Änderung des Familiennamens von „Scheidungshalbwaisen“
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
20. 03. 2002
Aktenzeichen
6 C 10/01
Ist die Ehe der Eltern eines minderjährigen Kindes, das den Ehenamen der Eltern als Geburtsnamen erhalten hat, geschieden worden und hat der nicht erneut verheiratete allein sorgeberechtigte Elternteil wieder seinen Geburtsnamen angenommen, so ist auch nach In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. 12. 1997 (BGBl I, 2942) die Änderung des Geburtsnamens des Kindes („Scheidungshalbwaise“) auf öffentlich-rechtlicher Rechtsgrundlage möglich (wie BVerwG, NJW 2002, 2406 [in diesem Heft]).
Willigen der nicht sorgeberechtigte Elternteil und, wenn es das fünfte Lebensjahr vollendet hat, das Kind in die Namensänderung ein, so spricht eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die Namensänderung dem Kindeswohl entspricht.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die am 21. 11. 1993 als Tochter der Eheleute R geborene Kl. strebt die Änderung ihres Familiennamens von R in F, den Geburtsnamen der Mutter, an. Die Ehe der Eltern wurde am 24. 7. 1996 geschieden. Die elterliche Sorge wurde auf die Mutter übertragen. Die Mutter nahm nach der Scheidung wieder ihren Geburtsnamen F an. Die Mutter beantragte mit Schriftsatz vom 5. 8. 1998 die Änderung des Familiennamens des Kindes. Sie führte aus, ihre Tochter leide mit zunehmendem Alter unter der Namensverschiedenheit. Der Vater der Kl. erklärte sein Einverständnis mit der Namensänderung. Die Bekl. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22. 3. 1999 ab. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.
Das BVerwG gab der Revision der Kl. statt.
Auszüge aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Die Kl. hat einen Anspruch auf die beantragte Änderung ihres Familiennamens. Nach § 3 I NÄG darf ein Familienname nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt. Ein solcher Grund liegt hier vor. Die gegenteilige Annahme des BerGer. verletzt Bundesrecht (§ 137 I Nr. 1 VwGO).
1. Ist die Ehe der Eltern eines minderjährigen Kindes, das den Ehenamen der Eltern als Geburtsnamen erhalten hat, geschieden worden und hat der nicht erneut verheiratete allein sorgeberechtigte Elternteil wieder seinen Geburtsnamen angenommen, so ist auch nach In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. 12. 1997 (BGBl I, 2942) die Änderung des Geburtsnamens des Kindes auf der Grundlage des § 3 I NÄG weiterhin möglich. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 20. 2. 2002 (NJW 2002, 2406 [in diesem Heft] im Einzelnen begründet. Darauf wird Bezug genommen.
2. Ein wichtiger Grund rechtfertigt die Änderung des Familiennamens, wenn die Abwägung aller für und gegen die Namensänderung streitenden Umstände ein Übergewicht der für die Änderung sprechenden Interessen ergibt. Diese Voraussetzungen hat der Senat im Falle der fehlenden Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils in eine Änderung des Namens der so genannten Scheidungshalbwaisen in den Namen des sorgeberechtigten Elternteils unter Berücksichtigung der Wertung des § 1618 S. 4 BGB für Fälle der Einbenennung von Stiefkindern unter Aufgabe seiner von geringeren Anforderungen ausgehenden früheren Rechtsprechung in der Regel dann für gegeben erachtet, wenn die Namensänderung für das Wohl des Kindes erforderlich ist (NJW 2002, 2406 [in diesem Heft]).
3. Liegen, wie hier, die Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils und, soweit die in §§ 1618, 1617c I BGB genannten Altersvoraussetzungen erfüllt sind, auch die gegebenenfalls durch den sorgeberechtigten Elternteil ausdrücklich oder nach den Umständen erklärte Einwilligung des Kindes vor, so spricht eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die Änderung des Familiennamens des Kindes in denjenigen des allein sorgeberechtigten Elternteils dem Kindeswohl entspricht.
a) § 1618 BGB bestimmt:
„Der Elternteil, dem die elterliche Sorge für ein unverheiratetes Kind allein zusteht, und sein Ehegatte, der nicht Elternteil des Kindes ist, können dem Kind durch Erklärung gegenüber dem Standesbeamten ihren Ehenamen erteilen. … Die Erteilung … bedarf, wenn das Kind den Namen des anderen Elternteils führt, der Einwilligung des anderen Elternteils und, wenn das Kind das fünfte Lebensjahr vollendet hat, auch der Einwilligung des Kindes. Das Familiengericht kann die Einwilligung des anderen Elternteils ersetzen, wenn die Erteilung … des Namens zum Wohl des Kindes erforderlich ist …“.
In den damit bürgerlich-rechtlich geregelten Fällen der Einbenennung von Stiefkindern genügt zur Namensänderung bei Einwilligung des namengebenden nicht sorgeberechtigten Elternteils und gegebenenfalls des Kindes also die Erklärung gegenüber dem Standesbeamten. Daraus, dass die Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils durch das Familiengericht ersetzt werden kann, wenn die Erteilung zum Wohl des Kindes erforderlich ist, folgt zugleich, dass dem Gesetz die Vorstellung zu Grunde liegt, dass die Willensübereinstimmung der Eltern und gegebenenfalls des Kindes den Einklang der Namensänderung mit dem Kindeswohl indiziert. Für die Fälle der Kinder, deren geschiedener sorgeberechtigter Elternteil nicht erneut geheiratet, aber gem. § 1355 V BGB einen früheren Namen wieder angenommen hat, besteht keine entsprechende bürgerlich-rechtliche Regelung zur Änderung des Geburtsnamens des Kindes. Die in derartigen Fällen weiterhin zur Anwendung kommende Regelung des § 3 I NÄG misst der Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils und gegebenenfalls des Kindes im Gegensatz zu § 1618 BGB nicht die Bedeutung zu, dass die angestrebte Rechtsfolge der Namensänderung ohne weiteres eintritt. Vielmehr setzt die Vorschrift in allen Fällen voraus, dass ein wichtiger Grund die Namensänderung rechtfertigt. Die Erleichterung der Einbenennung von Stiefkindern nach Maßgabe des § 1618 BGB im Falle der Einwilligung sollte die Integration des Kindes in die neue Familie verbessern (Amtl. Begr. des RegE, BT-Dr 13/4899, S. 29 [66, 92]). Diese Erwägung greift nicht, jedenfalls nicht in gleicher Weise, wenn der allein sorgeberechtigte Elternteil nach der Ehescheidung nicht erneut eine Ehe eingegangen ist. Daraus folgt zugleich, dass sachliche Gründe die Anknüpfung der Namensänderung von Stiefkindern einerseits und Scheidungshalbwaisen andererseits an unterschiedliche Voraussetzungen vor Art. 3 I GG rechtfertigen.
b) Wenngleich sich hiernach der Zweck des § 1618 BGB, die Namensänderung in den so genannten Stiefkinderfällen zu erleichtern, nicht in gleicher Weise für die Scheidungshalbwaisen fruchtbar machen lässt, ist doch andererseits in derartigen Fällen mit Blick auf die genannte Vorschrift in Anwendung der gem. § 3 I NÄG gebotenen, am Kindeswohl ausgerichteten Abwägung immerhin von einer Vermutung dafür auszugehen, dass bei Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils und gegebenenfalls des Kindes die Änderung des Geburtsnamens in den Nachnamen des sorgeberechtigten Elternteils dem Kindeswohl entspricht. Diese Vermutung greift die dem § 1618 BGB zu Grunde liegende und letztlich auf dem Grundrecht des Art. 6 II GG beruhende und deshalb über den unmittelbaren Regelungsgehalt des § 1618 BGB hinausreichende Erwägung auf, dass die leiblichen Eltern in der Regel ihre Entscheidung für die Namensänderung am Kindeswohl ausgerichtet haben. Eine davon abweichende Entscheidung ist nur gerechtfertigt, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der eine ungenügende Beachtung des Kindeswohls erkennen lässt. Die Vermutung, dass die Namensänderung dem Kindeswohl entspricht, ist in solchen von der Regel abweichenden Fällen widerlegt, so dass dann eine weitere Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich ist, um das Kindeswohl zu ermitteln. Ein derartiger Sachverhalt ist etwa anzunehmen, wenn es objektive Hinweise auf eine Gefahr für den dauerhaften Bestand des Sorgerechtsverhältnisses oder auf eine bevorstehende Änderung des Familiennamens des sorgeberechtigten Elternteils gibt. Zu weiteren Erwägungen bietet der vorliegende Rechtsstreit keinen Anlass.
c) In Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall ein wichtiger Grund anzunehmen, der die Änderung des Familiennamens der Kl. gebietet. Angesichts des Wunsches des sorgeberechtigten Elternteils, der nach den Umständen die Einwilligung des noch nicht 14-jährigen Kindes einschließt (§§ 1617c I 2, 1618 S. 3 u. 6 BGB), und der Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Elternteils streitet die dargelegte Vermutung dafür, dass die Namensänderung dem Kindeswohl entspricht. Auf einen im dargestellten Sinn atypischen Sachverhalt deuten keine Umstände hin. Das BerGer. hat keine dahin gehenden Feststellungen getroffen. Anhaltspunkte für eine erneute Eheschließung des sorgeberechtigten Elternteils mit Folgen für die Namensführung sind nicht gegeben, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt worden ist. Auch sonst sind keine abwägungsbeachtlichen Gesichtspunkte festgestellt oder erkennbar, die gegen eine Namensänderung sprechen könnten.
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