Zum Rechtsbegriff sogenannter ideeller Immissionen

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

07. 03. 1969


Aktenzeichen

V ZR 169/65


Leitsatz des Gerichts

Bietet ein Grundstück einen das ästhetische Empfinden des Nachbarn verletzenden Anblick (hier: Lagerplatz für Baumaterialien und Baugeräte in einer Wohngegend), so ist dies nicht ohne weiteres als „ähnliche von einem ändern Grundstück ausgehende Einwirkung“ im Sinne des § 906 BGB anzusehen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. … 2. Das Berufungsgericht führt zur Frage anderer als der durch Lärm verursachten Belästigungen aus, die Klägerin könne lediglich vom Grundstück des Beklagten ausgehende und auf ihrem Grundstück wahrnehmbare Einwirkungen abwehren; von den lagernden Materialien und Geräten gingen aber keine die Klägerin oder ihr Grundstück beeinträchtigenden Einwirkungen aus. Das störende Bild, das der Lagerplatz biete, sei zwar auch infolge physikalischer Vorgänge auf dem Grundstück der Klägerin wahrnehmbar. Dies berühre aber allenfalls ihr seelisches und ästhetisches Empfinden. Nach der Rechtsprechung des RG und der überwiegenden Meinung im Schrifttum könne darin aber keine Einwirkung im Sinne des § 906 BGB gesehen werden.

Das Berufungsgericht verneint auch das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 907, 823 und 826, 226 BGB.

II. Die Revision wendet sich in erster Linie gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß § 906 BGB keinen Schutz gegen ideelle oder immaterielle Einwirkungen biete. Diese Meinung werde in steigendem Maße angegriffen; auf dem Gebiet des Enteignungsrechts sei auch seit langem anerkannt, daß auch derartige Einwirkungen einen zur Entschädigung verpflichtenden Eingriff in das Eigentum darstellten. Zu den entschädigungspflichtigen Enteignungsakten gehöre nach der neueren Entwicklung der Rechtsprechung auch der Vermögensverlust an einem Grundstück, der durch die „Umzonung“ oder „Herabzonung“ entstehe. Auch die Umwandlung eines „Wohngebiets“ in ein „Gewerbegebiet“ könne sich danach als Eingriff in das Eigentum darstellen. Es sei kein Grund ersichtlich, Handlungen einer Privatperson, die genauso wirkten wie jene enteignungsrechtlichen Eingriffe der öffentlichen Hand, abweichend zu würdigen. Wer in einem reinen Wohngebiet ein Einfamilienhaus errichte, dürfe darauf vertrauen, daß der Charakter dieses Gebiets erhalten bleibe und daß er entschädigt werde, wenn dies nicht der Fall sei. Wenn „ideelle Einwirkungen“ zur Folge hätten, daß der Wert des Nachbargrundstücks erheblich vermindert werde, müsse man auch im sachenrechtlichen Sinne eine unzulässige „Einwirkung“ auf das Eigentum bejahen. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben, denn der Wert des Grundstücks der Klägerin werde dadurch erheblich beeinträchtigt, daß das Nachbargrundstück nicht zu Wohnzwecken, sondern als Lagerplatz genutzt werde.

Die Ansprüche der Klägerin seien aber auch aus § 823 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, denn das Verhalten des Beklagten sei schuldhaft.

Zu Unrecht habe das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 826 BGB verneint; der Beklagte sei offensichtlich entschlossen, auch weiterhin gegen das rechtskräftige Urteil des LG L. zu verstoßen, um die Klägerin hierdurch zu zermürben und zu veranlassen, ihren Widerstand aufzugeben. Hierzu habe die Klägerin Beweis angetreten, der vom Berufungsgericht zu Unrecht nicht erhoben worden sei.

III. Das Berufungsurteil hält diesen Angriffen der Revision stand.

Die Begrenzung der in § 906 BGB genannten Einwirkungen ist aus den vom Gesetz angeführten Beispielen und aus der Formulierung „ähnliche Einwirkungen“ zu entnehmen (BGB-BGRK, 11. Aufl., § 906 Anm. 2). Danach sind unter Einwirkungen zunächst nur sinnlich wahrnehmbare, wenn auch unwägbare Einwirkungen zu verstehen, die entweder auf das Grundstück und die dort befindlichen Sachen schädigend einwirken oder auf dem Grundstück sich aufhaltende Personen derart belästigen, daß ihr gesundheitliches Wohlbefinden gestört oder ein körperliches Unbehagen bei ihnen hervorgerufen wird (RGZ 76, 130, 131/132; BGB-RGRK, aaO § 906 Anm. 2 a und c). Von diesem Begriff der Einwirkung ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat sich der ständigen Rechtsprechung des RG (RGZ 50, 225, 228; 57, 239, 240; 76, 130, 131/132) und der überwiegenden Auffassung des Schrifttums (Staudinger-Seufert, BGB, 11. Aufl., § 906 Rdnr. 12; BGB-RGRK, aaO; Planck-Strecker, BGB, 5. Aufl., § 906 Anm. 3; Meisner-Stern-Hodes, Nachbarrecht, 4. Aufl., § 38 I 1 d; grundsätzlich auch Erman, 4. Aufl., § 906 Anm. 3, und Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., § 36 I 1 a) angeschlossen, wonach sog. ideelle oder immaterielle Immissionen, als welche die Darbietung eines häßlichen oder abstoßenden Anblicks bezeichnet wird, keine Einwirkungen im Sinne des sachenrechtlichen § 906 BGB darstellen, dem BGB vielmehr fremd sind.

Hieran ist trotz der geäußerten Kritik (Heck, Sachenrecht, 1930, § 50 Nr. 7; Palandt, 28. Aufl., § 906 Anm. 2 a; Wolff-Raiser, 10. Bearbeitung, § 53 I a.E.; Soergel-Siebert, 10. Aufl., § 906 Rdnr. 19, siehe aber auch § 1004 Rdnr. 8; Weimar, MDR 58, 20/21 und für den Fall, daß durch die „ideelle Einwirkung“ die allgemeine Wertschätzung des Grundstücks leidet, auch Westermann, aaO und Erman, aaO) jedenfalls für Fälle der Verletzung lediglich des ästhetischen Empfindens festzuhalten.

1. Es mag dahingestellt bleiben, ob das Wort „ähnliche“ in § 906 BGB eine ausdehnende Anwendung dieser Bestimmung vorschreibt, wie Heck (aaO) meint; jedenfalls handelt es sich bei den genannten ideellen oder immateriellen Immissionen nicht um ähnliche Einwirkungen; denn sie wirken weder auf das Grundstück und die dort befindlichen Sachen ein noch erscheinen sie ihrem Wesen nach typischerweise geeignet, unmittelbar und, ohne daß sich der Betroffene dem entziehen kann, das gesundheitliche Wohlbefinden sich auf dem Grundstück aufhaltender Personen zu beeinträchtigen.

2. Eine Anwendung der genannten Bestimmung auf solche ideellen Einwirkungen würde zu einer uferlosen und damit unvertretbaren Ausweitung führen.

Die bisherige Rechtsprechung hatte sich im wesentlichen mit solchen Fällen zu befassen, in welchen der dargebotene Anblick als schamverletzend oder anstoßerregend empfunden wurde. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um einen nur das ästhetische Empfinden des Nachbarn verletzenden Anblick (vgl. auch OLG Celle, NJW 53, 388 und MDR 54, 241). Solche Auswirkungen muß der Nachbar hinnehmen. Sie stellen auch keine Beeinträchtigung des Grundrechts der Menschenwürde dar.

Für eine Wertminderung des Grundstücks der Klägerin durch den Lagerplatz des Beklagten, wie sie die Revision geltend macht, fehlen entsprechende Feststellungen des Berufungsgerichts sowie hinreichender Sachvortrag der Klägerin. Auch ihre Ausführungen, sie werde „nur dann zur Ruhe kommen, wenn die mißbräuchliche Zweckentfremdung des Gartengeländes auf dem Nachbargrundstück des Beklagten“ aufhöre, enthält nicht die Behauptung, daß der Verkehrswert des Grundstücks der Klägerin herabgesetzt sei. Wie im Falle einer Wertminderung zu entscheiden wäre, braucht daher nicht erörtert zu werden. Ebensowenig braucht bei dieser Sachlage auf die Ausführungen der Revision eingegangen zu werden, nach denen es im Enteignungsrecht seit langem anerkannt sei, daß auch ideelle Einwirkungen einen zur Entschädigung verpflichtenden Eingriff in das Eigentum darstellten und daß es bei Eingriffen Privater nicht anders sein könne.

IV. Das Berufungsgericht hat den Lagerplatz des Beklagten zu Recht nicht als eine Anlage angesehen, von der mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf das Grundstück der Klägerin zur Folge hat (§ 907 BGB). Eine solche Einwirkung ist nur dann mit Sicherheit zu erwarten, wenn sie die Folge des normalen Zustandes und ordnungsmäßiger Benutzung der Anlage ist (Staudinger-Seufert, aaO § 907 Rdnr. 12 b mit weiteren Nachweisen). Unter „ordnungsmäßiger Benutzung“ kann im vorliegenden Fall aber nur eine Benutzung im Rahmen der rechtskräftigen Entscheidung des LG L. verstanden werden. Bei einem Betrieb des Lagerplatzes innerhalb dieser Grenzen sind unzulässige Einwirkungen (§ 906 BGB) aber nicht zu erwarten. Dabei läßt es der Senat dahingestellt, ob ein derartiger Lagerplatz beweglicher Gegenstände überhaupt eine Anlage im Sinne des § 907 BGB darstellt.

V. Die Klage ist auch nicht aus unerlaubter Handlung begründet.

1. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB fehlt es, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, an einem Eingriff in ein absolutes Recht.

2. Unentschieden kann bleiben, ob es sich bei der PolizeiVO über die Abgrenzung der Bau- und Außengebiete sowie der einzelnen Bauklassen in der Gemeinde G. und dem Durchführungsplan Nr. 6 um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt, denn sowohl die genannte VO als auch der Durchführungsplan Nr. 6 richten sich lediglich gegen zukünftige Vorhaben und berühren nicht die Rechtmäßigkeit abgeschlossener und dem früheren Recht entsprechender Baumaßnahmen. Der Lagerplatz des Beklagten ist aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vor dem Inkrafttreten der genannten Vorschriften errichtet worden. Daß etwa der Umfang der Lagerung nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen wesentlich zugenommen hätte, ist nicht ersichtlich und wird von der Revision nicht geltend gemacht.

3. Eines Verstoßes gegen das Schikaneverbot des § 226 BGB bezichtigt auch die Revision den Beklagten nicht.

4. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch die Voraussetzungen des § 826 BGB verneint. Daß der Beklagte bei der im übrigen zulässigen Benutzung des Grundstücks als Lagerplatz den durch das Urteil des LG L. gesteckten Rahmen mehrfach überschritt, macht die Unterhaltung dieses Lagerplatzes noch nicht schlechthin zu einem Verstoß gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ (RGZ 48, 114, 124). Der Vortrag der Revision, daß sich der Beklagte von der Fortsetzung seiner Verstöße gegen das genannte Urteil des LG L. die Zermürbung der Klägerin erhoffe, findet in den Feststellungen des angefochtenen Urteils keine Stütze und ist deshalb unbeachtlich.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB § 906