Festsetzung im Bebauungsplan: "Flachdach"
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
08. 06. 2004
Aktenzeichen
1 U 1976/04
Die Berufung der Kl. gegen das Urteil des LG München I vom 17.11.2003 wird zurückgewiesen.
Die Kl. trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kl. und ihr Ehemann sind je zur Hälfte Miteigentümer des Einfamilienhauses G.16 in M., an das sich in südlicher Richtung ein von einer Hecke umschlossener Garten anschließt. An diesen grenzt der Schwingensteinweg. Auf dessen südlicher Seite liegt eine Reihenhauszeile. Dazu gehört das Anwesen S.weg 2, das dem Garten der Kl. unmittelbar gegenüberliegt. Es wurde vor einigen Jahren durch den Rentner W. erworben.
Beide Häuser liegen in einer in den siebziger Jahren durch denselben Bauträger, die N., errichteten Siedlung in einem reinen Wohngebiet im Bereich eines Bebauungsplanes der Bekl. aus dem Jahr 1976. Der Bebauungsplan schreibt als Bebauung Gartenhofhäuser mit einem Vollgeschoss und Flachdach („FD“) vor (Anlagen K 1.1 und K 1.2). In der Begründung des Bebauungsplans (Anlage K 1.9) heisst es hierzu: „Planungsziel ist es, einen städtebaulich ansprechenden Übergang von der hohen Bebauung des Bauquartiers Nordost zum stadtteilgliedernden Grünzug und der nördlich daran anschließenden lockeren Ein- und Zweifamilienhausbebauung im Bereich der Z.straße zu sichern.“
Gebaut wurden die Häuser mit einer völlig ebenen Dachfläche. Sechs von 69 Eigentümern versahen ihr Haus in den letzten Jahren mit einem über Regenrinnen entwässerten Kupferdach mit geringer, im einzelnen nicht bekannten Neigung. Die Farbgebung der Häuser ist einheitlich in weiss-dunkel gehalten.
Am 12.12.2002 fragte W. bei der Bekl. telefonisch an, ob er auf sein bestehendes Flachdach ein flach geneigtes Dach setzen dürfe. Er erhielt die telefonische Auskunft, dass Dächer mit einer Neigung von bis zu 15 Grad als flach geneigt anzusehen und im Geltungsbereich einer Flachdachfestsetzung zulässig seien.
Am 27.01.2003 erteilte die Bekl. die Genehmigungsfreistellung nach Art. 64 BayBauO. W. informierte davon seine Reihenhausnachbarn, die keine Einwendungen erhoben, aber nicht die Kl..
W. unterrichtete die Bekl. am 21.03.2003 über den Beginn der Bauarbeiten. Die Kl. erfuhr erst jetzt, als die Vorarbeiten bereits begonnen hatten, von ihrem Nachbarn von dessen Vorhaben.
Mit Schreiben vom 24.03.2003 an die Bekl. (Anlage KB 1) forderte die Kl. ein Einschreiten gegen die Errichtung eines Ziegeldachs auf dem Nachbarhaus, da der Bebauungsplan Flachdächer vorsehe. Am 25.03.2003 telefonierte sie mit Herrn D., dem zuständigen Sachbearbeiter der Bekl.. Am 26.03.2003 rief die Kl. erneut bei der Bekl. an, ohne dass diese, wie gewünscht, gegen die Bauarbeiten einschritt.
Am selben Tag erfolgte eine Ortsbesichtigung durch Mitarbeiter der Bekl..
In einem Schreiben vom 31.03.2003 an die Bekl. (Anlage KB 2) führte die Kl. aus, die minimalistische Form der Dächer im Baugebiet sei ein prägendes Gestaltungsmerkmal. Das nachbarliche Dach füge sich darin nicht ein.
W. setzte auf die vorhandene Dachkonstruktion ein Ziegeldach in einer Mischform aus Sattel- und Walmdach mit Dachüberständen auf freiliegenden Dachsparren und einem Dachflächenfenster auf der Nordseite seines Hauses (Fotos KB 3.2 und 3.3). Die Arbeiten wurden binnen einer Woche abgeschlossen. Die Dachneigung beträgt nach dem Vorbringen der Beklagen 15 Grad. Die Kl. behauptet nicht , dass sie 15 Grad übersteigt. Ein Verstoß gegen die baurechtlichen Abstandsvorschriften liegt nicht vor.
Später versah W. sein Reihenhaus noch mit einem gelben Anstrich mit weiss abgesetzten Fenstern, der es von allen anderen Häusern in der Umgebung unterscheidet.
In einem Schreiben vom 03.04.2003 an die Kl. (Anlage K 2.1) verweigerte das Referat für Stadtplanung und Bauordnung nochmals ein Einschreiten.
Die Kl. hat vorgebracht, sowohl die Freistellung als auch die W. erteilte Auskunft seien rechts- beziehungsweise pflichtwidrig gewesen. Dadurch und durch die ihr vorenthaltene Beteiligung sei sie in ihren – nachbarschützenden – Rechten verletzt worden. Dies begründe einen Schadenersatzanspruch auf Grund der Werteinbuße ihres Miteigentumsanteils, der mit mindestens 20.000,-- EUR zu beziffern sei.
Die Kl. hat beantragt:
Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 20.000,-- EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
Die Bekl. hat Klageabweisung beantragt.
Die Bekl. hat vorgebracht, ein Schadenersatzanspruch der Kl. sei schon deshalb ausgeschlossen, weil diese es unterlassen habe, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsbehelfs abzuwenden. Es sei treuwidrig, den Nachbarn bauen zu lassen, um sich dann an die Bekl. wegen eines Wertausgleichs zu wenden. Das von W. errichtete Dach sei zulässig. Die Kl. sei nicht in einem nachbarschützenden Recht verletzt. Ein Schaden sei ihr nicht entstanden, da die Verwirklichung einer abweichenden Dachform auf einem Nachbargrundstück für den Grundstücksverkehr unerheblich sei. Die Kl. mache eigentlich ein „Schmerzensgeld“ geltend.
Das LG München I wies die Klage durch Endurteil vom 17.11.2003 mit der Begründung ab, ein Schadenersatzanspruch gegen die Bekl. scheitere jedenfalls an § 839 III BGB. Die Kl. hätte einen Verpflichtungswiderspruch bei der Bekl. einlegen und gegebenenfalls beim Verwaltungsgericht eine Verpflichtungsklage auf Erlass einer Beseitigungsanordnung gegenüber W. erheben müssen.
Mit der Berufung verfolgt die Kl. ihr Begehren weiter.
Die Kl. bringt vor, die Begründung des Bebauungsplanes sei missglückt. In Wirklichkeit sei es um die Rechtfertigung des Architektenentwurfs der Neuen Heimat gegangen. Wer ein Haus im Bereich eines Bebauungsplanes erwerbe, unterwerfe sich den dort geltenden Regelungen. Darauf dürften sich die Nachbarn verlassen.
Die Duldung des Vorhabens von W. berühre die Grundzüge der Planung i.S. von § 31 II BauGB.
Die Kl. ist der Auffassung, dass sich der nachbarschützende Charakter der Festsetzung Flachdach im Bebauungsplan aus § 31 II BauGB in Verbindung mit Art. 14 GG ergibt (Einzelheiten im Schriftsatz vom 28.04.2004 Bl. 130 ff d. A.).
Ihr Anspruch sei nicht nach § 839 I S. 2 beziehungsweise § 839 III BGB ausgeschlossen.
Zwar handele der Bauherr bei der Verwirklichung eines Bauvorhabens im Rahmen des Baufreistellungsverfahrens grundsätzlich auf eigenes Risiko. Aufgrund der Auskunft des Herrn D. habe sich W. jedoch darauf verlassen dürfen, dass er bauen dürfe. Die mit der Genehmigungsfreistellung verbundene Auskunft trete an Stelle der Baugenehmigung. Sie schaffe denselben Vertrauenstatbestand. W. treffe kein Mitverschulden.
Angesichts des Alters von W., dessen Gesundheitszustandes und der Tatsache, dass er von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt sei, würde ihn bereits eine Klageerhebung mit dem Ziel der Demontage seines Daches schwer treffen. Eine Beseitigungsklage würde als unerträgliche Störung des sozialen Friedens auf die Kl. selbst zurückfallen.
Die schädigende Amtshandlung liege in der Genehmigungsfreistellung verbunden mit der Auskunft an W.. Die Verpflichtungsklage auf Beseitigung des Bauwerks richte sich nicht hiergegen und ziele auf die Beseitigung der Folgen der Amtspflichtverletzung, nicht aber auf die Abwendung des Schadens.
Der Nachbar habe nach Art. 82 BayBO nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, aber keinen Anspruch auf Einschreiten der Behörde. Dies sei zwar in Hinsicht auf Art. 14 GG bedenklich, aber bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer Klageerhebung zu berücksichtigen.
Eines Schutzes der Baubehörde nach § 839 III BGB bedürfe es nicht, da sie die Beseitigung eines rechtswidrigen Bauwerks nach Art. 62 BayBO anordnen könne. Die Bekl. hafte entweder ihr oder dem Bauherrn. Insofern fehle ihr das Rechtsschutzinteresse.
Auch der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel der Baueinstellung stelle kein geeignetes Rechtsmittel i.S. von § 839 III BGB dar. Der Antrag auf Baueinstellung richte sich nicht gegen die schadenstiftende Handlung der Bauordnungsbehörde, sondern gegen das Handeln des Bauherrn selbst.
Der Antrag hätte zudem wegen der dem Bauherrn drohenden Schäden keine Erfolgsaussichten gehabt. Außerdem habe der Kl. die notwendige Informationsgrundlage gefehlt.
Die Kl. beantragt:
Das Urteil des LG München I vom 17.11.2003 (Az.: 9 O 17387/039 wird aufgehoben.
Die Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 20.000,-- EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Bekl. beantragt die Zurückweisung der Berufung
Sie ist der Auffassung, die Festsetzung „Flachdach“ aus städtebaulichen oder ästhetischen Gründen sei nicht nachbarschützend. Eine Ausnahme gelte nur, wenn über eine derartige Festsetzung die erdrückende Wirkung einer nachbarlichen Bebauung verhindert werden solle
Die Interessen der Kl. würden durch das Abstandsflächenrecht und die Vorgaben zur baulichen Nutzung gewahrt. Sie habe aber keinen Anspruch auf eine Konservierung des städtebaulichen Bilds des Wohngebiets.
Das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt, da die Abstandsflächen gewahrt würden und die freie Aussicht nur in Ausnahmefällen, jedenfalls aber nicht im städtischen Verdichtungsbereich geschützt werde.
Die Mitarbeiter der Bekl. treffe jedenfalls kein Verschulden.
Das Vorbringen der Kl. zur Minderung des Verkehrwerts ihres Anwesens durch die Errichtung des Daches auf dem Nachbarhaus sei unsubstantiiert. Sie habe nicht einmal den angeblichen Anfangswert ihres Anwesens angegeben.
Die Begründung, mit der die Kl. ein Vorgehen gegen W. ablehne, lasse sich weder mit § 839 III BGB noch mit § 254 BGB vereinbaren und sei nach § 242 BGB treuwidrig.
Eine Baueinstellung sei zwischen dem 21.03.2003 und dem Abschluss der Baumaßnahme Anfang April 2003 jederzeit möglich gewesen. Die Kl. hätte einen Antrag auf einstweilige Anordnung stellen können.
Eine mit der Berufungsbegründung erhobene Widerklage auf Feststellung, dass der Kl. auch kein über die Klageforderung von 20.000,-- EUR hinausgehender Betrag zustehe, erklärten die Parteien im Termin vom 06.05.2004 für erledigt.
Bezüglich des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird im übrigen verwiesen auf die Schriftsätze der Kl. vom 19.03.2004 (Bl. 68/116 d. A.) und vom 28.04.2004 (Bl. 130/157 d. A.) sowie der Bekl. vom 19.04.2004 (Bl. 116/129 d. A.).
Im Termin vom 06.05.2004 hat der Senat unter anderem die von den Parteien vorgelegten Fotos der betroffenen Anwesen und der Umgebung in Augenschein genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Kl. ist nicht begründet. Ihr steht gegen die Bekl. kein Schadenersatzanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zu.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die verwaltungsrechtliche Verpflichtungsklage nach Abschluss der Bauarbeiten noch ein Rechtsmittel i.S. von § 839 III BGB darstellt.
Der Senat vermag nicht festzustellen, dass W. gegen die Festsetzung „FD“ (Flachdach) im Bebauungsplan verstoßen hat. Diese Festsetzung ist zudem nicht nachbarschützend.
Wenn man sich der Auffassung des Senats nicht anschließt, hätte ein Antrag nach § 123 VwGO gerichtet auf eine Einstellung des Baus Erfolg haben müssen. Dies führt zu einem Anspruchsausschluss nach § 839 III BGB.
1) Entgegen der Behauptung der Kl. steht nicht fest, dass der Bebauungsplan der Bekl. nur Dächer mit einer Neigung von null Grad zulässt und Ziegeldächer mit einer Neigung von 15 Grad ausschließt.
Es gibt, soweit für den Senat ersichtlich ist, weder eine allgemeine baurechtliche Definition des Flachdachs, noch erschließt sich diese aus der Kommentarliteratur. Die Frage wurde mit den Parteien im Termin vom 06.05.2004 erörtert, ohne dass von deren Seite substanzielle Ausführungen erfolgten. Eine Recherche im Internet zeigt aus bautechnischer beziehungsweise architektonischer Sicht die unterschiedlichsten Abgrenzungen, wobei als Maximalneigung des Dachs zwischen 5 und 22 Grad angegeben wurden, worauf der Senat ebenfalls hingewiesen hat. Unterschiedliche Meinungen existieren dazu, ob Flachdächer flächige Abdichtungen (zum Beispiel mit geschlossenen Nähten und Stößen) voraussetzen oder auch ein Ziegeldach hierunter fallen kann. Aus der Zeit des Entwurfs des Bebauungsplans stammt folgende knappe Definition aus Meyers Enzyklopädischem Lexikon von 1973: „Dach, dessen Neigung geringer als 25° ist“.
Der Bebauungsplan des Jahres 1976 enthält keinen Hinweis darauf, von welcher Definition des Flachdachs er ausgeht. Die Argumentation der Kl. in der Klageschrift, aus der fehlenden Festsetzung eines maximalen Neigungswinkel sei auf einen intendierten Winkel von Null Grad zu schließen, setzt gerade ihre Definition des Flachdachs voraus und hat daher keinerlei Beweiswert.
An anderer Stelle schließt die Kl. aus der Verwirklichung der gesamten Bebauung durch einen Bauträger, dass es um die Festlegung des von dessen Architekten geplanten beziehungsweise verwirklichten Zustands geht (vgl. ihre Ausführungen auf S. 7 ff ihres Schriftsatzes vom 28.04.2004).
Diese Betrachtungsweise ist jedoch keineswegs zwingend, vielmehr widerspricht ihr die Begründung des Bebauungsplans, die nicht auf den Erhalt eines geschlossenen Bildes der Siedlung (quasi i.S. eines vorweggenommenen Denkmalschutzes für vorbildliche Architektur), sondern auf die Gewährleistung eines städtebaulichen Übergangs zwischen der Hochhausbebauung im Süden und den Einfamilienhausgebieten im Norden abstellt. Eine Auslegung gegen den Wortlaut ist nach der Auffassung des Senats nicht möglich. Wenn es der Bekl. im Jahr 1976 um den Erhalt der konkreten Gestalt der Siedlung oder gar einzelner Häuser gegangen wäre, hätte nach § 9 II BBauG (beziehungsweise 9 III nach der BBauG-Novelle 1976) die Möglichkeit bestanden, auf Grund Landesrechts – nach § 1 der VO vom 22.06.1961 GVBl. S. 161 - weitergehende Festsetzungen über die äußere Gestaltung der Häuser zu treffen. Diese fehlen jedoch, obwohl die vorgelegten Fotos zeigen, dass die Farbgebung des Hauses von W. (und nebenbei auch dessen Eingangstür) eher einen Fremdkörper in der Umgebung bildet als das dunkle, relativ niedrige Dach.
Vor diesem Hintergrund erscheint die von den Mitarbeitern der Bekl. gegenüber W. vertretene Auffassung, ein Ziegeldach mit einer Neigung von 15 Grad sei im Bereich des Bebauungsplanes (mangels näherer gestalterischer Vorgaben) zulässig, unter Berücksichtigung der dem Bauherrn durch Art. 14 GG gewährleisteten Baufreiheit zutreffend.
2) Die aus städtbaulich-gestalterischen Gründen erfolgte Festsetzung von Flachdächern im Bereich des Bebauungsplans wirkt nicht nachbarschützend.
a) Die grundsätzlichen Bedenken der Kl. gegen die von der Rechtsprechung getroffene Abgrenzung zwischen drittschützenden und nicht drittschützenden Normen des Verwaltungs- und insbesondere des Baurechts teilt der Senat nicht. Die Ansicht der Kl., dass sich aus § 31 II BauGB wegen Art. 14 GG ergebe, alle Festsetzungen eines Bebauungsplan seien nachbarschützend, ohne dass den Baubehörden ein Ermessensspielraum zukomme, wird von der Rechtsprechung nicht geteilt. Dementsprechend wird ein allgemeiner Planbefolgungsanspruch abgelehnt (Schrödter/Schmaltz, 6. Aufl., § 31 BauGB Randnr. 66 m. w. N). Die von der Kl. für ihre Auffassung auf S. 2 ff ihres Schriftsatzes vom 28.04.2004 angeführte Begründung für ihre abweichende Auffassung ist keineswegs zwingend.
Unzutreffend ist die Berufung der Kl. auf den Gleichheitssatz. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Bekl. ihr gegenüber die Zustimmung zu einer maßvollen Veränderung der Dachkonstruktion verweigern würde. Wenn die Kl. dies aus ästhetischen oder bautechnischen Gründen nicht wünscht, so ist das ihre eigene, freie Entscheidung.
Die auf Art. 14 GG gestützte Argumentation der Kl. lässt außer Acht, dass sich ihr Nachbar W. ebenfalls auf dieses Grundrecht und zudem das der allgemeinen Handlungsfreiheit berufen kann. Wenn er sein Haus durch den Bau eines Daches vor den allgemein bekannten Nachteilen eines Flachdachs schützen will, wird dies die Baugenehmigungsbehörde mit Recht zu berücksichtigen haben.
Nach der Vorstellung der Kl. unterwerfen sich alle Erwerber eines gebrauchten Hauses im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes dessen gesamten Festsetzungen mit Verpflichtungswirkung gegenüber ihren Nachbarn – und zwar nach ihrer Argumentation, dass es um das Gesamtbild der Siedlung geht, im konkreten Fall gegenüber allen achtundsechzig. W. aber ist weder in eine Genossenschaft, eine Wohnungseigentümergemeinschaft noch einen Verein eingetreten und hat mit seinen Nachbarn keinen gegenseitigen Vertrag über gemeinsamen Ensembleschutz abgeschlossen. Wer ein Einfamilienhaus erwirbt, macht dies im Regelfall, weil er „sein eigener Herr“ sein will.
b) Die Festsetzung „FD“ hat, wie sich aus der Begründung des Bebauungsplans ergibt, eine städtebaulich-gestalterische Motivation, nämlich einen Übergang von N. nach T. zu schaffen.
Die Gemeinde entscheidet im Rahmen der planerischen Abwägung, ob sie Festsetzungen des Bebauungsplanes auch zum Schutze Dritter trifft (Schrödter/Schmaltz, 6. Aufl., § 30 BauGB Randnr. 28 m.w. Nachw.), wobei sie allerdings an höherrangiges Recht und die Vorgaben der BauNVO gebunden ist. Die Festsetzung „Flachdach“ beruht jedoch nicht auf Bundes-, sondern auf Landesrecht. Eine Festlegung der Dachform ermöglichten weder die Festsetzungen von Art und Maß der baulichen Nutzung noch die der Bauweise nach § 9 I BBauG in Verbindung mit der BauNVO (vgl. die bei Schütz/Frohberg, 3. Aufl. 1970, § 9 BBauG S.78/79 und Schlichter/Stich/Tittel, 3. Aufl. 1979, § 9 BauGB Randnr. 5/6 angeführten Regelungsmöglichkeiten). Das ist heute nicht anders, da § 9 BauGB insoweit keine Änderung enthält (BVerwG NVwZ 2000, 1169; zum Flachdach ausdrücklich OVG Münster bei juris, Beschluss vom 03.09.1993, Az. 11 B 1789/93).
Gestalterische Vorschriften sind nur im Ausnahmefall nachbarschützend, wenn der Nachbar durch das verunstaltend wirkende Bauvorhaben besonders hart betroffen ist, da sie grundsätzlich nur öffentlichen Interessen dienen (VGH Mannheim NuR 1992, 233 m.w. Nachw.; OVG Münster a. a. O.; Stuer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts 1998, Randnr. 2305).
Eine derartige besondere Betroffenheit liegt nicht vor. Gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt das Bauvorhaben von W. nicht. Vorhaben, die die landesrechtlichen Abstandsvorschriften einhalten, sind regelmäßig nicht als rücksichtslos anzusehen. Ein Recht auf eine bestimmte Aussicht lässt sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme nicht ableiten. Eine erdrückende Wirkung des niedrigen Daches von W. auf das Grundstück der Kl. zeigen die vorgelegten Fotos nicht, wobei insbesondere auf die von der Bekl. im Termin vom 06.05.2004 übergebenen Lichtbilder verwiesen wird, die nicht wie manche Fotos der Kl. durch die Verwendung eines Teleobjektivs (KB 3.3 oben) beziehungsweise der Froschperspektive (KB 3.2 oben) beeinflusst sind. Unpassend wirkt, worauf der Beklagtenvertreter im Termin zu Recht hingewiesen hat, der von W. für die Fassade gewählte Farbton. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie die Bekl. hiergegen hätte einschreiten können. Das Eigentumsrecht lässt auch dem anderen, im Einzelfall vielleicht schlechteren Geschmack einen erheblichen Spielraum. Dies ist ein Grundproblem des Begehrens der Kl., dem der Senat außerrechtlich betrachtet nicht ohne Sympathie gegenübersteht.
3) Wenn man unterstellt, dass die Auffassung des Senats zur Auslegung des Begriffs Flachdach und zum drittschützenden Charakter dieser Festsetzung nicht zutrifft, wäre ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 III BGB ausgeschlossen, da die Kl. nicht versucht hat, im Wege der einstweiligen Anordnung eine Baueinstellung zu erreichen.
In den baurechtlichen Kommentaren wird bei der im vorliegenden Fall gegebenen Sachlage der Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 123 VwGO, gerichtet auf eine Untersagung beziehungsweise Einstellung des Baus, als das geeignete Rechtsmittel des Nachbarn angesehen (Mang/Busse/Taft, Art. 64 BayBO Randnr. 29; Battis/Löhr, 8. Aufl., § 31 BauGB Randnr. 99 m.w. Nachw.; Kopp/Schenke, 13. Aufl., § 123 VwGO Randnr. 4 m. w. N).
Die Differenzierung der Kl. zwischen der schadenstiftenden Handlung der Bekl. und dem Handeln des Bauherrn überzeugt für die Situation am 24.03.2003 nicht. Die schadenstiftende Handlung der Bekl. stellte zu diesem Zeitpunkt deren Weigerung gegenüber der Kl. dar, gegen das Bauvorhaben „tätig zu werden“ (vgl. ihr Schreiben Anlage KB 1), der nach Mang/Busse/Taft, Art 64 BayBauO Randnr. 29) der Charakter eines Verwaltungsakts zukommt, während es zuvor an einer Entscheidung gegenüber der Kl. fehlte (a. a. O. Randnr. 28). Hiergegen konnte die Kl. wegen der Eilbedürftigkeit mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorgehen.
Das Vorbringen der Kl., insbesondere der behauptete Verstoß des Bauvorhabens gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes, ist zusammengefasst bereits in ihrem Schreiben vom 24.03.2003 enthalten. Die Kl. ist Rechtsanwältin und hätte einen entsprechenden Schriftsatz innerhalb kurzer Zeit selbst verfassen können.
Wenn nachbarschützende Normen missachtet und die nachbarlichen Belange mehr als nur geringfügig berührt wurden, hätte das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen müssen, da als Kompensation für den Wegfall des die Belange des Nachbarn sichernden Baugenehmigungsverfahrens grundsätzlich ein Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Baubehörde durch Erlass einer Baueinstellung besteht (Kopp/Schenke, 13. Aufl., § 123 VwGO Randnr. 12 und 28 mit umfangreichen weiteren Nachweisen; Battis/Löhr, 8. Aufl., § 31 BauGB Randnr. 99 m.w. Nachw.).
Es mag sein, dass der Antrag unter Zugrundelegung der oben dargelegten Rechtsauffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Wenn sich die Kl. hierauf beruft, setzt sie sich aber in Widerspruch zu ihrer eigenen Argumentation. Falls sie den behaupteten Anspruch auf ein Einschreiten der Bekl. gegenüber W. gehabt hätte, hätte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Erfolg haben müssen. Falls nicht, kommt es auf § 839 III BGB nicht an.
Dass mit einem gerichtlichen Vorgehen gegen das Bauvorhaben von W. das Verhältnis zu diesem gestört worden wäre, machte die Ergreifung des Rechtswegs für die Kl. nicht unzumutbar. Das aus ihrer Sicht störende Verhalten ging von ihm aus. Es ist nicht vorrangige Aufgabe der Bekl., nachbarliche Interessenkonflikte durch Geldzahlungen zu bereinigen. Im Falle eines normalen Baugenehmigungsverfahrens hätte die Kl. ohne Rücksicht auf atmosphärische Störungen einen Widerspruch einlegen und gegebenenfalls Anfechtungsklage erheben müssen. Für eine andere Bewertung der Interessenlage im vorliegenden Fall besteht kein Anlass.
4) Im übrigen sind die Überlegungen der Kl. zum behaupteten Schaden äußerst zweifelhaft. Eine größere Freiheit des Eigentümers in seiner Gestaltungsfreiheit (die, wie bereits ausgeführt, nicht einseitig W. betrifft) wirkt für einen Erwerber eher werterhöhend, wenn nicht, wie beim Denkmalschutz, der Reglementierung finanzielle Vorteile gegenüberstehen. Die Erwägungen der Kl. gelten nur für die Personen, die eine minimalistische Flachdacharchitektur und das Wohnen unter strengen Gestaltungsvorgaben schätzen. Hierbei dürfte es sich jedoch um eine Minderheit aller Erwerber von Eigenheimen handeln.
Ein enteignungsgleicher Eingriff der Bekl. kommt aus den angeführten Gründen ebenfalls nicht in Betracht. § 839 III BGB ist zwar nicht anwendbar, doch gelten seine Grundsätze über § 254 BGB entsprechend (BGHZ 110, 12). Zweifelhaft ist zudem, ob im Nichteinschreiten gegen ein nach Art. 64 BayBO verwirklichtes Bauvorhaben ein unmittelbarer Eingriff der Bekl. in das Eigentum der Kl. gesehen werden kann.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 97 I, 91 a I ZPO. Die Kl. brachte im Termin vom 17.11.2003 vor dem LG vor, dass es sich bei ihrem Antrag um eine Teilklage handele, gerichtet auf Zahlung eines Teilbetrages des Schadens, welcher ihr an ihrem Miteigentumsanteil an dem verfahrensgegenständlichen Grundstück durch Wertminderung dieses Miteigentumsanteils entstanden sei. Die Berufungsbegründung vom 19.03.2004 enthält hierzu keine Einschränkung, so dass weiterhin von einer Teilklage auszugehen war. Damit war die Widerklage zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung zulässig und begründet.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Wert der Beschwer übersteigt 20.000,-- EUR nicht (§ 26 Nr. 8 EGZPO).
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH (§ 543 II S. 1 ZPO).
Kreitmair S. N.
Vorsitzende Richterin Richter Richter
am OLG
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