Kein Nachbarschutz bei Überbau vor dem Verwaltungsgericht

Gericht

VGH Mannheim


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

04. 03. 1996


Aktenzeichen

5 S 1798/95


Leitsatz des Gerichts

Ein Grundstückseigentümer kann sich mit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage nicht erfolgreich gegen eine Baugenehmigung wehren, die ein Vorhaben zuläßt, das in Form eines Überbaus sein Grundstück beansprucht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Das Landratsamt erteilte den Beigel. eine Baugenehmigung für die Aufstockung des Kellers um zwei Vollgeschosse und ein Dachgeschoß zur Erweiterung des bestehenden Wohngebäudes. Wegen fehlender Abstandsflächen wurde eine Ausnahme erteilt. Die Einwendungen des Kl., der Eigentümer der südöstlich und südwestlich angrenzenden unbebauten Grundstücke ist, der genehmigte Anbau überschreite nicht nur die Abstandsflächen, sondern auch die Grundstücksgrenze, hatten auch im gerichtlichen Verfahren keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Berufung des Kl. ... hat ... in der Sache keinen Erfolg. Denn das VG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es hat seine Entscheidung auch zutreffend begründet, so daß eine erneute Darstellung der Entscheidungsgründe weithin entbehrlich ist (vgl. § 130b VwGO), zumal da der Kl. im Berufungsverfahren keine neuen Argumente vorgebracht ... hat. Es geht daher im wesentlichen um zwei Problemkreise: Zum einen darum, ob die erteilte Baugenehmigung deshalb Rechte des Kl. verletzt, weil die der angefochtenen Baugenehmigung zugrundeliegenden Bauzeichnungen eine Gebäudeerweiterung enthalten, welche die Grenze zum Grundstück Flst. Nr. 51/1 des Kl. überschreitet (dazu unten 1), zum anderen darum, ob das Vorhaben zu Lasten des Kl. gegen die gesetzliche Abstandsflächenregelung verstößt (dazu 2).

1. Auszugehen ist davon, daß das Vorhaben der Beigel. nach seiner Darstellung in den genehmigten Bauvorlagen auf der Nordwestseite angesichts des auskragenden Ober- und Dachgeschosses einen Überbau darstellt...

Trotz des in den Bauzeichnungen dargestellten Überbaus kann die im Verwaltungsrechtsweg gegen die Baugenehmigung erhobene Anfechtungsklage nicht durchdringen. Wie in den angegriffenen Bescheiden und im Urteil des VG dargelegt wird, scheitert die Anfechtungsklage an der Regelung des § 59 III BadWürttBauO a.F. bzw. § 58 III BadWürttBauO in der seit dem 1. 1. 1996 geltenden Fassung. Beide Vorschriften bestimmen gleichlautend, daß die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt wird. Diese Regelung ist außerdem im Kontext von § 59 I 1 BadWürttBauO a.F. (= § 58 I 1 BadWürttBauO n.F.) zu sehen, wonach die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlichrechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dies bedeutet, daß die Baugenehmigung Privatrechtliches überhaupt nicht i.S. von § 35 S. 1 BadWürttVwVfG „regelt“, folglich selbst eine Baugenehmigung, deren Bauzeichnungen einen Überbau auf fremdes Privateigentum aufweisen, über die Zulässigkeit dieses Überbaus keine Regelung im Rechtssinn trifft. Nach der daraus in der Literatur entwickelten und überwiegend vertretenen „Zweigleisigkeitstheorie“ (in verschiedenen Modifizierungen, vgl. dazu Peine, JuS 1987, 169ff.) schließt deshalb die bestandskräftige Baugenehmigung es nicht aus, sich zivilrechtlich gem. §§ 1004, 906 BGB erfolgreich gegen die Verwirklichung eines von einer solchen Baugenehmigung zugelassenen Vorhabens zur Wehr zu setzen. Für die Zweigleisigkeitstheorie sprechen auch kompetenzrechtliche Gründe, weil im Falle des Vorrangs des öffentlichen Rechts, für den sich der Kl. ausspricht, das Baugenehmigungsverfahren mit zivilrechtlichen Vorfragen belastet würde, für deren Beantwortung die Zivilgerichtsbarkeit zuständig ist, die Baurechtsbehörde aber keine Befugnis besitzt.

Folgt man der Auffassung, daß die Baugenehmigung über mögliche der Privatrechtsordnung entnommene Gegenrechte nicht entscheidet, also im vorliegenden Fall auch nicht entgegen §§ 905 S. 1, 912 BGB einen Überbau förmlich zuläßt, sich insoweit vielmehr indifferent verhält, liegt auch kein Verstoß gegen die Grundrechtsbestimmung des Art. 14 GG vor, die dem Privateigentum über § 905 BGB hinaus öffentlichrechtlichen Schutz gegenüber hoheitlichen Zugriffen verleiht. Ist aber das Eigentumsrecht durch den lediglich zivilrechtlich unzulässigen Überbau nicht tangiert, so geht auch der Hinweis des Kl. auf die Bindungswirkung der Grundrechte gem. Art. 1 III GG fehl. Der in diesem Zusammenhang vom Kl. angeführte „Notwegsrechtsfall“ des BVerwG(BVerwGE 50, 282 = NJW 1976, 1987), in welchem unmittelbar aus Art. 14 I GG ein Abwehrrecht gegen eine Baugenehmigung hergeleitet wurde, weist die Besonderheit auf, daß als Folge der Tatbestandswirkung der bestandskräftig gewordenen Baugenehmigung erfolgreiche Möglichkeiten der zivilprozessualen Verteidigung für den durch das Notwegrecht belasteten Grundstückseigentümer praktisch ausgeschlossen sind. Dies trifft im vorliegenden Fall hingegen nicht zu.

2. Auch die im Verwaltungsverfahren erteilte Ausnahme von der Einhaltung der Abstandsflächenregelung verletzt eigene Rechte des Kl. letztlich nicht.

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Garten- und Nachbarrecht