Schadensersatz für durch Grenzüberbau verzögerte Verwirklichung eines Bauvorhabens

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

19. 09. 2003


Aktenzeichen

V ZR 360/02


Leitsatz des Gerichts

  1. Der zur Herausgabe verpflichtete Besitzer haftet im Fall des Verzugs gem. § 990 II BGB i.V. mit § 286 I BGB a.F. auch auf Ersatz des durch die Verzögerung der Herausgabe entstehenden Schadens, wenn er bei Erwerb des Besitzes bösgläubig war oder von dem Mangel im Besitzrecht später erfahren hat (Bestätigung von BGH, NJW 1964, 2414 [2415], und BGHZ 120, 204 [214] = NJW 1993, 389).

  2. Bösgläubig handelt, wer im Bereich der Grundstücksgrenze baut und sich nicht, gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines Vermessungsingenieurs, darüber vergewissert, ob der für die Bebauung vorgesehene Grund auch ihm gehört und er die Grenzen seines Grundstücks nicht überschreitet.

  3. Der Schadensersatzanspruch aus § 990 II BGB i.V. mit § 286 BGB a.F. wird durch die Vorschriften der §§ 912ff. BGB über den Überbau nur ausgeschlossen, wenn eine Duldungspflicht nach § 912 BGB bejaht wird (Ergänzung von Senat, NJW 1986, 2639).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bekl. überbaute in den Jahren 1959 und 1962 das Grundstück der Kl. und wurde von dieser am 19. 5. 2000 vergeblich zu Beseitigung des Überbaus und zur Herausgabe des überbauten Grundstücksteils aufgefordert. Dies verzögerte ein von der Kl. auf dem überbauten Grundstück geplantes (und genehmigtes) Bauvorhaben. Die Kl. verlangt von dem Bekl. Beseitigung des Überbaus und Herausgabe des überbauten Grundstücksteils sowie die Feststellung seiner Verpflichtung, ihr Ersatz für den aus der Verzögerung ihres Bauvorhabens entstehenden Schaden zu leisten. Der Bekl. erhebt die Einrede der Verjährung und hält die Geltungmachung der Ansprüche nach so langer Zeit für treuwidrig.

Das LG hat den Feststellungsantrag abgewiesen und die Berufung des Bekl. im Übrigen zurückgewiesen. Die gegen die Abweisung des Feststellungsantrags gerichtete zugelassene Revision der Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. meint, die Kl. könne unter keinem Gesichtspunkt Schadensersatz wegen der Verzögerung ihres Bauvorhabens verlangen. Die denkbaren Anspruchsgrundlagen würden durch §§ 912ff. BGB verdrängt.

II. Das hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Der Bekl. ist der Kl. aus § 990 II BGB i.V. mit § 286 I BGB a.F. zum Ersatz des dieser aus der Verzögerung ihres Bauvorhabens entstehenden Schadens verpflichtet.

a) Der Bekl. ist zur Beseitigung des Überbaus verpflichtet. Dies steht auf Grund des in Rechtskraft erwachsenden Teils des Berufungsurteils fest. Mit der Erfüllung dieser Pflicht befindet er sich seit dem Zugang der Mahnung vom 19. 5. 2000 in Verzug.

b) Der zur Herausgabe verpflichtete Besitzer haftet im Fall des Verzugs gem. § 990 II BGB i.V. mit § 286 I BGB a.F. auch auf Ersatz des durch die Verzögerung der Herausgabe entstehenden Schadens, wenn er bei Erwerb des Besitzes bösgläubig war oder von dem Mangel im Besitzrecht später erfahren hat (vgl. BGH, NJW 1964, 2414 [2415]; Senat, BGHZ 120, 204 [214] = NJW 1993, 389; OLG Saarbrücken, OLG-Report 2000, 296 [297]; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 1. Aufl., § 985 Rdnr. 30; Erman/Hefermehl, BGB, 10. Aufl., Vorb. § 987 Rdnr. 35; Palandt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 985 Rdnr. 14). Der Bekl. war bei Erwerb des Besitzes durch den Überbau bösgläubig. Dies hat das BerGer. fehlerfrei festgestellt. Der Bekl. handelte bei der Überbauung grob fahrlässig. Wer ein Grundstück bebaut, mag sich im Allgemeinen als Eigentümer oder für zum Bau berechtigt halten (RGZ 83, 142 [145f.]). Das gilt aber nicht, wenn dem Überbauer bewusst ist, im Bereich der Grenze zu bauen. Jedenfalls dann hat er vor der Bauausführung festzustellen, ob der für die Bebauung vorgesehene Grund auch ihm gehört (Bamberger/Roth/Fritzsche, § 912 Rdnr. 16; Horst, MDR 2000, 494 [496]) und während der Bauausführung darauf zu achten, dass er die Grenzen seines Grundstücks nicht überschreitet (RGZ 88, 39 [42]), und dazu gegebenenfalls einen Vermessungsingenieur hinzuzuziehen. Das leuchtet jedem unmittelbar ein. Eine Verletzung dieser Pflicht begründet deshalb grobe Fahrlässigkeit. Es entlastet den Bekl. nicht, dass er auf die Vereinbarung mit dem Rechtsvorgänger der Kl. vom 18. 7. 1962 vertraut haben will. Diese Vereinbarung erfasst den überbauten Grundstücksteil gerade nicht. Sie machte dem Bekl. im Gegenteil deutlich, dass er sich bei der Bebauung seines Grundstücks im Bereich der Grundstücksgrenze bewegte und darauf zu achten hatte, ob seine Baumaßnahmen von der Vereinbarung gedeckt waren oder nicht (vgl. dazu Senat, WM 1968, 432 [433]).

2. Der Schadensersatzanspruch wird durch die Vorschriften der §§ 912ff. BGB nicht verdrängt. Entgegen der Auffassung des BerGer. hat der Senat in seinem von dem BerGer. zitierten Urteil vom 4. 4. 1986 (NJW 1986, 2639) nichts anderes entschieden. Er hat vielmehr ausgeführt, dass die Vorschriften der §§ 912ff. BGB über den Überbau Ansprüche auf Schadensersatz aus Verzug oder unerlaubter Handlung dann ausschließen, wenn eine Duldungspflicht nach § 912 BGB bejaht wird. Nur in diesem Fall kann die Anwendung anderer Anspruchsgrundlagen den sich aus §§ 912ff. BGB ergebenden Ansprüchen zuwiderlaufen. Etwas anderes wird auch von Schmalzl (BauR 1981, 328 [331f.]) nicht vertreten, auf den sich das BerGer. ebenfalls zu Unrecht beruft. Das BerGer. hat hier eine Duldungspflicht der Kl. aber gerade verneint und deshalb die Verurteilung des Bekl. zur Beseitigung des Überbaus und zur Herausgabe des überbauten Teils durch das LG unter Präzisierung der Einzelheiten der Beseitigungspflicht bestätigt. Greifen die Vorschriften über die Duldung eines Überbaus aber nicht ein, können sie auch keine Sperrwirkung entfalten.

3. Die Geltendmachung des Anspruchs ist nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Zwar kann auch der Anspruch auf Beseitigung eines Überbaus und Herausgabe der überbauten Fläche verwirkt werden, wenn er auf längere Zeit nicht geltend gemacht worden ist und die verspätete Durchsetzung dem Schuldner gegenüber auf Grund besonderer Umstände treuwidrig erscheint (Senat, WM 1979, 644 [646]). Der Bekl. hat jedoch besondere Umstände, die die Geltendmachung des Anspruchs durch die Kl., die im Zeitpunkt des Überbaus nicht Eigentümerin des Grundstücks war, ihm gegenüber als treuwidrig erscheinen lassen könnten, nicht dargelegt. Im Übrigen wäre er hiermit nach der rechtskräftigen Verurteilung zur Beseitigung und Herausgabe präkludiert.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht