Kein Abwehranspruch gegen Laubbefall vom Nachbargrundstück
Gericht
OLG Düsseldorf
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
25. 10. 1989
Aktenzeichen
9 U 51/89
Laub, Blüten und ähnliches sind regelmäßig keine Einwirkungen, die der Nachbar nach § 906 I BGB verbieten kann.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. ist Eigentümerin eines Hausgrundstücks an einer Straße. Auf dem gegenüberliegenden Grundbesitz der Bekl. stehen entlang der Grenze zur Straße 15 oder 17 Pappeln, davon 11 oder 12 direkt gegenüber dem Grundstück der Kl. Die Kl. hat vorgetragen: Von den Pappeln fielen im Frühjahr Kätzchen und im Herbst „zentnerweise“ Blätter und Äste auf ihr Grundstück. Während dieser Zeiten müsse sie Dach und Dachrinne ihres Hauses mindestens zweimal pro Woche reinigen, weil Kätzchen, Blätter und Zweige regelmäßig die Dachrinne verstopften. Im Frühjahr müsse sie den Garten zweimal pro Woche reinigen, um zu verhindern, daß sich Pappeln auf ihrem Grundstück anpflanzten. Im Herbst fielen solche Mengen Laub und Zweige an, daß der Garten mindestens zweimal monatlich gereinigt werden müsse. Der Arbeitsaufwand belaufe sich auf mindestens 264 Stunden pro Jahr und sei ihr angesichts ihres Alters von 66 Jahren nicht mehr zuzumuten. Außerdem stellten die Bäume eine Gefahr für ihr Grundstück dar. Sie seien alt und morsch, und einige stünden schief. Die Kl. hat die Bekl. auf Entfernung von 17 Pappeln, hilfsweise auf Ersatz von (künftigen) Reinigungskosten in Höhe von jährlich 7113,80 DM, sowie auf Ersatz von 5573,34 DM (4693,34 DM + 880 DM) Reinigungskosten für die Jahre 1986 bis 1988 in Anspruch genommen. Die Bekl. hat behauptet, die Anfang der 50er Jahre gepflanzten Pappeln seien ein notwendiger Schutz ihres Grundstücks gegen Wind und Wetter. Sie hat eine Beeinträchtigung des Grundbesitzes der Kl. bestritten.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hat keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Die Kl. hat keinen Anspruch darauf, daß die Pappeln entfernt werden.
1. Es erscheint schon fraglich, ob Laub, Kätzchen oder Blüten und kleinere Zweige zu den „Beeinträchtigungen“ zählen, deren Beseitigung der Eigentümer nach §§ 906, 1004 I BGB von dem Nachbarn verlangen kann. Zwar ist für den Abwehranspruch unerheblich, daß die „Zufuhr“ auf natürlichem Wege - durch Wind - erfolgt. Denn die Frage, ob der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist, stellt sich überhaupt nur unter dieser Voraussetzung; die Zuführung auf künstlichem Wege ist nach § 906 III BGB ausnahmslos unzulässig. Der nachbarrechtliche Abwehranspruch „paßt“ jedoch nicht auf die Fälle, in denen die Einwirkung, die von dem anderen Grundstück ausgeht und auf natürliche Weise übertragen wird, ihrerseits eine Folge des Wirkens von Naturkräften ist:
a) Rein tatsächliche Auswirkungen eines Grundstücks, die ausschließlich durch das Wirken von Naturkräften ausgelöst werden, begründen ohnehin keinen Beseitigungsanspruch gem. 1004 BGB (BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207 = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70; BGH, NJW 1985, 1773 = LM § 823 (Ac) BGB Nr. 145). Vielmehr muß hinzukommen, daß die Einwirkung auf das Nachbargrundstück wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgeht, der als Störer in Anspruch genommen wird. Daher sind Einwirkungen, die auf Naturereignissen beruhen, dem Eigentümer des Grundstücks, von dem sie ausgehen, nur zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht oder durch pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt hat (vgl. BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207, unter II 2 = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70).
b) Was auf einem Grundstück wächst, bestimmt dessen Eigentümer (oder Besitzer) - sei es, daß er Pflanzen oder Bäume selbst gesetzt, sei es, daß er das Grundstück in diesem Zustand übernommen hat. Der Bewuchs eines Grundstücks geht somit auf den Willen des Eigentümers zurück. Daraus folgt aber noch nicht, daß die natürlichen Einwirkungen des Bewuchses auf das Nachbargrundstück dem Eigentümer als Störungen zuzurechnen sind. Gesetzgebungsziel des § 906 BGB war (Nachw. bei BGHZ 90, 255 = NJW 1984, 2207, unter I 1 = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70) eine Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Handlung des Grundeigentümers, die dazu führt, daß Stoffe, Zustände oder Erscheinungen im Sinne dieser Vorschrift entstehen und dann auf natürlichem Wege über die Grundstücksgrenzen hinauswirken, sich als rechtswidrig darstellt. Daraus folgt, daß ein Verhalten des Grundeigentümers nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil Emissionen seines Grundstücks die Grenze zum Nachbargrundstück überschreiten. Vielmehr läßt die Frage, ob der Grundeigentümer rechtswidrig handelt, sich nur bei einer wertenden Betrachtung seines Verhaltens und der darauf beruhenden Auswirkungen beantworten.
c) Ein Grundstück ist als Teil der Erdoberfläche stets dem Wirken der Naturkräfte ausgesetzt. Diese sind wert-"neutral“ und werden, solange sie nicht verändernd oder zerstörend auftreten, allgemein hingenommen oder sogar als erwünscht angesehen. Die Auswirkungen einer Nutzung, die sich darauf beschränkt, auf einem Grundstück einen Ablauf oder Kreislauf in der Natur in Gang zu setzen, können deshalb nur dann als Beeinträchtigung anderer Grundstücke angesehen werden, wenn sie dort schädliche Veränderungen oder gar Zerstörungen hervorrufen.
d) Für bestimmte Fälle des Wirkens von Naturkräften hat der Gesetzgeber Regelungen im Interesse des Nachbarn getroffen. So darf der Eigentümer eines Grundstücks nach § 115 I 1NRWWassG den Ablauf des wild abfließenden Wassers nicht künstlich so verändern, daß tieferliegende Grundstücke belästigt werden. Auch braucht der Nachbar eingedrungene Wurzeln oder herüberragende Zweige nicht zu dulden. Er kann sie gem. § 910 BGB selbst entfernen oder das nach § 1004 I BGB von dem Eigentümer des anderen Grundstücks verlangen (BGHZ 97, 231 = NJW 1986, 2640, unter II 3 m. w. Nachw. = LM § 1004 BGB Nr. 168). Weiter sind im Interesse des Nachbarn mit Pflanzen und Bäumen außerhalb des Waldes nach §§ 40 bis 46 NRWNachbG im einzelnen vorgeschriebene Abstände von den Nachbargrundstücken einzuhalten. Auch insoweit hat der Nachbar gem. § 50 NRWNachbG, § 1004 BGB einen Abwehranspruch.
e) Soweit der Gesetzgeber keine Regelungen im Interesse des Nachbarn oder zum Wohle der Allgemeinheit (Art. 14 II 2 GG) getroffen hat, steht auch die natürliche Nutzung des Eigentums nach § 903 BGB im Belieben des Eigentümers. Dieser darf insbesondere beliebig hohe und dichte Bäume über der Oberfläche seines Grundstücks haben (Dehner, NachbarR, 6. Aufl., § 22). Eine solche Form der Nutzung oder Gestaltung eines Grundstücks ist nicht nur „des Eigentümers gutes Recht" (Dehner, NachbarR, § 22), sondern allgemein erwünscht und, wie § 45 NRWLandschaftsG und zahlreiche auf dieser Grundlage erlassene Baumschutzsatzungen der Gemeinden zeigen, ein erklärtes Ziel der Gestaltung im Zusammenhang bebauter oder geplanter Ortsteile.
f) Wenn die Nutzung selbst erlaubt und erwünscht ist und planerisch gefördert wird, können deren Auswirkungen auf die Nachbarschaft nicht rechtswidrig sein. Denn dann fehlt es an den Voraussetzungen, unter denen das Verhalten des Grundstückseigentümers sich als rechtswidrig darstellt. Die natürlichen Emissionen solcher Pflanzen, die den vorgeschriebenen Grenzabstand einhalten, sind deshalb keine Eigentumsbeeinträchtigung, die nach § 1004 BGB abgewehrt werden könnte (Staudinger-Gursky, BGB, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 41). Daß sie im Einzelfall eine Belästigung der Nachbarn darstellen können, steht außer Frage. Diese Belästigung ist jedoch der „Preis“, den jeder Eigentümer dafür zahlen muß, daß sein Grundstück nicht von der Umwelt losgelöst, sondern in die Natur eingebunden und deren Wirken ausgesetzt ist.
g) Daß die Pappeln auf dem Grundstück der Bekl. näher an ihrer Grundstücksgrenze stünden als nach dem NRWNachbarG zulässig, behauptet die Kl. nicht. Ob die Wurzeln der Bäume unter der Straße durch in ihr Grundstück eingedrungen sind, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn das der Fall wäre, könnte die Kl. von der Bekl. nicht die Beseitigung der Bäume, sondern nur die Beseitigung der Wurzeln verlangen. Das hat sie jedoch nicht beantragt.
2. Die Kl. kann aber selbst dann nicht verlangen, daß die Pappeln beseitigt werden, wenn deren Emissionen als „Einwirkungen“ i. S. des § 906 BGB angesehen werden. Denn bei Anwendung dieser Vorschrift wird Laub- und Blütenbefall entweder als unwesentliche Beeinträchtigung i. S. von § 906 I BGB oder als ortsüblich und nicht zu verhindern i. S. von § 906 II 1 BGB angesehen (Roth, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 906 Rdnr. 153; Palandt-Bassenge, BGB, 48. Aufl., § 906 Anm. 2b ee; Müller, NJW 1988, 2587; jeweils m. w. Rsprnachw.). Ob Tatbestandsmerkmale wie „unwesentlich“, „ortsüblich“ und „nicht zu verhindern“ geeignet sind, Abläufe in der Natur zu werten, erscheint zwar aus den Gründen zu 1 zweifelhaft. Im Ergebnis ist jedenfalls, soweit ersichtlich, einhellige Meinung, daß Bäume, mit denen die vorgeschriebenen Abstände eingehalten sind, stehen bleiben dürfen. Wie zu entscheiden wäre, wenn der Bewuchs auf dem Grundstück der Bekl. und dessen Auswirkungen auf das Grundstück der Kl. jedes in der Natur vorkommende Maß überstiege, kann offen bleiben. Dasselbe gilt für die Frage, ob Immissionen abgewehrt werden können, die auch nach heutigem Naturverständnis als „Unkraut“ anzusehen sind. Denn beides ist auch unter Zugrundelegung des tatsächlichen Vorbringens der Kl. nicht der Fall. Daß der Abwehranspruch des § 1004 BGB gegeben ist, wenn Gefahren durch Krankheiten oder durch umsturzgefährdete Bäume drohen, steht nach den Gründen zu 1 außer Frage. Die allgemeine und ohne konkrete Anhaltspunkte aufgestellte Behauptung der Kl., die Pappeln seien mittlerweile alt und morsch und drohten umzustürzen, reicht dazu jedoch nicht aus.
II. Die Kl. hat auch keinen Anspruch auf einen Ausgleich in Geld. Sieht man Laub, Blüten und Zweige nicht als Einwirkungen oder jedenfalls nicht als Beeinträchtigungen i. S. von § 906 BGB an, so fehlt es schon an einer Anspruchsgrundlage. Der Anspruch ist aber auch dann nicht begründet, wenn die Anwendbarkeit des § 906 BGB für Fälle dieser Art grundsätzlich bejaht wird. Denn das tatsächliche Vorbringen der Kl. rechtfertigt nicht ihre Klageanträge. Selbst eine wesentliche Beeinträchtigung begründet noch keinen Anspruch auf einen Ausgleich in Geld. Vielmehr muß nach § 906 II 2 BGB hinzukommen, daß die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung des betroffenen Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Das hat die Kl. nicht hinreichend konkret dargetan. Ihre Behauptung, sie habe mindestens 264 Stunden pro Jahr aufgewendet, um Blätter, Zweige usw. zu beseitigen, reicht dazu nicht aus. Die Frage, ob das zumutbare Maß überschritten ist, läßt sich nur anhand eines objektiven Maßstabs beantworten. Objektiv meßbar sind allein die Mengen, die auf dem Grundstück der Kl. „landen“. Dazu hat die Kl. keine überprüfbaren Angaben gemacht. „Zentnerweise“ ist eine bloße Meinungsäußerung ohne jeden Tatsachengehalt. Darauf hat schon die Bekl. im ersten Rechtszug hingewiesen.
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