netNite Rechte liegen nicht bei Fernsehsendung

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

08. 02. 2007


Aktenzeichen

29 U 3530/06


Leitsatz des Gerichts

  1. Die im Rahmen des § 945 ZPO bestehende Bindung an die Entscheidung des Vorgerichts hindert dasjenige Gericht, welches über den Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO zu entscheiden hat, nicht daran, diesen Schadensersatzanspruch deshalb zurückzuweisen, weil der Antragsgegner ohnehin materiellrechtlich verpflichtet gewesen war, die ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Handlung zu unterlassen.

  2. Dass eine solche materiellrechtliche Verpflichtung nicht gegenüber dem Antragsteller, sondern gegenüber einem Dritten besteht, führt zumindest dann zu einem Ausschluss des Schadensersatzanspruches nach § 945 ZPO, wenn es sich bei dem Dritten um die Konzernholding der Antragstellerin handelt und die Antragsgegnerin Kenntnis von den die materiellrechtliche Verpflichtung begründenden Umständen hatte.

  3. Eine Benutzungsunterbrechung, auf die sich der Inhaber des Werktitelrechts im Rahmen einer Vereinbarung freiwillig eingelassen hat, kann anders, als eine Unterbrechung, welche durch eine einstweilige Verfügung erzwungen worden ist, zum Untergang des Werktitelrechts führen.

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 09.05.2006 abgeändert und wie folgt gefasst:

    1. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

    2. Der Kläger hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen.

  2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Zwirlein
Vorsitzender Richter

Lehner
Dr. Kartzke
Richter

am Oberlandesgericht

Entscheidungsgründe

AUSZUG aus dem Protokoll vom 08. Februar 2007
29 U 3530/06


Das erlassene Urteil wird zu Protokoll begründet wie folgt:

1. Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

2. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht der vom Landgericht ausgeurteilte Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 14.801,40 € nebst Zinsen nicht nach § 945 ZPO zu.

a) Der Parteiwechsel, der darin besteht, dass der Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH an die Stelle dieser Insolvenzschuldnerin als Klagepartei getreten ist, ist zulässig.

b) Dem Kläger steht der vom Landgericht ausgeurteilte Schadensersatzanspruch nicht nach § 945 ZPO zu. Zwar ist der Schadensersatzrichter bei seiner Beurteilung, ob die Anordnung der einstweiligen Verfügung von Anfang an ungerechtfertigt im Sinne von § 945 Alt. 1 ZPO war, an eine Entscheidung der Hauptsache im Umfang von deren materieller Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) gebunden (vgl. BGHZ 122, 172, 175- Verfügungskosten), weshalb der Senat im Streitfall an das im Hauptsachverfahren ergangene Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 14.02.2003 - 6 U 67/02 (Anlage B 19) im Umfang von dessen materieller Rechtskraft gebunden ist. Auch in derartigen Fällen ist, wie das Landgericht im Ausgangpunkt zutreffend angenommen hat (UA S. 22), indes die Nachprüfung der materiellen Rechtslage unter dem Gesichtspunkt möglich, dass dem Betroffenen durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung kein nach § 945 ZPO zu ersetzender Schaden erwachsen sein kann, wenn er ohnehin materiell-rechtlich verpflichtet gewesen wäre, die ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Handlung zu unterlassen (vgl. BGHZ 126, 368, 374 f. - Fortsetzungsverbot). Im Streitfall stand der ... GmbH & Co. KG, der Muttergesellschaft der Beklagten (vgl. UA S. 3), zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung am 23.06.2000 (vgl. Anlage K 2) aufgrund der deutschen Wortmarke Nr. 30046907 "netnite" (Anlage B 15) ein Anspruch nach § 14 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 MarkenG gegen die Insolvenzschuldnerin dahingehend zu, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr die Bezeichnung "netnite" als Titel für eine Fernsehsendung zu verwenden; deshalb und wegen der Wort-/Bildmarke Nr. 30046850 "netnight" (Priorität: 23.06.2000; vgl. Anlage B 16) war die Klägerin ohnehin materiell-rechtlich verpflichtet, die durch die einstweilige Verfügung untersagten Handlungen zu unterlassen. Unerheblich ist insoweit, dass § 14 Abs. 5 MarkenG nur einen Anspruch (vgl. § 194 Abs. 1 BGB) normiert, den die ... seinerzeit nicht selbst geltend gemacht hat (vgl. BGHZ 126, 368, 374 f. - Fortsetzungsverbot). Denn bei dieser Gesellschaft handelt es sich im Verhältnis zur Beklagten nicht um einen beliebigen Dritten, sondern um die Konzernmuttergesellschaft, von deren Markeninhaberschaft die Insolvenzschuldnerin aufgrund der gerichtlichen Auseinandersetzungen Kenntnis erhalten hatte.

aa) Zwischen der genannten Wortmarke Nr. 30046907 "netnite" (Anlage B 15), die die Priorität vom 23.06.2000 hat (vgl. Anlage B 15; § 6 Abs. 2, § 33 Abs. 1 MarkenG) und dem Titel "Netnite", den die Insolvenzschuldnerin nach den von keiner Partei in Zweifel gezogenen Feststellungen im Urteil des Landgerichts München I vom 09.09.2003 – 33 O 19153/01, S. 4 (Anlage B 20, S. 4) im Sommer 2000 gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Beklagten für sich beansprucht hatte, besteht Verwechslungsgefahr. Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter umfassender Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. BGH GRUR 2006, 859, 860, Rdn. 16 - Malteser Kreuz). Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Zeichenähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft des prioritätsälteren Kennzeichens in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeiten der Zeichen oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft des prioritätsälteren Kennzeichens ausgeglichen werden kann und umgekehrt (vgl. BGH GRUR 2006, 859, 860, Rn. 16 - Malteser Kreuz). Im Hinblick darauf, dass die Wortmarke Nr. 30046907 "netnite" (Anlage B 15) u.a. für die Dienstleistung "Produktion und Sendung von Fernsehsendungen, insbesondere im Bereich Talk-, Informations- und Spieleshows zum Thema Computer und Internet" eingetragen ist, besteht zwischen dieser Marke und dem Titel "Netnite" bzw. "netNite", der von der Insolvenzschuldnerin für ein Fernsehmagazin betreffend Internet-relevante Themen benutzt wurde (vgl. UA S. 3), wenn nicht Dienstleistungsidentität, so jedenfalls Dienstleistungsähnlichkeit im hochgradigen Ähnlichkeitsbereich. Außerdem besteht zwischen dieser Wortmarke und dem Titel "Netnite" bzw. "netNite" jedenfalls unter dem Aspekt der klanglichen Verwechslungsgefahr Zeichenähnlichkeit im hochgradigen Ähnlichkeitsbereich, da die sich gegenüberstehenden Zeichen übereinstimmend ausgesprochen werden. Selbst wenn der Wortmarke Nr. 30046907 "netnite" (Anlage B 15) in Bezug auf die Dienstleistung "Produktion und Sendung von Fernsehsendungen" wegen beschreibender Anklänge nur eine unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zuerkannt wird (vgl. Schweyer in von Schultz, Markenrecht, § 14, Rdn. 129 m.w.N.), besteht im Hinblick auf die jedenfalls hochgradige Zeichenähnlichkeit und die jedenfalls hochgradige Dienstleistungsähnlichkeit zwischen der genannten Wortmarke einerseits und dem Titel "Netnite" bzw. "netNite" andererseits Verwechslungsgefahr.

bb) Der Kläger kann sich - entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 23 f.) - nicht mit Erfolg auf einen besseren Zeitrang des Titels "netNite" (vgl. § 6 Abs. 1, Abs. 3 MarkenG) im Verhältnis zur Marke Nr. 30046907 "netnite" (Anlage B 15) berufen. Das Titelschutzrecht (vgl. § 5 Abs. 3, 15 MarkenG), das, wie außer Streit ist, die Insolvenzschuldnerin ursprünglich an der Bezeichnung "netNite" im Zusammenhang mit der Produktion des so bezeichneten Fernsehmagazins im Anschluss an die Titelschutzanzeige im Jahr 1995 und den Sendebeginn 1996 erworben hatte, war am 23.06.2000 durch endgültige Aufgabe des Gebrauchs bereits erloschen. Der Titelschutz endet mit endgültiger Aufgabe des Gebrauchs für das Werk, für das der Titelschutz begründet worden ist (vgl. BGH GRUR 1993, 769, 770 - Radio Stuttgart m.w.N.; Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl., § 5, Rdn. 100). Ob eine endgültige Titelaufgabe vorliegt oder ob es sich nur um eine vorübergehende Nichtbenutzung handelt, beurteilt sich nach der Verkehrsauffassung (vgl. Deutsch/Ellerbrock, Titelschutz, 2. Aufl., Rdn. 89). Im Streitfall ist bei einer Würdigung der vom Landgericht festgestellten Umstände von einer endgültigen Titelaufgabe seitens der Inso1venzschuldnerin im Juni 2000 auszugehen. Die letzte Ausstrahlung des zuvor periodisch ausgestrahlten Fernsehmagazins "netNite" durch das ZDF fand im Dezember 1997 statt (vgl. UA S. 3). Die Karenzzeit, die die Insolvenzschuldnerin mit dem ZDF vereinbart hatte (vgl. Anlage B 3 unter VI: 5.) und die bis 31.07.1999 dauerte, kann nicht als erzwungene Benutzungsunterbrechung, die den Titelschutz nicht berührt (vgl. dazu Ströbele/Hacker aaO § 5, Rdn. 100 m.w.N.), eingestuft werden. Denn diese Karenzzeit beruhte auf einem von der Insolvenzschuldnerin freiwillig eingegangenen Vertrag; der Umstand, dass das ZDF zur Einhaltung der genannten Karenzvereinbarung im Juli 1998 eine einstweilige Verfügung erwirkt hat (vgl. Anlage B 4), ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Im Übrigen war diese Karenzvereinbarung als Grund für die Benutzungsunterbrechung im Zeitraum bis 31.07.1999 für die angesprochenen Verkehrskreise, nämlich die an einem derartigen Fernsehmagazin betreffend Internet-relevante Themen interessierten Zuschauer, zu denen die Mitglieder des Senats gehören, nicht ersichtlich.
Im Übrigen ist der Zeitraum Ende Dezember 1997 bis Juni 2000 aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise angesichts der Rasanz der Entwicklungen im Internet- und Onlinebereich so lang, dass im Juni 2000 von einer endgültigen Aufgabe des Gebrauchs des Titels für das Fernsehmagazin "netNite" unbeschadet des Pioniercharakters der betreffenden Sendungen und unbeschadet der bis Dezember 1997 nicht unbeträchtlichen durchschnittlichen Zuschauerzahlen (250.000 bis 390.000; vgl. UA S. 3) auszugehen ist. Die Internetaktivitäten der Insolvenzschu1dnerin nach Einstellung der Fernsehsendungen stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Vielmehr spricht die der Inso1venzschu1dnerin zuzurechnende Äußerung

"netNite - das Online-Magazin war das erste und damals einzige Medienmagazin, das sich ausschließlich mit dem Internet beschäftigte. Von Beginn an standen uns Partner aus der Industrie zur Seite, die am Erfolg der Sendung erheblichen Anteil hatten.",

die in dem von der Beklagten vorgelegten, vom 06.09.2000 datierenden Internetausdruck (Anlage B 5) enthalten ist, gerade für eine endgültige Benutzungsaufgabe im Jahr 2000. Hinzu kommt, dass die Domain www.netnite.de nach dem von der Beklagten vorgelegten, vom 20.06.2000 datierenden Internetausdruck (Anlage B 14) noch an diesem Tag lediglich den Vermerk auswies: "Diese Domain ist bis Juli 1999 geschlossen.". Der Umstand, dass bis zur Ausgabe vom 30.05.2003 (vgl. Anlage B 7) im Internet unter http://netnews1etter.de ein Newsletter mit dem Titel "netNews" und dem Untertitel "DER WÖCHENTLICHE netNite NEWSLETTER" erschienen ist, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Zum einen erreichte dieser Newsletter, der nach den Angaben der Inso1venzschu1dnerin ca. 23.000 Leser hatte (vgl. Anlage B 7), nur einen Bruchteil der durch die "netNite"-Fernsehsendung angesprochenen Verkehrskreise, auf deren Auffassung es für die Frage, ob eine endgültige Aufgabe des Gebrauchs des Titels oder nur eine vorübergehende Benutzungsunterbrechung vorliegt, ankommt. Zum anderen ist aus den vorgelegten Exemplaren dieses News1etters auch nicht ersichtlich ist, dass dort im Jahr 2000 die Fortsetzung des "netNite" betitelten Fernsehmagazins erörtert oder angekündigt wurde.

cc) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf einen besseren Zeitrang (Priorität 1998) des Untertitels "DER WÖCHENTLICHE netNite NEWSLETTER (vgl. Anlagen B 6, B 7), der ebenfalls Titelschutz genießt (vgl. Deutsch/Mittas, Titelschutz, 1. Aufl., Rdn. 13 m.w.N.) und in dem der Bestandteil "netNite" möglicherweise eine selbständige Stellung behielt, im Verhältnis zur Marke Nr. 30046907 "netnite" (Anlage B 15) berufen. Zwar kann sich der aus einer eingetragenen Marke In-Anspruch-Genommene grundsätzlich einredeweise aus einem ihm zustehenden älteren Recht verteidigen (vgl. Lange aaO Rdn. 2983), und zwar unabhängig davon, ob ein entsprechender Löschungsanspruch durchgesetzt werden kann oder nicht (vgl. BGH GRUR 2004, 512, 514 - Leysieffer). Voraussetzung ist jedoch, dass der Schutzbereich des älteren Rechts sich auf diejenigen Handlungen erstreckt, deren Verbot aufgrund der Marke erstrebt wird. Der Schutzbereich des etwaigen Titelschutzes für den Untertitel "DER WÖCHENTLICHE netNite NEWSLETTER" und den darin enthaltenen Bestandteil "netNite" erstreckte sich im Juni 2000 indes nicht auf Titelschutz für eine "netnite" bzw. "netNite" betitelte Fernsehproduktion. Denn zwischen dem Titel "DER WÖCHENTLICHE netNite NEWSLETTER" einerseits für einen Internet-News1etter und den Titeln "netnite" bzw. "netNite" für eine Fernsehproduktion bestand im Juni 2000 keine Verwechslungsgefahr. Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zwischen diesen Titeln schied wegen der unterschiedlichen Werkkategorien aus (vgl. Ströbe1e/Hacker aaO § 15, Rdn. 87 m.w.N.). Auch die Voraussetzungen für eine mittelbare Verwechslungsgefahr (vgl. Ströbele/Hacker aaO § 15, Rdn. 81 m.w.N.) oder eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne (vgl. Ströbele/Hacker aaO § 15, Rdn. 81 m.w.N.) lagen im Juni 2000 nicht vor; dies hätte vorausgesetzt, dass der angesprochene Verkehr in dem Untertitel "DER WÖCHENTLICHE netNite NEWSLETTER" im Juni 2000 nicht nur ein auf den Werkinhalt bezogenes Individualisierungszeichen gesehen, sondern mit ihm ausnahmsweise zugleich eine bestimmte betriebliche Herkunftsvorstellung verbunden hätte (vgl. Ströbele/Hacker aaO Rdn. 81 m.w.N.), dies war mangels hinreichender Bekanntheit des genannten Newsletters nicht der Fall. das Urteil des Landgerichts nicht an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen.

Vorinstanzen

LG München I, 33 O 15561/04

Rechtsgebiete

Markenrecht