Abwehranspruch gegen ästhetische Störungen
Gericht
AG Münster
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
10. 05. 1983
Aktenzeichen
29 C 80/83
Die Vorschrift des § 1004 I BGB muß heute im Lichte eines geänderten und verfeinerten Umweltbewußtseins gesehen werden. Folglich können vom Nachbargrundstück ausgehende, gegen das ästhetische Empfinden des Nachbarn verstoßende Zustände mit dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB unterbunden werden.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Hausgrundstücke. In der Vergangenheit ist es zwischen den Parteien bereits wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten und Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Grundstücksgrenze und der Beachtung nachbarrechtlicher Vorschriften gekommen. Unter anderem begehrte der Kl. von den Bekl. die Beseitigung einer auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze verlegten Reihe von Gartenplatten, weil diese ca. 5 cm auf das Grundstück des Kl. überragten. Die Bekl. entfernten diese Platten von der Grundstücksgrenze und ließen sie auf ihrem Grundstück hart an der Grenze zum Grundstück des Kl. liegen. Weiterhin stellten sie eine blaue Regentonne, einen weißen und einen schwarzen Eimer, zerbrochene Gehwegplatten, Ziegelsteine und Betonsteine an der Grundstücksgrenze ab und errichteten unmittelbar dahinter einen Palisadenzaun, so daß die genannten Gegenstände nur noch von der Grundstücksseite des Kl. aus zu sehen sind. Der Kl. verlangt von den Bekl. die Beseitigung dieser Gegenstände.
Das AG hat der Klage stattgegeben.
Auszüge aus den Gründen:
... Fraglich ist allerdings, ob § 1004 I BGB im vorliegenden Falle überhaupt anwendbar ist. Da die Bekl. die Behauptung des Kl., Ratten und Ungeziefer würden durch die von den Bekl. hinterlassenen Gegenstände angezogen, bestritten haben, und der Kl. diesbezüglich keinen Beweis angetreten hat, war ein Anspruch gem. § 1004 BGB nur dann zu bejahen, wenn unter diese Vorschrift auch immaterielle Störungen wie z. B. Störungen des ästhetischen Empfindens zu subsumieren sind. Nach der nahezu einheiligen Meinung in der Rechtsliteratur ist § 1004 BGB auch auf immaterielle Beeinträchtigungen anzuwenden (Palandt-Bassenge, BGB, § 1004 Anm. 2 a; Soergel-Mühl, BGB, § 1004 Rdnr. 8; Erman, BGB, 7. Aufl., § 1004 Rdnr. 13; Baur, SachenR, § 25 IV 2b, cc; ders., JZ 1969, 432; Wolff-Raiser, SachenR, § 53 I; Forkel, Immissionsschutz, S. 35 ff.; Grunsky, JurA 1970, 412 ff.; JZ 1970, 785). Zu Recht wird von den Literaturmeinungen darauf hingewiesen, daß kein zwingender Grund besteht, den negatorischen Schutz aus § 1004 BGB auf körperliche Einwendungen zu beschränken. Zumal im Hinblick auf die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes sei es nicht gerechtfertigt, den das Eigentum beeinträchtigenden Charakter ideeller Immissionen, wie z. B. die Darbietung eines häßlichen oder abstoßenden Anblicks, schlechthin zu verneinen. Für diese Auslegung des § 1004 BGB spricht zunächst schon der Wortlaut dieser Vorschrift, da darin ausdrücklich keinerlei Beschränkung auf materielle Beeinträchtigungen zu erkennen ist. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1004 I BGB, daß der Gesetzgeber zunächst einmal alle Beeinträchtigungen außer der ausdrücklich erwähnten Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes als mit dem Beseitigungsanspruch verfolgbar erachtet hat. Im übrigen muß auch die Vorschrift des § 1004 I BGB heute im Lichte eines geänderten und verfeinerten Umweltbewußtseins gesehen werden. Unter diesem Aspekt wäre es kaum vertretbar, immaterielle Belästigungen nicht als von dieser Vorschrift umfaßt anzusehen.
Unter diesem Aspekt muß auch die entgegenstehende Entscheidung des BGH vom 15. 11. 1974 (BGH, NJW 1975, 170) gesehen werden. Zwar hat der BGH in diesem und auch in zwei vorangegangenen Urteilen (BGHZ 51, 396 = NJW 1969, 1208; BGHZ 54, 56 = NJW 1970, 1541) die Frage, ob vom Nachbargrundstück ausgehende, gegen das ästhetische Empfinden des Nachbarn verstoßende Zustände mit dem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB unterbunden werden können, verneint. Allerdings liegt auch die letzte Entscheidung des BGH zu dieser Frage bereits rund 8 1/2 Jahre zurück, so daß nicht auszuschließen ist, daß sich unter dem Aspekt des geänderten Umweltbewußtseins auch der BGH heute der einhelligen Literaturmeinung anschließen würde. Im übrigen hat auch der BGH in seinen obengenannten Entscheidungen ausdrücklich die Möglichkeit offengelassen, ob nicht in besonders krassen Fällen § 1004 I BGB dennoch anwendbar sein solle. Insbesondere hat der BGH diese Frage inzidenter für diejenigen Fälle bejaht, in denen eine gezielt gegen den jeweiligen Kl. gerichtete Aktion gegeben sei. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt müßte im vorliegenden Falle auch der BGH einen Anspruch aus § 1004 BGB gewähren. Nach dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien und insbesondere unter Berücksichtigung der von ihnen vorgelegten Lichtbilder betreffend den früheren und den heutigen Zustand an der Grundstücksgrenze kann nur die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Hinterlassung der zerbrochenen Steine und Mülleimer eine Reaktion der Bekl. auf die Aufforderung des Kl., die Grundstücksgrenze haargenau einzuhalten, gewesen ist. Dies muß insbesondere deswegen angenommen werden, weil die Bekl. den Palisadenzaun, wie sich aus den Lichtbildern ergibt, ebenfalls erst nach Entfernung der die Grundstücksgrenze überragenden Platten errichtet haben. Die von den Bekl. hierzu abgegebene Begründung, die Eimer, Platten und Steine seien mehr oder weniger zufällig dort abgelegt worden, vermag angesichts dieses zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs kaum zu überzeugen. Letztlich aber kam es, wie bereits oben ausgeführt, auf diese Frage auch nicht an, da nach Auffassung des Gerichts bereits bei sachgerechter Auslegung des § 1004 BGB diese Vorschrift auch für nicht schikanöse Beeinträchtigungen Anwendung finden muß.
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