Zurechnung von Verschulden (Architekt) beim Überbau
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
24. 06. 1964
Aktenzeichen
V ZR 162/61
Zur Entstehung einer Grunddienstbarkeit (Servitut) genügte nach Gemeinem Recht der schlichte Vertrag.
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des ermächtigten bauleitenden Architekten sind beim Überbau in entsprechender Anwendung des § 166 BGB dem Grundstückseigentümer zuzurechnen.
Auszüge aus den Gründen:
…. 2. Die Frage, ob die mit der Klage geltend gemachte Grunddienstbarkeit (das Durchfahrtsrecht) entstanden ist, beurteilt das Berufungsgericht nach Preußischem Allgemeinem Landrecht. Es geht anscheinend von der Vorstellung aus, mit der Einverleibung der früheren freien Reichsstadt Frankfurt in das Preußische Staatsgebiet sei ganz allgemein das Preußische Recht, jedenfalls das Allgemeine Landrecht, in Frankfurt in Kraft getreten. Das entsprechende Preußische Gesetz v. 20. 9. 1866 (Preußische Gesetzessammlung 1866, 555) setzt aber lediglich die Preußische Verfassung in Frankfurt in Kraft. Im übrigen wurden Preußische Gesetze jeweils besonders für Frankfurt in Kraft gesetzt (s. Jünger, Territorialien und Rechtsquellen im Bezirk des OLG Frankfurt a.M. § 26 S. 126). In dieser Weise sind weder das Allgemeine Landrecht in seiner Gesamtheit, noch seine mit Grund dienstbarkeiten sich befassenden Vorschriften in Frankfurt eingeführt worden (RG JW 11, 490). Die Entstehung der Grunddienstbarkeit beurteilt sich demnach gemäß dem vor der Vereinigung Frankfurts mit Preußen geltenden weiter in Kraft gebliebenen Recht. Da die Partikulargesetzgebung von Frankfurt keine die Entstellung von Grunddienstbarkeiten regelnde Vorschrift aufweist (Neumann-Levi, Frankfurter Privatrecht 1897 S. 10 § 5), ist maßgebend das in Frankfurt subsidiär geltende Gemeine Recht (Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte 1903, Rechtskarte; Denkschrift zum Entwurf eines BGB Anl. 1 S. 310, 311 Nr. 22; von Roth, System des Deutschen Privatrechts Band 1 S. 49 und 104 mit S. 118; Jünger, aaO S. 59; Förster-Eccius, Preußisches Privatrecht 7. Aufl. Band 1 S. 18). Zu demselben Ergebnis führt die Anwendung des von den beim Bauen bedeutsamen Grunddienstbarkeiten handelnden § 1 des Kapitels 7 des Neuen Baustatuts für die Stadt Frankfurt vom 11. 6. 1809 (Frankfurter Rechtsquellen, herausgegeben vom Anwaltsverein zu Frankfurt a.M. 1892 S. 49), wo allgemein auf die Grundsätze des römischen Rechts und damit auf das Gemeine Recht verwiesen ist (vgl. Bender, Handbuch des Frankfurter Privatrechts 1848 § 4 S. 16; Neumann-Levi, Frankfurter Privatrecht 1897 S. 10 § 5). Der Irrtum des Berufungsgerichts über das anzuwendende Recht nötigt jedoch nicht zur Aufhebung des Berufungsurteils. Denn das Berufungsgericht kommt zu dem Ergebnis, bei der Parzellierung des Geländes sei eine Vereinbarung zustande gekommen, die den jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks begünstigen und den jeweiligen Eigentümer des dienenden Grundstücks verpflichten sollte. Die Feststellung des Berufungsgerichts reicht also aus, um die Entstehung der Grunddienstbarkeit darzutun, da nach der herrschenden, insbesondere von Windscheid überzeugend begründeten Lehre im Gemeinen Recht für die Bestellung der formlose Vertrag genügte (Meisner-Stern-Hodes, Nachbarrecht 3. Aufl. § 36 I S. 485 bei Fußn. 13, 14; Windscheid-Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts 9. Aufl. S. 1081 § 212; von Roth, System des Deutschen Privatrechts Teil 3 § 286 S. 380; Dernburg, Pandekten 5. Aufl. (1896 § 251 S. 619 ff.); Wolff-Raiser 10. Bearbeitung § 108 I 1; a.M. u.a. von Adlerflycht, Das Privatrecht der freien Stadt Frankfurt § 206 S. 317 und § 217 S. 344).
Durch das Preußische Gesetz v. 19. 8. 1895 (Gesetzessammlung S. 481) sind zwar nach Maßgabe der Anlegung des Grundbuchs seit 1. 10. 1895 das Gesetz über den Eigentumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke und die Preußische GBO - je v. 5. 5. 1872 - (Gesetzessammlung 433 und 446) in Frankfurt eingeführt worden. Der letzte der in Betracht kommenden Verträge datiert jedoch schon v. 15. 6. 1895. Außerdem macht § 12 des Eigentumserwerbsgesetzes von dem Grundsatz, daß dingliche Rechte gegen Dritte nur durch Eintragung Wirksamkeit erlangen, in dem Abs. 2 für Grundgerechtigkeiten eine Ausnahme (RGZ 56, 378). Dies hatte zur Folge, daß auch früher entstandene Grunddienstbarkeiten ohne Eintragung in das später erst in Frankfurt eingeführte Grundbuch selbst gegen gutgläubige Erwerber des belasteten Grundstücks wirkten. Ein Erlöschen der Grunddienstbarkeit nach § 39 des Gesetzes v. 19. 8. 1895 wegen Nichtanmeldung scheidet gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes aus, da die Grunddienstbarkeit der Anmeldung nicht bedurfte (s. hierzu auch § 73 der Preuß. GBO, der nach richtiger aus § 12 des Eigentumserwerbsgesetzes zu entnehmenden Auslegung sich trotz seines Wortlauts auf Grunddienstbarkeiten nicht bezog: Achilles, Die Preußischen Gesetze über Grundeigentum und Hypothekenrecht, Grundbuchordnung § 73 S. 204 unter III). Die Grunddienstbarkeit ist also im Fall ihrer Entstehung auch nicht durch gutgläubigen Erwerb in der Person der Voreigentümer des Grundstücks erloschen.
8. Von Bedeutung könnte ein unterlassener Widerspruch gegen die Bauführung des Beklagten nach den Vorschriften über den Überbau (§§ 912 ff. BGB) werden. Nach der Entscheidung des Senats BGHZ 39, 5 = NJW 63, 807 sind die Vorschriften über den Überbau entsprechend anzuwenden, wenn durch die Errichtung eines Gebäudes - ohne Überschreitung der Grundstücksgrenze - eine Grunddienstbarkeit beeinträchtigt wird. Ein Überbau im Sinn dieser entsprechenden Anwendung liegt vor. (Wird ausgeführt.) Die aus § 912 BGB sich ergebende Duldungspflicht des Nachbarn besteht nicht, wenn der Überbauende vorsätzlich oder grob fahrlässig das Recht des Nachbarn (des Dienstbarkeitsberechtigten) verletzt hat, wobei die Beweislast den Überbauenden trifft (BGHZ 39, 5, 14 = NJW 63, 807). Der Beklagte hat geltend gemacht, es sei ihm von einem Durchfahrtsrecht nichts bekannt gewesen, er habe die Frankfurter Verhältnisse nicht gekannt, weil er von München zugezogen sei. Tatsachen, die auf eine Kenntnis des Beklagten schließen ließen, haben die Kläger demgegenüber nicht vorgetragen. Vorsatz des Klägers wird bei dieser Sachlage ausscheiden. Ob dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre, weil er Nachforschungen bezüglich eines etwa bestehenden Fahrtrechts und seines Umfangs nicht vorgenommen hat, obwohl nach der Behauptung der Kläger bei Beginn des Wiederaufbaus die Tordurchfahrt noch stand und benutzt wurde und im Bebauungsplan ausgewiesen war, kann offen bleiben, wenn ein entschuldigter Überbau mit Rücksicht auf das Verhalten des Architekten des Beklagten zu verneinen ist. Der Beklagte hat ihn mit der Errichtung des Baues beauftragt und nichts darüber vorgetragen, daß der Architekt etwa beim Bauen gegen seinen Auftrag verstoßen hätte, im Gegenteil, der Beklagte bezeichnet den Bau als rechtmäßig. Über die Frage, ob in solchem Fall dem Eigentümer Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Architekten zuzurechnen sind, sagt das Gesetz nichts. Sein Schweigen ist aber nicht, dahin zu verstehen, daß immer nur die Person des Eigentümers in Betracht komme. Hiergegen spricht das praktische Bedürfnis, eine derart weitgehende Benachteiligung des in seinem Eigentum (seiner Dienstbarkeit) Verletzten zu vermeiden. Entsprechende Anwendung des § 831 BGB erscheint nicht sachgemäß, da das Gesetz den Sachverhalt des § 912 BGB vom Recht der unerlaubten Handlung gelöst hat. Auch der Auffassung, der Architekt sei Erfüllungsgehilfe des bauenden Eigentümers und sein Verschulden nach § 278 BGB diesem zuzurechnen (Westermann, Sachenrecht 4. Aufl. § 64 III 3, und in Erman, BGB 3. Aufl. § 912 A 1 c), kann nicht beigepflichtet werden (vgl. Urteil des BGH v. 30. 10. 1959, VI ZR 156/58 = NJW 60, 335, LM Nr. 2 zu § 909 BGB und Urteil des erkennenden Senats v. 31. 10. 1962, V ZR 67/61; Schultz, MDR 55, 260). Die Pflicht zur Wahrung der Grundstücksgrenze, hier der Grunddienstbarkeit ist keine besondere nachbarrechtliche, schuldrechtliche, sondern sie entspringt dem Eigentum (der Grunddienstbarkeit) unmittelbar. Der Senat folgt mit der herrschenden Lehre der Auffassung von Martin Wolff in seiner Abhandlung „Der Bau auf fremdem Grund und Boden“ (Fischers Abhandlungen zum Zivilprozeß Bd. 6, 2. Heft S. 114), der § 166 BGB entsprechend anwendet (ebenso Planck, Sachenrecht 3. Aufl. Anm. 1 b S. 372; Meisner-Stern-Hodes, Nachbarrecht 3. Aufl. § 24 I 5 S. 302; Staudinger, BGB 11. Aufl. § 912 Anm. 15; a.M. - Abstellung auf den Eigentümer allein - u.a. Schultz aaO; mit Einschränkung auch Palandt, BGB 23. Aufl. § 912 Anm. 1 c und anscheinend auch Wolff-Raiser, Lehrbuch des Sachenrechts 10. Bearb. § 55 I 3).
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