks auf Zeit anzusehen.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um 48 231 DM vermindert werden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht die strittigen Erbbauzinsen als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG beurteilt.

1. Zu den Einkünften gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören solche aus der Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens.

Die Vorschrift erfasst nicht nur Einkünfte aus Miet- und Pachtverträgen im bürgerlich-rechtlichen Sinne, sondern darüber hinaus alle Einkünfte aus der zeitlich begrenzten entgeltlichen Überlassung unbeweglichen Vermögens zum Gebrauch oder zur Nutzung. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung durch die Vertragsparteien, sondern der wirtschaftliche Gehalt des jeweiligen Vertrages (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des BFH vom 6. Mai 2003 IX R 64/98, BFH/NV 2003, 1175; vom 2. März 2004 IX R 43/03, BFHE 205, 257, BStBl II 2004, 507, m.w.N.).

2. Danach gehört auch der Erbbauzins zu den Einnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.

Das Erbbaurecht begründet für den Berechtigten ein vererbliches und veräußerliches dingliches Recht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben (§ 1 ErbbauV). Grund und Boden einschließlich der zu errichtenden Gebäude fallen nach Ablauf der vereinbarten Dauer des Erbbaurechts an den Eigentümer des Bodens zurück (Heimfall). Nach dieser Regelung ist der Erbbauzins ein Entgelt für die Einräumung eines zeitlich begrenzten dinglichen Nutzungsrechts am Grund und Boden. Denn der Grundeigentümer überlässt wirtschaftlich das Grundstück einem anderen gegen Entgelt auf Zeit zur Nutzung, nämlich zum Errichten eines Bauwerks; es handelt sich um ein befristetes Nutzungsverhältnis, das während der Laufzeit des Erbbaurechts auf den fortdauernden Austausch von Leistungen gerichtet ist (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteile vom 13. Mai 1954 IV 300/53 U, BFHE 58, 752, BStBl III 1954, 199; vom 11. Oktober 1963 VI 251/62 U, BFHE 77, 665, BStBl III 1963, 564; vom 20. November 1980 IV R 126/78, BFHE 132, 418, BStBl II 1981, 398; vom 19. Januar 1982 VIII R 102/78, BFHE 135, 434, BStBl II 1982, 533; vom 17. Juli 2001 IX R 41/98, BFH/NV 2002, 18).

Diese Rechtsauffassung wird im Schrifttum einhellig geteilt (Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 21 Rz 65 "Erbbaurecht"; v. Reden in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 21 Rn 74; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 21 EStG Anm. 300 "Erbbaurecht"; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 21 Rn 90 "Erbbaurecht"; Blümich/Stuhrmann, § 21 EStG Rz. 97; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 21 Rdnr. B 91; Gänger in Bordewin/Brandt, § 21 EStG Rz. 101 "Erbbaurecht"; R. Claßen in Lademann, EStG, § 21 EStG Anm. 190 "Erbbauzinsen"; Eggers in Korn, § 21 EStG Rz. 99 "Erbbauzinsen").

3. Aus dem Beschluss des BVerfG in BStBl II 1995, 810 ergibt sich entgegen der Auffassung der Kläger keine abweichende Beurteilung, so dass eine Änderung der Rechtsprechung des BFH nicht in Betracht kommt.

a) Das BVerfG hatte sich lediglich mit der Frage zu befassen, ob der gesonderte Ansatz des Erbbauzinses nach § 92 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar war. In diesem Zusammenhang ist das BVerfG von der Systematik des § 92 BewG ausgegangen, nach der gemäß Absatz 1 der Vorschrift für das belastete Grundstück ein Einheitswert zu bestimmen ist, der --wenn die Dauer des Erbbaurechts wie im Streitfall mehr als 50 Jahre beträgt-- allein dem Erbbauberechtigten zuzurechnen ist (§ 92 Abs. 2 BewG). Bei einer kürzeren Laufzeit des Erbbaurechts ist dagegen eine gestaffelte Aufteilung zwischen Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigtem vorzunehmen (§ 92 Abs. 3 BewG). Unabhängig davon ist der Erbbauzinsanspruch beim Grundstückseigentümer und die Erbbauzinsverpflichtung beim Erbbauberechtigten jeweils bewertungsrechtlich mit dem Kapitalwert anzusetzen (§ 92 Abs. 5 BewG).

Diese Regelung hat das BVerfG als in sich folgerichtig beurteilt und die davon abweichende bewertungsrechtliche Beurteilung von langfristigen Miet- und Pachtverhältnissen sowie dinglichen Nießbrauchsrechten damit gerechtfertigt, dass die Bestellung eines Erbbaurechts eine weitaus stärkere Beschränkung des Eigentums bedeute als bei den anderen genannten Verträgen. Der wesentliche Inhalt des Grundstückseigentums, nämlich das Recht zur Bebauung, werde von diesem getrennt und in einem grundstücksgleichen Recht, dem Erbbaurecht, verselbständigt. Aus diesem Grund sei der Gesetzgeber nicht gehindert, an die Grundstücksgleichheit des Erbbaurechts einerseits und an die Kaufpreisähnlichkeit des Erbbauzinses andererseits anzuknüpfen und diesen Vorgang --anders als in den genannten Vergleichsfällen-- wie eine Vermögensumschichtung zu behandeln, wie sie auch beim Verkauf eines Grundstücks eintreten würde (BVerfG in BStBl II 1995, 810).

b) Diese das Bewertungsrecht betreffenden Erwägungen des BVerfG stehen nicht in Widerspruch zur Erfassung der Erbbauzinsen als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Das BVerfG hat nämlich in dem genannten Beschluss ferner ausgeführt, der Grundstückseigentümer erwirtschafte durch den Erbbauzins eine laufende Rendite; der maßgebliche wirtschaftliche Gehalt sowohl eines langfristigen Miet- oder Pachtvertrages oder dinglichen Nießbrauchsrechts als auch eines Erbbaurechts liege darin, dass der Eigentümer des Grundstücks die damit einhergehende Nutzungsmöglichkeit einem Dritten gegen Entgelt überträgt. Allein dies ist einkommensteuerrechtlich maßgebend und erfordert es, in allen diesen Fällen das Nutzungsentgelt als Einnahme gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassen und damit die durch das Nutzungsentgelt gesteigerte Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Wollte man von der Besteuerung des Erbbauzinses gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG absehen, ergäbe sich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und eine Privilegierung des Erbbauzinses im Vergleich zu anderen Nutzungsentgelten, die --weil sachlich nicht begründbar-- mit Art. 3 Abs. 1 GG kaum vereinbar wäre.

c) Entgegen der Auffassung der Kläger wird der Erbbauzins, indem er bewertungsrechtlich mit seinem Kapitalwert als sonstiges Vermögen angesetzt (§ 92 Abs. 5, § 110 Abs. 1 Nr. 4 BewG) und zugleich einkommensteuerrechtlich als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erfasst wird, nicht systemwidrig doppelt steuerlich belastet. Bei der Nutzungsüberlassung von Grundstücken des Privatvermögens wird in allen Fällen, bei Miet- und Pachtverträgen ebenso wie beim Erbbaurecht, die Vermögenssubstanz allein bewertungsrechtlich erfasst. Das Einkommensteuerrecht erfasst hingegen --abgesehen von der Sonderregelung des § 23 EStG-- das private Grundvermögen nicht, sondern nur die daraus erwirtschafteten Erträge gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Die Besonderheit des Erbbaurechts besteht lediglich darin, dass die bewertungsrechtlich zu berücksichtigende Vermögenssubstanz nach § 92 BewG auf zwei verschiedene Wirtschaftsgüter verteilt wird, nämlich auf das Grundstück und das dinglich davon getrennte Recht zur Bebauung. Bei einer Laufzeit von mindestens 50 Jahren verdrängt das Erbbaurecht das Eigentum an Grund und Boden wirtschaftlich insoweit, dass seine Erfassung und Zurechnung beim Eigentümer nicht mehr gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerfG in BStBl II 1995, 810). Diese systemtragende Grundentscheidung, die die Bewertung des Erbbaurechts kennzeichnet, hat der Gesetzgeber auch folgerichtig durchgeführt, indem das Gesetz eine Relation zwischen dem Kapitalwert des Erbbauzinses (§ 13 Abs. 1 BewG, Hilfstafel 2) und dem Anteil am Bodenwert (§ 92 Abs. 3 BewG) herstellt. Maßgeblich ist somit die Überlegung, dass der Erbbauverpflichtete nur in dem Maße in sein Eigentum (wieder) hineinwachsen kann, wie der Kapitalwert des Erbbauzinses abnimmt. Damit ist grundsätzlich sichergestellt, dass der auf den Erbbauverpflichteten entfallende Anteil am Grundstückswert zusammen mit dem Kapitalwert des Erbbauzinses wieder den im Gesamtwert enthaltenen Grundstückswert ergibt (BVerfG in BStBl II 1995, 810, m.w.N.).

Insoweit unterscheidet sich der kapitalisierte Anspruch auf Erbbauzins grundlegend von einer verzinslichen Kapitalforderung gegen eine Bank, wie sie die Kläger in der mündlichen Verhandlung als Vergleichsobjekt herangezogen haben. Der Kapitalwert einer solchen Forderung verringert sich in der Tat durch die fortlaufenden Tilgungen und ist bei Beendigung der Kapitalanlage vollständig abgebaut. Der kapitalisierte Anspruch auf Erbbauzins baut sich hingegen nicht endgültig ab, sondern es findet eine Rückumschichtung in den Grundstückswert statt. Am Ende der Laufzeit des Erbbaurechts steht dem Grundstückseigentümer das Grundstück wieder ungeschmälert mit seinem vollen Wert zur Verfügung und ist ihm dementsprechend wieder bewertungsrechtlich zuzurechnen. Der während der Laufzeit des Erbbaurechts entrichtete Erbbauzins kann mithin nur --wie eine Miete-- als Einnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG beurteilt werden.

Rechtsgebiete

Steuerrecht