Überbau mit einheitlichem Gebäude
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
22. 05. 1981
Aktenzeichen
V ZR 102/80
Zum Begriff des - einheitlichen - Gebäudes.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. sind zu 9/1000 Miteigentümer des Grundstücks Nr. 3006/2. Das Nachbargrundstück Nr. 3002 gehört der Bekl. Auf beiden Grundstücken befindet sich je ein Teil einer Tiefgarage. Auf dem Grundstück Nr. 3002 steht außerdem ein Hotel, aber nicht über der Tiefgarage. Die Parteien streiten um das Eigentum an dem Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3002. Tiefgarage und Hotel gehören mit Appartmenthäusern sowie einem Sanatorium mit Schwimmhalle zu einem Kur- und Wohnkomplex, dessen Planung die I in Auftrag gegeben hatte. Dieser Gesellschaft gehörte u. a. das Grundstück Nr. 3006/2. Einziger Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH war bis Januar 1975 F. Von ihm erwarb im November 1973 die P das Eigentum an dem Grundstück Nr. 3002. Alleiniger Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der P war bis 9. 1. 1975 ebenfalls F. Bereits im Juni 1973 wurde auf den im Dezember 1972 gestellten Antrag der I die Genehmigung zum Bau der Tiefgarage auf den Grundstücken Nr. 3002 und 3006/2 erteilt. Fertiggestellt war die Tiefgarage nach dem Vortrag der Bekl. im November 1974. Zur selben Zeit wurden auch das Hotel und die Appartmenthäuser errichtet. Die Tiefgarage enthält 128 numerierteStellplätze und Garagenboxen. Die Nummern 1 bis 79 befinden sich auf dem Grundstück Nr. 3006/2, die Nummern 81 bis 128 und weitere 28 Stellplätze auf dem Grundstück Nr. 3002. Die Grundstücksgrenze verläuft durch den Stellplatz Nr. 80 und den Transformatorenraum. Die Entsorgungsanlage für die Tiefgarage ist in einem Raum auf dem Grundstück Nr. 3006/2 untergebracht. Die Tiefgarage hat je eine Zufahrt auf den Grundstücken Nr. 3002 und 3006/2. 28 Stellplätze in dem Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3002 waren von vornherein für das Hotel bestimmt. Die Stellplätze und Garagenboxen in dem Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3006/2 reichten für die Käufer der Eigentumswohnungen in den von der I errichteten Appartmenthäusern nicht aus. Die I schloß deshalb mit der P einen Vertrag, in dem diese sich verpflichtete, Wohnungseigentümern Grunddienstbarkeiten bezüglich der Stellplätze im Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3002 einzuräumen. Die Grunddienstbarkeiten wurden im Februar 1975 ins Grundbuch eingetragen. Wegen einer vorrangigen Grundschuld wurde das Grundstück Nr. 3002 jedoch im März 1978 zwangsversteigert und der Bekl. zugeschlagen. Die Wohnungseigentümer fielen mit ihren Grunddienstbarkeiten ersatzlos aus. Die Kl. gehören zu den Wohnungseigentümern, die in dem Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3006/2 einen Stellplatz erhielten. Sie meinen, ihr Miteigentum an dem Grundstück Nr. 3006/2 umfasse den Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3002, weil es sich dabei um einen von dem Grundstück Nr. 3006/2 ausgehenden rechtmäßigen, mindestens entschuldigten, Überbau handle.
Das LG hat dem Klageantrag entsprechend festgestellt, daß der auf dem Grundstück Nr. 3002 gelegene Teil des unterirdischen Tiefgaragengebäudes zu einem Anteil von 9/1000 im Miteigentum der Kl. stehe. Das BerGer. hat die Klage abgewiesen. Die - zugelassene - Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das BerGer. meint, die Tiefgarage sei nicht ein als Einheit zu betrachtendes Bauwerk und infolgedessen kein Überbau i. S. des § 912 BGB. Ausschlaggebend für die Frage der Einheitlichkeit des Bauerks seien objektive Gesichtspunkte. Danach sei bei natürlicher Betrachtung der Tiefgaragenteil auf dem Grundstück Nr. 3002 nicht Bestandteil eines einheitlichen Bauwerks und infolgedessen nicht nach den für den Überbau geltenden Grundsätzen eigentumsmäßig dem Grundstück Nr. 3006/2, sondern als rechtlich selbständiges Bauwerk dem Grundstück Nr. 3002 zuzuordnen. Dessen Eigentümer sei daher auch Eigentümer dieses Tiefgaragenteils.
II. Diese Entscheidung hält den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Richtig ist zwar, daß die Grundsätze über das Eigentum an einem Überbau nur eingreifen, wenn ein einheitliches Gebäude über die Grundstücksgrenze gebaut ist (vgl. Wolff, Der Bau auf fremdem Boden, 1900, S. 93; Meisner-Stern-Hodes, NachbarR, 5. Aufl., S. 466; RGRK, 12. Aufl., § 94 Rdnr. 5). Die Erwägungen des BerGer. rechtfertigen jedoch nicht seinen Schluß, die Tiefgarage, um die es hier geht, sei kein einheitliches Gebäude; es handle sich vielmehr um zwei selbständige, durch die Grundstücksgrenze getrennte Bauwerke.
a) Ob ein Bauwerk ein einheitliches Gebäude darstellt, richtet sich in erster Linie nach seiner körperlichen bautechnischen Beschaffenheit (vgl. BGH, LM § 93 BGB Nr. 2). Ein Gebäude, dessen Teile nicht voneinander getrennt werden können, ohne daß der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird, ist grundsätzlich ein einheitliches Gebäude (§ 93 BGB; vgl. BGH, LM § 93 BGB Nr. 14 = MDR 1970, 676; RGZ 169, 172 (176)). Verkehrsanschauung oder natürliche Betrachtungsweise können allerdings im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis führen (vgl. RGZ 158, 362 (369 f.)).
b) Das BerGer. unterstellt, daß die hier umstrittene Tiefgarage äußerlich als ein geschlossener Baukörper erscheint, daß Bodenplatte, Decke und Umfassungswände durchgezogen sind und daß die Technik, insbesondere die Entlüftungsanlage, auf die gesamte Tiefgarage ausgelegt ist. Es stellt fest, daß sich an der Grundstücksgrenze kein „vertikaler Versatz", keine Trennmauer befindet, daß vielmehr die Grundstücksgrenze mitten durch den Stellplatz Nr. 80 und durch den Transformatorenraum verläuft. Bei diesem - teils unterstellten, teils festgestellten - Sachverhalt ist die Tiefgarage ein einheitliches Bauwerk. Die vom BerGer. für eine Aufteilung angeführten Umstände ergeben nichts anderes. Die Größe der Teile beiderseits der Grundstücksgrenze ist für die Frage, ob die Tiefgarage ein einheitliches Bauwerk ist, ohne Belang. Bauliche Merkmale sprechen nicht für, sondern eher gegen eine Aufteilung entlang der Grundstücksgrenze. Für eine solche Aufteilung läßt sich auch aus dem Vorhandensein je einer Zufahrt auf jedem Grundstück nichts herleiten. Daß die Tiefgarage von vornherein auch dem Grundstück Nr. 3002 und dem darauf zu erstellenden Hotel dadurch zugeordnet war, daß die Hälfte der auf diesem Grundstück vorgesehenen Stellplätze dem Hotel vorbehalten sein sollte, spricht nicht dafür, daß der ganze Garagenteil auf dem Grundstück Nr. 3002 als eine wirtschaftliche Einheit ein selbständiges Gebäude darstellen sollte. Das Fehlen jeder baulichen Einteilung und die Lage der Garage zwischen den anderen Gebäuden deuten eher darauf hin, daß die ganze Tiefgarage den durch die Errichtung des Kur- und Wohnkomplexes insgesamt entstehenden Bedarf an Autoabstellplätzen befriedigen sollte.
2. Im Revisionsverfahren ist somit davon auszugehen, daß die auf zwei Grundstücken errichtete Tiefgarage ein einheitliches Gebäude i. S. der § § 93, 94, 912 BGB ist.
a) Auf dieser Grundlage könnte die Entscheidung des BerGer. im Ergebnis richtig sein, wenn es sich um einen rechtswidrigen, nicht entschuldigten Grenzüberbau handelte und deswegen das Eigentum an dem Gebäude auf der Grenzlinie real geteilt wäre (vgl. BGHZ 27, 204 (206 f.) = NJW 1958, 1182; BGHZ 62, 141 (143) = NJW 1974, 794). Dazu hat jedoch das BerGer. keine Feststellungen getroffen.
b) Nach dem Vorbringen der Kl. hat bei der Errichtung der Tiefgarage die I als Bauherrin und Eigentümerin des Grundstücks Nr. 3006/2 mit Duldung der Eigentümerin des Grundstücks Nr. 3002, der P rechtmäßig, jedenfalls weder vorsätzlich noch grob fahrlässig i. S. des § 912 I BGB, über die Grenze gebaut. Bei einem solchen Sachverhalt umfaßt das Eigentum an dem Grundstück Nr. 3006/2 gem. § 946 BGB auch den Teil der Tiefgarage, der sich auf dem Grundstück Nr. 3002 befindet. Dieser Teil ist dann nämlich entsprechend § 95 I 2 BGB nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks Nr. 3002, sondern des einheitlichen Gebäudes Tiefgarage und damit des Grundstücks Nr. 3006/2 (§ § 93, 94 BGB). Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Überbau infolge Erlaubnis des Nachbarn rechtmäßig oder gem. § 912 I BGB zu dulden ist (vgl. BGHZ 62, 141 (144 ff.) = NJW 1974, 794 m. w. Nachw.). Zur Beantwortung der Frage, von welchem Grundstück aus übergebaut worden ist, können hier die bei Eigengrenzüberbau und bei nachträglicher Aufteilung einesbebauten Grundstücks geltenden Grundsätze (vgl. BGHZ 64, 333 (337 f.) = NJW 1975, 1553; dazu Mattern, Anm. LM § 912 BGB Nr. 29) nicht herangezogen werden.
Mit dem danach erheblichen Klagevorbringen hat das BerGer. sich nicht befaßt. Es hat insbesondere offengelassen, ob die I, die damalige Eigentümerin des Grundstücks Nr. 3006/2, als Geschäftsherr des Tiefgaragenbaus anzusehen ist.
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