Verkehrssicherungspflicht bei "Trampelpfaden"
Gericht
OLG Jena
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
12. 10. 2005
Aktenzeichen
4 U 843/04
Auch die Zulassung oder Duldung eines öffentlichen Verkehrs auf einem Grundstück – hier eines „Trampelpfades“ – verpflichtet den Eigentümer grundsätzlich zur Verkehrssicherung. Der Umfang der Verkehrssicherungs-pflicht kann aber in einem solchen Fall nicht strenger beurteilt werden als der für ersichtlich mit Willen des Grundstückseigentümers für berechtigte Grundstücksnutzer geschaffenen Wege.
Insoweit gilt, dass der Benutzer die gegebenen Verhältnisse so hinnehmen muss, wie sie sich ihm erkennbar darbieten; ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist nur dann geboten, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Nutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag.
Verunfallt ein Nutzer auf einem erkennbar „behelfsmäßigen“ unbefestigten Trampelpfad, weil sich damit eine erfahrungsgemäß beim Betreten eines abwärts führenden Trampelpfades von jedem Nutzer zu berücksichtigende Gefahr verwirklicht, so haftet der Nutzer allein, weil entweder schon eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Eigentümers des Grundstücks ganz ausscheidet oder jedenfalls das Eigenverschulden des Gestürzten so deutlich überwiegt, dass eine Mithaftung des Verkehrssicherungspflichtigen gänzlich zurücktritt.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 24.08.2004, 2 O 215/04, abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelferin werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I)
Die Beklagte wird gemäß §§ 6 Absatz 1 EFZG, 823 Absatz 1, 842 BGB in Regress genommen. Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht soll dazu geführt haben, dass eine Mitarbeiterin stürzte und die Klägerin Lohnfortzahlung in Höhe von € 5.649,88 gemäß § 3 Absatz 1 EFZG leisten musste. Dieser Betrag nebst Zinsen wird mit der Klage geltend gemacht.
Wegen des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Absatz 1 Nr. 1 ZPO auf die getroffenen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil ( Blatt 56 bis 58 d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 24.08.2004, 2 O 215/04, der Klage in vollem Umfang stattgegeben, denn die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht für die streitige Bobanlage verletzt. Eine wirksame Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf die die Bobanlage betreibende Streitverkündete sei nicht erkennbar.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.
II)
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung rechtfertigt der erstinstanzlich ermittelte Sachverhalt es schon nicht, davon auszugehen, der Unfall der Mitarbeiterin der Klägerin sei auf eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zurückzuführen. Aus diesem Grunde kann unentschieden bleiben, ob die Beklagte rechtswirksam die Verkehrssicherungspflichten für die streitige Anlage auf die Streitverkündete übertragen hat.
Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht lässt sich nicht daraus herleiten, dass ein Trampelpfad, der eine Böschung abwärts vom geteerten Gelände führte, geduldet worden ist.
Die Zulassung oder Duldung öffentlichen Verkehrs auf einem Grundstück verpflichtet zwar den Eigentümer zur Ergreifung der notwendigen Verkehrssicherungsmaßnahmen. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder auch nur andauern lässt, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze der Nutzer zu treffen hat (OLG Brandenburg NZV 1997, 77 f, 77). Aber der Umfang der Verkehrssicherungspflicht für den geduldeten Pfad kann jedenfalls nicht strenger beurteilt werden als der für ersichtlich mit Willen des Eigentümers oder berechtigten Grundstücknutzers geschaffenen Wege. Insoweit gilt aber, dass der Benutzer die gegebenen Verhältnisse so hinnehmen muss, wie sie sich ihm darbieten und sich ihnen anpassen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist nur dann geboten, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Nutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag.
Aus den hereingereichten Fotos ist ersichtlich, dass die zum Gelände der Bobbahn gehörenden Flächen geteert und als vorgesehene Verkehrswege unschwer auszumachen sind. Der unbefestigte, von der Klägerin selbst als „Trampelpfad“ charakterisierte „Weg“ dagegen ist auf den ersten Blick als behelfsmäßig erkennbar und als jedenfalls von der Beklagten oder ihrer Streithelferin als Weg vom oder zum Gelände der Bobbahn offensichtlich nicht angelegt worden.
Dieser Umstand hat sich der verunfallten Mitarbeiterin der Klägerin auch erschlossen, denn auch sie spricht als Zeugin erster Instanz vernommen von einem „Trampelpfad“ (Blatt 44 d.A.). Dieser Begriff bezeichnet gemeinhin einen, oft als Abkürzung zum angelegten Weg durch häufigere Benutzung geschaffenen Pfad, der als nicht mit Willen des Eigentümers oder Grundstücksnutzers errichteter Weg erkennbar ist.
Die Beklagte bestreitet zwar, dass sich an der fraglichen Stelle zum Unfallzeitpunkt bereits ein solcher Trampelpfad gebildet hatte mit der Folge, dass das Publikum wegen der tatsächlichen Übung davon ausgehen konnte, dessen Betreten verstoße nicht gegen den Willen des Eigentümers bzw. Nutzers der Bobanlage.
Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, denn selbst wenn sich ein solcher „Trampelpfad“ gebildet haben sollte, musste sich einem Benutzer aufdrängen, dass zwar eine Nutzung allein wegen des Vorhandenseins dieses Pfads mindestens geduldet war, die Zulassung dieser Nutzung jedoch eine eingeschränkte war, da der asphaltierte Bereich den eigentlichen Verkehrsweg darstellte.
Die Verunfallte hat in ihrer Vernehmung erster Instanz angegeben, sie vermute, dass sie auf kleineren Steinen weggerutscht sei (Blatt 45 d.A.). Bei einem eine Böschung abwärts führenden Trampelpfad ist schon generell mit sich lösender Erde sowie dem Vorhandensein von behindernden Steinen oder Steinchen zu rechnen, so dass sich eine erfahrungsgemäß bei dem Betreten eines abwärts führenden „Trampelpfads“ zu berücksichtigende Gefahr verwirklicht hat, wenn es durch Ausrutschen zu einem Sturz kommt. Diese Gefahr war aber auch konkret erkennbar, wie den von der Klägerin hereingereichten Fotos zu entnehmen ist. Deutlicher noch ist dies den Fotos der Beklagten zu entnehmen
Da für potentielle Nutzer die Gefahr, die sich nach Aussage der Verunfallten verwirklicht haben soll, offensichtlich war, bestand keine Sicherungspflicht, den Weg zu sperren. Auch ein Hinweisschild, das auf die Lage des „offiziellen“ Ausgangs hinwies, war nicht erforderlich. Dass der Ausgang jedenfalls über den geteerten Weg erreichbar sein würde, ist den von der Klägerin hereingereichten Fotos ebenfalls zu entnehmen. Schon gar nicht war ein Schild aufzustellen, das auf die Gefährlichkeit des Trampelpfads hinweist. Die Gefährlichkeit dieses Pfads offenbarte sich auf den ersten Blick.
Dies steht auch im Einklang mit der Aussage der Verunfallten. Nach eigenen Angaben hatte die Zeugin Nicole Balk sich „bereits vorher ein Bild von den Örtlichkeiten gemacht“ und wusste daher, „dass dieser Trampelpfad der kürzeste Weg zurück zum Ort war“ (Bl 44 d.A.). Wenn aber der Trampelpfad der kürzeste Weg war, muss die Verunfallte auch einen längeren gekannt haben. Außer dem über den Asphalt führenden ist aber ein anderer Weg nicht ersichtlich. Wenn die Verunfallte sich aber entschließt, weiteren Personen, die nicht zu ihrer Reisegruppe gehört haben sollen, den Pfad hinab zu folgen statt den längeren Weg zu nehmen, so musste sie sich auf die erkennbaren Gefahren einstellen. Dass sie dies in nicht ausreichendem Maße gemacht hat, ergibt sich schon daraus, dass nicht behauptet wird, von den Personen, denen sie gefolgt ist, sei jemand ausgerutscht.
Dem steht auch nicht die von der Klägerin zitierte Entscheidung des OLG Koblenz vom 26.02.2003, 12 U 461/02, entgegen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Deutschen Bahn AG mit der Folge einer Haftung in Höhe von 15 % ist angenommen worden, weil diese das irreguläre und höchst gefahrvolle Betreten des Bahngeländes mittels eines „Trampelpfades“ nicht unterbunden hatte. Die Besonderheit des Falles bestand allerdings darin, dass unter den Augen der Bediensteten gewissermaßen ein eingebürgerter Zugang entstanden war, der nur in seltenen und unvoraussehbaren Einzelfällen genutzt wurde. Die Gefährlichkeit des hier in Streit stehenden Trampelpfad ist ungleich geringer und dass sich ein eingebürgerter Ausgang entwickelt hätte, trägt selbst die Klägerin nicht vor.
Aber selbst unterstellt, eine grundsätzlich gegebene Pflicht zur Verkehrssicherung sei anzunehmen, so bestünde eine Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz wegen des überwiegenden Mitverschuldens der Mitarbeiterin der Klägerin nicht. Bei Nutzung des Trampelpfades handelte die Verunfallte leichtfertig. Der abschüssige Pfad war von losen Steinen übersät und bot keinen Halt in Form, etwa in Form eines Geländers. Die äußerst nahe liegende Gefahr, auszurutschen und dann keinen Halt zu finden, drängte sich auf.
Unter diesen Umständen scheidet eine Haftung wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht aus. Das erstinstanzliche Urteil war abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Absatz 1, 101 Absatz 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Müller
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