Eigentumsverhältnisse bei Eigengrenzüberbau und Verkauf eines übergebauten Gebäudeteils

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 10. 2001


Aktenzeichen

V ZR 268/00


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Grundsätze des Eigengrenzüberbaus können auch dazu führen, dass eines von mehreren Geschossen eines Hauses als übergebauter Gebäudeteil anzusehen ist, der dem Gebäude und der darunter liegenden Grundstücksfläche zugehörig ist, von der aus übergebaut ist.

  2. Veräußert in einem solchen Fall der Eigentümer des übergebauten Gebäudeteils das darunter liegende Grundstück, so kann im Regelfall nicht angenommen werden, dass sich die Übertragung auch auf den übergebauten Teil erstreckt; anderenfalls wäre die Übertragung insgesamt unwirksam.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. war Eigentümerin eines Grundstücks, das mit einer Gaststätte und angebautem Wohnbereich bebaut ist. Sie wollte die Gaststätte verkaufen und den Wohngebäudeteil behalten. Daher ließ sie das Grundstück an der Stelle, wo Gaststätte und Anbau zusammenstoßen, teilen, bedachte aber nicht, dass die Nutzung im Inneren der Gebäude zum Teil anders verläuft. Im Erdgeschoss ragen die Toiletten der Gaststätte in den Wohnbereich hinein, im ersten Obergeschoss ragen Wohn- und Schlafzimmer der Bekl. in einer Größe von rd. 40 m² in den Gaststättenbereich hinein. Mit notariellem Vertrag vom 1. 6. 1993 erwarb die Kl. den nach Durchführung der Teilung entstandenen Grundstücksteil mit der Gaststätte für 310000 DM von der Bekl. Sie verlangt nun - soweit im Revisionsverfahren noch im Streit - Herausgabe der von der Bekl. genutzten Räume, soweit sie über der Grundstücksfläche liegen, die sie, die Kl., erworben hat. Ferner beansprucht sie eine Nutzungsentschädigung für diese Räume seit dem 1. 8. 1993 bis zum 31. 3. 1999 in Höhe von 32640 DM nebst Zinsen und begehrt die Feststellung, dass die Bekl. zum Ersatz weiterer Schäden verpflichtet sei, der durch die Vorenthaltung der herausverlangten Räume entstehen werde.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat den Zahlungsanspruch auf 26856 DM nebst gestaffelter Zinsen reduziert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:´

I. Das BerGer. nimmt an, die Kl. sei Eigentümerin der über dem von ihr erworbenen Grundstücksteil liegenden Räume, die von der Bekl. genutzt werden.

Das folge aus dem klaren Wortlaut des Grundstücksübereignungsvertrags, wonach die Vertragsparteien die Vorstellung einer vertikalen Grundstücksteilung und nicht einer wabenförmigen Verschachtelung gehabt hätten. Infolge dessen sei die Bekl. zur Herausgabe der Räume (§ 985 BGB) und - in dem zugesprochenen Umfang - zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung (§ 988 BGB) verpflichtet; wegen künftiger Vorenthaltungsschäden sei die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung gerechtfertigt.

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zutreffend ist allerdings, dass sich die Eigentumsübertragung allein auf die Grundstücksfläche bezieht, die durch die in dem Vertrag genannten Flurstücke bestimmt wird, also auf das durch Teilung entstandene Grundstück, das mit der Gaststätte bebaut ist. Das hat aber nicht zur Folge, dass die Kl. die in ihr Grundstück hineinragenden Räume im ersten Obergeschoss zu Eigentum erworben hat, die von der Bekl. genutzt werden. Rechtsfehlerhaft nimmt das BerGer. nämlich an, die durch die Grundstücksteilung entstandene Grenze verlaufe vertikal durch das auf beiden Teilen errichtete Gebäude, so dass sich die Eigentumsübertragung auf den übergebauten Gebäudeteil im ersten Obergeschoss erstreckt habe. Das wäre zwar richtig, wenn sich das Gebäude seiner wirtschaftlichen Funktion entsprechend auf der Grundstücksgrenze teilen ließe in den Gaststättenbereich einerseits und den Wohnbereich andererseits, kann aber nicht im vorliegenden Fall ohne Einschränkung gelten, der durch eine den Charakter eines Überbaus tragenden Nutzung im Erd- und im ersten Obergeschoss gekennzeichnet ist. Vielmehr ist anzunehmen, dass die über die Grenze hinausragenden Räume im ersten Obergeschoss, die die Bekl. als Wohn- und Schlafzimmer nutzt, im Eigentum der Bekl. verblieben sind, und dass umgekehrt die zur Gaststätte gehörenden Toilettenräume im Erdgeschoss auch insoweit in das Eigentum der Kl. gelangt sind, als sie auf dem der Bekl. verbliebenen Grundstück liegen. Das ergibt sich aus Folgendem:

Der Senat gibt für den Fall des so genannten Eigengrenzüberbaus in ständiger Rechtsprechung dem in § 93 BGB geregelten Grundsatz des einheitlichen Eigentums an einer Sache den Vorzug gegenüber der in § 94 I BGB vorgesehenen Bindung des Eigentums an einem Gebäude an das Eigentum am Grundstück. Das bedeutet: Überschreitet der Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke mit dem Bau auf einem dieser Grundstücke die Grenze des anderen, so wird der hinübergebaute Gebäudeteil nicht Bestandteil des überbauten Grundstücks (was dem Gedanken des § 94 I BGB entspräche), sondern das Gebäude bildet als einheitliches Ganzes (§ 93 BGB) einen wesentlichen Bestandteil desjenigen Grundstücks, von dem aus übergebaut worden ist (BGHZ 64, 333 = NJW 1975, 1553; BGHZ 102, 311 [314] = NJW 1988, 1078).

Dasselbe gilt für den hier vorliegenden Fall, dass ein Grundstück in der Weise aufgeteilt wird, dass ein aufstehendes Gebäude von der Grenze der beiden neu gebildeten Grundstücke durchschnitten wird. Gelangen dann diese Grundstücke in das Eigentum verschiedener Personen, so soll das Eigentum an dem Gebäude als Ganzem (§ 93 BGB), wenn sich der nach Umfang, Lage und wirtschaftlicher Bedeutung eindeutig maßgebende Teil auf einem der Grundstücke befindet, mit dem Eigentum an diesem Grundstück verbunden sein (BGHZ 64, 333 = NJW 1975, 1553). Das heißt für den vorliegenden Fall nicht, dass etwa der auf dem Grundstück der Bekl. stehende Anbau insgesamt der Gaststätte zuzuordnen und als einheitliches Gebäude mit dem Grundstück der Kl. zu verbinden wäre. Der Senat hat vielmehr auch entschieden, dass bei einer Trennung eines Gebäudes, die zu zwei wirtschaftlich selbstständigen Einheiten führt, jeder Gebäudeteil dem Grundstück zugeordnet werden kann, auf dem er steht (Grundsatz der vertikalen Teilung entsprechend dem Gedanken des § 94 I BGB, vgl. BGHZ 102, 311 [315] = NJW 1988, 1078). Ragt jedoch in einem solchen Fall ein Teil des einen Gebäudes in das Nachbargrundstück hinein, so findet auf diesen hineinragenden Teil, auch wenn er nur eines von mehreren Geschossen betrifft, der in § 93 BGB zum Ausdruck gekommene Gedanke, wirtschaftliche Werte möglichst zu erhalten, Anwendung (BGHZ 102, 311 = NJW 1988, 1078).

Das heißt für den vorliegenden Fall, die Räume, die im ersten Obergeschoss von der Lage, baulichen Eigenart und wirtschaftlichen Nutzung dem Anbau zugehörig sind, sind auch eigentumsrechtlich diesem (selbstständigen) Gebäude zuzuordnen und werden mit dem Eigentum an dem Grundstück verbunden, auf dem der Anbau steht. Umgekehrt - worauf es hier aber nicht ankommt - gilt dasselbe für die Besonderheiten des Erdgeschosses. Der Teil der Toiletten, der in das Grundstück der Bekl. hineinragt, nach Lage, baulicher Eigenart und Nutzung aber zu dem Gaststättengebäude gehört, ist eigentumsrechtlich der Gaststätte und damit dem Grundstück der Kl. zuzuordnen.

Vor dem Hintergrund dieser sachenrechtlichen Lage konnte die Kl. nicht das Eigentum an den von ihr herausverlangten Räumen erwerben. Es kann daher bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) nicht angenommen werden, dass sich die dingliche Einigung auf diese Räume bezog. Aber selbst wenn die Parteien den Willen gehabt hätten, den übergebauten Gebäudeteil in das Eigentum der Kl. zu übertragen, wäre dies erfolglos geblieben, da die Einigung dann der sachenrechtlichen Rechtslage widersprochen hätte. Die Grundstücksübertragung wäre dann insgesamt unwirksam. Die auf das Eigentum gestützte Klage ist daher unbegründet.

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht; Garten- und Nachbarrecht