Abwehranspruch gegen ästhetische Störungen
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
15. 11. 1974
Aktenzeichen
V ZR 83/73
Vorgänge oder Zustände auf einem Grundstück, die gegen das ästhetische Empfinden des Nachbarn verstoßen, können nicht mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen nach den §§ 906, 1004 BGB unterbunden werden. Ob das ausnahmslos, auch in besonders krassen Fällen gilt, bleibt mangels eines entsprechenden Sachverhalts unentschieden.
Auszüge aus den Gründen:
Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Die Kläger könnten einen Anspruch nach §§ 1004, 906 BGB auf Beseitigung der vom Beklagten im Grenzbereich vor den Garagen angebrachten Eisenstangen und Bleche nicht geltend machen. Zwar sei in tatsächlicher Hinsicht nicht zu verkennen, daß die vom Beklagten errichtete Wand aus Eisenstangen und Blechen den Gesamteindruck insbesondere des Grundstücks und Hauses der Kläger nicht unerheblich beeinträchtige, zumal es sich um ein reines Wohngebiet handele. Soweit die Kläger als Nachbarn durch den Anblick in ihrem ästhetischen Empfinden beeinträchtigt seien, handele es sich aber nicht um eine „ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkung“ im Sinne des § 906 BGB. Denn bloße ideelle oder immaterielle Immissionen, wozu auch ästhetische Beeinträchtigungen zu rechnen seien, würden von § 906 BGB nicht erfaßt. Die Kläger könnten auch nicht Beseitigung unter dem Gesichtspunkt der Schikane fordern. Die Eisenstangen und Bleche stellten die nach der Örtlichkeit notwendige Abstützung der Garagenrampe auf dem Grundstück des Beklagten dar. Bei dieser Sachlage lasse sich nicht ohne weiteres feststellen, daß der Beklagte die Eisenstangen und die Bleche dort nur angebracht habe, um die Kläger zu schädigen.
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Senat hat in seinen in BGHZ 61, 396 = NJW 1969, 1208 und BGHZ 54, 56 = NJW 1970, 1541 veröffentlichten Entscheidungen die Frage erörtert, ob Vorgänge oder Zustände auf einem Grundstück, die - vom Nachbargrundstück aus optisch wahrnehmbar - gegen das ästhetische Empfinden des Nachbarn verstoßen, schon aus diesem Grund auch mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen nach § 1004 BGB unterbunden werden können. Der Senat hat sich insoweit an § 906 BGB orientiert und die erwähnte Frage verneint. Diese Ansieht ist auf Widerspruch gestoßen (vgl. insbesondere Erman, BGB, 5. Aufl., § 1004 Rdnr. 11; Palandt, BGB, 33. Aufl., § 906 Anm. 2 a und § 1004 Anm, 2 d m. Nachw., sowie Grunsky, JZ 1970, 785 ff.). Auch die Gegner der vom BGH vertretenen Auffassung meinen allerdings, man sollte nur anerkennen, daß regelungsbedürftige Fallgestaltungen denkbar seien, es gehe nicht etwa darum, jeden häßlichen Anblick abwehren zu können (s. Grunsky, aaO, S. 786). Einer grundsätzlichen Auseinandersetzung darüber, ob die vorgenannte Auffassung des Senats ausnahmslos, auch in besonders krassen Fällen, gilt, bedarf es hier aber nicht. Denn ein solcher Sachverhalt ist den Feststellungen des Tatrichters, die sich auch auf die vorgelegten Lichtbilder gründen, nicht zu entnehmen. Der vorliegende Fall, in dem es sich um eine der Sache nach notwendige, nach dem Klagevortrag aber zum Charakter des Wohngebiets nicht passende Abstützung mit einigen Stangen und Blechen handelt, gibt jedenfalls trotz der von der Revision vorgetragenen Bedenken keine Veranlassung, den in den zitierten Entscheidungen dargelegten Rechtsgrundsatz außer Anwendung zu lassen. Hier bleibt die Überlegung ausschlaggebend, daß die Anwendung der genannten Bestimmungen auf die Beeinträchtigung des ästhetischen Empfindens zu einer uferlosen und damit unvertretbaren Ausweitung führen würde (vgl. BGHZ 51, 396 = NJW 1969, 1208).
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung kommt es entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht nicht darauf an, ob der Beklagte ein schutzwürdiges Interesse besitzt, sein Grundstück gerade durch die von den Klägern als störend empfundenen Bleche zu schützen. Daß „hier eine gezielt gegen die Kläger gerichtete Aktion“ vorliegt (vgl. BGHZ 54, 61 = NJW 1970, 1541), hat der Tatrichter nicht. festgestellt. Er hat auch sonst keine Tatsachen festgestellt, aus denen ein Mißbrauch der Rechtsstellung des Beklagten abzuleiten wäre. Schließlich geht der Vorwurf der Revision ins Leere, der Berufungsrichter habe übersehen, daß die aus Eisenstangen und Blechen errichtete Wand auch eine „Gefahrenquelle ersten Ranges“ darstelle, weil es „nur eine Frage der Zeit sei“, daß die Bleche rostig und scharfkantig würden. Die Revision gibt nicht an, daß die Kläger dies in der Tatsacheninstanz vorgetragen hätten; sie übersieht zudem, daß der Beklagte die Bleche, sobald sie rostig und scharfkantig werden, durch neue ersetzen und damit seiner Verkehrssicherungspflicht genügen kann.
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